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Der mathematische Monatskalender: Roger Cotes und sein ambivalentes Verhältnis zu Isaac Newton

Isaac Newton sparte gerne mit Lob – nicht so bei Roger Cotes. Und doch war ihre Beziehung zueinander nicht immer harmonisch.
Zwei Holzfiguren, die sich gegenüber stehen mit Ausrufezeichen über dem Kopf
Roger Cotes bearbeitete zusammen mit Newton eine Neuauflage der »Principia« – das war nicht immer einfach.

»If he had lived, we might have known something«, soll Isaac Newton gesagt haben, als er vom Tod des erst 33-jährigen Roger Cotes erfuhr. Ein ungewöhnlicher Satz des alle überragenden Genies, der sonst nur selten ein anerkennendes Wort für seine Kollegen übrig hatte – erstaunlich auch deshalb, weil sich das Verhältnis zwischen Newton und Cotes zuletzt stark abgekühlt hatte.

Roger Cotes wurde als zweites von drei Kindern des Schulrektors der Gemeinde Burbage (zwischen Leicester und Coventry gelegen) geboren. Bereits während seines Schulbesuchs in Leicester fiel sein außergewöhnliches mathematisches Talent auf, was seinen Onkel, Reverend John Smith, veranlasste, sich persönlich um die Bildung seines Neffen zu kümmern. Als der Junge zwölf Jahre alt war, sorgte Smith für den Wechsel Rogers auf die berühmte St. Paul's School in London; in der regen Korrespondenz der folgenden Jahre zwischen Onkel und Neffen ging es vor allem um mathematische Themen.

1699 wurde Cotes als zahlender Student am Trinity College in Cambridge zugelassen, an dem Isaac Newton nur noch nominell die Stelle als Lucasian Professor innehatte. Tatsächlich war Newton von 1696 an als Warden beziehungsweise von 1700 an als Master of the Royal Mint, der Staatlichen Münze in London, tätig; seine Stelle in Cambridge gab er erst 1701 auf.

Nach seiner Bachelor-Prüfung im Jahr 1702 erhielt der überragende Cotes ein Stipendium (fellowship) zur Fortsetzung seines Studiums. Als dann 1704 – dank einer Stiftung von Thomas Plume, Erzdiakon von Rochester – der Lehrstuhl Plumian Professor of Astronomy and Experimental Philosophy an der Universität Cambridge eingerichtet wurde, fiel es Richard Bentley, Rektor des Trinity College, nicht schwer, sowohl Isaac Newton als auch William Whiston (dessen Nachfolger auf dem Lucasian Lehrstuhl) davon zu überzeugen, das nur einer für dieses Amt in Frage kam: Roger Cotes.

Nur John Flamsteed, der Astronomer Royal des Observatoriums in Greenwich und im Dauerstreit mit Newton und Edmond Halley, widersprach der Ernennung, hielt er doch seinen eigenen Assistenten für geeigneter. 1706 erfolgte dann – gleichzeitig mit der Verleihung des M.A.-Grads – die Ernennung von Cotes zum ersten Professor auf dem bis heute weltweit angesehenen Lehrstuhl. (Unter Cotes' Amtsnachfolgern findet man Berühmheiten wie George Bidell Airy und Arthur Eddington.)

Nach und nach richtete Cotes ein Observatorium über dem King's Gate der Universität ein; dort wohnte er auch, zusammen mit seinem Cousin Robert Smith, der sein Assistent wurde. Nach Cotes' Tod wurde Smith zweiter Inhaber des Lehrstuhls. Als Astronom entwickelte Cotes ein Teleskop zur Sonnenbeobachtung (mit Uhrwerk-Antrieb) und überarbeitete die Planetentafeln von Flamsteed und Jean-Dominique Cassini.

Während einer Sonnenfinsternis im April 1715 konnte Cotes wichtige Messungen an Sonnenflecken vornehmen; insgesamt blieben jedoch – in der kurzen Zeit seines Wirkens – seine Beiträge zur Astronomie hinter den Erwartungen zurück, die bei seiner Ernennung in ihn gesetzt wurden. Erwähnenswert sind allerdings seine (posthum veröffentlichten) theoretischen Überlegungen zur optimalen Auswertung von Messreihen – im Prinzip handelt es sich um die Methode der Minimierung der Fehlerquadrate.

Enge Zusammenarbeit mit Isaac Newton

Isaac Newton hatte 1687 seine »Principia« (Philosophiae Naturalis Principia Mathematica) nur in wenigen Exemplaren drucken lassen; in der Zwischenzeit waren etliche Fehler in dem Werk entdeckt worden, und nicht nur deshalb schien eine Revision der ersten Auflage überfällig.

Newton, der seine ganze Arbeitskraft in die neue Tätigkeit als Leiter der Staatlichen Münze gesteckt hatte, wollte eigentlich nur kleinere Korrekturen in einer Neuauflage vornehmen, aber Bentley überzeugte ihn schließlich davon, dass eine umfangreichere Bearbeitung notwendig sei, und dabei könne ihm Cotes helfen. So begann 1709 eine intensive Zusammenarbeit zwischen Newton und Cotes, die fast vier Jahre andauerte. Cotes legte Newton zahlreiche Textänderungen und Ergänzungen vor, mit denen dieser zunächst zögerlich umging, die er dann aber doch überwiegend akzeptierte. Außerdem verfasste Cotes ein zusätzliches Vorwort für die Neuauflage; in diesem zeigte er, dass die vorliegenden Beobachtungsdaten bezüglich des Mondumlaufs das newtonsche Gravitationsgesetz und das dritte keplersche Gesetz bestätigten und wie sich die Kometenbahnen durch Kegelschnitte (mit der Sonne im Brennpunkt) beschreiben lassen. Außerdem erläuterte er, warum die immer noch von vielen (unter anderem von Leibniz) für richtig gehaltene Wirbeltheorie von René Descartes nicht stimmen könne.

1713 endlich erschien die Neuauflage der »Principia« in einer Auflage von 750 Exemplaren (darüberhinaus wurden in Amsterdam weitere Bücher als Raubkopien gedruckt).

Cotes erhielt für seine intensive Tätigkeit als Koautor weder Lohn noch Dank – in der ursprünglichen Fassung von Newtons Vorwort hatte dieser Worte des Danks formuliert, sie aber wieder gestrichen, als es am Ende der Zusammenarbeit zu einer Verstimmung zwischen den beiden kam: Newton machte Cotes den Vorwurf, einen gravierenden Fehler in der Erstauflage der »Principia« übersehen zu haben.

Diesen Fehler hatte – während der Bearbeitungsphase der Neuauflage – ausgerechnet Johann Bernoulli gefunden, ein Mathematiker des leibnizschen Lagers. (Übrigens: Nach Fertigstellung der zweiten Auflage verschickte Newton mehrere Freiexemplare an Mathematiker, unter anderem an Pierre de Varignon, aber keines an Johann Bernoulli – mit der Begründung, dass er zu wenige Exemplare habe.)

Cotes' einzige Veröffentlichung

Während seines kurzen Lebens konnte Cotes, seit 1711 Mitglied der Royal Society, nur einen einzigen Beitrag veröffentlichen: »Logometria« erschien 1714 in den »Philosophical Transactions«. Er enthält unter anderem die Kettenbruchentwicklung [2,1,2,1,1,4,1,1,6,...] für die Basis e der napierschen Logarithmen und – 34 Jahre vor Leonhard Euler – die Herleitung der Gleichung: \( i\cdot \phi = \log(\cos(\phi) + i \cdot \sin(\phi))\)

Cotes starb – vermutlich nach einer Typhus-Infektion – im Alter von nicht einmal 34 Jahren; er hinterließ eine Fülle von Manuskripten, an denen erkennbar ist, welche gewaltigen Fortschritte sein weiteres Wirken für die Mathematik hätte auslösen können. Sein Cousin Robert Smith versuchte die Papiere zu ordnen; einen Teil davon veröffentlichte er 1722 unter dem Titel »Harmonia mensurarum«.

Diese Schrift enthält unter anderem umfangreiche Tabellen mit Stammfunktionen von verschiedenen gebrochen-rationalen Funktionen, die belegen, wie souverän Cotes mit logarithmischen, trigonometrischen und hyperbolischen Funktionen umgehen konnte. Mit Hilfe der Stammfunktionen bestimmte er Bogenlängen von speziellen Kurven sowie Oberflächen und Volumina von Rotationskörpern.

Auch untersuchte er mögliche Bahnen, auf denen sich Körper bewegen können, wenn auf sie Zentripetalkräfte einwirken, die im umgekehrten Verhältnis der Kuben ihrer Entfernungen stehen (so genannte Cotes-Spiralen). Cotes entdeckte unter anderem die folgenden Beziehungen zwischen Geometrie (Trigonometrie) und Algebra; diese wurden 1730 von Abraham de Moivre weiterentwickelt:

Satz von Cotes

Für \(n\) in gleichen Abständen auf dem Einheitskreis liegende Punkte \(A_0, A_1, A_2, ..., A_{n-1}\) und einen auf \(OA_0\) liegenden Punkt \(P\) mit \(OP=x\) gilt: \(PA_0\cdot PA_1 \cdot PA_2 \cdot ... \cdot PA_{n-1} = 1-x^n\).

Beweisidee: Da die Punkte \(A_0, A_1, A_2, ... , A_{n-1}\) symmetrisch zur x-Achse liegen, treten in dem links stehenden Produkt quadratische Faktoren auf, für die gemäß Kosinussatz gilt: \(PA_k^2 = 1-2x\cdot \cos\left( \frac{2k\pi}{n}\right) +x^2.\) Beispielsweise ergibt sich für \(n=3\):

\[ \begin{split} PA_0 \cdot PA_1 \cdot PA_2 &= PA_0\cdot PA_1^2 = (1-x)(1-2x\cdot \cos(2\pi/3) + x^2)\\ &= (1-x)(1+x+x^2) = 1-x^3 \end{split}\]

Der zweite Teil des Satzes enthält die von Cotes gefundene Lösung für die Zerlegung von \(x^{2n} +1\):

\[ \begin{split}x^{2n} +1 = &\left( x^2 -2x\cos\left(\frac{\pi}{2n}\right)+1\right)\cdot \left( x^2 -2x\cos\left(\frac{3\pi}{2n}\right)+1\right)\cdot \\ &... \cdot \left( x^2 -2x\cos\left(\frac{(2n-1)\pi}{2n}\right)+1\right)\end{split} \]

Beispiel: \(x^4 +1 = (x^2 -\sqrt{2}x+1)\cdot(x^2 + \sqrt{2}x+1)\)

Von Cotes stammen auch Formeln zur näherungsweisen Berechnung von Flächeninhalten durch Unterteilung der Flächen mit äquidistant liegenden Stützstellen (so genannte Newton-Cotes-Formeln), die 1750 von Thomas Simpson in »The Doctrine and Applications of Fluxions« veröffentlicht wurden.

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