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Erstaunliche Primaten: 10 Wahrheiten über Orang-Utans

Nicht nur am Welt-Orang-Utan-Tag lohnt es sich, ein paar erstaunliche Fakten über Orang-Utans nachzuschlagen.
Orang-Utan

Es gibt nicht nur »den« Orang-Utan

Lange Zeit ging man von zwei Arten von Orang-Utans aus: dem im Norden Sumatras lebenden Sumatra-Orang-Utan (Pongo abelii) und dem auf der Nachbarinsel beheimateten Borneo-Orang-Utan (Pongo pygmaeus), von dem es wiederum verschiedene Unterarten gibt. Die Orang-Utans der beiden Inseln unterscheiden sich nicht nur in ihrem Aussehen und ihrer Hirngröße, sondern auch in ihrem Verhalten. Während die Menschenaffen aus Borneo neue Dinge schneller erkunden, inspizieren die aus Sumatra sie gründlicher. Erst 2017 beschrieben Forscher noch eine dritte Art – den Tapanuli-Orang-Utan (Pongo tapanuliensis). Er lebt südlich des Tobasees, der sein Verbreitungsgebiet von dem des Sumatra-Orang-Utans trennt. Zwar gab es bereits 1939 Berichte über Orang-Utans in diesem Areal, doch erst 2013 konnten die Wissenschaftler ein totes Tier genauer untersuchen. Dessen Schädel und sein Fell unterscheiden sich von den beiden anderen Arten. Genetische Untersuchungen bestätigten, dass es sich um eine dritte Art handelt.

Borneo-Orang-Utan (Pongo pygmaeus)

Orang-Utans sind keine Vegetarier …

Orang-Utans sind die größten »frugivoren« Säugetiere: Mehr als die Hälfte ihrer Nahrung besteht aus Früchten. Dazu kommen Blätter, Insekten, Rinde, Blüten, Samen und Vogeleier. Ein paar Mal beobachteten Forscher sogar, wie sie andere Affen aßen. Sie jagen diese aber nicht aktiv, wie das etwa Schimpansen tun, sondern bedienen sich gleichsam opportunistisch. Im Jahr 1981 dokumentierten Wissenschaftler, wie ein Sumatra-Orang-Utan einen Gibbon aß, der vermutlich schon vorher tot war. Zudem fielen mehrere Plumploris – nachtaktive, kleine, sich eher langsam bewegende Primaten – den Menschenaffen zum Opfer. Orang-Utans scheinen dabei eher zufällig auf die Loris zu treffen und schlagen dann wortwörtlich zu. Das Verhalten ist aber wohl sehr selten und wurde bisher nur auf Sumatra und meist in der Zeit des Jahres beobachtet, in der reife Früchte seltener sind. Möglicherweise fressen Orang-Utans ihre kleineren Verwandten nur, weil sie sonst nicht genügend Futter finden.

© Video courtesy of Madeleine Hardus and colleagues as reported in: Hardus, M.E. et al., International Journal of Primatology 33, S. 287-304, 2012 (https://doi.org/10.1007/s10764-011-9574-z)
Orang-Utan verspeist Lori
Orang-Utan verspeist Lori

… und keine strikten Einzelgänger

Anders als alle anderen Menschenaffen leben Orang-Utans nicht in Gruppen, sondern vorwiegend einzelgängerisch. Das liegt vermutlich am knappen Nahrungsangebot. Zudem gibt es neben dem Menschen und dem Sumatra-Tiger auch kaum Feinde, vor denen sie sich in der Gruppe besser schützen könnten. Dominante Männchen verbringen in der Tat die meiste Zeit allein und treffen sich mit den in ihrem Streifgebiet lebenden Weibchen eigentlich nur zur Paarung. Sie begleiten diese dann noch ein paar Tage, manchmal auch Wochen oder Monate. Weibchen und deren Nachwuchs jedoch leben für längere Zeit zusammen – bis zu neun Jahre. Sie schließen sich auf ihren Wanderungen auch für ein paar Tage mit anderen Weibchen zu kleineren Gruppen zusammen. Das kommt auf Sumatra häufiger vor als auf Borneo, weshalb Sumatra-Orang-Utans als etwas sozialer gelten. Zudem kann man auf Sumatra bis zu 14 Tiere in einem großen Fruchtbaum finden.

Orang-Utan-Chef (mit Backenwulst)

Manche werden ohne Backenwulst Vater

Es gibt zwei Formen von erwachsenen Männchen: Orang-Utans mit und ohne Backenwulst. Diese seitlichen Gesichtsauswüchse prägen sich erst ab dem Alter von 15 Jahren mit der Geschlechtsreife aus. Die dominanten Männchen in einem Streifgebiet tragen sie und tolerieren keine anderen Männchen mit Backenwülsten in ihrem Revier. Lange Zeit dachte man, dass die Männchen ohne Backenwülste in ihrer Entwicklung durch die dominanten Männchen unterdrückt werden. Doch wie sich herausstellte, sind diese Männchen trotzdem zeugungsfähig. Ohne die Backenwülste fliegen sie quasi unter dem Radar der Alphamännchen und zeugen sogar ähnlich viele Nachkommen – obwohl die Weibchen Männchen mit Backenwülsten bevorzugen. Das erreichen die unreif aussehenden Männchen, indem sie sich mit jungen Weibchen paaren, die für das dominante Männchen unattraktiv sind, oder indem sie Kopulationen erzwingen.

Gern versteckt in den Baumkronen

Orangs haben ihre Stimme unter Kontrolle

Orang-Utans haben auch ein gewisses Sprachtalent: Sie können die von ihnen produzierten Laute gezielt verändern – eine Grundvoraussetzung für das Sprechen. Seinen eigenen Laut – den »wookie« – hat ein im Zoo von Indianapolis lebender Orang-Utan namens Rocky. Wenn ein Mensch den Ruf nachmacht und diesen dann höher oder lauter stimmt, macht Rocky es ihm nach. Einige weitere Orang-Utans in Zoos lernten zu pfeifen. Vermutlich haben die meisten von ihnen sich das bei ihren Pflegern abgeschaut. Sie pfeifen einfach so vor sich hin, auf Kommando, aber auch, um die Aufmerksamkeit eines Menschen zu erlangen. Diese Beispiele zeigen, dass Affen zumindest eine gewisse Kontrolle über ihre Laute haben und diese nicht nur instinktive Rufe sind. In freier Wildbahn nehmen Orang-Utans auch ihre Hände oder Blätter zu Hilfe, um ihre Warnrufe gezielt zu manipulieren. Sie klingen dann tiefer und wirken so größer und imposanter.

© Wendy M. Erb
Handeinsatz als Schalltrichter

Orang-Utans planen voraus

Männliche Orang-Utans mit Backenwülsten geben mehrmals am Tag bestimmte Rufe von sich, die bis zu einen Kilometer weit hörbar sind. Daran können sich andere Orang-Utans orientieren und sich zu dem Tier hin- oder davon wegbewegen. Weibchen bleiben dann in der Nähe des dominanten Tiers oder gehen ihm aus dem Weg. Andere Männchen können ein Zusammentreffen so ebenfalls vermeiden oder aktiv suchen. Diese Rufe kündigen außerdem die geplante Wanderrichtung des Sumatra-Orang-Utans an – und das sogar eine Nacht im Voraus. Vor dem Schlafengehen drehen sie sich in die am nächsten Tag angestrebte Richtung und stoßen einen letzten Ruf für diesen Tag aus. Am Morgen bewegen sie sich dann meist dorthin. Ändern sie ihre Pläne, geben sie das mit einem spontanen neuen Ruf bekannt. Auch bei Problemlösungsaufgaben planen sie: Sie nehmen die Werkzeuge mit, die sie zur Lösung der Aufgabe bis zu 14 Stunden später benötigen.

Werkzeuge nutzen sie geschickt

Orang-Utans sind ebenfalls geschickte Werkzeugnutzer. Sie knacken Neesia-Früchte und Termitenbauten mit Stöcken, angeln Insekten sowie Honig aus Baumlöchern und nutzen Blätterklumpen als eine Art Schwamm, um an Wasser zu gelangen. Ihr Werkzeuggebrauch geht jedoch über die reine Nahrungs- und Wasserbeschaffung hinaus. Sie nutzen Äste als Mückenklatsche, schützen ihre Hände mit Blättern, wenn sie stachelige Früchte transportieren, und basteln sich einen Regenschirm aus großen Blättern. Viele dieser Verhaltensweisen lernen sie wohl von ihren Artgenossen. Diese erstaunlichen Verhaltensweisen sind unter den Orang-Utans auf Sumatra stärker verbreitet als unter denen auf Borneo, die in geringerer Dichte leben und weniger sozial sind. Orang-Utans können sich aber auch von Menschen etwas abschauen. Das zeigen die Orang-Utans in der Auffangstation von Camp Leakey auf Borneo: Sie waschen sich mit Seife, können ein kleines Boot und eine Säge bedienen.

© BBC Earth
Orang-Utans ahmen menschliches Verhalten nach

Manche stehen auf Seife

Ein paar Orang-Utans sind auf den Geschmack von Seife gekommen – wortwörtlich. Sie waschen ihre Unterarme damit und lecken daran. Wieso sie das tun, wurde bisher noch nicht wissenschaftlich untersucht. Von verschiedenen Primaten ist bekannt, dass sie sich Substanzen ins Fell schmieren. Möglicherweise bekämpfen sie so Ektoparasiten oder Infektionen der Haut – eine Form der Selbstmedikation. Die Orang-Utans, die sich mit Seifenwasser einreiben, scheinen in engem Kontakt zu Menschen zu leben. Somit haben sie sich das Verhalten wohl bei ihnen abgeschaut. Wild lebende Orang-Utans sind nämlich neophob: Als Forscher aus Zürich ihnen auf Plattformen im Regenwald neue Gegenstände – etwa eine Puppe oder Plastikobst – präsentierten, näherten sie sich diesen erst nach Monaten. Lediglich zwei jugendliche Orang-Utans trauten sich, sie anzufassen. Die Orang-Utans im Züricher Zoo brauchten nur Minuten, um die neuen Gegenstände zu erkunden. Da sie diese in weniger als einer Stunde zerlegt hatten, mussten die Forscher das Experiment vorzeitig abbrechen.

http://www.youtube.com/watch?v=UW4BqE7beNw
© Barcroft TV
Einmal einseifen, bitte

Sind noch nicht lange erforscht

Der niederländische Arzt Jacobus Bontius war wohl der erste Europäer, der 1630 einen wild lebenden Orang-Utan zu Gesicht bekam. Das erste lebende Tier landete 1776 als zottelige Kuriosität im Privatzoo des niederländischen Prinzen. Ab dem darauf folgenden Jahrhundert wurden die Menschenaffen in europäischen Zoos der Öffentlichkeit präsentiert. Einer der ersten war ein Weibchen namens Jenny im Zoo in London. Wie viele andere Orang-Utans in Gefangenschaft starb sie an den Folgen der schlechten Haltungs- und Ernährungsbedingungen. Ein Jahr vor Jennys Tod – 1838 – bekam Charles Darwin sie zu Gesicht. Es dauerte aber weitere 130 Jahre, bis Forscher begannen, diese Menschenaffen in freier Wildbahn zu erforschen. Trotz ihrer Größe ist das gar nicht so einfach, da Orang-Utans in den Kronen von 30 Meter hohen Bäumen in der Regel allein und viel stiller sind als beispielsweise Schimpansen. Erst 1968 kam John MacKinnon als einer der Ersten zu Forschungszwecken nach Borneo. Wenig später begann Biruté Galdikas ihre langjährige Forschungsarbeit.

Sie waren einmal noch größer

Orang-Utans sind die größten in Bäumen lebenden Tiere auf der Erde. Ihre Vorfahren waren sogar noch größer – bis zu 40 Prozent, wie Forscher auf Grund fossiler Zahnfunde vermuten. Damit waren sie wahrscheinlich zu groß und zu schwer für ein Leben in den Bäumen. Der ausgestorbene »Riesenaffe« Gigantopithecus hat sich mit seinen geschätzten drei Meter Körpergröße wohl ebenso wenig durch die Bäume geschwungen. Der größte Primat aller Zeiten gehört zur Unterfamilie der Ponginae, zu der auch die heute noch lebenden Orang-Utans zählen. Gigantopithecus sah vermutlich aus wie eine Mischung aus Gorilla und Orang-Utan und lebte in Indochina. Wissenschaftler nehmen an, dass auch Orang-Utans einst nicht nur auf den indonesischen Inseln, sondern in ganz Südostasien lebten. Heutzutage beschränkt sich ihre Heimat auf Borneo sowie den Norden Sumatras. Und sie schrumpft immer weiter.

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