Mathematik: Warum der Beweis der Riemann-Vermutung eine Million Dollar wert ist
Als der Mathematiker David Hilbert am 8. August 1900 in Paris die 23 größten mathematischen Herausforderungen für das 20. Jahrhundert vorstellte, stand die Riemann-Vermutung an achter Stelle seiner Liste. Allerdings sollte sie sich in den folgenden 100 Jahren als hartnäckig erweisen. Als so hartnäckig sogar, dass das Clay Mathematics Institute in Cambridge, Massachusetts, für den noch immer ausstehenden Beweis im Jahr 2000 einen Preis von einer Million US-Dollar aussetzte. Worum geht es?
Es geht um den wohl schwierigsten Weg, an eine solche Geldsumme heranzukommen, berichtet Edward Frenkel in einem Video auf dem YouTube-Kanal Numberphile auf höchst sehenswerte Weise. Im Zentrum dieses Millennium-Problems, so erklärt der Professor an der University of California, Berkeley, steht die Riemannsche Zeta-Funktion: eine Summe über unendlich viele Brüche, in deren Nenner die natürlichen Zahlen (n) mit unterschiedlichen Exponenten (s) auftauchen. Mathematisch schreibt sie sich so: \[\zeta(s)=\sum_{n=1}^\infty {1 \over n^s} = {1 \over 1^s} + {1 \over 2^s} + {1 \over 3^s} + \ldots \]
(Vor Kurzem haben wir hier übrigens ein Video vorgestellt, das eine spezielle Lösung der Zeta-Funktion bei s=-1 diskutiert – eine Lösung, die der Summe 1+2+3+4+5 ... den scheinbar unmöglichen Wert -1/12 zuweist.)
Die Vermutung, die Bernhard Riemann, ein berühmter deutscher Mathematiker des 19. Jahrhunderts, über die Nullstellen dieser Funktion anstellt, wäre – falls sie denn zutrifft – äußerst folgenreich: Sie verbindet nämlich die Welt der Funktionen mit der Welt der Primzahlen. Dieser unerwartete und vor allem für Zahlentheoretiker und Kryptographen wichtige Brückenschlag gelingt, weil man, wie Leonhard Euler bereits im 18. Jahrhundert gezeigt hat, die Zeta-Funktion – eine Summe unendlich vieler Summanden – überraschenderweise gleichsetzen kann mit einem Produkt über unendlich viele Primzahlen. (Hier geht es zur präzisen Definition von Zeta-Funktion und Euler-Produkt.)
Das ist deswegen so erstaunlich, weil Primzahlen chaotisch verteilt sind – sie liegen scheinbar zufällig verstreut in unterschiedlichsten Abständen auf dem bis ins Unendliche reichenden Zahlenstrahl –, während Summen sich, wie Mathematiker sagen würden, in wohlgeordneter Form darstellen lassen.
Der deutsche Mathematiker Bernhard Riemann reizte diesen Zusammenhang ab 1859 noch weiter aus. Seine geniale Idee war es, die Zeta-Funktion in die komplexe Ebene zu übertragen. Während Euler das s in obiger Formel noch als reelle Zahl betrachtet hatte, fasste Riemann es als komplexe Zahl auf. Dabei entdeckte er, dass sich der Zusammenhang zwischen Zeta-Funktion und Primzahlen weiter vertiefen ließ: Die Nullstellen der komplexen Zeta-Funktion informieren nämlich über die Verteilung der Primzahlen – egal wie chaotisch diese verteilt sein mögen.
Konkrete Nullstellen sind im Prinzip leicht zu finden. Riemann vermutete jedoch, wie das Video erklärt, dass sämtliche so genannten nichttrivialen Nullstellen der Zeta-Funktion – alle s, für die gilt: Zeta(s)=0 – in der komplexen Ebene auf einer Geraden parallel zur y-Achse liegen, nämlich dort, wo der Realteil der komplexen Zahl s den Wert ½ besitzt. Die entscheidende Frage lautet nun: Tun sie das wirklich? Der strenge Beweis der Riemannschen Vermutung wäre eine Zäsur: Viele Probleme etwa der Zahlentheorie und die für die Kryptographie wichtigen schnellen Primzahltests können derzeit nur dann bewiesen oder berechnet werden, wenn man davon ausgeht, dass sie zutrifft.
Mit Bravour liefert das Video eine anschauliche, klare Einführung in eine wortwörtlich komplexe und zudem eine Million Dollar schwere mathematische Fragestellung. Doch wie steht es um Fortschritte bei ihrer Beantwortung? Auf der Suche nach der Lösung blicken Mathematiker mittlerweile auch über den Tellerrand ihres Fachs. Jüngste Ansätze zur Lösung des Problems kommen beispielsweise aus der Statistischen Mechanik. Dort hofft man, aus der komplexen Physik der Phasenübergänge einiges lernen zu können.
Die faszinierendsten Ideen stammen aber aus der Quantenphysik. Dabei spielen Operatoren und Zufallsmatrizen, wie sie in der Quantenmechanik verwendet werden, eine wichtige Rolle. Hier könnte sich ein völlig neuer Zusammenhang auftun: Aus der quantenmechanischen Welt der Atome, aus denen unsere Materie besteht, ginge möglicherweise eine Aussage über die Primzahlen hervor – die ihrerseits als Atome der Zahlen gelten, als Bausteine des gesamten Zahlensystems. Gelänge an dieser Stelle der Durchbruch, wäre der Beweis der Riemann-Vermutung wohl weit mehr wert als nur eine Million Dollar.
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