Wir Werden Alle Sterben: Mumien versus Klimawandel
Wir kennen Mumien ja primär als schlecht gelaunte Untote, die Archäologen durch die Wüste jagen. Tatsächlich aber sind unsere bandagierten Freunde die meiste Zeit sehr ruhige und angenehme Zeitgenossen, die außerdem in großer Gefahr sind. Und zwar durch den Klimawandel.
Am schlimmsten betroffen sind davon ausgerechnet die ältesten Mumien der Welt. Vor bis zu 7000 Jahren hat die Chinchorro-Kultur in Chile ihre Toten einbalsamiert und in der extrem trockenen Atacama-Wüste begraben. Das aride Klima in der Region hat die Überreste, die rund 2000 Jahre älter sind als ägyptische Mumien, einwandfrei bewahrt. Doch durch die globale Erwärmung verändert sich das Wetter in der Atacama nach und nach, mit verheerenden Konsequenzen.
Seit einigen Jahren nämlich beobachteten Fachleute im archäologischen Museum im chilenischen Arica, dass die uralten Mumien langsam zu verfallen beginnen. Holzmasken zerbröseln, das Gewebe zerfließt zu schwarzem Schleim. Der Grund dafür war zunächst rätselhaft. Untersuchungen haben dann gezeigt, dass die Ursache weit verbreitete Pilze und Bakterien sind, die auch auf menschlicher Haut leben. Und dass diese Organismen nach so langer Zeit plötzlich anfangen, die Mumien anzugreifen, hat einen ganz einfachen Grund: höhere Luftfeuchtigkeit ermöglicht es ihnen, das Keratin in den Mumien zu zersetzen. 7000 Jahre lang war es in der nördlichen Atacama immer zu trocken dafür. Doch durch die globale Erwärmung wird es in Arica und tatsächlich in großen Teilen der Atacama-Wüste feuchter.
Steigende Luftfeuchtigkeit greift Mumien an
Wie die Experimente der Fachleute zeigen, beginnen die Mikroorganismen oberhalb von etwa 60 Prozent Luftfeuchtigkeit, das organische Material der Mumien zu zersetzen. Diese Schwelle wird jetzt immer öfter überschritten. Vermutlich wird man die Mumien in klimatisierten Vitrinen lagern müssen. Die noch im Sand der Atacama begrabenen Leichname, die nicht durch geeignete Klimakammern geschützt werden können, trifft die Situation noch härter. Der Sand schützt sie zwar eigentlich vor der Luftfeuchtigkeit, aber der ebenfalls durch den Klimawandel stärker werdende Wind legt sie immer öfter frei, so dass sie zerfallen. Selbst Regen wird in der extrem trockenen Atacama langsam häufiger. Dadurch wird der Klimawandel die Mumien nun unaufhaltsam zerstören, nachdem sie 7000 Jahre überstanden haben.
Ein ganz ähnliches Schicksal bedroht auch die Gebirgsmumien der Anden, die zwar nur einige hundert Jahre alt, aber nicht weniger spektakulär sind. Die kalte, trockene Luft in großen Höhen hat sowohl in Höhlen Bestattete konserviert als auch rituell geopferte Kinder auf Berggipfeln. Viele der Mumien wurden von den spanischen Eroberern oder späteren Plünderern zerstört, doch zweifellos sind noch einige dort oben. Noch 1999 fanden Fachleute gut erhaltene Mumien von einst geopferten Kindern auf einem Berggipfel.
Aber auch oben in den Anden wird es wärmer. Tatsächlich vermuten Fachleute, dass sich Gebirge weltweit und damit auch die Anden deutlich schneller erwärmen als der Rest des Planeten. Und wenn es wärmer wird, dann wird es auch häufiger feucht und Mikroorganismen können auch diese jahrhundertealten Mumien angreifen. Fachleute, die 1999 die Kindermumien bargen, fanden auf dem Berggipfel bereits ein Klima vor, in dem die Mumien bald begonnen hätten, zu verfallen.
Ötzis Heimat geht verloren
Die Erwärmung der Gebirge trifft natürlich Eismumien wie Ötzi ganz besonders hart, weil ihr natürliches Habitat gleich ganz verschwindet. Die Eismassive der hohen Gebirgsregionen haben jahrhundertelang zuverlässig alle Arten von organischem Material und natürlich auch Leichen bewahrt. Doch nun schmilzt das Eis und gibt seinen Inhalt frei. Diese lang erhaltenen Fragmente sind einerseits ein Glücksfall für die Wissenschaft. Aber das Eis schmilzt so schnell, dass die Fachleute nicht hinterherkommen. Für jeden Fund, den sie bergen, gehen laut Schätzungen dutzende oder hunderte verloren.
Avocados, Katzen, Supervulkane – die Welt ist voller Gefahren. In dieser Videoserie stellen die Spektrum-Redakteure Lars Fischer und Mike Zeitz regelmäßig spannende, ungewöhnliche oder einfach kuriose Dinge vor, die auf die eine oder andere Art zum unerwarteten Frühableben führen können.
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Man könnte meinen, dass Mumien in den Eisfeldern der Gebirge extrem rar sind und Ötzi ein glücklicher Einzelfall war. Aber davon kann man keinesfalls ausgehen. Denn Menschen haben zwar nicht auf Eis gewohnt, doch die eisigen Regionen waren immer Handelswege und religiöse Stätten. Deswegen sind dort unzählige Menschen hochgegangen und dort sicher auch gestorben und zu Eismumien geworden. Doch angesichts der immensen Eisflächen, die solche Funde bergen könnten, ihrer Unzugänglichkeit und der Geschwindigkeit, mit der freigelegte Artefakte zerfallen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Eismumien zerstört werden, bevor man sie bergen kann.
Die bekanntesten Mumien, jene in Ägypten, werden bisher noch nicht durch den Klimawandel zerstört. Aber auch dort kommt die Bedrohung näher. Schon jetzt regnet es in Ägypten häufiger als früher und Fachleute berichten von sichtbaren Schäden durch Klimawandel und menschliche Aktivität an uralten Monumenten. Bis das veränderte Klima also auch dort beginnt, sich die bekanntesten aller Mumien zu holen, ist es nur eine Frage der Zeit. Es sei denn, all die Mumien erheben sich jetzt zu Halloween aus den Gräbern und kleben sich auch an Straßenkreuzungen. Tausende verärgerte Untote auf den Straßen würden die Verhandlungsposition der Klimabewegung mit Sicherheit deutlich verbessern.
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