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Kryptozoologie: 10 unerwartete Entdeckungen im Tierreich

Acanthosaura phuketensis - eine Echse aus Südostasien

Auch im neuen Jahrtausend beschreiben Biologen noch unbekannte Arten – darunter nicht nur Insekten und Würmer. Selbst Menschenaffen und Wale entgingen der Wissenschaft lange. Wir stellen zehn spektakuläre Neuentdeckungen seit dem Jahr 2000 vor.

Acanthosaura phuketensis – ein Drache aus Südostasien

Südostasien gilt in mehrfacher Hinsicht als Hotspot: Die regionalen Ökosysteme gehören zu den artenreichsten der Erde, gleichzeitig werden sie in rasendem Tempo zerstört. Die vorhandenen Regenwälder und Flüsse sind zudem nur unvollständig erforscht, weshalb Biologen immer noch jedes Jahr bisher unbekannte Spezies erstmals beschreiben können. 163 davon listete beispielsweise ein WWF-Bericht zur erweiterten Mekong-Region 2016 auf, darunter neben 126 Pflanzen auch 37 Wirbeltierarten. Zu den spektakulärsten Funden des Jahres zählte sicher Acanthosaura phuketensis aus der Reptilienfamilie der Agamen, der mit seinen zahlreichen Dornfortsätzen aussieht wie ein Drache aus dem Märchenbuch. Die Reptilien leben auf der beliebten Ferieninsel Phuket im Regenwald, entzogen sich aber lange wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Omurawal – der Riesen unter den Entdeckungen

Er ist größer als ein Schwertwal, dennoch übersahen ihn Meeresbiologen lange Zeit: Erst im Jahr 2003 beschrieben japanische Wissenschaftler den Omurawal (Balaenoptera omurai). Zuvor wurden durch Walfänger getötete Exemplare als kleine Vertreter des Brydewals betrachtet. Und seit der offiziellen Anerkennung als eigenständige Spezies hat die Erforschung der Omurawale kaum Fortschritte gemacht, bis Salvatore Cerchio vom New England Aquarium in Boston und sein Team erstmals eine Population vor der Nordwestküste Madagaskars entdeckten und beobachten konnten. Laut einer DNA-Analyse weist sie eine vergleichsweise geringe genetische Diversität auf, wahrscheinlich sind die Omurawale also recht selten. Sie scheinen zumindest regional relativ flache und warme Schelfwassergebiete zu bevorzugen, wo sie Zooplankton aus dem Wasser filtern. Der Omurawal ist übrigens keine extreme Ausnahme: In den letzten Jahrzehnten wurden einige neue Walarten entdeckt und beschrieben – trotz ihrer Größe können sie in den Weiten der Meere übersehen werden oder wurden fälschlicherweise bereits bekannten Arten zugewiesen. Ein anderes Beispiel ist ein bislang unbeschriebener Schnabelwal aus dem Pazifik, den japanische Walfänger wegen seiner dunklen Färbung als Rabenwal bezeichnen.

Sira-Bartvogel – trotz Farbenpracht lange im Verborgenen

Zu den besten Regionen, um unbekannte Arten zu finden, gehören die tropischen Anden, etwa die Cerros del Sira. In dieser abgelegenen Bergkette an der Ostseite des südamerikanischen Gebirgszugs haben US-amerikanische und peruanische Studenten vor wenigen Jahren eine sehr auffällige neue Vogelart entdeckt und 2012 erstmals wissenschaftlich beschrieben: den Sira-Bartvogel (Capito fitzpatricki). Der farbenprächtige, mit den Tukanen und Spechten weitläufig verwandte Vogel lebt in den Nebelwäldern an den steilen Flanken des Sira-Gebirges, die nur sehr schwer zu erreichen sind. Von der nächstgelegenen Siedlung mussten die Biologen mehrere Tage mit dem Boot flussaufwärts fahren, sich dann durch Tieflandregenwald schlagen und schließlich durch das dichte Unterholz an den Hängen Richtung Gipfel vorkämpfen. Dort oben hatte sich die Art bisher den Augen der Forscherwelt entzogen. Äußerlich ähnelt er dem erst Mitte der 1990er Jahre entdeckten Loreto-Bartvogel (Capito wallacei); doch wie Genstudien bestätigten, stellt der Sira-Bartvogel eine eigenständige Spezies dar – zumal es Farbunterschiede auf der Brust, den Flanken und dem Rücken gibt. Der Fund belegt, dass die Cerros del Sira ein wichtiges Zentrum der Artenvielfalt sind: In den letzten Jahren wurden dort allein vier neue Vogelarten beschrieben.

Höhlen-Schmerle – ein Fund aus Deutschland

Verglichen mit den Tropen trägt Europa keinen Rekordtitel für Artenvielfalt – mit einer Ausnahme: Weltweit kennt man nirgendwo so viele einzigartige Höhlenlebewesen wie auf dem westlichen Balkan, wo man bislang 400 spezialisierte Arten entdeckt hat (doch wurde wohl auch keine andere Region so gut erfasst). Dass dieser sehr spezielle Lebensraum in unserer Region noch für Überraschungen gut ist, zeigt ein Fund aus Süddeutschland: Im Donau-Aach-Karstsystem stießen Höhlentaucher und Biologen auf den ersten in Europa nachgewiesenen Höhlenfisch, wie Jasminca Behrmann-Godel von der Universität Konstanz und ihre Kollegen in »Current Biology« schreiben. Die zu den Schmerlen (Barbatula) zählenden Tiere hätten demnach bereits einzigartige Anpassungen an die Dunkelheit ihres Lebensraums entwickelt, und das in relativ kurzer Zeit. Biologen gingen lange davon aus, dass Fische erst seit dem Ende der letzten Eiszeit nördlich der Alpen in Höhlen hatten vordringen können. Von ihren Verwandten unterscheiden sie sich beispielsweise durch ihre stark zurückgebildeten Augen, weitestgehend fehlende Schuppen und deutlich abweichende Färbung. Ausgehend von den Erbgutunterschieden und der geologischen Geschichte der Region vermuten die Wissenschaftler, dass die Schmerlen ihre neue Heimat vor maximal 16 000 bis 20 000 Jahren erobert und sich seit mehreren tausend Jahren isoliert von ihren Verwandten, den Steinschmerlen (Barbatula barbatula), weiterentwickelt haben.

Laotische Felsenratte – auf dem Markt entdeckt

Die Entdeckung der Laotischen Felsenratte (Laonastes aenigmamus) war 2005 eine wissenschaftliche Sensation, galt diese Tierfamilie doch seit elf Millionen Jahren als ausgestorben. Wie oft in tropischen Regionen erblickten die Zoologen die Felsenratte erstmals auf einem Markt, wo sie zum Verzehr angeboten wurde: Einheimische Jäger kennen viele dieser Arten, lange bevor Wissenschaftler auf sie aufmerksam werden. Ein Jahr später gelang es David Redfield von der Florida State University, das zutrauliche Tier in freier Wildbahn einzufangen. Die etwa eichhörnchengroßen Nager leben ausschließlich in den kalkigen Gebirgsregionen im Zentrum von Laos sowie in angrenzenden Regionen Vietnams und erinnern im Aussehen an eine Ratte mit buschigem Schwanz. Bemerkenswert ist die Fortbewegung: Die Felsenratten watscheln ähnlich wie Enten, berichten die Forscher um Redfield, da sich die Hinterbeine in einem speziellen Winkel vom Körper abspreizen.

Schneidervogel – vor den Toren einer Millionenstadt heimisch

Selbst im Umfeld von Millionenstädten existieren unbekannte Spezies. Nahe São Paulo spürten Ornithologen 2013 den São-Paulo-Sumpfameisenvogel (Formicivora paludicola) auf. Und auf der anderen Seite der Welt fand man im gleichen Jahr den Kambodschanischen Schneidervogel (Orthotomus chaktomuk). Beide zeichnet aus, dass sie sehr versteckt leben und deshalb selbst in der Nähe von Metropolen lange verborgen bleiben. Diesen Anblick gönnt einem der Schneidervogel also nur selten: Normalerweise huscht der unscheinbar gefärbte Singvogel durch dichtes Gestrüpp feuchter Flutebenen am Mekong und anderen Flüssen Zentralkambodschas. Seine scheue Lebensweise sorgte dafür, dass die Art bis jetzt unentdeckt geblieben ist – obwohl sie sogar innerhalb der Stadtgrenzen Phnom Penhs mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern lebt. Der neue Schneidervogel wurde zuvor wohl mit einem ähnlich aussehenden häufigeren Verwandten verwechselt und daher nie genauer unter die Lupe genommen. Erst als Ashish John von der New Yorker Wildlife Conservation Society ein Exemplar auf einer Baustelle in der Vorstadt von Phnom Penh fotografierte und selbst bei näherer Betrachtung nicht richtig bestimmen konnte, kam die Sache ins Rollen. Am Ende entpuppte sich der Vogel als Vertreter einer gänzlich neuen Art, die noch relativ weit verbreitet ist, auch wenn auf dem Gebiet der kambodschanischen Hauptstadt der Lebensraum langsam knapp wird. Bislang gilt Orthotomus chaktomuk aber nicht als gefährdet, da im Umland der Metropole noch ausreichend geeignete Biotope vorhanden sind.

Lesula – der Schuldirektor kannte ihn

Neben Südostasien und Südamerika sind Afrikas Regenwaldgebiete wichtige Fundorte für neue Arten. 2005 bemerkten Biologen eine bis dahin unbekannte neue Art und Gattung in den Bergwäldern am Mount Rungwe in Tansania, den Meerkatzenverwandten Lophocebus kipunji. Und 2007 kamen Primatologen um John Hart vom Yale Peabody Museum of Natural History in New Haven im Lomami-Becken des Zentralkongo einer neuen Affenart auf die Schliche. Der Lesula (Cercopithecus lomamiensis) genannte Neuling aus der großen Gruppe der Meerkatzen hauste im Hinterhof des Schuldirektors von Opala, der das weibliche Jungtier lokalen Jägern abgekauft hatte. Laut Aussage des Schulleiters ist die Meerkatze den ortsansässigen Jägern gut bekannt, und wiederholt stießen die Forscher bei nachfolgenden Besuchen in den verstreuten Dörfern der Region auf einzelne tote wie lebendige Lesulas. Freilanduntersuchungen weisen zudem darauf hin, dass die Art in intakten Regenwäldern relativ häufig vorkommt. Allerdings wird sie – so wie viele andere Arten der Region – durch den zunehmenden Buschfleischhandel bedroht, der verstärkt auch Großstädte wie die Regenwaldmetropole Kisangani beliefert. Immerhin wurde ihr Lebensraum zwischenzeitlich zum Nationalpark erklärt.

Olinguito – auch Raubtiere können sich versteckt halten

Regelmäßig stöbern Wissenschaftler neue Spezies an Orten auf, wo wir sie vielleicht nicht vermuten: im Fundus von naturkundlichen Museen. Nicht selten werden jedoch Tiere falsch bestimmt und einer bereits bekannten Art zugeordnet, ohne dass es weiter auffällt. Erst wenn sich Biologen wie Kristofer Helgen von der Smithsonian Institution einer Art oder Gattung besonders annehmen, fallen die Unterschiede auf. Der Olinguito (Bassaricyon neblina) ist dafür ein klassisches Beispiel. Er wurde mit weit verbreiteten Vertretern seiner Gattung gleichgesetzt und erst 2013 als eigenständige Art beschrieben. Verglichen mit seinen Verwandten ist er kleiner und weist andere Zähne auf. Zudem lebt er nicht im Tieflandregenwald Südamerikas, sondern in den kühlen Nebelwäldern der Anden. Eine Expedition nach Ecuador erbrachte schließlich den Nachweis, dass die Olinguitos in freier Wildbahn überlebt haben. Richtig kurios wurde die Sache allerdings, als bekannt wurde, dass die Tiere in den 1960er und 1970er Jahren sogar in manchen US-Zoos gehalten worden waren. Niemandem waren die Unterschiede zu Olingos aufgefallen.

Tapanuli-Orang-Utan – kaum gefunden, schon fast ausgestorben

Viele neu entdeckte Arten leben an extrem abgelegenen Orten oder in sehr kleinen Gebieten, so dass sie nicht weit verbreitet und daher oft sehr selten sind. Auf kaum eine andere große Entdeckung der letzten Jahre trifft dies so stark zu wie auf den Tapanuli-Orang-Utan (Pongo tapanuliensis) auf Sumatra, der erst 2017 beschrieben wurde. Zuvor hatten ihn Biologen dem Sumatra-Orang-Utan zugerechnet. Doch deutliche körperliche und genetische Unterschiede sprechen dafür, dass es sich um zwei Spezies handelt. Der Tapanuli-Orang-Utan ist zudem enger mit den Orang-Utans auf Borneo verwandt als mit seinem Nachbarn auf Sumatra. Sein gesamter Lebensraum umfasst weniger als 1000 Quadratkilometer auf einer Insel, deren Regenwälder noch dazu rasch für Plantagen zerstört werden. Biologen schätzen den gesamten Bestand der Primaten auf weniger als 800 Tiere, was sie zu einer der seltensten Primatenarten der Erde macht. Mitten im Kernlebensraum will ein chinesisches Unternehmen zudem ein Wasserkraftwerk bauen, dessen Stausee einen größeren Teil des verbliebenen Ökosystems überfluten wird.

Riesenbiene im Vergleich mit Honigbiene

Das letzte Beispiel ist keine Neuentdeckung im eigentlichen Sinn, aber es zeigt, dass auch bekannte Arten wieder aus dem Blickfeld verschwinden können – und das für Jahrzehnte. Vor 38 Jahren haben Wissenschaftler offiziell das letzte lebende Exemplar von Megachile pluto gesehen, obwohl die Insekten sehr auffällig sind: Ausgewachsene Exemplare dieser Mörtelbienenart sind bis zu vier Zentimeter lang und weisen Flügelspannweiten von mehr als sechs Zentimetern auf. Sie sind damit viermal größer als unsere gängigen Honigbienen. Wallaces Riesenbiene gehörte deshalb zu 25 vermissten Tier- und Pflanzenarten, nach denen Biologen besonders intensiv suchten. Ein Expeditionsteam um Simon Robson von der University of Sydney und den Naturfotografen Clay Bolt konnte jetzt endgültig bestätigen, dass die Giganten noch existieren. Nach fünftägiger Suche in den Regenwäldern einer kleinen Insel der indonesischen Molukkengruppe (den genauen Standort auf der Insel verschweigen die Wissenschaftler) entdeckten die Forscher eine Riesenbiene lebend an einem Termitennest, in dem sie ihr eigene Bruthöhle anlegte. Mit ihren extrem großen Mandibeln kratzen die Tiere Harzklümpchen von Baumrinden, um damit ihr Nest gegen die Termiten abzudichten. Die Art lebt in unberührten Regenwäldern und hat spezielle Ansprüche an ihren Lebensraum, weshalb sie durch Abholzungen gefährdet ist. Wilderer suchen zudem nach den Bienen, um sie illegal an Sammler zu verkaufen.

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