Direkt zum Inhalt

Aufbruch zum Mond: Von Helden und Menschen

Damien Chazelle, Spezialist für gefühlige Musikfilme, hat sich an ein Biopic über Neil Armstrong gewagt. Kann das gutgehen?
Aufbruch zum Mond

Die erste Mondlandung ist jetzt fast 50 Jahre her, und für viele Menschen ist der 20. 7. 1969 nur noch ein Datum in der Geschichte. Neil Armstrong, der erste Mensch auf dem Mond, ist in die Ruhmeshalle großer Entdecker entrückt worden, neben James Cook oder Roald Amundsen.

Mit dem Film »Aufbruch zum Mond« hat die Produktionsfirma Universal Studios Neil Armstrong jetzt ein filmisches Denkmal gesetzt. Das hört sich einfacher an, als es ist. Die erste Mondlandung fiel in eine Zeit des vielfachen Aufbruchs, des Wagemuts und des unbegrenzten Optimismus. Heutigen Zuschauern diese Stimmung zu vermitteln, erfordert beträchtliche künstlerischer Fantasie.

Universal hat bei seinem Projekt nicht gespart und Steven Spielberg als Executive Producer verpflichtet. Die Regie führt der bekannte amerikanische Regisseur Damien Chazelle (»Whiplash«, »La La Land«). Auch die Hauptrollen sind prominent besetzt. Ryan Gosling spielt Neil Armstrong, die britische Schauspielerin Claire Foy seine Frau Janet. Das Drehbuch schrieb der Oscar-Preisträger Josh Singer. Der Film basiert auf der gleichnamigen Armstrong-Biografie des NASA-Historikers James R. Hansen.

Aus diesem umfangreichen Werk bebildert Chazelle nur einige Episoden, darunter die Mondlandung als Höhepunkt des Films. Der Film fokussiert sich ganz auf Neil Armstrong und seine Frau Janet. Die fast durchgehende Benutzung einer etwas wackeligen Handkamera sorgt für einen sehr subjektiven Blickwinkel. Die Kamera sieht den Protagonisten über die Schulter oder nimmt direkt ihre Perspektive ein. Die Zuschauer folgen Armstrong in die Raumkapseln, zu Pressekonferenzen, in sein Haus. Sie nehmen an seinem Familienleben teil und leiden mit ihm beim Tod seiner kleinen Tochter, die mit am 28. 1. 1962 mit nur zweieinhalb Jahren an einem Hirntumor starb.

Nach diesem einschneidenden Ereignis suchte Armstrong Trost in seiner Arbeit. Er bewarb sich erfolgreich als NASA-Astronaut und wurde Kommandant des Raumschiffs Gemini 8. Das Gemini-Programm diente bereits der Vorbereitung der bemannten Mondlandung. Unter dem Eindruck russischer Erfolge in der Raumfahrt hatte Präsident Kennedy 1961 verkündet, die USA wollten noch »vor dem Ende des Jahrzehnts« einen Menschen auf dem Mond landen lassen und sicher wieder zurückbringen. Die NASA hob daraufhin das Apollo-Programm aus der Taufe und trieb es unter enormem Zeitdruck voran. Das führte immer wieder zu gefährlichen Pannen.<(p>

Armstrong und sein Partner David Scott gerieten beim Flug mit Gemini 8 in eine lebensbedrohliche Situation und mussten die Mission abbrechen. Im Januar 1967 geschah der schlimmste Unfall: Die Astronauten Virgil Grissom, Edward White und Roger Chaffee verbrannten in einem Prototypen der Apollokapsel. Die NASA sah sich zu umfangreichen und hastigen Umbauten gezwungen.

Vier Monate später stürzte das Mondlandetrainingsgerät ab, während Armstrong darauf übte. Das Gerät ging in Flammen auf, Armstrong rettete sich mit dem Schleudersitz. Der Mondflug, Höhepunkt des Films, startete trotzdem noch vor Ende des Jahrzehnts. Chazelle hat den Abstieg der Astronauten Armstrong und Aldrin zum Mond perfekt in Szene gesetzt. Er verzichtet darauf, Außenaufnahmen der Apollokapsel und Mondlandefähre per CGI nachzustellen. Stattdessen konzentriert er sich auf die subjektive Sicht der beiden Männer im winzigen Innenraum der Mondlandefähre. Und die ist wahrlich spektakulär. Vor den beiden dreieckigen Fenstern zieht eine abweisende fremde Landschaft vorbei. Der überforderte Computer gibt mehrfach Fehlermeldungen aus, die Mission steht kurz vor dem Abbruch. Riesige Felsbrocken blockieren das anvisierte Landgebiet, Armstrong steuert die Fähre per Hand über einen Krater hinweg in ein flacheres Terrain und verbraucht dabei fast den kompletten Treibstoff. Trotzdem landet er Fähre so sanft, dass die Astronauten das endgültige Aufsetzen kaum spüren. Allein für diese atemberaubenden Minuten lohnt sich der Kinobesuch.

Den berühmten ersten Schritt auf den Mond verpatzt der Film allerdings vollkommen. Der Fußabdruck von Armstrongs Stiefel sieht aus, als sei er an einem irdischen Strand entstanden, weil der Requisiteur den feinen Mondstaub durch eine Art feuchten groben Sand ersetzt hat. Die Panoramabilder von der Mondoberfläche wirken danach glücklicherweise wieder stimmig.

Der Film bezieht seine Dramatik nicht zuletzt aus dem Kontrast zwischen dem weitgehend normalen Leben der Astronauten auf der Erde und der unwirklichen Situation im Weltraum. Claire Foy spielt Armstrongs lebhafte Frau Janet eindringlich und überzeugend. Es beeindruckt sie kaum, dass ihr Ehemann das größte und ehrgeizigste Vorhaben der Menschheit ausführen soll. Sie sorgt sich mehr darum, dass der Vater ihrer Kinder auf eine Mission geht, von der er vielleicht nie zurückkehrt.

Seltsamerweise zeigt Ryan Gosling als Neil Armstrong keine erkennbare Begeisterung für das Mondprojekt. Er macht aus dem Astronauten einen schweigsamen sturen Kämpfer, der mit stählernen Nerven ein nie dagewesenes Wagnis erfolgreich zu Ende führt. Doch unter dieser Oberfläche verbirgt sich ein liebender Vater, der nie über den frühen Tod seiner Tochter hinweggekommen ist und ihr seinen Mondflug widmet. Das wirkt anrührend und romantisch, stimmt aber nicht ganz. Der wirklich Neil Armstrong war ein introvertierter, bescheidener, freundlicher und humorvoller Mensch, aber kein unnahbarer Stoiker. Das muss nicht unbedingt ein Fehler von Gosling sein. Der Regisseur Chazelle nimmt sich zum Zweck der Dramatisierung beträchtliche künstlerische Freiheiten.

Er überhöht die bekannte Schweigsamkeit von Armstrong so stark, dass die Figur streckenweise fast holzschnittartig gerät. Für das endlose Leiden des Helden am Tod seiner Tochter gibt es ebenfalls keine Belege. Das im Film sorgfältig porträtierte idyllische Familienleben ist eine Fiktion. Die amerikanischen Astronauten waren die Rockstars ihrer Zeit. Reporter folgten ihnen auf Schritt und Tritt, und die NASA nutzte diese Heldenverehrung, um für ihr extrem teures Mondprogramm zu werben. Der Film unterschlägt komplett, wie die Astronauten und ihre Familien mit diesem Rummel zurechtkamen.

Auch die Geschichte des amerikanischen Raumfahrtprogramms fehlt weitgehend. Alan Shepard und John Glenn, die ersten Amerikaner im Weltraum, kommen nicht vor. Die enormen technischen Herausforderungen des Projekts streift der Film nur am Rand.

Regisseur Chazelle konzentriert sich ganz auf die Frage, wie sich das Wagnis des Mondflugs angefühlt haben könnte. Was geht in einem Menschen vor, der die Erde verlässt, um als Erster einen fremden Himmelskörper zu betreten? Kann er nach dem überwältigenden Erlebnis in sein normales Leben zurückkehren, als sei nichts gewesen, oder wird ihn die Erfahrung mehr verändern, als er anderen Menschen jemals vermitteln kann?

Der Film lässt die Zuschauer hautnah erleben, welches enorme Leistung die am Apollo-Programm beteiligten Menschen erbrachten, mit welcher einfachen Technik sie ihr Ziel erreichten und welche Opfer sie in Kauf nahmen. Trotz einiger Schwächen ist er schon deshalb ausgesprochen sehenswert.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.