Alternsforschung: Zellen im Zombie-Zustand
In den vergangenen Jahren hat die Alternsforschung an Fahrt aufgenommen. Ursachen für den fortschreitenden Verfall des Körpergewebes, wie etwa die Verkürzung der DNA durch Zellteilung, sind mittlerweile gut verstanden. Man hat Faktoren, die das Altern im Tiermodell verlangsamen, entdeckt. Und die so genannte zelluläre Seneszenz wurde als wesentlicher Auslöser mehrerer Erkrankungen des Alters identifiziert.
Was aber ist Seneszenz? Es ist eine Art Zombie-Zustand von Zellen, die an sich oder ihrer DNA einen Schaden festgestellt haben und deshalb aufhören, sich zu teilen. Leider bleiben seneszente Zellen oft weiterhin aktiv und senden Notsignale ans Immunsystem aus. So schaffen sie ein allgemein entzündliches Milieu in ihrer Umgebung, das die Organfunktion beeinträchtigt und die Entstehung von Krebs und anderen Erkrankungen fördert.
Um diese Zellen geht es auch in dem vorliegenden Video, das fünf Studenten des Studiengangs »Digital Effects« der University of Bournemouth im Jahr 2017 gedreht haben. Leider ist an der visuellen Darstellung und der Erklärung so einiges falsch. »Normale Zellen teilen sich bis zum Zelltod«, heißt es da. Das gilt allerdings nicht für alle Zelltypen. Herzmuskelzellen, die meisten Nervenzellen und die Zellen der Augenlinse beispielsweise teilen sich beim Erwachsenen überhaupt nicht mehr. Der Auslöser der Seneszenz ist laut dem Video »ein Protein, dass sich an einen Rezeptor an der Oberfläche einer Zelle heftet«. Das ist zumindest fast falsch. Seneszenz ist eine Stressantwort von Zellen auf eine DNA-Schädigung, die also vor allem im Innern der Zelle ausgelöst wird. Äußere Faktoren können die Seneszenz zwar auch auslösen, zum Beispiel die Signale anderer seneszenter Zellen. Das ist aber nicht die erste Ursache.
Und während es stimmt, dass viele Menschen im Alter unter Blutarmut leiden, ist zelluläre Seneszenz, wenn überhaupt, nur einer von vielen möglichen Auslösern. Es stimmt auch nicht, dass eine Blutarmut ursächlich für altersbedingte Erkrankungen ist, sie ist eine Folgeerscheinung. Was hingegen stimmt, ist, dass Seneszenz mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson oder Alzheimer assoziiert ist. Wie genau dieser Zusammenhang aussieht, ist aber unklar. Gut, zumindest das wird im Video auch erwähnt. Aber: Nervenzellen gehen nicht ineinander über, wie im Clip visuell dargestellt, sondern sind über Synapsen (Lücken zwischen den Zellen) verbunden.
Schade drum, denn die Seneszenz-Forschung hat jüngst ein paar bahnbrechende Erkenntnisse zu Tage gefördert. Zum Beispiel, dass sich die gesunde Lebensspanne von Nagern um rund 30 Prozent verlängert , wenn man ihre seneszenten Zellen auf gentechnischem Weg entfernt. Oder dass Arteriosklerose (Gefäßschäden) ganz wesentlich von seneszenten Immunzellen angetrieben wird. Man kann es den Digital-Effects-Studenten verzeihen, dass sie sich bei ihrem Video mehr mit der visuellen Gestaltung statt mit den Inhalten beschäftigt haben. Ihre Professoren in Bournemouth hätten aber einmal ansprechen sollen, dass ein inhaltliches Verständnis bei der Darstellung von Themen auch später im Beruf ein echter Vorteil sein kann.
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