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Der Mathematische Monatskalender: Ferdinand von Lindemann, der Bezwinger von Pi

Seine bedeutendste wissenschaftliche Arbeit drehte sich um die Natur der Kreiszahl Pi. Neidische Kollegen behaupteten, Lindemann hätte damit einfach nur Glück gehabt – und machten ihm das Leben schwer.
Symbolbild von Pi
Lindemann konnte beweisen, dass Pi transzendent ist.

Der mathematische Monatskalender

Ihre wissenschaftlichen Leistungen sind weit verbreitet, doch wer waren die Mathematik-Genies, die unser Verständnis der Welt nachhaltig prägten? Für seine Schüler hat Heinz Klaus Strick, ehemaliger Leiter des Landrat-Lucas-Gymnasiums in Leverkusen-Opladen, den »mathematischen Monatskalender« geschrieben und mit passenden Briefmarken der vorgestellten Personen ergänzt. Alle spannenden Lebensläufe, skurrilen Porträts und unglaublichen Geschichten hinter den namhaften Persönlichkeiten finden Sie nun auch hier.

Im Alter von 30 Jahren hatte er einen glänzenden Einfall, der ihm Weltruhm einbrachte. James Joseph Sylvester bezeichnete ihn als Bezwinger von π – was in seinen Augen »ein stolzerer Titel ist, als wenn er der Sieger von Solferino oder Sadowa gewesen wäre«. (Solferino bezeichnet die Entscheidungsschlacht 1859 zwischen Österreich, Sardinien und Frankreich um die Unabhängigkeit Italiens; Sadowa die Schlacht 1866 zwischen Österreich, Sachsen und Preußen in der »deutschen Frage«).

Die Rede ist von Carl Louis Ferdinand Lindemann, der 1882 bewies, dass die Kreiszahl π nicht Lösung einer algebraischen Gleichung sein kann, demnach also eine transzendente Zahl ist. Eine Folgerung hieraus ist, dass die so genannte Quadratur des Kreises nicht möglich ist: Die Umwandlung eines Kreises in ein flächengleiches Quadrat kann nicht durch Konstruktion mit Zirkel und Lineal allein erfolgen.

Ferdinand Lindemann wurde 1852 in Hannover geboren. Sein Vater war Lehrer für moderne Fremdsprachen am örtlichen Gymnasium, seine Mutter Emilie war eine Tochter von Christian Crusius, Lehrer für alte Fremdsprachen am Gymnasium und berühmt als Herausgeber eines Homer-Wörterbuchs.

1854 hatte ein Bruder des Vaters mit Hilfe englischer Ingenieure in Schwerin eine Gasfabrik aufgebaut, für die er dringend die Unterstützung einer verantwortungsvollen Person benötigte, die der englischen Sprache mächtig war. So kam es, dass Ferdinand Lindemanns Vater mit seiner Familie nach Mecklenburg umsiedelte und eine leitende Stelle in der Gasfabrik seines Bruders übernahm.

Da dem Vater das Anspruchsniveau des Unterrichts in der Volksschule nicht genügte, übernahm er kurzerhand selbst die schulische Ausbildung seines Sohnes – mit dem Erfolg, dass der offensichtlich für Mathematik begabte Sohn im Alter von acht Jahren neben dem Dreisatz auch bereits elementare algebraische Umformungen mit Variablen und grundlegende Konstruktionen mit Zirkel und Lineal beherrschte.

Die Abiturprüfung am Schweriner Gymnasium bestand Ferdinand als Klassenbester. Der Vater versuchte, seinen Sohn für ein Studium der Altphilologie zu erwärmen; er war aber dann auch mit der Entscheidung für die Fächer Mathematik und Astronomie einverstanden. Zum Wintersemester 1870/71 schrieb sich Ferdinand an der Universität Göttingen ein. Wegen gesundheitlicher Probleme wurde er nicht zum Kriegsdienst einberufen (Deutsch-Französischer Krieg) und konnte daher sein Studium beginnen.

Herausragender Student

In Geometrie besuchte Lindemann die Vorlesung von Alfred Clebsch; dieser starb überraschend im November 1872 im Alter von nur 39 Jahren nach einer Diphterie-Infektion. Der Dozent, der mit der Fortführung der Vorlesung beauftragt wurde, war erleichtert, dass Lindemann ihm eine mustergültige Ausarbeitung seiner Mitschrift zur Verfügung stellen konnte. Als Vorsitzender des Mathematischen Vereins, einer Vereinigung, die in Konkurrenz zu den Burschenschaften stand, organisierte Lindemann die Totenwache der Studentenschaft am Sarg des verstorbenen Professors.

Bereits zuvor war Lindemann dem nur drei Jahre älteren Göttinger Privatdozenten Felix Klein aufgefallen, der sich 1871 bei Clebsch habilitiert hatte. Als Klein gebeten wurde, die Geometrievorlesungen Clebschs auszuarbeiten und als Buch herauszugeben, übernahm er den Auftrag, gab ihn jedoch sofort weiter: Für diese anspruchsvolle Arbeit kam für ihn nur Lindemann in Frage. Das Werk mit aktualisierten Ergänzungen erschien 1876; der allgemein als »Clebsch-Lindemann« bezeichnete Band blieb einige jahrzehntelang Standardlektüre für Studierende der Mathematik.

Klein hatte 1872 eine Professur in Erlangen angenommen, und Lindemann war ihm gefolgt, da er parallel zur Arbeit am Buch bei Klein promovieren wollte. Im Sommersemester 1873 legte Lindemann seine Dissertation zur Bewegung eines starren Körpers in einer nicht euklidischen Geometrie vor (»Über unendlich kleine Bewegungen und Kraftsysteme bei allgemeiner projektivischer Maßbestimmung«) – weniger als drei Jahre nach Beginn seines Studiums.

Lindemann folgte Klein 1875 auch nach dessen Wechsel an die Polytechnische Schule in München (heute: TU München), um dort zu habilitieren; allerdings war dies zum damaligen Zeitpunkt nur an Universitäten möglich. Der bayerische Kultusminister fand eine Lösung für das Problem: Lindemann erhielt zunächst ein Stipendium für eine Studienreise nach England und Frankreich, danach erfolgte – auf der Grundlage des inzwischen erschienenen Geometriebuchs – die Habilitation an der Universität Würzburg. Der Privatdozent Lindemann blieb dort nicht lange, 1877 nahm er einen Ruf auf eine außerordentliche (ab 1879 dann ordentliche) Professur in Freiburg an.

Ist Pi transzendent?

Während seines Studienaufenthalts in Paris hatte Lindemann auch engen Kontakt zu Charles Hermite, der 1873 bewies, dass die eulersche Zahl e eine transzendente Zahl ist. Vergeblich hatte sich Hermite bemüht, die Vorgehensweise seines Unmöglichkeitsbeweises auch bei der Kreiszahl π anzuwenden, und auch Lindemann hatte nach seiner Begegnung mit Hermite ständig darüber nachgedacht. Am 12. April 1882, an seinem 30. Geburtstag, war es dann so weit: Während eines längeren einsamen Spaziergangs kam Lindemann der ersehnte Einfall, wie sich der Ansatz von Hermite auch für π anwenden lässt.

Lindemann brachte seine Idee zu Papier und sandte dies an Klein zur Veröffentlichung im renommierten Journal »Mathematische Annalen«. Dieser fand keinen Fehler, blieb aber misstrauisch; auch Paul Gordan in Erlangen und Georg Cantor in Halle waren unsicher, ob der Beweis nicht doch vielleicht unvollständig sei. Karl Weierstraß in Berlin hingegen bestätigte, dass Lindemann tatsächlich der Beweis gelungen war, und veranlasste – nach Rücksprache mit Lindemann – die sofortige Verbreitung des Papiers.

Die internationale Anerkennung folgte unmittelbar, unter anderem durch Hermite und Sylvester, aber auch das Gerücht verbreitete sich schnell, dass der Beweis doch nicht vollständig gewesen sei und erst Weierstraß ihn vervollständigt habe. In seinem Papier hatte Lindemann die Möglichkeit einer Verallgemeinerung angedeutet, aber nicht konkret ausgeführt. Das gelang Weierstraß unmittelbar danach, außerdem konnte er später den ursprünglichen Beweis von Lindemann vereinfachen.

Lindemanns plötzlicher Ruhm führte zum großzügigen Angebot eines Lehrstuhls in Königsberg. Bei seinen Verhandlungen über die Stelle erreichte er, dass gleichzeitig mit ihm Adolf Hurwitz, ein weiterer Doktorand Kleins, eine außerordentliche Professur an der angesehenen ostpreußischen Universität erhielt. (Wegen seiner jüdischen Abstammung hatte Hurwitz – trotz seiner außerordentlichen fachlichen Kompetenz – Probleme, eine angemessene Stelle zu finden.) In den zehn Jahren seiner Tätigkeit in Königsberg betreute Lindemann zahlreiche Doktoranden, darunter waren Hermann Minkowski, David Hilbert und Arnold Sommerfeld.

In seine Königsberger Zeit fällt auch die Eheschließung mit Lisbeth Küssner, einer erfolgreichen Schauspielerin, die ihm später dabei half, unter anderem Werke von Henri Poincaré ins Deutsche zu übersetzen.

Großer Druck und Kritik

1893 nahm Lindemann einen Ruf an die Ludwig-Maximilians-Universität in München an, wo er über seine Emeritierung (1923) hinaus bis zu seinem Lebensende (1939) äußerst erfolgreich tätig war. 1894 wurde er in die Bayerische Akademie der Wissenschaften aufgenommen; nach verschiedenen Ehrungen durch den bayerischen König wurde er 1918 in den Adelsstand erhoben (Ritter von Lindemann). Als Leiter des Verwaltungsaussschusses der Universität (1908–1932) trug er mit dazu bei, den Universitätsbetrieb auch in unruhigen Zeiten (Räterepublik) aufrechtzuerhalten.

Anlässlich der Feier zu seinem 70. Geburtstag im Jahr 1922 stellte sein ehemaliger Schüler Oskar Perron fest, dass der von seinen Studenten sehr verehrte Hochschullehrer Lindemann insgesamt über 60 Doktoranden betreut hatte.

Während seiner Zeit in München verfasste Lindemann eine Reihe von Beiträgen; keiner hatte die Bedeutung wie der zur Kreiszahl π, was neidische Kollegen zu der böswilligen Aussage verleitete, Lindemann habe mit seiner Entdeckung einfach nur Glück gehabt. Dies wiederum erhöhte den Druck auf ihn, einen weiteren spektakulären Beitrag zu liefern. Seine Versuche, Fermats letzten Satz zu beweisen, scheiterten, was seine Gegner in ihrer Meinung bestärkte. Abfällige Bemerkungen von Kollegen trugen mit dazu bei, dass Lindemann deutschen Mathematiker-Versammlungen fernblieb; andererseits wurde er wegen seiner Verdienste um internationale Wissenschaftsbeziehungen von der University of St Andrews durch eine Ehrendoktorwürde geehrt.

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