Graphen: Wo steckt das Wundermaterial?
Nur eine Atomlage dick, flexibel, stärker als Stahl, elektrisch leitfähig und vor allem – neu! Als die Physiker Andre Geim und Konstantin Novoselov gemeinsam mit Kollegen vor knapp 14 Jahren im Fachblatt »Science« ihre ersten Untersuchungen von Graphen veröffentlichten, lösten sie einen wahren Hype um die zweidimensionale Kohlenstoffverbindung aus. Und auch der Nobelpreis für Physik für die beiden Forscher ließ mit der Verleihung 2010 nicht lange auf sich warten.
»Doch wo sind all die Graphen-Wunder, die uns versprochen wurden?«, lautet die provokante Frage in dem YouTube-Video auf dem Kanal Verge Science. Angesichts der Visionen von schusssicheren Westen, neuartiger Elektronik, ultraleichten Flugzeugen und Autos oder gar einem Aufzug ins Weltall ist die Frage auch durchaus berechtigt. In dem gut recherchierten Beitrag wird Graphen aber keineswegs schlechtgeredet. Er bietet vielmehr einen Rückblick auf die überzogenen Erwartungen, die die neue Entdeckung ausgelöst hat, und deutet gleichzeitig darauf hin, wie Graphen dennoch Einzug in unser Leben gehalten hat.
Man könnte aber auch die Frage stellen, ob die Entdeckung von Graphen durch Geim und Novoselov eigentlich ein Wunder war. Denn jeder, der schon einmal einen Strich mit einem Bleistift gezogen hat, hat dabei gleichzeitig Graphen erzeugt. Schließlich handelt es sich beim Graphit der Bleistiftmine im Grunde um nichts anderes als »gestapelte« Graphenschichten. Allerdings muss man anerkennen, dass die beiden Forscher bei dieser Frage durchaus Humor bewiesen haben, indem sie dem Nobelmuseum in Stockholm eine signierte Rolle Klebeband und ein Stück Graphit gespendet haben.
Das war eine Anspielung auf die verblüffend einfache Methode, mit der sie das Graphen für ihre Untersuchungen hergestellt haben. Im Grunde reicht es, gewöhnliches Klebeband auf Grafit zu drücken, es wieder abzuziehen und das Klebeband chemisch aufzulösen. Für die Experimente 2004 verwendeten die Forscher jedoch HOPG (highly ordered pyrolytic graphite), eine besonders reine Form von Graphit. Zudem gingen sie einen Schritt weiter, indem sie die Graphenflocken vom Klebeband auf einen mit Fotolack beschichteten Siliziumwafer, eine dünne Scheibe aus monokristallinem Silizium, übertrugen. Nach Auflösen des Fotolacks lagen die isolierten einschichtigen Flocken schließlich auf der reinen Siliziumoberfläche.
Das ist entscheidend, denn nur wenn das Material weitgehend von seiner Umgebung entkoppelt ist, kann es seine bemerkenswerten physikalischen Eigenschaften entfalten. Graphen auf Metalloberflächen dagegen, mit denen es mehr oder weniger fix verbunden ist, hat man bereits 1962 per Rastertunnelmikroskop untersucht, ohne dass die Ergebnisse großes Aufsehen erregt hätten. Allerdings ist es Geim und Novoselov nicht nur gelungen, Graphen mit den denkbar einfachsten Mitteln zu isolieren. Sie zeichnen natürlich auch für seine Charakterisierung und die Entdeckung seiner außergewöhnlichen Eigenschaften verantwortlich. Und das zu einer Zeit, zu der viele noch glaubten, dass derart dünne kristalline Strukturen gar nicht stabil sein können.
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