Röntgenkristallografie: Wie die Materie zusammenhängt
Sie ist eine der wichtigsten Methoden der modernen Wissenschaft, dennoch ist sie in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt: Die Röntgenkristallografie oder Röntgenstrukturanalyse erlaubt tiefe Einblicke in ganz verschiedene Arten von Materie. Mit ihr lässt sich aufklären, warum bestimmte Stahlsorten härter oder spröder sind als andere, welche Form bestimmte Proteine in unserem Körper haben oder wie ein Arzneimittel aussehen muss, das an diese Proteine andockt und dadurch beispielsweise Krebs bekämpft.
In diesem kunstvoll animierten Video gibt die Royal Institution of Great Britain einen schönen Überblick über dieses wichtige Stück Wissenschaftsgeschichte. Mit Hilfe dieser Methode wurde nicht nur die Struktur der DNA aufgedeckt, sie hat auch zu insgesamt 28 Nobelpreisen und unzähligen wissenschaftlichen Veröffentlichungen geführt.
Bei der Röntgenkristallografie kommen spezielle Teilchenbeschleuniger zum Einsatz. Im Gegensatz zu großen Teilchenbeschleunigern wie dem Large Hadron Collider beim CERN in Genf geht es hier aber nicht um die Suche nach neuen Teilchen oder Kräften, die die Welt im Innersten zusammenhalten. Stattdessen produzieren vor allem so genannte Synchrotrone und inzwischen auch Freie-Elektronen-Laser wie der gerade eingeweihte European XFEL bei Hamburg (siehe hierzu diesen Beitrag auf spektrum.de/video) eine starke und monochromatische Röntgenstrahlung, mit der sich alle möglichen Stoffe durchleuchten lassen.
Aus der Analyse dieser Röntgenbilder lassen sich sehr viel mehr Informationen ziehen als aus normalen Röntgenuntersuchungen, wie man sie in der Medizin einsetzt. Das Geheimnis liegt darin, dass die eingesetzten Röntgenstrahlen durch ein strukturiertes Material laufen und dadurch Interferenzeffekte auftreten. Aus den Ablenkwinkeln dieser Beugungsmuster können Wissenschaftler etwa die exakte atomare Struktur eines Kristalls berechnen.
Mittlerweile ist die Technik auch dank der verfügbaren Computerpower so weit fortgeschritten, dass sich selbst komplexe biologische Moleküle aus vielen tausend Atomen dreidimensional aufschlüsseln lassen. Dafür muss man allerdings diese Riesenmoleküle zunächst zu einem sauber strukturierten Kristall zusammenfügen, was oftmals sehr schwierig ist. Es führt manchmal dazu, dass sich das Protein stark verändert und nicht mehr so aussieht wie im Organismus. Doch selbst in diesen Fällen kann man immerhin noch herausfinden, wie seine Struktur ungefähr beschaffen ist.
Und die Technik schreitet weiter voran. 2017 gelang es Forschern vom Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) die so genannte serielle Röntgenkristallografie zu verbessern, bei der nicht ein einzelnes, sondern hundert bis hunderttausende sehr kleine Proteinkristalle durchleuchtet werden. Indem sie statt monochromatischem Röntgenlicht intensiveres polychromatisches Licht verwendeten, konnten sie die Struktur von Biomolekülen mit viel weniger Probenmaterial und kürzeren Belichtungszeiten als bislang erfassen (siehe hierzu auch eine Pressemitteilung des DESY). Durch die kürzeren Belichtungszeiten lassen sich nun auch am Synchrotron schnelle chemische Reaktionen und Enzymreaktionen erfassen.
Die aus der Physik stammende Technik hat also nicht nur historische Bedeutung. Sie ist aus der Biologie, der Medizin und den Materialwissenschaften inzwischen gar nicht mehr wegzudenken.
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