Wissenschaftsgeschichte: Warum Natur- und Geisteswissenschaftler in zwei Welten leben
Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften: Das sind heute im Großen und Ganzen zwei getrennte Welten. In diesem witzigen Animationsvideo illustriert der mittlerweile TV-bekannte Philosoph und Journalist Richard David Precht anhand zweier schöner Anekdoten, wann und wie es wohl zu dieser Trennung gekommen ist. Er selbst taucht darin allerdings gar nicht auf, stattdessen wurden der gezeichneten Geschichte Auszüge aus seiner hörenswerten Festrede (hier die 45-Minuten-Fassung) anlässlich des 60. Jubiläums des Karlsruher Studium Generale hinterlegt.
Precht greift auf Immanuel Kants Theorie zur Entstehung des Universums von 1754 einerseits und auf Goethes Entdeckung des Zwischenkieferknochens 1784 andererseits zurück. Der Knochen gilt als wichtiges Indiz für die Tatsache, dass Mensch und Tier näher verwandt sind, als man zu jener Zeit angenommen hatte. Kants Überlegungen wiederum spielen in Form der Kant-Laplaceschen Theorie, die auch Pierre-Simon Laplace's Nebularhypothese umfasst, heute ebenfalls noch eine Rolle – ihr zufolge ist das Sonnensystem durch anziehende und abstoßende Kräfte entstanden.
Während aber Kants Beitrag zur Kosmologie – der ihm am Schreibtisch gelang! ohne jegliche Messungen! – bis heute hoch anerkannt ist, wurde Goethes Entdeckung dreißig Jahre später, auch wenn sie tatsächlich einen wichtigen Hinweis auf die Existenz der Evolution gegeben hatte, nie ganz ernst genommen. (Was allerdings auch daran lag, dass der französische Neuroanatom Félix Vicq d'Azyr Goethes Erkenntnis um vier Jahre zuvorgekommen war.)
Precht nimmt diese Beispiele als Beleg dafür, dass sich in den 30 Jahren, die zwischen den beiden Entdeckungen liegen, Natur- und Geisteswissenschaften endgültig voneinander entfernt haben. Seit erstere ein ganz spezielles mathematisch-technisches Methodeninventar entwickelt haben, sei es für Geisteswissenschaftler anders als zuvor praktisch nicht mehr möglich, relevante Ergebnisse zu den Naturwissenschaften beizutragen. Schon der Naturwissenschaftler Laplace verdiente sich mit seiner Nebularhypothese mehr Lorbeeren als der Geisteswissenschaftler Kant, obwohl beide praktisch dasselbe Modell aufgestellt hatten.
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