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Der Mathematische Monatskalender: Eugène Charles Catalan (1814–1894)

Auf einen Beweis musste die catalansche Vermutung mehr als 150 Jahre lang warten.
Eugène Charles Catalan

Als Eugène Charles Bardin im Jahr 1814 in Brügge das Licht der Welt erblickt, gehört diese west-flandrische Stadt noch zum Imperium Napoleons, der 1799 die Region in den französischen Staat eingegliedert hatte. Noch bevor das Kind ein Jahr alt ist, fällt Flandern nach einem Beschluss des Wiener Kongresses an das Königreich der Niederlande  – ohne Rücksicht auf die Wünsche der überwiegend katholischen Bevölkerung.

Eugène ist als uneheliches Kind seiner aus Beaune (Burgund) stammenden Mutter Jeanne Bardin registriert. Erst 1821 heiratet der leibliche Vater Joseph Victor Étienne Catalan die Mutter, und so ändert sich auch der Familienname des Jungen. Die Familie zieht zunächst nach Lille um, dann nach Paris. Sein Vater, der bis dahin seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Gemälden und von Parfüm verdient hatte, ist jetzt als Architekt tätig, und so kommt es, dass er auch seinem Sohn nahelegt, diesen Beruf zu ergreifen. Ohne vorher eine weiterführende Schule besucht zu haben, kann er in die École Royale Gratuite de Dessin et de Mathématiques en Faveur des Arts Mécanique eintreten. Hier fühlt er sich ausgesprochen wohl, und er zeigt solch hervorragende Fortschritte, dass die Schulleitung ihn – er ist gerade einmal 15 Jahre alt – damit beauftragt, seine Mitschüler in Geometrie zu unterrichten. Nach Abschluss der Schulzeit ermutigt ihn sein Mathematiklehrer, sich um einen Studienplatz an der Universität, der École Polytechnique, zu bewerben. Er belegt Kurse an verschiedenen Einrichtungen, nimmt 1833 am Concours Général de Mathématiques Spéciales teil und gewinnt diesen Wettbewerb.

Dann unterbricht er seine Prüfungsvorbereitungen, um seine Großmutter zu besuchen, die immer noch in Brügge lebt (das nunmehr zum neu gegründeten Staat Belgien gehört). Beinahe hätte er deswegen sein Ziel verfehlt, aber er besteht auf Rangplatz 53 die Aufnahmeprüfung der Eliteuniversität. Mit Begeisterung folgt er den Lektionen von Joseph Liouville und Gabriel Lamé; er interessiert sich aber auch für Vorlesungen über Voltaire und Molière sowie zur Geschichte Frankreichs.

Catalan hält sich den politischen Aktivitäten seiner Mitstudenten fern, obwohl auch er mittlerweile vom Royalisten zum Republikaner geworden ist; dennoch wird er, wie alle Studenten seines Jahrgangs, wegen Insubordination von der Universität verwiesen. Erst nach einer ausdrücklichen Entschuldigung darf er sein Studium wieder aufnehmen und 1835 zu einem Abschluss bringen. Er hat nun die Möglichkeit, sein Studium an der École des Ponts et Chaussées fortzusetzen, aber er entscheidet sich für die Aufnahme einer Lehrtätigkeit an der École des Arts et Metiers in Châlon-sur-Marne.

1837 erscheint ein erster Beitrag (zum Rencontre-Problem) im Journal de Mathématiques Pures et Appliquées, das von Liouville herausgegeben wird. Ab 1838 folgen Abhandlungen zu kombinatorischen Problemen, darunter ein Beitrag, der sich mit einer Folge \(C_n\) (heute als Catalan-Folge bezeichnet) von natürlichen Zahlen beschäftigt, wobei \(C_n = \frac{1}{n+1} \cdot \binom{2n}{n} \), also \(C_0 =1,\) \(C_1 =1,\) \(C_2 =2,\) \(C_3 =5,\) \(C_4 =14,\) \(C_5 =42\) und so weiter.

Catalan beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Frage: Wie viele Möglichkeiten gibt es, bei einem Produkt aus \(n\) Faktoren Klammern zu setzen? Für drei Faktoren gibt es zwei Möglichkeiten: \((a \cdot b) \cdot c;\) \(a \cdot (b \cdot c);\) für vier Faktoren sind es fünf Möglichkeiten: \(a \cdot \big(b \cdot (c \cdot d)\big);\) \(a \cdot \big((b \cdot c) \cdot d\big);\) \( \big(a \cdot (b \cdot c)\big) \cdot d;\) \(\big((a \cdot b) \cdot c\big) \cdot d ;\) \((a \cdot b) \cdot (c \cdot d).\)

Für fünf Faktoren ergeben sich die folgenden 14 Möglichkeiten: \(a \cdot \bigg(b \cdot \big(c \cdot (d \cdot e)\big)\bigg);\) \(a \cdot \bigg(b \cdot \big((c \cdot d) \cdot e\big) \bigg);\) \(a \cdot \big((b \cdot c) \cdot (d \cdot e)\big);\) \(a \cdot \bigg(\big(b \cdot (c \cdot d)\big) \cdot e\bigg);\) \(a \cdot \bigg(\big((b \cdot c) \cdot d\big) \cdot e\bigg);\) \((a \cdot b) \cdot \big(c \cdot (d \cdot e)\big);\) \((a \cdot b) \cdot \big((c \cdot d) \cdot e\big);\) \(\big(a \cdot (b \cdot c)\big) \cdot (d \cdot e);\) \(\bigg(a \cdot \big(b \cdot (c \cdot d)\big)\bigg) \cdot e;\) \(\bigg(a \cdot \big((b \cdot c) \cdot d\big)\bigg) \cdot e;\) \(\big((a \cdot b) \cdot c\big) \cdot (d \cdot e);\) \(\big((a \cdot b) \cdot (c \cdot d)\big) \cdot e;\) \(\bigg(\big(a \cdot (b \cdot c)\big) \cdot d\bigg) \cdot e;\) \(\bigg(\big((a \cdot b) \cdot c\big) \cdot d\bigg) \cdot e.\)

Die Folge war 1751 von Leonhard Euler entdeckt worden; Johann Andreas Segner hatte 1758 eine alternative Berechnungsmöglichkeit der Folgenglieder gefunden. Deren Ausgangsfrage war: Auf wie viele Arten lässt sich ein konvexes \(n\)-Eck durch die Diagonalen in Dreiecke zerlegen? (Ein \(n\)-Eck heißt konvex, wenn jede Verbindungsstrecke zweier Punkte des \(n\)-Ecks innerhalb des \(n\)-Ecks verläuft.)

Für ein \(n\)-Eck gibt es \(C_{n-2}\) verschiedene Möglichkeiten der Zerlegung durch Diagonalen; für 4-, 5- und 6-Ecke sind dies also 2 beziehungsweise 5 beziehungsweise 14 Möglichkeiten:

Heute kennt man 66 verschiedene Fragestellungen, in denen die Catalan-Zahlen eine Rolle spielen, zum Beispiel Anzahl der Möglichkeiten. der Zerlegung einer \(n\)-stufigen Treppenfigur in \(n\) Rechtecke, hier dargestellt für \(n = 3\).

Trotz weiterer Veröffentlichungen ist Catalans Bewerbung um eine Professur an der École de Dessin nicht erfolgreich – möglicherweise wegen seiner immer radikaler werdenden politischen Ansichten, vielleicht auch tatsächlich nur wegen nicht ausreichender formaler Qualifikation, beispielsweise fehlt ihm der formale Abschluss eines baccalauréat. Er nimmt den Rat Liouvilles an, der ihm zusätzliche Studien empfiehlt. Nacheinander erwirbt Catalan verschiedene Abschlüsse (baccalauréat, license en mathématique, license en physique, doctorat). Um seine mittlerweile gegründete Familie ernähren zu können, gibt er gleichzeitig Vorbereitungskurse für Aufnahmeprüfungen, arbeitet als Repetitor an der École Polytechnique und übernimmt vertretungsweise Prüfungen an dieser Hochschule.

Catalan fühlt sich sehr geehrt, als der aus dem freiwilligen Exil zurückgekehrte Augustin Cauchy ihn zum Essen einlädt, zusammen mit Gustav Lejeune Dirichlet. Aber ein größerer Unterschied hinsichtlich der politischen Ansichten als die des linken Republikaners Catalan und des radikalen Royalisten Cauchy ist kaum denkbar, sodass sich hiernach keine Zusammenarbeit ergibt.

Catalan hofft weiter, dass Liouville seinen Einfluss geltend machen kann, um ihm endlich eine angemessene Stelle an einer angesehenen Hochschule zu vermitteln. Ein erster Schritt gelingt 1840, als er als Mitglied in die Société Philomatique gewählt wird. Diese angesehene Gesellschaft, deren Mitgliederzahl begrenzt ist, setzt sich auch heute noch für republikanische Ziele, insbesondere für die Freiheit der Wissenschaft ein. Als Mitglied hat er das Recht, in der Zeitschrift der Gesellschaft zu veröffentlichen. Unter anderem erscheint 1841 ein bedeutender Aufsatz über Variablen-Transformationen bei Mehrfach-Integralen (Verallgemeinerung der Substitutionsmethode).

In der Zeitschrift Crelles Journal erscheint 1844 sein Beitrag zu der heute so genannten Catalan-Vermutung:

  • Es existiert nur eine Lösung der Gleichung \(x^a – y^b = 1\) für natürliche Zahlen \(a, b, x, y > 1\), nämlich \(a = 2, b = 3, x = 3, y = 2.\)

Das heißt, die einzigen benachbarten natürlichen Zahlen, die sich beide als Potenzen darstellen lassen, sind die Zahlen \(8\) und \(9:\) \(9 – 8 = 3^2- 2^3 = 1.\)

Catalan merkt an, dass es ihm nicht gelungen ist, die fehlende Lücke im Beweis zu schließen (je n'aie pas encore réussi à le démontrer complètement: d'autres seront peut-être plus heureux), ahnt aber nicht, dass dieses ein »Jahrhundertproblem« ist und erst im Jahr 2002 vom rumänischen Mathematiker Preda Mihailescu gelöst werden kann.

Über einen russischen Studenten, der nach Paris kommt, erhält er ein Papier von Pafnuti Lwowitsch Tschebyschow mit der Bitte, dies zu prüfen und sich um eine Veröffentlichung in einer französischen Zeitschrift zu kümmern. Der Beitrag Tschebyschows über Mehrfach-Integrale erscheint dann in der von Liouville herausgegebenen Zeitschrift. Zwischen Tschebyschow und Catalan entwickelt sich eine herzliche Brieffreundschaft, die erst mit dem Tod Catalans im Jahr 1894 endet (Tschebyschow stirbt ebenfalls in diesem Jahr).

Im November 1844 scheint Catalan endlich am Ziel seiner Träume: Er steht auf dem ersten Platz einer Vorschlagsliste für eine Professur an der École Polytechnique, jedoch wird ein anderer Bewerber bevorzugt. Im selben Jahr wiederholt sich der Vorgang an der Sorbonne – der königliche Beirat verweigert dem Republikaner das ihm zustehende Amt. Adolphe Quetelet rät ihm, sein Glück in Belgien zu suchen, aber er gibt nicht auf und nimmt zunächst einmal eine Stelle als Mathematiklehrer am Lycée Saint Louis an.

Im Februar 1848 wird der König Louis-Philippe gestürzt und die Zweite Republik ausgerufen; Catalan gehört zu den Republikanern, die das Rathaus stürmen. Die neue Regierung beauftragt eine Kommission unter Leitung von Urbain le Verrier mit der Neustrukturierung der Bildungsgänge an der École Polytechnique. Als die Reform umgesetzt wird, beenden Liouville als Professor und Catalan als Repetitor aus Protest ihre Mitarbeit – zum einen, weil der Anteil der Lehre in reiner Mathematik drastisch reduziert werden soll, zum anderen, weil die Lehrverpflichtungen aller Dozenten erheblich zunehmen wird.

1851 reißt der gewählte Präsident Louis-Napoleon Bonaparte in einem Staatsstreich die Macht an sich, löst die Nationalversammlung auf und krönt sich selbst zum Kaiser Napoleon III. Jetzt hat der Republikaner Catalan wieder keine Chancen, eine angemessene Stelle zu finden, vor allem, weil er nicht gewillt ist, dem neuen Herrscher einen Treueeid zu leisten. Durch Unterricht an verschiedenen Schulen, aber ohne feste Anstellung, versucht er die Zeit zu überbrücken. Er ändert seine Strategie, indem er jetzt seine zahlreichen Abhandlungen bei der Zeitschrift Comptes rendus der Académie des Sciences veröffentlicht.

Immer wieder wird er für die Wahl als Mitglied der Académie vorgeschlagen, aber stets werden andere bevorzugt. 1861 reicht er einen Wettbewerbsbeitrag mit Untersuchungen über Polyeder ein; der Vorschlag des Jurors Liouville, den Preis an Catalan zu vergeben, findet keine Mehrheit. Offensichtlich ist die Mehrheit der Juroren eher gewillt, keinen Preis zu vergeben, als Catalan endlich die Ehre zu erweisen, die ihm gebührt. Denn Catalan hat eine neue Klasse von konvexen Körper entdeckt, die zu den 13 archimedischen Körperndual sind:

Die nicht-regulären Seitenflächen dieser Catalan'schen Körper sind zueinander kongruent; an den Ecken stoßen jedoch unterschiedlich viele Seitenflächen aneinander. Bei den hierzu dualen archimedischen Körpern ist es umgekehrt: Die Anzahl der an einer Ecke zusammenkommenden Flächen ist stets gleich, jedoch sind die Flächen verschiedenartige reguläre Polygone.

1865, nach 13 Jahren vergeblichen Bemühens um eine feste, angemessene Stelle in Paris, gibt Catalan den Kampf auf und nimmt das Angebot einer Professur für Analysis an der Universität von Lüttich (Liège) in Belgien an. Hier lehrt er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1884. Er wird zum Mitglied der belgischen Académie Royale des Sciences, des Lettres et des Beaux Arts gewählt; eine Festschrift zu seinen Ehren weist 406 Veröffentlichungen auf. Verschiedene Akademien im Ausland ehren ihn durch eine korrespondierende Mitgliedschaft. Der belgische König ernennt ihn zum Ritter des Léopold-Ordens; auch über die Aufnahme in die französische Légion d'Honneur durch die republikanische Regierung der Dritten Republik freut er sich. Die Académie des Sciences befasst sich 1870 ein letztes Mal mit der Frage seiner Aufnahme – und lehnt erneut ab.

An Catalan erinnern unter anderem auch die folgenden mathematischen Themen:

  • Der Grenzwert \(G = \frac{1}{1^2} – \frac{1}{3^2} + \frac{1}{5^2} – \frac{1}{7^2} + \frac{1}{9^2} \pm... = 0{,}91596...\) wird als Catalan-Konstante bezeichnet. Immer noch ungeklärt ist, ob es sich um eine irrationale oder sogar um eine transzendente Zahl handelt. \(G\) ist auch als bestimmtes Integral darstellbar, zum Beispiel als \(-\int_0^1\frac{\text{ln}(t)}{1+t^2}\ dt\) oder \(\int_0^{\pi/4} \frac{t}{\sin(t)\cdot \cos(t)}\ dt.\)
  • Wie aus der oberen Abbildung unmittelbar ablesbar ist, gilt für die Summe der Quadrate der ersten \(n\) Fibonacci-Zahlen \(f_0, f_1, ..., f_n\) ein einfacher Zusammenhang: \(f_0^2 + f_1^2 + f_2^2 + ... + f_n^2 = f_n \cdot f_{n+1}.\)

Jean-Dominique Cassini entdeckte um 1680, dass auch Folgendes gilt: \(f_{n-1} \cdot f_{n+1} – f_n^2 = (-1)^n.\)

Diese Beziehung kann als Paradoxon des verschwundenen Quadrats visualisiert werden, vergleiche dazu die untere Abbildung. Catalan verallgemeinert 1879 die Cassini'sche Gleichung zur Catalan-Identität: \(f_n^2 – f_{n–k} \cdot f_{n+k} = (-1)^{n-k} \cdot f_k^2. \)

1894 wird Catalan anlässlich des 100-jährigen Bestehens der École Polytechnique in seine alte »Schule« eingeladen. Zum letzten Mal will er Paris besuchen, als seine Frau plötzlich erkrankt und auch er einen gesundheitlichen Zusammenbruch erleidet. Wenige Tage später stirbt seine Frau an einer Lungenentzündung; drei Tage danach endet auch das Leben von Eugène Charles Catalan.

Eugène Charles Catalan (1814 – 1894)

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