Astronomie für Einsteiger: Die beiden Magellanschen Wolken
Bei dem ersten Versuch, von Europa aus westwärts – über den Atlantik segelnd – Indien zu erreichen, hatte Christoph Kolumbus 1492 eine Insel der Bermudas entdeckt, aber sein eigentliches Ziel verfehlt. Den nächsten Versuch startete Ferdinand Magellan im Jahr 1519 mit 270 Mann Besatzung auf insgesamt fünf Schiffen. Er fand die Passage zwischen dem südamerikanischen Kontinent und der Insel Feuerland, die heute als Magellan-Straße bekannt ist. Ihre geografische Breite ist –53 Grad.
Magellans Tagebuch ist leider verloren gegangen, aber nicht jenes des ihn begleitenden Italieners Antonio Pigafetta. Darin werden zwei helle Wolken erwähnt, tief im Süden des südlichen Sternenhimmels. Vermutlich haben Magellan und seine Gefährten die beiden hellen Wolken schon bemerkt, als sie sich noch nördlich des Äquators befanden. Magellan konnte nicht ahnen, dass die beiden Wolken sich dereinst als Satelliten des Milchstraßensystems erweisen würden.
Von der 1519 gestarteten Flotte kehrte nur ein Schiff nach insgesamt drei Jahren zurück. Die 17 Überlebenden waren die ersten Weltumsegler! Magellan selbst hatte auf den Philippinen in einer Auseinandersetzung mit den Inselbewohnern den Tod gefunden.
Trabanten der Galaxis
Die beiden hellen Wolken werden heute allgemein als Große Magellansche Wolke (LMC, Large Magellanic Cloud) und Kleine Magellansche Wolke (SMC) bezeichnet. Sobald genügend große Teleskope zur Verfügung standen, erkannte man, dass es sich bei ihnen um Sternsysteme handelt, die als Satelliten das Milchstraßensystem umkreisen. Die LMC ist etwa 180 000 Lichtjahre von uns entfernt, die SMC 190 000 Lichtjahre. Beide sind in eine gemeinsame Gashülle aus neutralem Wasserstoff eingebettet und ziehen einen langen Gasschweif hinter sich her, den "Magellanschen Strom".
Die 11 x 9 Grad große LMC besitzt eine absolute Blauhelligkeit von –18,5 mag. Sie leuchtet also nur um 2 mag schwächer als das Milchstraßensystem. Die Absoluthelligkeit der 5 x 3 Grad messenden SMC beträgt –17,4 mag. Es ist also nicht richtig, die LMC und SMC als Zwerggalaxien zu klassifizieren, wie es hin und wieder geschieht. Als Zwerggalaxien werden im Allgemeinen Galaxien mit Absoluthelligkeiten schwächer als –16 mag bezeichnet.
Gravitative Wechselwirkungen, sowohl zwischen den beiden Magellanschen Wolken selbst wie auch zwischen ihnen und dem Milchstraßensystem, haben zu verstärkter Sternentstehung geführt. Modellrechnungen ergaben, dass die beiden Wolken vor etwa 200 Millionen Jahren zusammengestoßen sind oder dass sie sich sehr nahe begegnet sind. Die Kleine Magellansche Wolke wurde dadurch in zwei Teile auseinander gerissen, die sich nun in unserer Blickrichtung hintereinander befinden und etwa 30 000 Lichtjahre voneinander entfernt sind.
Die Große Magellansche Wolke
In der LMC lassen sich drei Komponenten erkennen: Ein aus alten roten Sternen bestehender Balken, eine zentrale Scheibe mit einigen hundert HII-Regionen sowie ein Gas- und Sternhalo, dem sehr alte Kugelsternhaufen und RR-Lyrae-Sterne angehören. Das großartigste Objekt in der LMC ist der Tarantelnebel NGC 2070, der auch unter der Bezeichnung 30 Doradus (Schwertfisch) bekannt ist. Der Name "Tarantelnebel" geht auf eine Zeichnung Herschels aus dem Jahr 1847 zurück.
Der Tarantelnebel hat eine Ausdehnung von etwa 3000 Lichtjahren. Weder im Milchstraßensystem noch in der Andromedagalaxie oder irgendeiner anderen Galaxie in der Lokalen Gruppe von Galaxien gibt es eine ähnlich große HII-Region. In ihr ist etwa die Hälfte des in der ganzen LMC enthaltenen Wasserstoffs vereinigt. Das Zentrum des Tarantelnebels ist ein riesiger junger Sternhaufen (130 Lichtjahre Durchmesser), der ebenfalls als NGC 2070 bezeichnet wird. Sein innerster Kern heißt R136. Ursprünglich wurde er als einzelner Stern angesehen und trug die Bezeichnung HD 38268. Vor etwa 30 Jahren konnte dieses Objekt in die drei Komponenten R136a, R136b und R136c aufgelöst werden. Erst mit dem Weltraumteleskop Hubble wurde jede dieser Komponenten in mehrere Einzelsterne aufgelöst. Insgesamt enthält der Sternhaufen etwa 1500 B-Sterne mit Massen zwischen fünf und 20 Sonnenmassen, 400 O-Sterne mit mehr als 20 Sonnenmassen und 17 Wolf-Rayet-Sterne. Unter den O-Sternen gibt es auch etliche O3-Sterne. Dieser Sternhaufen enthält erheblich mehr junge Sterne als die Cygnus OB2-Assoziation in unserem Milchstraßensystem.
Die Kleine Magellansche Wolke
Auch die SMC enthält etliche rote HII-Regionen, aber kein Objekt, das mit dem Tarantelnebel in der LMC verglichen werden könnte. Außerdem enthält die SMC etwa 15 Kugelsternhaufen, einige OB-Assoziationen und offene Sternhaufen. Der benachbarte Kugelsternhaufen 47 Tucanae ist jedoch ein galaktisches Objekt.
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