Schlichting!: Der Klang des tropfenden Wassers
Das zuweilen nervtötende Geräusch eines tropfenden Wasserhahns ist nur zu gut bekannt. Dagegen hat sich noch kaum herumgesprochen, wie der charakteristische Ton beim Aufprall auf die Wasseroberfläche eigentlich entsteht. Denn es ist gar nicht der Kontakt selbst, der den Klang hervorbringt. Vielmehr braucht es dafür schwingende Luftblasen, die durch Wechselwirkungen beim anschließenden Eintauchen entstehen.
Der auftreffende Tropfen durchdringt die Wasseroberfläche nicht unmittelbar. Vielmehr dellt er sie wegen der relativ großen Grenzflächenspannung zwischen Wasser und Luft zunächst wie eine elastische Membran ein. Erst nachdem sie ringsherum wieder zurückschnellt, durchbricht der Tropfen die Oberfläche. Dabei treibt er einen kleinen Hohlraum in diese hinein, dessen Öffnung sich schließt, bevor die Luft wieder hinausgelangen kann.
»Und müssen Tropfen fallen, wenn wir entzückt werden sollen?«
Johann Wolfgang von Goethe, 1749–1832
Da eine Kugel die kleinste Oberfläche eines gegebenen Volumens besitzt, entsteht aus der unter Wasser eingesperrten Luftportion schnell eine Blase. Um getreu der Tendenz der Natur so viel Energie wie möglich an die Umgebung abzugeben (zweiter Hauptsatz der Thermodynamik), strebt sie Kugelgestalt an, in der die Grenzflächenenergie minimal ist. Dabei schießt das Wasser durch seine Trägheit gewissermaßen über sein Ziel hinaus und drückt die Blase kurzzeitig stärker zusammen, als es dem Gleichgewichtszustand entsprechen würde. Die komprimierte Luft dehnt sich daher anschließend wieder ähnlich kraftvoll aus, woraufhin in der Blase ein kleiner Unterdruck entsteht. So geht es einige Male hin und her – die Folge ist eine gedämpfte Schwingung.
Diese so genannte Volumenpulsation hat Marcel Minnaert erstmals 1933 beschrieben. Der belgische Astronom hat sich mit vielen Phänomenen der Alltagsphysik beschäftigt. Sein Grundgedanke: In Form der Blase schwingt die gut zusammendrückbare Luft im nahezu inkompressiblen Wasser. Letzteres wirkt wie eine effektive Masse, analog zu einem klassischen Feder-Masse-System. Mit den dafür üblichen Formeln konnte Minnaert die Schwingungsfrequenz f bestimmen. Unter normalem Luftdruck ermittelte er für eine Luftblase vom Radius r im Wasser den einfachen Zusammenhang f ≈ 3/r (r wird in der Einheit Meter eingesetzt und das Ergebnis mit Meter pro Sekunde multipliziert, um auf die richtige Einheit zu kommen). Rechnerisch ergeben sich Tonhöhen im hörbaren Bereich zwischen 20 000 und 20 Hertz für Blasenradien von 0,15 Millimeter bis zu 15 Zentimeter. Manchmal schnüren sich von der Hauptblase Tochterblasen ab und geraten ebenfalls in Schwingungen. Weil sie meist kleiner sind, erzeugen sie Töne höherer Frequenz, die das ganze Ereignis unter Umständen akustisch bereichern.
Im Alltag beobachtet man außerdem meist einen oder mehrere neue Tropfen, die von der Wasseroberfläche emporspringen und wieder zurückfallen. Aus einem vollen Trinkglas als Zielgefäß können sie sogar heraushüpfen. Dennoch reicht die Energie der Sekundärtropfen nicht aus, um ihrerseits den typischen Klang zu erzeugen. Für hörbare Töne ist also nicht nur eine bestimmte Größe nötig, sondern außerdem eine Mindestfallhöhe. Das lässt sich leicht experimentell nachvollziehen, etwa mit einer Einwegspritze: Bei zu geringem Abstand zum Wasser verschwindet aus ihr heraus getropfte Flüssigkeit relativ geräuscharm.
Obwohl kein Fall dem anderen gleicht und jede Blase etwas anders aussieht, ist das Klangbild als solches unverkennbar. Dazu gehört eine zum Ende ansteigende Tonhöhe. Das kommt daher, dass die Blase nicht in Ruhe schwingt, sondern währenddessen je nach ihrer Größe mehr oder weniger schnell nach oben und zurück ins luftige Element strebt. Mit kleinerem Abstand zur Wasseroberfläche nimmt im Feder-Masse-Modell die effektive Masse um die Blase ab, und darum erhöht sich die Frequenz des ausgesendeten Tons. Während eine Blase, die bis zum etwa Zehnfachen ihres Radius komplett eingetaucht ist, bis dicht unter die Oberfläche gelangt, steigt die Tonhöhe rechnerisch um den Faktor Wurzel zwei. Auch das kann man in einem einfachen Versuch hörbar machen: Pustet man mit einem Strohhalm Luft in ein Gefäß mit Wasser, bringt das Blubbern dicht unter der Oberfläche deutlich höhere Töne hervor als bei tieferem Eintauchen.
Lange Zeit haben die Physiker stillschweigend unterstellt, dass der im Wasser entstehende Schall an unser Ohr gelangt, indem er einfach durch das Wasser hindurch und danach über die Luft weitertransportiert wird. Wie Forscher der University of Cambridge jedoch 2018 gezeigt haben, ist der Vorgang etwas komplizierter. Zunächst koppelt die Unterwasserblase direkt an die in der Nähe befindliche Wasseroberfläche. Letztere wirkt daraufhin gewissermaßen als schwingende Membran, welche den Schall effektiv und nahezu unverzerrt auf die Luft überträgt. Erst von dort aus läuft er durch die Luft zu unserem Ohr.
Beim Aufprall des Tropfens auf die Wasserschicht passiert freilich noch einiges mehr. Beispielsweise streben kleine Rippel radial von der Auftreffstelle nach außen. Diese Kapillarwellen sind aber zu langsam, um ein hörbares Geräusch abzugeben. Weitere akustische Begleiterscheinungen tragen ebenfalls nur wenig zum typischen Klang bei.
Die Grenzflächenspannung von Wasser spielt insgesamt eine entscheidende Rolle. Das legt gleichzeitig eine einfache Maßnahme nahe, wie man den Effekt abmildern kann, sollte sich ein tropfender Hahn einmal nicht abstellen lassen. Spülmittel sorgt für Entspannung beim darunter befindlichen Wasser – und daraufhin hoffentlich auch beim Zuhörer.
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