Werbung: Wenn künstliche Intelligenz die Familie zusammenhält
Nach zehn Jahren im Koma erwacht Adam in einer durch und durch digitalen Zukunftswelt. Damit er sich darin gleich zurechtfindet, haben seine Ärzte die digitale Assistentin Entity in seinen Schädel implantiert. Als frei schwebende virtuelle Stimme im Raum benimmt sie sich wie die ältere Schwester von Alexa oder Siri, den Sprachassistenten von Amazon und Apple. Freundlich, humorvoll und mit einem gelegentlichen digitalen Seufzen erklärt sie Adam die schöne neue Welt. In acht jeweils drei bis vier Minuten langen Webisodes – mal zu smarten Städten, mal zu humanoiden Dienstleistern – lernt der staunende Adam, wie durchgreifend digitale Techniken die Welt verändert haben.
Diesen erzählerischen Rahmen nutzt der internationale IT-Dienstleister NTT Data, um uns seine Zukunftsvisionen nahezubringen. Das Ergebnis fällt so beeindruckend wie beängstigend aus. Der Konzern, Tochter des japanischen Telekommunikationsriesen NTT, gehört zu den ganz Großen der Branche. Seine 100 000 Mitarbeiter setzen mehr als 13 Milliarden Euro im Jahr um. Mit den kurzen Hochglanzvideos versucht das IT-Unternehmen, seinen Kunden die Angst vor künstlicher Intelligenz zu nehmen und seine Dienstleistungen als unentbehrlichen Teil einer idealen Gesellschaft zu präsentieren.
Wer Bier verkaufen will, zeigt fröhliche und gut aussehende Menschen in Feierlaune. Zigarettenhersteller lassen den Marlboro-Mann Freiheit und Abenteuer erleben. NTT denkt größer – und schenkt uns gleich eine bessere Zukunft. Dazu erfindet der Konzern eine Welt, in der die Menschen von künstlichen Intelligenzen unterstützt werden. Freundlich, klug und geduldig erledigen die digitalen Heinzelmännchen lästige Alltagsaufgaben, helfen diskret bei schwierigen Entscheidungen und ersetzen den Menschen bei Bedarf auch komplett. Während Adam im Koma lag, kümmerte sich der Hausroboter Takeshi um die Erziehung seiner Tochter.
Ob solche Szenarien auch nur halbwegs realistisch sind, lässt sich schwer voraussagen. Die Entwicklung der künstlichen Intelligenz verläuft ausgesprochen sprunghaft. 1966 setzte der National Research Council der USA 20 Millionen US-Dollar in den Sand, als er vergeblich versuchte, einen KI-basierten Sprachübersetzer zu konstruieren. Auch die nächsten 40 Jahren waren von Rückschlägen und Enttäuschungen gekennzeichnet. Erst seit etwa zehn Jahren nimmt die Technik wieder Fahrt auf, vor allem beim Thema Sprache. Ihre digitale Erkennung, die semantische Analyse von Sätzen, automatisierte Übersetzungen zwischen verschiedenen Sprachen gelingen mittlerweile besser, als viele noch vor wenigen Jahren erwartet haben. Selbst das so genannte »affective computing«, also die digitale Erkennung und auch Beeinflussung von menschlichen Gefühlen, funktioniert schon erstaunlich gut, der Weg von Siri zu Entity scheint durchaus gangbar.
In seinen Webisodes geht NTT Data allerdings noch viel weiter. Er zeigt die Vision einer Zukunft, in der Menschen nicht mehr die einzigen intelligenten Wesen auf dem Planeten sind. Der so genannte Posthumanismus, eine Ende des 20. Jahrhunderts aufgekommene vielgestaltige philosophische Strömung, versucht bereits, die ethischen, sozialen und psychologischen Folgen einer solchen Umwälzung auszuleuchten. Dass er dabei noch nicht zu brauchbaren Ergebnissen gekommen ist, ficht NTT Data nicht an. Der Konzern entwirft eine Art feudalistisch organisierter Gesellschaft, in denen Menschen qua Geburtsrecht die egalitäre Oberschicht bilden – bedient von künstlichen Intelligenzen, die bekanntlich nicht geboren, sondern nur hergestellt werden. Im Binnenverhältnis haben die Menschen dagegen alle Hierarchien abgeschafft. Als ideale Aristokraten gehen sie rücksichtsvoll und höflich miteinander um. Selbst Besitz ist zweitrangig geworden: Zumindest ihre nicht ständig benötigten materiellen Güter gehören der (aristokratischen) Gemeinschaft.
Die Utopie einer Menschheit als herrschaftsfreie, postmaterialistische Kommune mit dezenter digitaler Dienerschaft ist natürlich nur eine bunt schillernde Seifenblase. Sicher: Künstliche Intelligenz dringt in immer mehr in Lebensbereiche ein. Aber deshalb werden Menschen nicht rücksichtsvoller miteinander umgehen, und auch Maschinenintelligenzen werden sich keineswegs tadellos verhalten. Im Gegenteil: Eine autoritäre Regierung hätte dank solcher digitalen Erfüllungsgehilfen die Mittel an der Hand, jedes Wort, jede Geste, jeden Blick ihrer Untertanen zu kontrollieren.
NTT Data wirbt dafür, die KI noch mächtiger werden zu lassen. Doch es erscheint keineswegs sicher, ob wir uns mit der Entwicklung übermenschlich intelligenter Computer einen Gefallen tun – auch der Marlboro-Mann ist an Lungenkrebs gestorben. Angesichts der schamlos übertriebenen Werbefilmchen von NTT Data bleibt eigentlich nur eines: sie zum Anlass nehmen, um über unsere wirkliche Zukunft nachzudenken.
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