Gentechnik: Aus Cytosin mach Uracil mach Thymin
Ein bakterielles Enzym ermöglicht, was selbst die Genschere CRISPR-Cas9 nicht schafft: die gezielte Bearbeitung des Genoms von Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle. Die Technik beruht auf einer extrem präzisen Form der Genveränderung, dem so genannten Base Editing. Die Methode könnte Forschern helfen, Krankheiten zu untersuchen, die durch Mutationen im mitochondrialen Erbgut verursacht werden und sie vielleicht sogar zu heilen.
Solche Veränderungen werden meist mütterlicherseits vererbt und beeinträchtigen die Energiegewinnung der Zellen. Im Vergleich zu jenem im Zellkern enthält das mitochondriale Genom nur eine geringe Anzahl von Genen. Trotzdem können darin enthaltene Mutationen schwere Schäden hervorrufen, insbesondere im Nervensystem und den Muskeln – zum Beispiel am Herzen. Schlimmstenfalls sind sie tödlich.
Bislang war es schwierig, solche Störungen zu untersuchen. Denn Forscher haben noch keine passenden Tiermodelle zur Verfügung. In einer Studie, die Anfang Juli 2020 in der Fachzeitschrift »Nature« veröffentlicht wurde, ist es Wissenschaftlern erstmals gelungen, solche gezielten Änderungen vorzunehmen. »Das ist eine sehr spannende Entwicklung«, sagt Carlos Moraes, der sich an der University of Miami in Florida mit Mitochondrien-Genomen beschäftigt.
Neues Werkzeug im Werkzeugkasten der Gentechniker
Das CRISPR-Cas9-System hat es Forschern ermöglicht, die Genome vieler Organismen nach ihren Wünschen zu formen. Aber das beliebte Werkzeug braucht einen RNA-Strang, der das Cas9-Enzym zu der Stelle im Erbgut leitet, die die Wissenschaftler verändern wollen. Für die DNA im Zellkern funktioniert das gut. RNA in die Mitochondrien zu schleusen, ist hingegen ein Problem, denn sie sind von mehreren Membranen umgeben.
Ende 2018 erhielt der Biochemiker David Liu vom Broad Institute eine E-Mail vom anderen Ende des Landes: In Seattle habe ein Team um den Mikrobiologen Joseph Mougous von der University of Washington ein seltsames Enzym entdeckt. Es handelte sich um ein Toxin, das das Bakterium Burkholderia cenocepacia herstellt. Wenn es auf die DNA-Base Cytosin (C) trifft, wandelt es diese offenbar in ein Uracil (U) um. Diese Base kommt in der DNA normalerweise nicht vor. Weil U aber sehr ähnlich aufgebaut ist wie Thymin (T), wird es von den Enzymen, die die DNA der Zelle vervielfältigen, als T erkannt und kopiert. So wird ein in einem Gen enthaltenes C also effektiv in ein T umgewandelt.
Für das Base Editing hatte Liu ähnliche Enzyme eingesetzt. Hier verwenden die Forscher Komponenten des CRISPR-Cas9-Systems, um eine DNA-Base zu einer anderen zu verwandeln. Aber diese Proteine, Cytidin-Deaminasen genannt, wirken nur auf einzelsträngige DNA. Die DNA von menschlichen Zellen besteht aber aus zwei Strängen. Bisher waren Forscher wie Liu darum auf die Hilfe von Cas9 angewiesen. Das Enzym bricht den Doppelstrang auf und schafft eine Region einzelsträngiger DNA, in die das Werkzeug dann eingreifen kann. Da diese Technik aber auf einen RNA-Strang angewiesen ist, der das Cas9-Enzym an die richtige Stelle bringt, kann sie das mitochondriale Genom nicht erreichen.
Das Enzym mit dem Namen DddA, das Mougous' Team nun gefunden hat, kann offenbar direkt – ohne Cas9 – auf doppelsträngige DNA einwirken. Das, so die Argumentation von Liu und Mougous, könnte DddA dafür qualifizieren, das mitochondriale Genom umzuschreiben.
DddA ist ein Ungeheuer, das es zu bändigen gilt
Um DddA in ein Werkzeug zur Genom-Editierung zu verwandeln, musste Liu das Monster aber zunächst zähmen. Denn seine Fähigkeit, doppelsträngige DNA zu manipulieren, macht das Enzym gefährlich: Lässt man es frei, verändert es jedes C, das ihm in die Quere kommt. Um dies zu verhindern, spaltete das Team das Enzym in zwei Teile, die nur dann die DNA verändern können, wenn sie in der richtigen Ausrichtung zusammengebracht werden. Um auch kontrollieren zu können, welche DNA-Sequenz das Enzym modifiziert, verknüpfte das Team außerdem jede Hälfte von DddA mit Proteinen, die sich an bestimmte Stellen des Genoms heften.
»Ein erstaunlicher Schritt nach vorn«
Michal Minczuk, Mitochondriengenetiker
Bis sich die Technik am Menschen einsetzen lassen, würde es aber noch dauern, sagt Liu. Obwohl in den ersten Versuchen seines Teams nur wenige unerwünschte DNA-Veränderungen auftraten – ein häufiges Problem bei der CRISPR-Cas9-Methode – seien noch mehr Studien in verschiedenen Zelltypen erforderlich, sagt er.
Sofern diese erfolgreich verlaufen, könnte die Methode aber bestehende Praktiken zur Prävention und Behandlung mitochondrialer Krankheiten ergänzen. Einige Länder erlauben bereits ein Verfahren namens Mitochondrienersatztherapie. Dabei entnehmen Mediziner einer Eizelle oder einem Embryo den Zellkern und transplantieren ihn in die entkernte Eizelle oder den Embryo einer Spenderin mit gesunden Mitochondrien.
Ein weiterer Ansatz, um Fehler im mitochondrialen Genom zu korrigieren: ausnutzen, dass Zellen tausende Kopien enthalten können. Ein Bruchteil der Genome enthält nicht die mit der Krankheit verbundene Mutation. Moraes und andere Mitochondrienforscher haben Enzyme entwickelt, die in die Organellen eindringen und die DNA an der Stelle mit der schädlichen Mutation schneiden. Statt den Schnitt zu reparieren, bauen die Mitochondrien die beschädigte DNA oft einfach ab. Das Ergebnis sind Mitochondrien ohne die mutierten Kopie des Genoms (in der Regel enthalten sie zwei bis zehn davon), die die Strukturen letztlich dominieren.
Der neueste Ansatz könne es Forschern ermöglichen, solche Mutationen auch dann zu korrigieren, wenn in den Mitochondrien nicht genügend normale Kopien des Genoms vorhanden seien, sagt Michal Minczuk, Mitochondriengenetiker an der University of Cambridge in Großbritannien. »Das ist ein erstaunlicher Schritt nach vorn.«
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