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Chemtrails & Co: 8 Fakten zu Verschwörungstheorien

Scheinbar hängen immer mehr Menschen Verschwörungstheorien an. Woher kommen die eigentlich, welche war die erste, und was hilft dagegen?
Chemtrails

Verschwörungstheorien scheinen auf dem Vormarsch. Überall im Netz trifft man auf "alternative Erklärungen", die böse Mächte und geheime Bünde für Ereignisse wie den 11. September, das Fehlen einer Heilmethode für Krebs oder die Flüchtlingskrise verantwortlich machen. Ob Wissenschaft, Politik oder Finanzwelt – zu fast jedem Vorgang, der nicht ganz leicht zu verstehen ist, findet man eine Verschwörungstheorie. Doch wie ist dieses Phänomen überhaupt entstanden? Glauben wirklich immer mehr Menschen an Verschwörungstheorien? Und wie geht man am besten damit um, wenn einen die eigene Mutter oder ein Arbeitskollege mit Chemtrails, der Flat-Earth-Theorie oder den Bilderbergern konfrontiert?

"Spektrum.de" hat darüber mit zwei Experten gesprochen, die Verschwörungstheorien erforschen. Michael Butter ist Professor für Amerikanistik an der Eberhard Karls Universität in Tübingen. Er leitet den interdisziplinären EU-Forschungsverbund "Vergleichende Analyse von Verschwörungstheorien", der im letzten Jahr gestartet ist. Sebastian Bartoschek ist Psychologe und hat für seine Promotion "eine empirische Grundlagenarbeit" über Verschwörungstheorien verfasst. Dazu fragte er online zu 95 Verschwörungstheorien, wie bekannt diese sind und auf wie viel Zustimmung sie stoßen. Eines wird klar, wenn man mit Butter und Bartoschek spricht: Man weiß noch viel zu wenig über das Phänomen.

1. Was genau sind Verschwörungstheorien, und wie funktionieren sie?

Bereits bei dieser scheinbar einfachen Frage zeigt sich, dass sich Experten auf dem Gebiet nicht immer einig sind. Für Michael Butter besteht eine Verschwörungstheorie aus drei Komponenten: Es gibt erstens ein Kollektiv, eine Gruppe von Verschwörern; zweitens existiert ein Plan, den diese Gruppe angeblich verfolgt; und dieser wird drittens im Geheimen ausgeführt. Außerdem spiele der Dualismus von Gut und Böse eine Rolle. Die Verschwörer haben nichts Positives im Sinn, sie schaden mit ihren Machenschaften anderen.

Sebastian Bartoschek fasst die Definition weiter. Für ihn gehört beispielsweise auch der Mythos um das Bermuda-Dreieck dazu. Das war die bekannteste der 95 Verschwörungstheorien, nach denen er in seiner Doktorarbeit gefragt hat. Ein weiteres Kriterium für Bartoschek: Die Verschwörungstheorie muss der "offiziellen" Version eines Vorgangs widersprechen. "Damit vermeidet man das Wahrheitskriterium. Man muss nicht den Standpunkt vertreten, dass man weiß, was wahr ist und was nicht."

Verschwörungstheorien funktionieren, indem sie Sinn- und Erklärungsangebote liefern, da sind sich die beiden Experten einig. Sebastian Bartoschek verwendet den Begriff "Selbstwirksamkeit", um die psychologische Funktion von Verschwörungstheorien klarzumachen: Sie scheinen Sicherheit zu geben, indem sie Zusammenhänge zwischen Ereignissen erzeugen und diese so vermeintlich erklären. Sie statten mit einem "besonderen" Wissen aus und können die Anhänger deren Ansicht nach vor schädlichen Einflüssen schützen. Allerdings erzeugen Verschwörungstheorien durch ihren negativen Grundcharakter auch Angst: "Letztlich machen Verschwörungstheorien das Individuum unfreier."

2. Wann und wie sind die ersten Verschwörungstheorien entstanden?

Den Anfang nahm das Phänomen vermutlich in der frühen Neuzeit, etwa ab dem Ende des 15. Jahrhunderts, erläutert Michael Butter. In der Epoche der Aufklärung gab es dann die ersten großen Verschwörungstheorien. Dafür gebe es zwei Gründe: Einerseits kam mit der Erfindung der Druckpresse durch Johannes Gutenberg um 1450 eine Technik auf, die den Buchdruck hin zur Massenproduktion beschleunigte. Andererseits nahm in dieser Zeit die Bildung in der Bevölkerung zu, und es gab immer mehr Leute, die lesen konnten. "Für eine erfolgreiche Verschwörungstheorie braucht es Verbreitungsmechanismen und genügend Menschen, die die Informationen aufnehmen können", so Butter.

Verschwörungstheorien lieferten außerdem eine Art Religionsersatz in einer Welt, die sich während der Aufklärung vom christlichen Glauben abwandte. Nun hatte nicht mehr Gott die Fäden in der Hand, um die Geschicke der Welt zu steuern, sondern eben eine geheimnisvolle Gruppe Mächtiger mit ganz eigenen Plänen. Dass auch Intellektuelle und Wissenschaftler anfällig für Verschwörungstheorien waren, erklärt Butter damit, dass das wissenschaftliche Denken damals ganz anders war als heute. Beispielsweise habe man im 17. und 18. Jahrhundert kein vernünftiges Konzept von Zufall als Ursache für bestimmte Ereignisse gehabt.

Sebastian Bartoschek vermutet hingegen, dass es schon immer Verschwörungstheorien gab, die der von ihm gebrauchten Definition entsprechen. Er sieht dabei eine evolutionspsychologische Komponente am Werk: "Um sich vor Gefahren zu schützen, war es für Menschen eher sinnvoll, übervorsichtig zu sein, wenn es im Gebüsch raschelt, und sich in Gruppen zu organisieren, die Fremden gegenüber misstrauisch sind." Aus diesen Dynamiken können auch Verschwörungstheorien erwachsen, glaubt Bartoschek.

3. Was war die erste wichtige Verschwörungstheorie?

Die erste bedeutende Verschwörungstheorie moderner Prägung rankte sich laut Michael Butter um die Französische Revolution von 1789. Der Geheimbund der "Illuminaten" soll diese angeblich gesteuert haben, weil seine Mitglieder die Religion hassten und eigene Ziele verfolgten. Diese Theorie wurde von vielen zeitgenössischen Politikern und Intellektuellen in Europa und den USA geteilt. "Man muss sich klarmachen, dass Verschwörungstheorien lange die normale Sicht auf die Dinge waren, der 'Mainstream'", sagt Butter. "Die Idee, dass Verschwörungstheorien eine Art alternatives Gegenwissen sind, gibt es erst seit Ende des Zweiten Weltkriegs, und auch da nur in der westlichen Welt."

Dollarnote mit vermeintlichem "Illuminati"-Siegel | "Die ganze Welt lügt dich an", sagen die Rekrutierer im Internet. "Der Planet ist in den Händen von Geheimgesellschaften (Illuminati, Freimaurer, Zionisten), und wenn du diese Ordnung umstürzen willst, musst du dich uns anschließen." Vermeintliche Belege erkennen die Verschwörer überall, so auch auf der Ein-Dollar-Note mit dem "allsehenden Auge", dem Siegel der Vereinigten Staaten. Historisch gibt es keinen Beleg dafür, dass dieses mit dem Illuminatenorden in Verbindung steht.

4. Glauben heute tatsächlich mehr Menschen an Verschwörungstheorien als früher?

Butter und Bartoschek stimmen darin überein, dass Verschwörungstheorien durch das Internet zumindest viel stärker sichtbar sind als früher. Für eine Ableitung aktueller Trends fehle allerdings eine vernünftige Datenbasis, insbesondere zu den vergangenen 10 bis 20 Jahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden im "Westen" Verschwörungstheorien immer weniger ernst genommen.

Das gilt jedoch nicht für andere Orte auf der Welt, die Türkei, die arabische Welt und Osteuropa etwa, wie Michael Butter schildert. Dort seien Verschwörungstheorien nach wie vor stark akzeptiert und sogar in den Medien oft nicht nur eine Alternativerklärung, sondern die dominante. "Die Verbreitung hat vermutlich auch im Westen in den letzten Jahren wieder zugenommen", so Michael Butter, "unter anderem durch soziale Netzwerke. Früher haben die Menschen es einfach gar nicht in die Zeitungen oder andere öffentliche Medien geschafft."

5. Welche Rolle spielt das Internet bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien?

Die Mechanismen des Netzes sind wie geschaffen, um Verschwörungstheorien zu kultivieren. Heutzutage kann jeder seine Theorien in sozialen Netzwerken, auf Blogs oder in einem Youtube-Video verbreiten. "Vor 30 Jahren mussten Menschen, die den Verdacht einer Verschwörung hegten, viel Zeit und Mühe investieren, um Informationen zu finden, die das scheinbar stützen", sagt Butter. "Heute reicht es, einmal zu googeln." Auf Facebook erreichen die Inhalte durch die algorithmische Ausspielung sogar automatisch ihr Zielpublikum.

Zudem können sich Verschwörungsanhänger durch das Internet besser mit Gleichgesinnten vernetzen. "Früher kam man vielleicht ins Grübeln, wenn man im Freundeskreis der Einzige war, der an eine Verschwörung geglaubt hat", so Butter. "Online findet man jetzt aber sehr einfach viele Leute, die die eigene Überzeugung teilen und vielleicht noch verstärken."

6. Wer ist besonders anfällig für Verschwörungstheorien?

Psychologe Bartoschek fand in seiner Doktorarbeit heraus, dass vor allem junge Menschen mit geringer Bildung und extremen Ansichten für "alternative Erklärungsmodelle" zugänglich sind. Auch religiöse Personen waren demnach empfänglicher für solche Theorien. "Über die Geschlechterpräferenz können wir im Moment noch wenig sagen", sagt Bartoschek. "Vielleicht sind Männer oder Frauen bei bestimmten Themenbereichen einfach lauter, aber in der Anzahl ähnlich stark."

Michael Butter sieht Verschwörungstheorien in allen sozialen Schichten vertreten. "Wenn man sich allerdings die Kommentarbereiche im Netz und das Publikum bei einschlägigen Veranstaltungen anschaut, trifft man sehr häufig Männer über 40 an." Diese Gruppe fühle sich durch die Auswirkungen von Globalisierung und Emanzipation am stärksten bedroht: ökonomisch und in ihrer Identität.

"Da werden Lebensentwürfe in Frage gestellt, und Verschwörungstheorien bieten scheinbar Erklärungen dafür"Michael Butter

"Die Leute auf der Straße sehen anders aus, die heißen nicht mehr, wie sie früher hießen, Schwule und Lesben dürfen heiraten: Da werden Lebensentwürfe in Frage gestellt. Und Verschwörungstheorien bieten scheinbar Erklärungen dafür." Butter verweist auf eine noch nicht publizierte Dissertation in den Niederlanden. Die lege nahe, dass Männer eher für politische und Frauen eher für "esoterische" Verschwörungstheorien anfällig sind. "Das halte ich auch intuitiv für überzeugend."

Butter stimmt Bartoschek darin zu, dass Menschen, die sich in eine politisch extreme Richtung bewegen, offener für Verschwörungen als Erklärung sind – das gelte für linke wie rechte Ideologien. Wenn sich diese Menschen zudem ungerecht behandelt und in der Gesellschaft an den Rand gedrängt fühlten, könne es geschehen, dass sie die Ursache dafür in eine Verschwörungstheorie auslagern. "Da sieht man auch eine Nähe zu den populistischen Bewegungen, die man in den letzten Jahren beobachtet. Trump in den USA oder Pegida und die AfD in Deutschland beispielsweise."

7. Wie gefährlich sind Verschwörungstheorien?

Laut einer Studie von Forschern der University of Western Australia aus dem Jahr 2013 tendieren Menschen, die Verschwörungstheorien anhängen, ebenfalls dazu, etablierte wissenschaftliche Theorien abzulehnen. Das beeinflusst unter Umständen auch individuelle Risikoentscheidungen, beispielsweise wenn man Rauchen für unschädlich hält oder Impfen für gefährlicher, als nicht zu impfen.

Michael Butter sieht insbesondere eine Gefahr bei Theorien, die Gruppen von Menschen stigmatisieren, etwa Migranten oder Juden. Das könne dazu führen, dass solche Menschen körperlich angegriffen werden. Es gebe aber auch Forscher, die glauben, Verschwörungstheoretiker könnten mit ihrer Skepsis durchaus Positives bewirken, falls sie auf echte Probleme hinweisen – wenn auch mit unwahren Argumenten.

Für Bartoschek spielt die Art der Verschwörungstheorie ebenfalls eine entscheidende Rolle. "Dass ein Mensch glaubt, Elvis lebt oder Lady Diana wurde ermordet, halte ich für die Persönlichkeit der Anhänger zwar für identitätsstiftend. Von diesen Ideen geht aber nicht dieselbe Gefahr aus wie von der 9/11-Verschwörung oder der um die Protokolle der Weisen von Zion." Auch hier fehlten leider gute Studien, betont der Psychologe.

8. Wie geht man am besten mit Verschwörungstheoretikern um?

Überzeugte Verschwörungstheoretiker seien sehr schwer zu erreichen, berichten Michael Butter und Sebastian Bartoschek. Butter verweist auf eine Studie aus dem Jahr 2015 zu Mythen um Grippeimpfungen. Diese legt nahe, dass Menschen mit starken Vorurteilen gegenüber der Impfung noch skeptischer werden, wenn man sie mit Gegenargumenten konfrontiert. Wie Bartoschek erörtert, sind Menschen, die zu Verschwörungstheorien neigen, anfangs noch für Fakten zugänglich: "Allerdings emotionalisiert sich die Funktion der Verschwörungstheorie häufig." Das erinnere an Prozesse, die man auch bei Sektenangehörigen beobachte. "Und da wird es dann gefährlich."

Der Psychologe empfiehlt, zunächst abzuwägen, wie wichtig einem der betreffende Mensch ist. Handelt es sich um einen Arbeitskollegen oder die eigene Mutter, sollte man deutlich machen, dass man nicht derselben Meinung ist. Man sollte sich aber nicht jedes Mal zu einer Diskussion hinreißen lassen, die dann vielleicht zu einem Streit führt.

Manchmal reiche es schon, höflich darauf hinzuweisen, was die jeweilige Verschwörungstheorie eigentlich bedeutet, und noch einmal um Rückversicherung zu bitten. Man könne beispielsweise fragen: Meinst du das wirklich ernst? Das bedeutet aber doch, dass deine Theorie klassisch antisemitisch ist. "Es ist erstaunlich, wie oft Diskussionen dann schon zu Ende gehen", so Bartoschek. Butter glaubt, man müsse zudem bei der Kompetenz in Medien, Geschichte, Kultur und Naturwissenschaften ansetzen: "Wenn man den Leuten zum Beispiel vermitteln kann, dass Geschichte nicht planbar ist, dass diese großen Verschwörungstheorien gar nicht funktionieren können, hätte man schon etwas gewonnen."

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