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Wir Werden Alle Sterben: Ansteckender Krebs

Bei manchen Tieren gibt es Krebs, der übertragen werden kann wie Viren oder Bakterien. Das gibt es bei Hunden, Beutelteufeln und Meerschweinchen - und ganz besonders bei Muscheln. Kann so etwas auch bei Menschen entstehen?
Ansteckender Krebs

Normalerweise entsteht Krebs, wenn eigene Körperzellen mutieren und sich unkontrolliert zu vermehren beginnen. Lymphome, Sarkome und Co. sind also Krankheiten, die im Körper entstehen und dort auch bleiben. Doch tatsächlich gibt es auch Krebsarten, die sich eher wie ansteckende Krankheiten verhalten: sie können von einem Individuum aufs nächste übertragen werden.

Die gute Nachricht ist, dass das bei Menschen natürlicherweise nicht vorkommt. Die bisher einzige bekannte Möglichkeit, sich mit Krebs anzustecken, sind Organtransplantationen. Wenn man ein Organ von einer Person übertragen bekommt, die an Krebs erkrankt war oder ist, dann kann das die Wahrscheinlichkeit einer Tumorerkrankung im übertragenen Organ erhöhen. Allerdings kommen Menschen mit aktiver Krebserkrankung für eine Spende nicht in Frage.

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Die übrigen Folgen der Serie finden Sie auf dieser Sammelseite.

Es gibt aber bei Tieren Krebsformen, die tatsächlich im engeren Sinne ansteckend sind. Am bekanntesten ist wahrscheinlich der Gesichtskrebs der Tasmanischen Teufel, der die Population der Beuteltiere seit den 90er Jahren dramatisch dezimiert hat. Diese tödliche Tumorerkrankung wird übertragen, wenn sich die Tiere bei Kämpfen gegenseitig in die Schnauze beißen. Fachleute befürchteten lange, die Art könnte durch die Seuche Aussterben, aber zum Glück scheinen die Tasmanischen Teufel langsam gegen den Krebs resistent zu werden.

11 000 Jahre alter Krebs

Einen weiteren ansteckenden Krebs gibt es bei Hunden – und zwar einen, der sich als Geschlechtskrankheit verbreitet. Dieses so genannte Sticker-Sarkom verursacht Tumore an den Genitalien, die etwa ein halbes Jahr lang wachsen und sich dann in vielen Fällen nach einiger Zeit zurückbilden. Übertragen werden die Krebszellen durch direkten Kontakt beim Geschlechtsverkehr. Bemerkenswert daran ist, dass diese Krebsart sehr alt ist, sie verbreitet sich vermutlich seit rund 11 000 Jahren unter Hunden. Ursprünglich entstand sie als normaler Krebs bei einem einzelnen Tier, aber durch Zufall hatten die Zellen, die Fähigkeit – und Gelegenheit – auf andere Tiere übertragen zu werden. Genetisch sind das aber immer noch Hunde-Zellen. In gewisser Weise ist das Sticker-Sarkom quasi eine Art Hund, der sich an das Leben als parasitärer Einzeller angepasst hat.

Bei syrischen Hamstern gibt es eine weitere übertragbare Krebsart, das ansteckende Retothelsarkom. Übertragen wird es durch Kannibalismus zwischen den Tieren. Dieser Krebs stammt nicht, wie der übertragbare Krebs bei Hunden, von einem einzelnen zufällig entstandenen Vorgänger ab, sondern entwickelt sich immer mal wieder neu bei Hamstern. Das ist ein erster Hinweis, dass ansteckende Krebstypen gar nicht so unwahrscheinlich sind – die große Hürde für solche Erkrankungen ist die Übertragung der Zellen auf einen anderen Wirt.

Tatsächlich ist Krebs sogar ziemlich geeignet dafür, übertragen zu werden. Mutierte Krebsvorläuferzellen werden normalerweise vom Immunsystem erkannt und vernichtet. Erfolgreiche Krebszellen müssen deswegen quasi automatisch Mechanismen haben, die Immunabwehr zu unterlaufen. Und genau das verbindet sie mit anderen ansteckenden Erregern, die in den Körper eindringen und uns krank machen.

Die erstaunlichsten Arten von übertragbarem Krebs kommen aber nicht bei Säugetieren vor, sondern bei Muscheln. Bei denen würde man nicht erwarten, dass Krebszellen von einem zum anderen Tier wechseln können – denn die sitzen ja gemeinhin fest und haben keinen Körperkontakt, durch den Krebszellen übertragen werden könnten. Tatsächlich aber ist bereits bei neun unterschiedlichen Muschelarten ansteckender Krebs bekannt. Das funktioniert, weil die Krebszellen nicht von normalen Körperzellen abstammen, sondern von Hämozyten.

Frei Schwimmender Muschel-Krebs

Das sind frei bewegliche Zellen, die im Körper der Muscheln verschiedene Aufgaben wahrnehmen, unter anderem bei der Immunabwehr. Ursprünglich begannen diese Zellen jeweils in einer einzelnen Muschel unkontrolliert zu vermehren, ganz wie zum Beispiel bei einem Lymphom beim Menschen. Aber anscheinend gelang den Krebszellen etwas, das eigentlich nicht möglich sein sollte: sie gelangten ins offene Wasser und passten sich daran an, dort als einzelne Zellen zu überleben – womöglich über Wochen oder Monate.

Man sollte erwarten, dass das nicht lange gut geht. Aber laut genetischen Untersuchungen sind einige dieser Krebszelllinien Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende alt. In solchen Studien haben Fachleute ganze Stammbäume solcher Krebslinien erstellt, die zeigen, wie erfolgreich sich die Zellen selbst über weite Strecken verbreiten. Tatsächlich ähneln diese Zellinien inzwischen in gewisser Weise eher Bakterien. Sie mutieren zum Beispiel sehr viel schneller als die anderen ansteckenden Krebslinien – womöglich weil sie ganz analog zu Krankheitserregern untereinander um die Ressource Muschel konkurrieren.

Das ganze ist ein bisschen als wenn sich Lungenkrebs über die Luft verbreiten würde. Die interessante Frage ist natürlich: kann sowas auch bei Menschen passieren? Die seltenen Fälle bei Säugetieren deuten darauf hin, dass Übertragung bei landlebenden Tieren recht schwierig ist, vermutlich wegen der dicken Haut und weil Luft und UV-Strahlung schlecht für nackte Tierzellen sind. Deswegen müssen sehr spezielle Bedingungen zusammenkommen, damit Krebs bei Menschen ansteckend wird.

Allerdings ist es prinzipiell absolut möglich, dass zum Beispiel ein sexuell übertragbarer Krebs wie bei Hunden entsteht. Untersuchungen an syrischen Hamstern mit Retothelsarkom haben außerdem gezeigt, dass Gelbfiebermücken den Krebs von Tier zu Tier tragen können. Das heißt, die Krebszellen können sogar eigentlich hochspezialisierten Krankheitserregern vorbehaltene Übertragungswege nutzen. Und wie Untersuchungen an Muscheln zeigen, kann ansteckender Krebs sogar Artgrenzen überspringen. Ein neuer ansteckender Krebs muss also nicht einmal bei Menschen entstehen -er muss nur seinen Weg zu uns finden.

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