Positive Psychologie: Die fünf großen Fragen der Glücksforschung
Wo leben die glücklichsten Menschen?
Wirtschaftskrisen, Kriege, Gewalt, Hunger, Armut, Diskriminierung – angesichts solcher Umstände liegt der Gedanke nahe, dass das Glück auf der Welt nicht gleich verteilt ist. Im Rahmen des »World Happiness Report« untersuchen Wissenschaftler seit einigen Jahren im Auftrag der Vereinten Nationen regelmäßig, wie es um die Lebenszufriedenheit der Menschen bestellt ist. Die besten Chancen auf Glück hat man dem »World Happiness Report 2019« zufolge in Finnland: Hier sind die Menschen im internationalen Vergleich zwischen 157 Ländern insgesamt am zufriedensten. Beinahe genauso glücklich sind die Einwohner von Dänemark, Norwegen und Island. Danach folgen (in absteigender Reihenfolge) die Niederlande, die Schweiz, Schweden, Neuseeland, Kanada und Österreich. Deutschland schafft es immerhin auf Platz 17. Die Schlusslichter auf der Glücksskala bilden Afghanistan, die Zentralafrikanische Republik und Südsudan.
Frauen schätzen ihr Leben weltweit insgesamt etwas positiver ein als Männer. Zu diesem Ergebnis kommt – mit einigen wenigen Ausnahmen in einkommensschwachen Ländern – auch eine Untersuchung von Carol Graham und Soumya Chattopadhyay von der University of Maryland, die einen genaueren Blick darauf warfen, wie gleichmäßig das Glück auf der Welt zwischen den Geschlechtern verteilt ist. Auch in der Lebenszufriedenheit von Jung und Alt konnten zumindest die Autoren des »World Happiness Report 2015« einige Unterschiede ausmachen. Diese schwankten allerdings von Region zu Region deutlich. In den meisten Fällen waren die jüngeren Befragten am glücklichsten, zur Lebensmitte hin sank der Zufriedenheitspegel ein wenig ab.
Was macht uns zufrieden?
Was macht uns wirklich glücklich? Familie? Freunde? Bildung? Geld? Gesundheit? Tatsächlich leisten all diese Dinge – und noch viele, viele mehr – einen Betrag zu unserem Wohlbefinden. Das zeigen auch die Ergebnisse des »World Happiness Report«: Insgesamt führen die Forscher einen Großteil der beobachteten Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern auf Unterschiede beim Einkommen, bei der sozialen Unterstützung und bei den zu erwartenden gesunden Lebensjahren zurück. Vertrauen, Großzügigkeit und die empfundene Freiheit in Lebensentscheidungen spielten ebenfalls eine wichtige Rolle.
Wie misst man eigentlich Glück?
Kein Frage: Glück ist stets eine sehr persönliche Sache. Man kann es kaum objektiv messen, und so sind Forscher in aller Regel auf die Selbsteinschätzung ihrer Probanden angewiesen. Um das so genannte subjektive Wohlbefinden (»subjective well-being«) zu erfassen, wenden sie im Idealfall gleich zwei verschiedene Methoden an: Zum einen fragen sie ihre Teilnehmer, wie zufrieden diese insgesamt mit ihrem Leben sind. Zum anderen untersuchen sie aber auch noch das aktuelle Verhältnis von positiven und negativen Gefühlen. In großen, weltweiten Vergleichsstudien sind allerdings oft nicht für alle Länder beide Datensätze verfügbar. Der »World Happiness Report« konzentriert sich daher zum Beispiel hauptsächlich auf die Einschätzung der allgemeinen Lebenszufriedenheit.
Sich einzelne Faktoren herauszupicken und ihre Einflussgröße zu bestimmen, ist allerdings schwierig. Betrachtet man ihre Effekte auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, wird klar, dass sie einzeln manchmal weniger zu unserem Glück beitragen als angenommen. So sind Kinder beispielsweise durchaus ein zweischneidiges Schwert in Sachen Zufriedenheit: Sicher gibt es viele Menschen, die ihre Kinder als das Beste betrachten, was ihnen in ihrem Leben je passiert ist. Auf der anderen Seite können sie aber der Quell von Stress und Problemen sein. Insgesamt, so zeigen Studien, ist der Glücksunterschied zwischen Eltern und kinderlosen Personen nicht besonders groß – die Autoren des »World Happiness Report 2016« beobachten auf weltweiter Ebene sogar einen negativen Zusammenhang zwischen Zufriedenheit und Elternschaft, vor allem bei den Müttern.
Wie sich Nachwuchs auf die Lebenszufriedenheit auswirkt, hängt auch mit zahlreichen Umweltfaktoren wie der finanziellen Situation und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusammen. So zeigt etwa eine Untersuchung von Matthias Pollmann-Schult vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, dass nur solche Mütter glücklicher sind als kinderlose Frauen, die halbtags arbeiten oder ganz daheim bleiben können. Andere Studien belegen ebenfalls, dass Eltern vor allem dann zufriedener sind, wenn sie sich wirklich engagiert um ihr Kind kümmern.
Auch Geld allein macht nicht glücklich – auf diese Binsenweisheit haben sich Wissenschaftler inzwischen ebenfalls mehr oder weniger geeinigt. So verschafft ein hohes Einkommen vermutlich höchstens innerhalb gewisser Grenzen Hochgefühle; spätestens bei Menschen, die steinreich sind, ändert die eine oder andere Million auf dem Konto schließlich kaum noch etwas an der persönlichen Glücksbilanz.
Wer finanziell gut abgesichert ist, berichtet aber zumindest von weniger unglücklichen Momenten in seinem Leben, wie Wissenschaftler um Kostadin Kushlev von der University of British Columbia in Kanada herausfanden. Und ein Team um Elizabeth Dunn, ebenfalls von der University of British Columbia, behauptet gar: Wen sein Geld nicht wenigstens ein kleines bisschen zufriedener macht, der gibt es vielleicht einfach nur nicht richtig aus. Das tut man in den Augen der Forscher etwa, indem man es statt in materielle Güter lieber in unvergessliche Erlebnisse investiert oder anderen damit eine Freude macht.
Welche Rolle spielen unsere Gene?
Auch wenn es zunächst überraschend erscheinen mag: Einen wesentlich größeren Einfluss auf unser Glück als Geld oder Familie haben offenbar unsere Gene. Forscher vermuten, dass sie eine Art Basislevel für die Lebenszufriedenheit festlegen, der sich anschließend nach oben oder unten verändern kann. Inzwischen deuten zahlreiche Untersuchungen in diese Richtung. So zeigen etwa Zwillingsstudien, dass eineiige Zwillinge stärkere Gemeinsamkeiten hinsichtlich ihrer Lebenszufriedenheit aufweisen als zweieiige. Da Zwillinge meist unter sehr ähnlichen Bedingungen aufwachsen, legt dies eine genetische Glückskomponente nahe. Und auch zwischen Kindern, Eltern und Großeltern konnten Forscher bereits bestimmte Gemeinsamkeiten beobachten.
Große Genstudien stützen diese These. So konnten Eugenio Proto und Andrew Oswald von der britischen University of Warwick zeigen, dass Bevölkerungsgruppen, die den besonders glücklichen Einwohnern Dänemarks insgesamt genetisch besonders ähnlich sind, meist ebenfalls zufriedener durchs Leben gehen.
Warum interessieren sich Forscher überhaupt für unsere Zufriedenheit?
Eine naheliegende Antwort auf diese Frage lautet sicherlich: weil Wissenschaftler auch nur Menschen sind und sich auch einmal mit den schönen Seiten des Lebens befassen wollen. Abgesehen davon hoffen sie damit aber psychischen Erkrankungen in Zukunft besser vorbeugen zu können. Denn kaum etwas wappnet uns besser gegen Schicksalsschläge als eine positive Lebenseinstellung. Glückliche Menschen trotzen zudem körperlichen Leiden leichter und haben eine höhere Lebenserwartung. Auch viele Regierungen betrachten die Zufriedenheit der Bevölkerung inzwischen als ein Maß für gesellschaftlichen Fortschritt. Es wurde bereits diskutiert, ob neben dem Bruttoinlandsprodukt eine Art »Bruttonationalglück« als bessere Messgröße für die Lebensqualität in einem Land hermuss. Manche Staaten haben sogar ein »Recht auf Glück« oder ein »Recht auf das Streben nach Glück« in ihrer Verfassung verankert.
Wie stark die Gene unser Glück tatsächlich beeinflussen, ist noch unklar. Das hängt auch mit den komplexen Wechselwirkungen von genetischen Ursachen und Umweltfaktoren zusammen. Sonja Lyubomirsky von der University of California in Riverside und ihre Kollegen schlagen ein Modell vor, dem zufolge rund 50 Prozent unserer Lebenszufriedenheit erblich bedingt ist. Die übrigen 50 Prozent werden durch unsere Lebensumstände (10 Prozent) und unsere eigenen Handlungen und Einstellungen (40 Prozent) bestimmt. Es gibt aber auch Forscher, die glauben, der Einfluss unserer Gene sei noch größer.
Aber warum machen »gute« Gene uns offenbar glücklicher? Auch diese Frage gibt Wissenschaftlern bislang noch viele Rätsel auf, sie haben aber ein paar Theorien: So konnten einige Forscher beispielsweise einen auffälligen Zusammenhang zwischen unserem erblich bedingten Glückslevel und unseren Persönlichkeitseigenschaften beobachten, deren Ausprägung zu einem gewissen Grad ebenfalls von unseren Genen abhängt. Proto und Oswald, die Autoren der »Dänen-Studie«, führen den Effekt aus ihrer Untersuchung dagegen darauf zurück, dass die Bewohner Dänemarks – und jene, die besonders nah mit ihnen verwandt sind – offenbar seltener eine Mutation in ihrem Erbgut aufweisen, die die Wiederaufnahme des »Glückshormons« Serotonin erhöht. Eine Studie aus dem Jahr 2016 macht auch spezielle genetische Varianten eines Cannabinoid-Rezeptors für die individuellen Glücksunterschiede verantwortlich.
Die Beispiele zeigen: Die genetischen Grundlagen des Glücks sind komplex. Letztlich wird wohl ein Zusammenspiel von vielen verschiedenen Faktoren dafür sorgen, dass manche Menschen vielleicht von Grund auf etwas zufriedener durchs Leben gehen als andere.
Warum macht uns Glück manchmal Angst?
Hand aufs Herz: Wir Menschen sind nicht dazu gemacht, unser ganzes Leben lang nur auf Wolke sieben zu schweben. Erleben wir außergewöhnliche Glücksmomente, sind wir uns oft darüber im Klaren, dass unsere Euphorie vergänglich ist. Irgendwann gewöhnen wir uns an alles, an den Traumjob, den Lottogewinn, ja sogar an die große Liebe, und aus »glücklich« wird schließlich »normal«. Forscher bezeichnen dieses Phänomen, nach einem besonders positiven, dankbarerweise aber auch nach einem negativen Lebensereignis immer wieder zu einem relativ stabilen Glückslevel zurückzukehren, auch als »hedonistische Adaption« – oder als "hedonistische Tretmühle", weil wir uns fortwährend abstrampeln, um noch glücklicher zu werden, letztlich aber nicht vom Fleck kommen.
Manchen Menschen bereitet allerdings der Gedanke, dass sie das Glück wieder verlieren und in ein Gefühlstief fallen könnten oder dass sie ihr Glück ohnehin nicht verdient hätten und sich vor Neidern in Acht nehmen müssten, so viele Sorgen, dass sie sich regelrecht davor fürchten und Hochgefühle kaum noch genießen. Wissenschaftler nennen dieses Phänomen inzwischen »fear of happiness« – die Angst vor dem Glücklichsein. Warum manche Menschen so empfinden, kann vielfältige Gründe haben. Bei einigen der Betroffenen, die die Forscher bislang untersuchten, war Glück etwa in der Vergangenheit stets an Schuldgefühle geknüpft, andere wurden wiederum als Kind häufig in ihren positiven Erwartungen enttäuscht.
Die Glücksangst scheint auch mit Depressionen zusammenzuhängen: Laut manchen Studien zeigen Personen, die einen starken Hang zur »fear of happiness« aufweisen, oft vermehrt depressive Symptome. Was hier Ursache und Wirkung ist, ist jedoch noch unklar: Vielleicht versuchen Menschen, die sich vor Hochgefühlen fürchten, diese gezielt zu unterdrücken und erkranken leichter an einer Depression. Es wäre aber genauso möglich, dass die Angst vor dem Glücklichsein Folge oder Begleiterscheinung einer solchen Erkrankung ist.
Wie zeigt sich Glück im Gehirn?
Was passiert im Gehirn, wenn wir glücklich sind? Welche Hirnregionen, welche Botenstoffe sind an unseren Hochgefühlen beteiligt? Über diese Fragen wurden bereits ganze Bücher verfasst, sie lassen sich nicht einfach so in ein paar Absätzen umfassend erklären. Die Neurobiologie des Glücks ist komplex – und wie die meisten Vorgänge im Gehirn haben wir sie längst noch nicht vollständig verstanden. Eine zentrale Rolle bei unseren Glücksgefühlen und dem Drang, uns immer wieder genau den Dingen zuzuwenden, die uns wirklich zufrieden machen, spielt sicher unser Belohnungssystem. Es besteht aus einer ganzen Reihe von Hirnarealen, die vor allem über den Botenstoff Dopamin miteinander kommunizieren.
Was genau im Gehirn passiert, hängt aber auch damit zusammen, welchen Teilaspekt von Glück wir uns anschauen. Wie verschiedene Studien an Menschen und Tieren zeigen, wird vor allem das ventrale Striatum – und hier vor allem der Nucleus accumbens, eine Struktur tief im Inneren des Gehirns – aktiv, wenn wir akute Hochgefühle erleben. Dieses Areal kommuniziert dann zudem verstärkt mit Teilen des präfrontalen Kortex und der Amygdala. Das ist etwa der Fall, wenn man Probanden bittet, sich im Hirnscanner vorzustellen, sie hätten gerade im Lotto gewonnen.
Auch im Hinblick auf andauerndes Glück könnten diese Hirnregionen eine wichtige Rolle spielen. So zeigen Untersuchungen beispielsweise, dass Menschen, bei denen das ventrale Striatum und der präfrontale Kortex besonders ausdauernd auf positive Stimuli reagieren, letztlich zufriedener durchs Leben gehen. Das heißt, beide Areale feuern auch dann noch unermüdlich, wenn man ihnen sozusagen ein positives Erlebnis nach dem anderen präsentiert. Bei Menschen mit einer Depression ist das häufig anders: Ihre Glücksantwort ebbt bei entsprechenden Versuchen nach einer gewissen Zeit ab.
*Anm. d. Red.: Dieser Artikel wurde am 27.3.2019 im ersten Abschnitt redaktionell überarbeitet, um die Daten des aktuellen »World Happiness Report 2019« miteinzubeziehen.
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