Tierfutter: Tierische Müllverwerter
Irgendwie klingt es eher unappetitlich: Insekten wie Fliegen legen ihre Eier in Misthaufen ab. Hier entstehen Larven. Sie sind darauf spezialisiert, die wenigen im Biomüll noch verbliebenen Restnährstoffe zu verwerten. Ihr Verdauungstrakt schützt sie dabei vor Schadstoffen im Abfall. Die extensive Müllverwertung macht diese Insekten auf unserem Planeten zu höchst erfolgreichen Biosystemen. Nach wenigen Tagen bestehen die Larven aus einem hohen Anteil von Protein und bewegen sich dabei an die Oberfläche des Misthaufens. Auf kleinen Bauernhöfen picken sie dort frei laufende Hühner oder Schweine heraus und bringen diese tierischen Proteine dann auch in die Nahrungskette des Menschen. Das war schon immer so. Aber dennoch ist heute in der EU das Verfüttern von Insektenlarven an Tiere, die in die menschliche Nahrungskette kommen, mit wenigen Ausnahmen untersagt. Keine Hühnerfarm, kein Schweinezuchtbetrieb darf heute tierisches Protein – und damit auch Insektenlarven – im großen Stil verfüttern, sondern muss sich auf pflanzliches Protein beschränken. Das klingt zuerst einmal paradox, aber der Grund dafür: die BSE-Krise.
Damals war Mehl aus Abfällen verseuchten Schaffleisches an Rinder verfüttert worden. Die als Prionen bezeichneten tierischen Proteine der Schafkrankheit führten nicht nur zum Ausbruch des Rinderwahns BSE. Über das Rindfleisch gelangten sie auch auf den Esstisch des Menschen und gelten inzwischen als Ursache einer speziellen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Als Konsequenz entstand damals eine EU-weit gültige Richtlinie, die es – mit wenigen Ausnahmen – pauschal verbietet, tierisches Protein an jegliche Zuchttiere für die menschliche Nahrungskette zu verfüttern. Als das generelle Verbot Anfang des neuen Jahrtausends auf den Weg gebracht wurde, hatte allerdings niemand Larven als Tiernahrung ernsthaft im Blick. Wir wollten sie selbst nicht essen – und solche Müllzöglinge auch nicht an unsere Tiere verfüttert wissen. Doch diese Ansicht ändert sich gerade.
Weltweit werden heute bereits 70 Prozent der Nutzfläche im Pflanzenanbau für Tiernahrung benötigt. Das scheint ökologisch wenig sinnvoll. Zudem wird pflanzliche Nahrung für Tierfutter immer teurer. Der Druck kommt aus verschiedenen Seiten. Politik, Industrie und Forschung suchen jetzt nach brauchbaren Fress-Alternativen für den späteren Fleischgenuss auf den Esstellern des Menschen. Jetzt kommen proteinreiche Larven auf die Agenda. Möglichweise gibt es für Allesfresser wie Hühner, Schweine oder Fische unbedenkliches Futter, das nicht nur preiswerter, sondern auch noch nachhaltiger zu produzieren wäre. Im EU-Projekt "ProTe-lnsect" wird diese Alternative wissenschaftlich genauer untersucht. Die Ergebnisse sollen im Frühsommer 2016 veröffentlicht werden. Europäische Wissenschaftler arbeiten darin mit chinesischen und afrikanischen Instituten zusammen, die in Ländern angesiedelt sind, in denen die nahrhaften Insektenlarven bereits in großem Stil verfüttert werden und auch biomolekulare Forschungen in Sachen Larvennahrung schon weiter gediehen sind als in Europa. Die Projektmitglieder suchen nicht nur nach dem Beleg der grundsätzlichen Unbedenklichkeit des Larvenfutters für die Gesundheit von Tier und Mensch, sondern prüfen auch mögliche Produktionsmethoden aus Biomüll. Wären sie zulässig, hätte das erhebliche wirtschaftliche wie ökologische Relevanz. Immerhin produziert Europa von dem bisher nur bedingt sinnvoll recycelbaren Material jährlich 120 bis 140 Millionen Tonnen! Experten schätzen, dass rund die Hälfte für die Herstellung von Larven-Tiernahrung einer gänzlich neuen Verwertung zugeführt werden könnte. Bis Larven in Europa verfüttert werden dürfen, wird es noch Jahre dauern. Immerhin hat die EU inzwischen den Verzehr von Larven für Menschen frei gegeben. Was in China schon immer als Delikatesse gilt, darf jetzt auch in Europa auf den Esstisch! Hühner und Schweine in unseren Landen müssen auf diese Vorzugskost wohl noch etwas warten.
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