Wissenschaftliche Bildung: Wissenschaft für alle Menschen
Es ist eines der Institute, von denen man selten in den Wissenschaftsnachrichten hört, dem aber trotzdem eine immens wichtige Rolle für die Wissenschaft als globales Projekt zukommt: Das International Centre for Theoretical Physics (ICTP) im italienischen Triest bildet mit seinen weltweiten Partner-Universitäten seit 1964 jedes Jahr tausende Nachwuchswissenschaftler aus Entwicklungsländern rund um die Welt aus und gibt ihnen die Gelegenheit, sich auf den neuesten Stand der Forschung zu bringen und international auszutauschen. So können sie die neuesten Erkenntnisse in ihre Heimatländer tragen und dort das wissenschaftliche Denken beflügeln, das gerade in Entwicklungsländern so dringend notwendig ist. Das Institut ist seit vielen Jahren nicht mehr auf die theoretische Physik beschränkt, sondern unterstützt auch Forscher in anderen theoretisch ausgerichteten Disziplinen wie Mathematik, quantitativen Lebenswissenschaften, Erdsystemforschung, Informatik und Energieforschung.
In diesem schön gemachten, fast halbstündigen Video des Instituts kommen zahlreiche internationale Forscher zu Wort, deren Arbeit es gefördert hat. Gegründet wurde das ICTP auf Anregung von Abdus Salam, einem der herausragenden theoretischen Physiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Salam hatte bedeutenden Anteil an der Entwicklung der modernen Quantenfeldtheorie und erhielt dafür 1979 den Nobelpreis. Er selbst sagte einmal, die theoretische Physik sei gerade für einen Forscher aus einem Entwicklungsland ein hervorragendes Arbeitsgebiet, weil man außer Bleistift und Papier nicht viel mehr bräuchte als ein paar gute Ideen. Heute kommen vielleicht noch ein Computer und ein Internetanschluss hinzu, doch teure Experimente und Hightech-Labore sind für innovative theoretische Physik und Mathematik eben nicht nötig. Zumindest eine gute wissenschaftliche Bibliothek war jedoch vor Einführung des Internets noch unumgänglich, und genau die stellt das ICTP seit seiner Gründung allen Teilnehmern seiner wissenschaftlichen Kurse zur Verfügung.
Salam war ein begnadeter Wissenschaftler, eines jener Jahrhunderttalente, denen die Ideen selbst auf den schwierigsten und abstraktesten Gebieten nur so zuflogen. Doch er war auch ein gläubiger und zutiefst humanistischer Mensch, der sich für die Bildung der breiten Massen und insbesondere für die Verbreitung einer wissenschaftlichen Denkweise stark machte. Auf ihn gehen sowohl das ICTP wie »The World Academy of Sciences« (TWAS) zurück. Dieses 1983 gegründete Institut ist ebenfalls in Triest angesiedelt und stärker ingenieurwissenschaftlich und medizinisch ausgerichtet. Es soll Hunger, Krankheiten und Armut bekämpfen. Die Frustration, sein Heimatland verlassen zu müssen, um Forschung auf höchstem Niveau betreiben zu können, verwandelte Salam in die Vision, allen Menschen auf der Welt Zugang zur Wissenschaft zu ermöglichen.
Es wäre aber fast zu schön, wenn das immer so einfach wäre. Wenn man sich schon in einem Hochtechnologieland wie Deutschland wundert, nach welchen Kriterien etwa das politische Führungspersonal in diesen Bereichen ausgesucht wird, so müssen sich die Vertreter der Wissenschaft in den traditionelleren Gesellschaften der Entwicklungsländer häufig gegen noch viel massivere Widerstände behaupten.
So gilt Abdus Salam, erster pakistanischer Nobelpreisträger überhaupt und zweiter muslimischer Nobelpreisträger nach Anwar as-Sadat, zwar als Lichtgestalt der pakistanischen Physik und wird als inspirierendes Vorbild von vielen Wissenschaftlern in Entwicklungsländern verehrt. Da er aber der Ahmadiyya Muslim Jamaat angehörte, einer aus dem Islam hervorgegangenen religiösen Bewegung, die von Strenggläubigen als Nichtmuslime geächtet sind, wurde er von den Politikern seiner Heimat geschnitten. Von seinem Grabstein ließ ein Lokalpolitiker aus der Grabinschrift »First Muslim Nobel Laureate« – was sich auf die Naturwissenschaften bezog – das Wort »Muslim« herausstreichen, wie sich bei einer Bildersuche im Netz schnell herausfinden lässt.
Ein anderes Problem ist, dass viele der gut ausgebildeten jungen Wissenschaftler eine Karriere in den westlichen Spitzenuniversitäten anstreben und dann dortbleiben, statt die Wissenschaft in den Entwicklungsländern voranzutreiben. Der Stand der Wissenschaft in Entwicklungsländern ist auch deshalb oft so schwer, weil in diesen Ländern wenig monetäre Wertschöpfung mit ihr verbunden ist und sich die Technologiefirmen dieser Länder auf dem Weltmarkt niemals gegenüber globalen Großunternehmen durchsetzen können.
Die intellektuelle Abwanderung ist verständlich, darf jedoch nicht zu sehr ausarten. Ihr muss mit sinnvollen Karrieremöglichkeiten in den Herkunftsländern begegnet werden – auch wenn das mitunter dem ökonomischen Interesse der bereits entwickelten Länder widerspricht!
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