Pluripotente Stammzellen: Stammzellforschung: Aus Haut mach' Herz
Einmal Haut, immer Haut: Hat eine Zelle ihre Aufgabe im menschlichen Körper gefunden, ist ihr Schicksal unumkehrbar – möchte man zumindest meinen. Doch dieses sehenswerte Erklärvideo schafft es in der Rekordzeit von nur einer Minute, uns eines Besseren zu belehren. Denn dem Japaner Shinya Yamanaka ist es 2006 gelungen, die Uhr zurückzudrehen: Er gaukelte fertigen Hautzellen vor, dass sie wieder im Embryonalstadium seien. Um dieses Ziel zu erreichen, genügte es, die Zellen mit vier Genen zu füttern, die Embryo-spezifische Eiweiße produzieren.
Anschließend konnte Yamanaka sich überlegen, welche Zelltypen aus ihnen hervorgehen sollten. In einem zweiten Schritt versorgte er die gewonnenen Stammzellen mit entsprechenden Eiweißen, sogenannten Wachstumsfaktoren. Dadurch reifen die einstigen Hautzellen zu anderen Zellen heran und fügen sich sogar zu funktionalen Geweben zusammen, die ihre vorgesehenen Aufgaben im Körper erledigen.
So werden aus Hautzellen zum Beispiel synchron schlagende Herzzellen, wie in diesem kurzen Clip zu bestaunen. Während solche beeindruckenden Experimente heute selbst Biologie-Anfängern gelingen, wurde Yamanaka selbst für seine Entdeckung, eine der vielleicht bedeutendsten in der Medizin des 21. Jahrhunderts, 2012 mit dem Nobelpreis geehrt. Worin ihr medizinisches Potenzial liegt, stellt der Biochemiker Mick Bhatia von der kanadischen McMaster University im Video ebenfalls vor. Er selbst hofft, mit ihnen zukünftig Krebspatienten zu helfen, die eigenes gesundes Gewebe verloren haben.
An einer Stelle muss man allerdings genauer sein: Pluripotenz, also die Fähigkeit von Stammzellen, zu beliebigen Zelltypen heranzureifen, ist an sich kein neu entdecktes Phänomen – man kennt sie schließlich von embryonalen Stammzellen. Yamanaka hatte allerdings nachgewiesen, dass selbst fertig entwickelte ("ausdifferenzierte") Zellen diese Fähigkeit zurückgewinnen können. In ihnen lässt sich Pluripotenz induzieren, also mit geeigneten Mitteln wieder "hervorrufen".
Doch wann endlich profitieren Patienten von diesem Ansatz? Einige Hürden bestehen noch: Nur ein kleiner Teil der behandelten Zellen wird tatsächlich zu Stammzellen, bei Yamanakas ersten Versuchen waren es bestenfalls 0,1 Prozent. Inzwischen existieren zwar einige hocheffiziente Verfahren zur Herstellung von iPS-Zellen (siehe etwa diese Nature-Studie von 2013). Aber vielfach wird durch das Einschleusen von Genen oder Eiweißen auch das Wachstum von Tumoren begünstigt. Erst wenn sich der Prozess der Zellverwandlung besser kontrollieren lässt, könnte man die Transplantation von Gewebe aus körpereigenen iPS-Zellen in den Körper des Patienten erproben.
In Japan prescht man vereinzelt dennoch voran, zum Beispiel bei der Behandlung einer Augenerkrankung. Der Clip nennt einen weniger heiklen Anwendungsbereich: Die Wirksamkeit von Medikamenten auf einen bestimmten Patienten könnte man direkt an seinen eigenen Zellen testen. Negativschlagzeilen blieben in der Vergangenheit allerdings auch nicht aus: Eine (gefälschte und mittlerweile mehrfach widerlegte) Studie behauptete etwa, dass sich Körperzellen neu geborener Mäuse alleine durch ein Zitronensäurebad in iPS-Zellen umwandeln ließen.
Aus ethischer Sicht tun sich ohnehin Fragen auf. Zwar ermöglichen iPS-Zellen, bei der Stammzellforschung auf Embryonen zu verzichten und machen auch einige Tierversuche überflüssig. Doch eine iPS-Zelle lässt sich auch in Eizelle oder Spermium verwandeln – und so eine neue Form des Klonens ermöglichen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis iPS-Zellen wieder Schlagzeilen machen.
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