Fünf Fakten zum Impfen: Aluminium, Autismus und andere Vorurteile
Die Weltgesundheitsorganisation WHO listet eine Reihe an Krankheiten auf, gegen die man sich impfen lassen sollte – unter anderem Cholera, Diphtherie, Gebärmutterhalskrebs, Gelbfieber, Hepatitis und Röteln. »Get vaccinated«, appelliert die Gesundheitsorganisation, doch es verhallt teilweise ungehört.
Warum braucht man Wirkverstärker in Impfstoffen, und können sie schaden?
Um die Sicherheit und Verträglichkeit zu erhöhen, enthalten viele Impfstoffe heutzutage nur noch Bestandteile jener Krankheitserreger, gegen die ein immunologischer Schutz aufgebaut werden soll. »Das senkt zwar die Häufigkeit und Stärke von Nebenwirkungen, verringert jedoch auch die Effizienz, denn das Immunsystem stuft die Erregerbestandteile nicht mehr als gefährlich ein und wird nicht ausreichend aktiviert«, sagt Thomas Ebensen vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig.
Hier kommen Wirkverstärker oder so genannte »Adjuvanzien« (vom lateinischen »adjuvare«: helfen, unterstützen) ins Spiel. Sie erhöhen die Aufmerksamkeit des Immunsystems für das verabreichte Impf-Antigen. Der Einsatz von Wirkverstärkern ist eine Gratwanderung. Die Immunabwehr soll sensibilisiert werden, aber nicht überreagieren. Lokale Reaktionen an der Einstichstelle, wie eine Rötung oder Schwellung, sind Zeichen der aktivierten Immunabwehr. Wie stark ein einzelner Mensch auf eine Impfung und auch auf einen darin enthaltenen Wirkverstärker reagiert, ist unterschiedlich und hängt ab von seiner allgemeinen und aktuellen Verfassung, seiner persönlichen Krankengeschichte und bereits überstandenen Infektionen.
Traditionell als Wirkverstärker verwendet würden zum Beispiel Aluminiumhydroxid (Alum), Emulsionen von Mineralölen oder auch Bestandteile abgetöteter Bakterien, sagt Ebensen. Aluminiumsalze werden Impfstoffen seit rund 90 Jahren beigemengt, aktuell etwa solchen gegen Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten oder Hepatitis A. Trotz der langjährigen Erfahrung mit diesem Adjuvans weiß man eigentlich noch nicht, wie es wirkt. Möglicherweise steigert es die Aktivität der angeborenen Immunabwehr (Fresszellen, Komplementkaskade, verbesserte Antigenaufnahme), und/oder die Aluminiumsalze bilden an der Einstichstelle eine Art Depot, aus dem die geimpften Antigene nach und nach freigesetzt werden (verlängerte Antigenpräsentation).
»Aus klinischen Studien und aus der Spontanerfassung von Nebenwirkungen in Deutschland gibt es kein Signal zu aluminiumbedingter Toxizität nach Impfungen«, schreibt das Paul-Ehrlich-Institut (Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel, PEI) in seinen Informationen. Im Vergleich zu anderen Quellen zur Aufnahme von Aluminium, etwa über das Trinkwasser oder die Nahrung, sei der Beitrag von Impfungen gering. »Es sind keine wissenschaftlichen Analysen bekannt, die eine Gefährdung von Kindern und Erwachsenen durch Impfungen mit aluminiumhaltigen Adjuvanzien zeigen«, so das PEI weiter.
Nachdem der Einsatz und die Erforschung von Wirkverstärkern viele Jahre eher unsystematisch verlief, wird aktuell versucht, gezielt Adjuvanzien zu entwickeln, um auch gegen schwierige Kandidaten wie etwa HIV, Tuberkulose oder Malaria erfolgreich impfen zu können. Dabei will man neben der schützenden Antikörperantwort (»B-Zellen«) auch den notwendigen zellulären Arm der Immunabwehr (»T-Zellen«) anzukurbeln. Thomas Ebenesen ist auf der Suche nach Adjuvanzien, die eine Impfung über die Schleimhäute, zum Beispiel gegen Grippe, HIV oder Hepatitis, möglich machen. Ein solcher Impfstoff würde auch lokal einen guten Immunschutz auslösen. Das ergibt Sinn, da die Viren wie das HIV oder auch die Influenza-Viren über die Schleimhäute in den Körper eindringen.
Verursacht Impfen Autismus?
»Autismus ist eine komplexe und vielgestaltige neurologische Entwicklungsstörung« schreibt der Bundesverband Autismus Deutschland e. V., verursacht durch verschiedene, teils noch unbekannte genetische, biologische und psychosoziale Faktoren. Impfungen gehören nicht zu den Auslösern. Doch manche Mythen halten sich hartnäckig. Der britische Arzt Andrew Wakefield hatte im Fachjournal »The Lancet« vor knapp 20 Jahren eine Studie veröffentlicht, die einen Zusammenhang zwischen dem Masern-Mumps-Röteln-(MMR)-Kombinationsimpfstoff und neurologischen Entwicklungsstörungen herstellte.
Aus der Angst heraus, der Impfstoff könne Autismus auslösen, sank in England in der Folge die Impfrate gegen MMR in der Gruppe der bis zu Zweijährigen auf unter 80 Prozent. Im Jahr 2004 stellte sich heraus, dass Wakefield nicht ganz uneigennützig gehandelt, sondern selbst ein Patent auf einen Masernimpfstoff angemeldet hatte. »The Lancet« zog die Studie 2010 vollständig zurück, auch nachdem sich die Mehrheit der Koautoren von Wakefields Arbeit distanziert hatte.
Große Untersuchungen, unter anderem eine Metaanalyse in der Zeitschrift »Vaccine«, bei der insgesamt 1,3 Millionen Menschen einbezogen wurden, zeigen deutlich: Autismus tritt bei Geimpften und Ungeimpften mit der gleichen Häufigkeit auf; es gibt keinen Beweis dafür, dass die MMR-Impfung oder auch in Verdacht geratene Bestandteile von Impfstoffen wie das quecksilberhaltige Konservierungsmittel Thiomersal Autismus erzeugen.
Warum packt man immer mehr Impfstoffe zusammen (etwa Siebenfachimpfung im Kindesalter)?
Der häufigste Grund, warum Eltern mit Impfungen zögern oder sie ganz verweigern, ist nach der Sorge um mögliche Nebenwirkungen der Wunsch, ihrem Kind die Schmerzen der Impfspritzen, zu ersparen. »Kombinationsimpfstoffe erlauben eine erhebliche Reduzierung der Injektionen und fördern damit die Umsetzung der Impfempfehlungen«, schreiben die Experten des Robert Koch-Instituts. Und empfohlen wird mittlerweile eine beachtliche Anzahl von Impfungen. In Deutschland wird geraten, Kinder bereits vor ihrem zweiten Geburtstag gegen 13 Krankheiten (in den USA gegen 14) zu impfen.
Den elterlichen Bedenken, die Fülle an Impfungen würde das Immunsystem des Säuglings überlasten, widersprechen die Experten. Ein Kind sei jeden Tag Tausenden von Antigenen ausgesetzt, das vorgeschlagene Impfschema dagegen enthalte insgesamt nur rund 300 Antigene. Nach Schätzungen des Kinderarztes Paul Offit von der University of Pennsylvania würden selbst bei einer gleichzeitigen Gabe von elf Impfstoffen zeitweise nur etwa 0,1 Prozent des kindlichen Immunsystems in Beschlag genommen.
Gegen den Wunsch mancher Eltern, den Zeitplan der Impfungen ein wenig zu strecken, damit nicht schon in den ersten Lebensmonaten so häufig geimpft würde, sprechen mindestens zwei Gründe. Je später die Kinder geimpft werden, desto länger sind sie empfänglich für die Krankheit, vor der die Impfung sie schützen soll. Werden alle Impfungen außerdem nicht während einer übersichtlichen Zeitphase abgeschlossen, geraten womöglich notwendige Termine für Auffrischungsimpfungen in Vergessenheit.
Doch Auffrischungen sind, wie das RKI schreibt, besonders bei den neuartigen Kombi-Impfstoffen zu bedenken. »Auf Grund der Wechselwirkungen der Antigene untereinander sind in kombinierten Totimpfstoffen teilweise vier Impfungen zur Grundimmunisierung notwendig (…). Es ist deshalb wichtig, bei der Verwendung von Kombinationsimpfstoffen auf eine zeitgerechte und vollständige Grundimmunisierung zu achten.«
»Impfen ist nicht nur eine Entscheidung für mich oder mein Kind, sondern hat Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft.«
Robert Böhm
Was ist der Herdenschutz, wer braucht ihn, und wie groß muss er für bestimmte Krankheiten sein?
»Impfen ist nicht nur eine Entscheidung für mich oder mein Kind, sondern hat Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft«, sagt Robert Böhm von der RWTH Aachen. Böhm hat zusammen mit seiner Kollegin Cornelia Betsch (Universität Erfurt) herausgefunden, dass sich das Wissen um den so genannten Herden- oder Gemeinschaftsschutz positiv auf die persönliche Impfbereitschaft auswirkt.
Wer immun gegenüber einem Krankheitserreger ist, sei es, weil er eine Infektion durchgestanden hat oder geimpft wurde, ist nicht nur selbst vor einer erneuten Ansteckung gefeit. Er schützt in gewisser Weise all diejenigen, die (noch) nicht geimpft werden können, beispielsweise junge Säuglinge oder Menschen mit einem geschwächten Immunsystem, Tumorkranke oder HIV-Positive, weil er den Erreger nicht mehr weitergeben kann. Je mehr Menschen in einer Bevölkerungsgruppe immun sind, desto höher wird die immunologische Firewall, also der Herden- oder Gemeinschaftsschutz, und desto unwahrscheinlicher wird die Ansteckung potenziell anfälliger Personen.
Wie hoch die Quote der immunen Menschen sein muss, um die Krankheit in einem bestimmten Gebiet, auf einem Kontinent oder sogar weltweit auszurotten, ist je nach Infektionserreger unterschiedlich und hängt davon ab, wie ansteckungsfreudig das jeweilige Virus oder Bakterium ist. Bei den hochansteckenden Masernviren etwa (jeder Infizierte steckt im Durchschnitt 12 bis 18 andere an) muss die Immunitätsrate bei 92 bis 95 Prozent liegen. Mit Hilfe der so genannten Reproduktionszahl R0, das ist die Anzahl der Menschen, die von einem Infizierten angesteckt werden, lässt sich die Höhe der Herdenimmunität berechnen, die für eine Ausrottung der Krankheit notwendig ist (1 – 1/R0). Polio und Pockenkranke stecken je fünf bis sieben Menschen an (80 bis 86 Prozent Herdenimmunität für eine Ausrottung nötig), Grippe- und Ebolainfizierte geben die Viren im Durchschnitt nur an je zwei Personen weiter, daher braucht es nur rund 50 Prozent Herdenschutz, um die Ausbreitung zu stoppen (interaktive Simulation zur Veranschaulichung des Herdenschutzes: www.musketierprinzip.de).
Trainieren Impfungen unser Immunsystem auch – und wie stark?
Jeder Kontakt des Immunsystems mit einem Antigen aktiviert und trainiert die Abwehrzellen in gewisser Weise. Schon im Mutterleib lernt der Embryo zum Beispiel all diejenigen Antigene aus Umwelt und Nahrung der Mutter kennen, die später auch ihn umgeben werden, und »trainiert« sich ihnen gegenüber eine tolerante Haltung an. Auch jede Infektion, jede Impfung stimuliert und trainiert die Körperabwehr. Die Kaskaden der angeborenen und erworbenen Immunantwort kommen in Gang, Fresszellen werden aktiviert, Antikörper produziert und Gedächtniszellen angelegt, die einen Erreger bei einem erneuten Kontakt rechtzeitig ausbremsen.
Umstritten ist, wie groß das Ausmaß so genannter »unspezifischer Impfstoffwirkungen« ist. Einige Experten, wie etwa die Epidemiologin Christine Stabell Benn vom Statens-Serum-Institut in Kopenhagen, sind der Ansicht, Impfstoffe schützten als ein »biologisches Präparat« nicht nur vor den geimpften Krankheitserregern, sondern wirkten sich auch auf das gesamte Immunsystem aus. Studien etwa, die das Kopenhagener Institut seit vielen Jahren im westafrikanischen Guinea-Bissau durchführt, liefern Hinweise darauf, dass beispielsweise nach der Gabe des inaktivierten Impfstoffs gegen Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten die Empfindlichkeit für andere nichtverwandte Infektionen leicht ansteige. Impfungen mit Lebendimpfstoffen wie etwa gegen die Masern trainierten das Immunsystem dagegen aber offenbar derart, dass sich eine vorübergehend erhöhte Widerstandskraft auch gegenüber anderen Infekten einstelle.
Möglicherweise kommt es als Folge der frühen Auseinandersetzung mit Lebendimpfstoffen zur epigenetischen Veränderungen in Zellen aus der ersten Abwehrfront, etwa den Monozyten, die sie später auch besser auf ganz andere Krankheitserreger reagieren lassen. Der dänische Anthropologe Peter Aaby registrierte bereits in den 1970er Jahren nach Einführung der Masernimpfung in Guinea einen Rückgang der Kindersterblichkeit um ein Drittel, obwohl dort ursprünglich »nur« bis zu 15 Prozent der Kinder an Masern starben.
Die WHO hat 2013 eine Forschungsgruppe eingerichtet, die sich mit dem Thema »Unspezifische Impfstoffwirkung« beschäftigt. Laut zweien von dieser Gruppe initiierten systematischen Reviews ist die Beweislage für solche unspezifischen Effekte nach wie vor dünn. Die Achillesferse all dieser Untersuchungen sei das Fehlen von immunologischen Markern, die solche in der Klinik bedeutsamen Wirkungen erfasse, schreibt Chee Fu Yung, Experte für Infektionskrankheiten vom KK Women's and Children's Hospital in Singapur.
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