Schlichting!: Geheimnisvolle Spuren im Schnee
Der Unterschied zwischen Schnee und Eis scheint auf der Hand zu liegen: Ersterer ist weich und porös, während Letzteres hart, glatt und äußerst kompakt ist. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt sind die Übergänge zwischen den beiden Formen des Wassers jedoch im wahrsten Wortsinn fließend. Das Hin und Her von Auftauen und Erstarren kann faszinierende Strukturen hervorbringen.
»Vergessen wir die Dinge, betrachten wir die Struktur«
Georges Braque, 1882–1963
Ein besonders ungewöhnliches Phänomen sind torusförmige Abdrücke im Schnee. Die kreisrunden Hügel wirken wie weiße Donuts, die in fast gleichen Abständen in der sonst ungestörten Flockendecke liegen. Man könnte denken, das Muster wäre hineingemalt worden, doch eine nähere Betrachtung zeigt, dass keine gestalterische Absicht dahintersteckt. Vielmehr waren nur eine schmelzende Schneeschicht sowie eine wiederholte gleichartige mechanische Einwirkung nötig – hier vermutlich durch die Schritte einer Katze.
Zuvor ist ein Schneeschauer auf einen Boden mit Temperaturen über dem Gefrierpunkt niedergegangen. In so einer Situation beginnen die Eiskristalle im Kontakt mit der Erdoberfläche zu schmelzen. Unmittelbar über dieser wird die Lage darum wässrig. In so einem Zustand drücken Schritte den Schnee nicht einfach etwas dichter zusammen, sondern verändern dessen Konsistenz dramatisch. Daraufhin wird der dunkle Untergrund sichtbar.
Die Katze, die wohl über die frisch gefallene Schicht getapst ist, hat mit jedem Tritt die bereits partiell angeschmolzene, etwas matschige Masse unter jeder Pfote komprimiert und radial zu den Seiten weggedrückt. Wie man es von Schneeballschlachten kennt, ist der Schnee besonders dann leicht zu formen und zu festigen, wenn seine Temperatur in der Nähe des Nullpunkts liegt. In dem Fall wird das Kristallgemenge, das ohnehin kurz vor dem Schmelzen steht, zusätzlich vom Druck der Hände teilweise verflüssigt.
Dabei spielt die so genannte Dichteanomalie des Wassers die entscheidende Rolle. Denn anders als bei den meisten übrigen Stoffen dehnt es sich aus, wenn es fest wird, und verringert im flüssigen Zustand sein Volumen. Presst man Schnee zusammen, schmilzt ein Teil davon. Sobald der Druck nachlässt, gefriert das Schmelzwasser wieder. Mit dem Trick kann man sein Wurfgeschoss besonders hart machen.
Das legt einen möglichen Mechanismus für die Bildung der mysteriösen Donuts nahe: Dort, wo der Schnee Kontakt zum relativ warmen Untergrund bekommt, schmilzt er teilweise und bildet eine dünne wässrige Schicht. Diese wird vom Druck der Pfoten des Tiers komprimiert und radial zur Seite weg- und zusammengedrückt. So entsteht ein ringförmiger Wulst, der sich unmittelbar danach wieder entspannt – und partiell neu gefriert und sich dadurch verfestigt. Dabei wird Kristallisationswärme frei, die vor allem in die Umgebung fließt. Das beschleunigt den Schmelzvorgang in direkter Nähe. Gleichzeitig wölbt sich der auf dem Wulst befindliche lockere Schnee auf. Im Lauf der Zeit schmilzt der Schnee weiter. Die ehemals weiße Schicht wird dünner und infolge des wachsenden Wasseranteils transparenter. Der dunkle Boden schimmert immer mehr hindurch, insbesondere an den Trittstellen und in einem Ring unmittelbar um die Donuts. Dieser ist durch Schmelzwasser entstanden, das der Wulst bei seiner Entstehung vor sich hergetrieben hat und das die Kristallisationswärme vom Erstarren des Hügels aufgenommen hat.
Die vereisten und nach wie vor von Schnee bedeckten Wulste bleiben bei Tauwetter lange erhalten, sogar, wenn das Weiß in der Umgebung bereits verschwunden ist. Würde man sie erst jetzt wahrnehmen, gäben sie kaum noch Hinweise auf ihre Entstehung. Sie sind so dauerhaft, weil der Schnee, der auf den Donuts liegt, vom Boden isoliert ist, während die Schicht drumherum direkt mit dem wärmeren Untergrund in Verbindung steht. Der isolierende Wulst selbst schmilzt langsamer, weil er dichter ist und somit eine größere Wärmekapazität hat. Da er so kompakt ist, strömt ihm außerdem weniger Wärme zu als dem von zahlreichen Hohlräumen durchzogenen Schnee. Die kreisrunde Form wird vom Wärmetransport verstärkt: Jede Abweichung von der Ringstruktur liegt besonders exponiert und kann daher leichter Energie an die Umgebung abgeben und abschmelzen.
Wegen der vielen Umstände, die dafür günstig zusammentreffen müssen, dürften derart konservierte Pfotenabdrücke ein eher seltenes Phänomen sein. Komprimierter und vereister Schnee überdauert allerdings auch in alltäglicheren Situationen wesentlich länger als die ursprüngliche lockere Form. Beispielsweise liegt die auf Gehwegen festgetretene Schicht häufig noch, während zu den Seiten kaum etwas übrig ist. Das Schmelzwasser schmiert den von Eis bedeckten Weg dann regelrecht und macht das Betreten riskant. Das erklärt vielleicht ebenfalls, warum wir solche Strukturen abseits der Pfade so gut wie nie entdecken: Gerade, wenn die Witterung für ihre Entstehung günstig ist, sind wir meist eher damit beschäftigt, vorsichtig vor unsere eigenen Füße zu schauen.
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