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Physiologie: Tierische Schmerzen

Tiere kann man nicht einfach fragen, ob sie Schmerzen empfinden. Wissenschaftler müssen sich daher mit indirekten Hinweisen begnügen.
How do animals experience pain? - Robyn J. Crook

Veröffentlicht am: 17.01.2017

Laufzeit: 0:05:06

Sprache: englisch

Untertitel: deutsch

Die Konferenzorganisation TED (Technology, Entertainment, Design) ist durch Video-Kurzvorträge von Vordenkern unterschiedlicher Fachdisziplinen im Internet bekannt geworden. Millionen Zuschauern werden spannende, nicht selten provokante Ideen vorgestellt. Motto: Ideas worth spreading.

Noch im 17. Jahrhundert betrachtete man Tiere als Dinge, als reine Mechanismen ohne Innenleben. Der französische Philosoph René Descartes (1596–1650) etwa bezeichnete sie schlichtweg als gefühllos. Doch die Zeiten haben sich geändert. Heute untersucht man insbesondere bei höheren Arten deren Intelligenz, Ansätze von Selbstbewusstsein, Sprachfähigkeit und vieles mehr. Unter anderem fragen Forscher auch danach, ob Tiere in der Lage sind, Schmerzen zu empfinden.

In dem animierten Video (mit recht unpräzisen deutschen Untertiteln) der Serie TED-Ed, einer Reihe von Lehrvideos, die als Ableger der renommierten TED Conference entstanden sind, geht die US-amerikanische Evolutionsbiologin und Verhaltensneurobiologin Robyn J. Crook genau diesem Thema nach.

Es lohnt indessen, gedanklich präziser in die Thematik einzusteigen, als es in einem Fünfminüter möglich ist. Haben Tiere Schmerzen? Allein schon auf diese Frage mag mancher heftig reagieren: Selbstverständlich spürt mein Hund / meine Katze, wenn ihr Schmerzen zugefügt werden! Dennoch ist sie berechtigt. Wir können nicht einmal sicher sein, ob und wie ein menschliches Gegenüber einen bestimmten Schmerz empfindet. Allenfalls nehmen wir seine Reaktion darauf wahr, ein Stöhnen beispielsweise oder einen verzerrten Gesichtsausdruck. Doch spüren können wir den Schmerz eines anderen nicht. Geht es um Tiere, sind wir noch viel stärker auf Annahmen angewiesen. Dennoch gilt es als Konsens, dass höhere Tiere, also etwa Hunde, Katzen, Kühe oder Affen, Schmerzen empfinden. Anders bei niederen Tieren. Hier lässt uns unsere Intuition gänzlich im Stich: Hat ein Wurm, der sich krümmt, wirklich Schmerzen?

Eine wichtige Formulierung dieses Problems gelang dem Philosophen Thomas Nagel bereits 1974. »Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?«, fragte er in einem Essay – und antwortete, dass wir aus prinzipiellen Gründen keinerlei Chance haben, je deren Wahrnehmung von Ultraschallsignalen nachzuempfinden.

Wir werden also niemals sicher wissen, was andere Lebewesen spüren. Was sich allerdings mit naturwissenschaftlichen Methoden messen lässt, ist die Reaktion des Körpers auf einen Stimulus. Tritt ein schmerzhafter Reiz auf, reagieren unsere Schmerzrezeptoren. Auch fast alle Tiere, so Crook in ihrem Video, verfügen über solche so genannten Nozizeptoren, ihr Organismus reagiert also zumindest auf Schmerz.

Ob die Tiere den Schmerz auch empfinden, ist aber weiterhin unklar. Vielleicht lösen die Rezeptoren lediglich eine schützende Reflexreaktion aus? Auch Menschen ziehen die Finger blitzschnell von der heißen Herdplatte zurück, noch bevor sie den Schmerz bewusst wahrnehmen.

Gerade bei Fischen hat sich hier in den letzten Jahren einiges getan, und es ist schade, dass Crook darauf nicht eingeht. Lange Zeit galten die Wasserbewohner als »kalt« und unfähig, Schmerzen zu fühlen. Doch wegweisende Forschungsarbeiten der letzten Jahre haben dieses Bild ins Wanken gebracht. Bereits 2003 beobachtete die britische Biologin Lynne Sneddon, dass Fische, deren Lippen man mit Essigsäure oder Bienengift betupft hatte, die verletzten Stellen am Untergrund rieben und zudem typisches Stressverhalten an den Tag legten. 2015 veröffentlichte sie schließlich eine Übersichtsarbeit über das Schmerzempfinden von im Wasser lebenden Tieren.

Angesichts solcher Erkenntnisse müssen auch die Philosophen nachlegen. Kein Wunder, dass die schweizerische Ethikkommission für die Biotechnologie für ihren 2014 veröffentlichten Bericht Ethischer Umgang mit Fischen neben dem Berner Biologen Helmut Segner auch den Schweizer Philosophen Markus Wild ins Rennen geschickt hatte, um dessen Ansichten zu Kognition, Bewusstsein und Schmerz von Fischen zu hören.

Wild und Segner kamen zu dem Ergebnis, dass zumindest Lachs, Karpfen, Zebrafisch und Goldfisch die Fähigkeit zugeschrieben werden muss, Schmerzen zu empfinden. Denn sie erfüllen acht dafür entscheidende Kriterien. Erstens verfügen sie über Nozizeptoren, von denen zweitens Pfade ins Zentralnervensystem führen, sowie drittens über eine Reizverarbeitung in höheren Hirnarealen. Zudem besitzen diese Fische Opioidrezeptoren sowie endogene Opioide, also körpereigene Schmerzmittel, und reagieren zudem positiv auf von außen verabreichte Schmerzmittel. Hinzu kommen physiologische Antworten auf einen Schmerzreiz sowie Verhaltensreaktionen, speziell das Erlernen von Vermeidungsverhalten sowie eine Veränderung normaler Verhaltensroutinen.

Vermeidungsverhalten und neue Routinen lassen sich selbst bei wirbellosen Tieren beobachten, etwa bei Tintenfischen, Kraken und sogar bei Meeresnacktschnecken. Das stellt auch Crook im Video heraus, lässt aber ausgerechnet einen wichtigen Forschungsbeitrag unerwähnt, den sie selbst geleistet hat. Im Rahmen ihrer Arbeit mit Tintenfischen und Kraken fand sie nämlich heraus, dass bei diesen Weichtieren die Nozizeption mit einer Plastizität des nachgeschalteten Nervensystems einhergeht (siehe hierzu etwa diese Studie und diese. Damit verfügen sie über eine wichtige neurobiologische Voraussetzung für ein Schmerzgedächtnis und eine nachhaltige Verhaltensänderung.

Was ein Tintenfisch wirklich fühlt, bleibt uns zwar weiterhin verborgen. Crook macht allerdings unmissverständlich klar: Angesichts neuer Forschungsergebnisse werden wir peu à peu unsere Sichtweise auf die Frage verändern, ob wir unseren Mitgeschöpfen nicht allzu häufig unnötiges Leid zufügen.

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