Schlichting!: Physik des Osterfeuers
Flammen züngeln nach oben, das brennende Holz knistert, Funken sprühen in wilden Wirbeln, die Gesichter glühen im warmen Schein. Menschen erleben bei der Betrachtung eines Osterfeuers eine der elementaren Urgewalten.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Feuer ein Naturphänomen, das eine Vielzahl fundamentaler physikalischer und chemischer Vorgänge verbindet – insbesondere in diesem großen Format. Ein hoher Stapel festen Materials geht in flüchtigen Rauch und Flammen auf und lässt lediglich ein Häufchen staubiger Asche zurück.
»Das Feuer stirbt, wenn es nicht tötet«Friedrich Hebbel
Dabei macht das Spektakel rasant die langsamen biologischen Aufbauprozesse von Holz und Laub rückgängig. Deren Biomasse entsteht durch die Fotosynthese, bei der sich die anorganischen Bestandteile Kohlenstoffdioxid aus der Luft und Wasser aus dem Boden unter Aufnahme von Energie aus dem Sonnenlicht zu organischen Kohlenhydraten verbinden. Das ist die rein energetische Betrachtung; weitere Stoffe sind ebenfalls am Pflanzenwachstum beteiligt, vor allem Minerale. Sie finden sich in der deshalb oft silbrig-weiß schimmernden Asche wieder.
Der Prozess des Verbrennens unterhält und verstärkt sich selbst, sobald man das Pflanzenmaterial einmal anzündet. Dann wird in kurzer Zeit die bei dessen Wachstum gebundene Sonnenenergie wieder abgegeben, und zwar in Form von Strahlung, die teils als Flamme sichtbar und teils als Wärme fühlbar ist.
In der Hitze wandeln sich die festen Stoffe hauptsächlich in eindrucksvoll leuchtende Gase um, die in einer Säule über dem Feuer aufsteigen. Dort kühlen sie rasch ab. Dann lassen sich die Strömungen nur noch erahnen oder gelegentlich durch Funken nachverfolgen, die in ihren Wirbeln aufgetrieben werden. Dass wir es mit entzündeten Gasen zu tun haben, kommt auch zum Ausdruck, wenn sich manchmal Flammenteile vom Holzstoß abspalten und fernab vom eigentlichen Ort des Geschehens für kurze Zeit eigenständig weiterleuchten. Manchmal geraten sogar bislang noch nicht brennende und daher unsichtbare Dämpfe in sehr heiße Bereiche und werden dadurch entzündet. Ein entsprechender Vorgang lässt sich im Kleinen leicht mit einer Kerze nachstellen. Nach dem Auspusten steigt noch eine Zeit lang Wachsdampf auf. Hält man einige Zentimeter über dem Docht ein brennendes Streichholz in die Gasfahne, entzünden sich die verflüchtigten Kohlenwasserstoffe sofort wieder.
Die großräumig nach oben lodernden Flammen sind der sichtbare Teil eines Konvektionsvorgangs. Hierbei steigen die heißen Gase ihrer geringen Dichte wegen auf und werden unten zwangsläufig durch seitlich zuströmende frische Luft ersetzt. Dieser Teilprozess ist keine bloße Begleiterscheinung, sondern für die Verbrennung gewissermaßen lebenswichtig. Denn die herangeschaffte Luft liefert den Sauerstoff, der für die Umwandlung der kohlenstoffhaltigen Gase in Kohlenstoffdioxid nötig ist.
Darüber hinaus bereitet die frei werdende Energie im Reaktionsbereich des Feuers den Nachschub an Brennmaterial auf: Es wird getrocknet und bis zur Entzündungstemperatur aufgeheizt. Die großen Moleküle der organischen Verbindungen werden bei Temperaturen von mehreren hundert Grad Celsius ohne zusätzlichen Sauerstoff allein durch die Einwirkung von thermischer Energie in kleinere Bestandteile gespalten und schließlich vergast. Der Prozess nennt sich Pyrolyse. Holz enthält allerdings ebenso wie andere Biobrennstoffe seinerseits bereits Sauerstoffatome. Diese machen immerhin 44 Prozent seiner Masse aus. Deswegen finden bei dem Umwandlungsprozess gleichzeitig zusätzliche Oxidationsreaktionen statt, die den Zersetzungsvorgang unterstützen.
Die kräftigen, zwischen weiß, gelb und rot changierenden Farben der Flamme kommen vor allem durch eine thermische Anregung der Gasbestandteile, Rußteilchen und Aerosole zu Stande. Anschaulich gesprochen werden Elektronen in den Atomen auf höhere Bahnen angehoben und fallen unmittelbar danach wieder in ihren Grundzustand zurück. Dabei senden sie die Energiedifferenz in Form von sichtbarem Licht aus.
Anhand der Farben kann man sogar die beteiligten Prozesse identifizieren. Glühende Rußteilchen von der Größenordnung einiger zehn Nanometer erzeugen gelbes bis orangefarbenes Licht. Blau kann angeregten CO2- und CH-Radikalen zugeordnet werden, während Türkis auf zweiatomige Kohlenstoffmoleküle schließen lässt. Die von den Feststoffbestandteilen wie Ruß und Asche ausgehenden Wellenlängen entsprechen dabei weitgehend dem Spektrum eines so genannten Schwarzen Körpers. Das ist eine Quelle, deren ausgesandte Strahlung nur von der vorherrschenden Temperatur abhängt.
Ein weiteres optisches Phänomen bemerkt, wer durch die heiße Luft über dem Feuer auf weit entfernte Gegenstände blickt. Sie scheinen ihre Festigkeit eingebüßt zu haben – Einzelheiten flirren regellos umher. Der Brechungsindex der Gase zwischen Objekt und Auge hängt von Dichte und Temperatur ab, und die unterscheiden sich bereits auf kleinstem Raum dramatisch. Deshalb wirkt das von einem bestimmten Punkt stammende Licht, als käme es aus sich ständig ändernden Richtungen. Ein vergleichbares Phänomen ist das Funkeln der Sterne. Deren Strahlung begegnet auf dem langen Weg durch die Atmosphäre lokalen Schwankungen des Brechungsindex. Das verursacht nicht nur Ortsunschärfen, sondern außerdem Farbwechsel.
Beim Gesamtgeschehen des Osterfeuers gewinnt man den Eindruck, alle Prozesse seien aufeinander abgestimmt, ohne dass dazu ein äußerer Mechanismus nötig wäre. Sogar die Einhaltung eines Sicherheitsabstands scheint ein Teil dieser Selbstorganisation zu sein. Mit ihrer Hitze halten die Flammen die Menschen auch ohne Verbote und Absperrungen auf Abstand.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.