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Space Race 2.0: 10 Gründe warum wir bald im All zu Hause sind

Mit dem baldigen Ende der Internationalen Raumstation wird sich die Raumfahrt verändern. Zehn Beispiele zeigen, wie dieser Wandel vonstattengeht.
Die ISS im Orbit

Am 6. Juni 2018 startete der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst zur Internationalen Raumstation. Bei aller Euphorie um Astro-Alex übersehen wohl die meisten, dass die Station ihren Zenit bereits überschritten hat. Denn die Leistung ihrer Solarzellen lässt durch den Einschlag winziger Meteoriten immer mehr nach, wichtige Komponenten wie das Kühlsystem, Bordrechner (und auch die Bordtoiletten) fallen immer wieder aus. Das Ende ist absehbar.

Gleichzeitig passiert etwas Neues, das erst seit wenigen Monaten immer deutlicher in Erscheinung tritt: Die Raumfahrt verändert sich rasant, und zwar so schnell wie wohl seit fast 30 Jahren nicht mehr. Mit der Wende 1989 verschob sich das Gleichgewicht im All letztmalig so stark wie heute. Amerikanische Spaceshuttles flogen schon bald zur russischen Raumstation Mir. Die Konzepte der heutigen ISS entstanden, als Russland und andere Partner im Osten mithalfen, die Station zum wohl teuersten Einzelobjekt der Menschheitsgeschichte zu machen. Und zu einem Friedensprojekt für die Wissenschaft.

Die nun beginnende neue Ära der bemannten Raumfahrt wird vermutlich bunter als je zuvor – und die Menschheit erweitert in diesem Zuge ihren Aktionsradius enorm. Hier sind zehn Beispiele, anhand derer das schon heute klar erkennbar ist:

China (und andere) mischen bei großer Vision mit |

Derzeit entwickeln immer mehr Staaten die Fähigkeit, Satelliten, Raumsonden und auch Menschen ins All zu schicken. China plant, ab 2020 seine erste Raumstation aufzubauen, die wie die ISS aus verschiedenen Modulen besteht und die am Ende immerhin ein Sechstel der Größe der ISS erreichen soll. Doch ausgerechnet zwischen China und den USA gab (und gibt) es bislang keine Möglichkeit der Kooperation. Denn eine US-Verordnung mit dem Spitznamen Wolf-Clause von 2011 verbietet es allen US-Beamten unter Strafe, mit chinesischen Forschern zusammenzuarbeiten. Dennoch ist die Zeit einer isolierten chinesischen Raumfahrt offenbar vorbei. Das zeigt sich nicht nur in offen geäußerten Plänen, europäische Raumfahrer zu Chinas neuer Station zu schicken.

Auch die große Vision der Raumfahrt wird mittlerweile von China mitgestaltet: Diese Global Exploration Roadmap ist ein unverbindlicher Plan der großen Raumfahrtagenturen, der zuletzt vor fünf Jahren aktualisiert worden war – und deren Autoren überwiegend die Vertragsstaaten der ISS waren. An der neuen Fassung (PDF) vom Januar 2018 haben nun neben China auch Australien und die Vereinigten Arabischen Emirate mitgeschrieben.

Der Mond ist der neue Mars |

Visionen gab es in der Raumfahrt schon immer – aber häufig fehlte Geld, sie auch zu verwirklichen. Die Global Exploration Roadmap schwenkt nun aber auf ein realistisches Ziel ein: Statt Flüge zum Mars oder zu einem Asteroiden zu unternehmen, solle die Menschheit sich nun erst einmal voll auf den Mond konzentrieren. Darin stimmen alle großen Raumfahrtnationen überein.

Klingt das auch etwas unterambitioniert, böte der Mond viele Vorteile: Die Risiken wären gering, denn es waren schon einmal Menschen dort. Mit heutigen Technologien dürfte der Flug deutlich günstiger werden als während der Apollo-Ära. Die Reise zum Erdtrabanten dauert dazu nur wenige Tage, verglichen mit Jahren für einen Rundflug zum Mars und zurück. Die Vision, den Mars zu besuchen, ist aber auch längst noch nicht tot: Der Mond soll als Zwischenschritt dienen, um alle Fähigkeiten zu entwickeln, damit Menschen auf ihren Flügen zum Mars, in fernerer Zukunft, auch gut zurechtkommen.

Lunar Gateway und Orion-Raumschiff |

Eine Raumstation im Mondorbit ist seit gut zehn Jahren im Gespräch und sogar ein Teil der alten Global Exploration Roadmap von 2013. Damals galt die lunare Station bei vielen Raumfahrtingenieuren und Forschern jedoch als wenig ausgegoren. Die Experten bemängelten, eine Raumstation wie die ISS werde schlicht in den Mondorbit verschoben, könne aber nur wenige Wochen im Jahr bewohnt bleiben, weil die Versorgung von der Erde aus sonst zu teuer werde. Flüge zur Mondoberfläche blieben derweil sehr aufwändig. Und das, obwohl nur auf der Oberfläche nennenswerte wissenschaftliche Erkenntnisse möglich wären: etwa in der lunaren Geologie, beim Bau planetarer Habitate oder bei biologischen Experimenten unter verringerter Schwerkraft.

Russlands Raumfahrt verliert an Bedeutung |

Seit sieben Jahren sind Raumfahrer für Flüge zur ISS auf russische Sojus-Kapseln angewiesen. Astronauten aus den USA, Russland, Europa, Japan und Kanada sind seitdem allesamt in Baikonur gestartet. Das schweißte die ISS-Partnerstaaten zusammen: Denn alle wissen, dass bei den in hohem Tempo nachgebauten russischen Kapseln kein Engpass entstehen darf, weil sonst die Station recht schnell unbemannt wäre.

Tatsächlich gab es etliche Probleme: Ein unbemannter Progress-Frachter stürzte 2016 noch während des Starts in Sibirien ab; zwei weitere Progress-Missionen waren wenige Jahre zuvor gescheitert (Progress ist technisch ähnlich zur bemannten Sojus). Dazu kommen Schwierigkeiten bei anderen russischen Raketen, die zeigen: Die Pioniere der Raumfahrt haben Mühe, die einst hohe Zuverlässigkeit ihrer Raketen und Raumschiffe zu gewährleisten. Heute bietet Russland durch Konkurrenz aus China und den USA im weltweiten Vergleich längst nicht mehr die günstigsten Starts an. Zwar dürfte Russland in der bemannten Raumfahrt weiter eine gewichtige Rolle spielen, etwa beim Lunar Orbital Platform-Gateway. Aber andere Akteure wie China könnten in diesem Bereich schon bald mit Russland gleichziehen.

Die USA können wieder Menschen ins All schicken |

Am 8. Juli 2011 flog mit der Atlantis das letzte Spaceshuttle ins All. Die Atlantis steht schon lange als Ausstellungsstück im Besucherbereich des Kennedy Space Center in Florida, während die US-Astronauten noch immer nach Baikonur pendeln müssen. Aber sie tun das wohl nicht mehr sehr lange: Nach einer schon unter Barack Obama gestarteten Ausschreibung haben zwei US-Unternehmen neue Raumkapseln entwickelt. Die Arbeiten am CST-100 Starliner von Boeing und der Kapsel Dragon 2 von SpaceX sind mittlerweile weit fortgeschritten. Ende 2018 stehen erste, noch unbemannte Testflüge an. Dazu kommt das NASA-eigene Orion-Raumschiff für Flüge in Richtung Mond.

Die Fähigkeit, eigene Astronauten wieder selbst ins All schießen zu können, könnte die Beziehung zum zweitgrößten ISS-Partnerstaat Russland weiter abkühlen lassen. Vor allem aber werden Starliner und Dragon die fest geplante Privatisierung des US-Teils der Raumstation ermöglichen.

Die ISS wird (teil-)privatisiert |

Der Aufbau der ISS hat über die letzten 20 Jahre verteilt 150 Milliarden US-Dollar gekostet. Stolze zwei Drittel dieser Summe hat die US-Raumfahrtbehörde NASA beigesteuert, vor allem durch Flüge der Spaceshuttle. Den Vereinigten Staaten gehört zwar ein kleinerer Teil der Raumstation – denn die Spaceshuttles starteten auch Module anderer Nationen. Dennoch ist die ISS eine stark US-dominierte Raumstation. Man müsste also meinen, die USA sollten die ISS in ihren verbleibenden Jahren so nutzen, wie ursprünglich gedacht: Als Labor für Grundlagenforschung. Aber das ist nicht der Fall.

Donald Trump kündigte an, den US-Teil der Station privatisieren zu wollen. Die NASA solle ab 2025 jährlich nur noch 150 Millionen Dollar für den Betrieb zuschießen, ein Zwanzigstel (sic!) der bisherigen, jährlichen Aufwendungen der Behörde. Den Rest solle die Privatwirtschaft besteuern, die dann auch selbst die Station nutzen könne. Zwar haben einige NASA-Verantwortliche ebenso wie die ISS-Partner große Zweifel daran, dass dieser Plan so durchführbar ist und die Industrie überhaupt Interesse hat, die Kosten für den Betrieb zu decken. Aber da sich die NASA längst auf ihr Orion-Raumschiff, den Mond und die dortige neue Station konzentriert, gibt es vermutlich kein Zurück mehr.

Das All wird kommerzieller |

Private Akteure im All sind nicht neu, denn sie betreiben bereits viele Satelliten zur TV-Übertragung, Erdbeobachtung oder Telekommunikation. Doch nun sollen speziell in den USA möglichst viele bürokratische Hürden sinken, damit Unternehmen leichter im All aktiv werden können. Die anvisierten privaten Geldgeber für den Betrieb der ISS sind da nur der Anfang: Denn mehrere Unternehmen bereiten den Start von hunderten oder tausenden Satelliten vor, um beispielsweise global einen Zugang zu schnellem Internet anzubieten. Dazu gehören StarLink oder OneWeb.

Raketenstarts werden immer günstiger |

Wer Raumfahrt treiben will, braucht Geld: Jedes auch nur in eine Erdumlaufbahn geschossene Kilogramm ist teuer. Tatsächlich aber erlebt die Raketenindustrie seit Jahren einen massiven Preissturz. Günstige Konkurrenz aus China, vor allem aber die US-Firma SpaceX haben diesen bewirkt. SpaceX berechnet seinen Kunden unter 3000 Dollar pro Kilogramm, während es beim einstigen Marktführer Ariane 5 mehr als das Dreifache ist. Günstig werden Falcon-9-Raketen von SpaceX nicht unbedingt durch ihre wieder landenden und später recycelten Erststufen. Firmenchef Elon Musk setzt vor allem auf effiziente Massenproduktion. Dazu hat er es geschafft, durch seine Preispolitik (die staatliche US-Kunden mehr zahlen lässt), viele Satellitenkunden aus aller Welt anzuziehen. Dadurch sind die Raketenfabriken von SpaceX ständig ausgelastet und die Falcon-Raketen werden wiederum noch günstiger.

Eben weil SpaceX seit 2017 sogar die Rangliste der weltweiten meisten Raketenstarts anführt, versuchen derzeit viele Raketenbauer ihre Preise zu drücken. Während chinesische Ingenieure bereits über wiederverwendbare Raketenstufen à la Falcon 9 nachdenken, soll Europas neue Ariane 6 vor allem die effizienten Produktionsbedingungen nachahmen (siehe Interview mit DLR-Vorstand Hans-Jörg Dittus für die Weltraumreporter). Dadurch wird Raumfahrt letztlich für immer mehr Staaten und Organisationen erschwinglich. Die Zahl der Satelliten wächst ebenso wie die Zahl der Ideen, was man im All alles anstellen könnte.

Raketen werden größer, kleiner – und zahlreicher |

Lange Zeit galten neue Flüge mit Menschen zum Mond schon deshalb als unrealistisch, weil die NASA ihre einzige dazu fähige Rakete Saturn V eingemottet hatte. Dieses Argument zieht aber nicht mehr: Derzeit wird eine nie dagewesene Zahl von Schwerlastträgern entwickelt. Da ist das Space Launch System (SLS) der NASA, das ab 2023 die Orionkapsel und Teile der Lunar Orbital Platform-Gateway ins All bringen soll. Die schubstärkste, bereits erprobte Rakete ist die im Februar 2018 erstmals gestartete Falcon Heavy von SpaceX. Zusätzlich entwickelt die US-Firma Blue Origin eine Schwerlastrakete ebenso wie China, das mit der neuen Langer Marsch 9 im kommenden Jahrzehnt Menschen zum Mond schicken will.

Gleichzeitig gibt es auch viele neue Kleinraketen. Die sollen keine Menschen oder ganze Habitate ins All bringen, sondern die enorme Menge sehr kleiner Satelliten, deren Zahl in den nächsten zwei bis drei Jahren rasant anwachsen wird. Manche dieser Raketen wie jene des Unternehmens Rocket Lab aus Neuseeland starten schon. Auch in Europa könnte in Nordschweden bald ein Startplatz für solche kommerziellen Kleinraketen gebaut werden (Audiobeitrag im DLF).

Bergbau im All wird realistischer |

Der Aufbruch des Menschen ins All beginnt erst, aber klar ist: Je weiter wir uns von der Erde entfernen, umso teurer wird es. Daher wäre es wichtig, nicht jedes Gramm Wasser, Treibstoff oder Baumaterial ins All schießen zu müssen. Wenn wir zukünftig zum Mond oder zu Asteroiden reisen, sollten Menschen oder Roboter dort auch Rohstoffe abbauen.

Neue Konzepte für das »Space Mining» werden derzeit von verschiedenen Unternehmen weltweit untersucht, aber auch von der NASA, der ESA und in China. Auch die Global Exploration Roadmap nennt Space Mining als mittelfristiges Ziel für die Menschheit im All: Aus Wasserstoff und Sauerstoff vom Mond ließe sich Wasser oder Raketentreibstoff herstellen. Der Regolithstaub des Mondes eignet sich vielleicht als Grundstoff neuer Wohngebäude auf dem Erdtrabanten, die von autonomen 3-D-Druckern zusammengesetzt werden könnten. Und irgendwann könnten Metalle von Asteroiden eine Industrieproduktion im All ermöglichen. Vielleicht. Denn zunächst müssten neue Raumsonden oder Menschen diese Verfahren in kleinem Maßstab erproben, wenn sie tiefer ins All vordringen.

Dieser Text ist im Original auf der Plattform »Riffreporter« in der Koralle »Weltraumreporter« erschienen.

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