Direkt zum Inhalt

Der Mathematische Monatskalender: Gösta Mittag-Leffler (1846–1927): Unterstützer der Frauen

Eine angebliche Beziehung mit Nobels Geliebten führte dazu, dass es keinen Nopelpreis für Mathematik gibt. Doch stimmt das überhaupt?
Magnus Mittag-Leffler

Das Gerücht hält sich bis heute: Es sei die Schuld von Magnus Gösta Mittag-Leffler gewesen, dass der schwedische Großindustrielle Alfred Nobel bei seiner Stiftung keinen Preis für die Mathematik vorgesehen habe (wohl aber für Physik, Chemie, Medizin, Literatur und für den Frieden). Angeblich soll Mittag-Leffler ein Verhältnis mit Sophie Hess, der Geliebten Nobels, gehabt haben, und das habe Nobel ihm übel genommen und mit ihm – in einer Art Sippenhaft – auch der gesamten Mathematikergemeinschaft.

Doch vermutlich kannte Mittag-Leffler die Geliebte Nobels noch nicht einmal. Die Wahrheit ist ganz einfach: Nobel hatte für die Mathematik nichts übrig – für ihn gehörte das Fach nicht zu den Wissenschaften, die »zum Wohle der Menschheit beitragen«, wie es in der Stiftungsurkunde des Nobelpreises heißt.

Dass Alfred Nobel die »Hilfswissenschaft« Mathematik eher für unwichtig hielt, zeigte sich auch, als Mittag-Leffler bei ihm vergeblich wegen der Einrichtung eines Lehrstuhls vorsprach, um die russische Mathematikerin Sofia Kowalewskaja an die Universität Stockholm zu binden.

Am 16. März 1846 wird Gösta Leffler als erstes von vier Kindern des Schuldirektors Johan Olaf Leffler und seiner Frau Gustava Wilhelmina Leffler, geborene Mittag, in Stockholm geboren. Erst nach Eintritt in das Studium nimmt Gösta den Doppelnamen Mittag-Leffler an – vermutlich, um seine Wertschätzung für die Familie der Mutter zu zeigen. Der vielseitig begabte junge Mann beginnt 1865 ein Mathematikstudium an der Universität von Uppsala.

Nach Abschluss des Studiums wird er 1873 als Dozent angestellt – mit der Auflage, seine bisher erworbenen Fachkenntnisse an ausländischen Universitäten zu vertiefen.

Mittag-Leffler hat großes Interesse daran, in Paris die Vorlesungen von Charles Hermite zu besuchen, dessen Ruf als bedeutender Mathematiker bis nach Schweden gedrungen war.

Bei den Studenten ist Charles Hermite wegen seiner kompetenten und mit Begeisterung vorgetragenen Vorlesungen äußerst beliebt. Mittag-Leffler hat allerdings Schwierigkeiten, dessen Ausführungen zum Thema »elliptische Funktionen« zu folgen. Als er dies seinem Professor gesteht, empfiehlt jener ihm den Wechsel nach Berlin: »Vous avez fait erreur, Monsieur, vous auriez dû suivre les cours de Weierstraß à Berlin. C'est notre maître à tous.«

Mittag-Leffler, der bis dahin noch nicht einmal den Namen des deutschen Mathematikers gehört hatte, folgt diesem eindrücklichen Ratschlag. Noch mehr beeindruckt ihn dann in Berlin die grundsätzliche Einstellung von Karl Weierstraß, dass wissenschaftliche Fortschritte nichts mit der Nationalität der Person zu tun haben, die diese Leistungen vollbringt – und dies in einer Zeit aufgeheizter nationalistischer Stimmungen in beiden Ländern nach dem preußisch-französischen Krieg.

1875 erfährt Mittag-Leffler, dass in Helsingfors (heute: Helsinki) ein Lehrstuhl für Mathematik ausgeschrieben ist, und er teilt Weierstraß mit, dass er sich um diese Stelle bewerben wolle. Weierstraß hatte gerade in jenem Moment erfahren, dass seine Bemühungen, für Mittag-Leffler eine Stelle als außerordentlicher Professor in Berlin einzurichten, erfolgreich gewesen sind. Aber Mittag-Leffler bevorzugt den Wechsel nach Finnland – zu groß erscheinen ihm, dem Ausländer, die Probleme, in einem Land zu sein, dessen Herrscher und Politiker die Bedeutung der nationalen Zugehörigkeit immer stärker betonen.

Nach einer fünfjährigen Tätigkeit kehrt Mittag-Leffler dann wieder in seine Heimatstadt Stockholm zurück und übernimmt dort an der neu gegründeten Universität den Lehrstuhl für Mathematik. Auf Anregung von Marius Sophus Lie gründet er 1882 eine internationale Fachzeitschrift unter dem Namen »Acta Mathematica«.

Als Bürger eines neutralen Staats kann er glaubhaft sein Ziel verfolgen, die Mathematiker Deutschlands und Frankreichs zu versöhnen, indem er gleichermaßen Aufsätze in deutscher wie französischer Sprache veröffentlicht. 45 Jahre lang ist er als Herausgeber der Zeitschrift tätig. Nach dem ersten Weltkrieg setzt er in Zusammenarbeit mit Godfrey Harold Hardy seine internationale Vermittlungstätigkeit fort – auch in den 1920er Jahren gibt es große Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern aus den Ländern der ehemaligen Kriegsgegner.

Mittag-Leffler hat ein starkes Gespür für die Qualität der eingereichten Beiträge. Beispielsweise erkennt er unmittelbar die fundamentale Bedeutung der Mengenlehre Georg Cantors. Als er diesem allerdings – nach dem Abdruck mehrerer Beiträge – im Jahr 1885 den wohlgemeinten Rat gibt, mit der Veröffentlichung eines Beitrags zur Kontinuumshypothese noch zu warten (»100 Jahre«), weil die Zeit noch nicht reif sei, fühlt sich Cantor verletzt und bricht die Kontakte zu ihm ab.

Auf französischer Seite sind es vor allem die Abhandlungen von Henri Poincaré, die zum internationalen Ruf der »Acta Mathematica« beitragen. Eine der Arbeiten Poincarés allerdings bereitet Mittag-Leffler einiges an Kopfzerbrechen: Nach einhelligem Urteil der Jury (bestehend aus ihm, Hermite und Weierstraß) soll Poincaré einen von König Oskar II. von Schweden ausgeschriebenen Preis für eine Arbeit zum Drei-Körper-Problem erhalten. Nach Versand der gedruckten Abhandlung stellt Poincaré einen nicht korrigierbaren Fehler fest. So muss sich Mittag-Leffler darum kümmern, dass die bereits ausgelieferten Schriften zurückgegeben und vernichtet werden (während Poincaré die erheblichen Druckkosten übernehmen muss). Gleichwohl versucht Mittag-Leffler mehrfach, das Nobelpreis-Komitee davon zu überzeugen, Poincaré mit dem Preis im Fach Physik auszuzeichnen, doch er kann sich nicht durchsetzen.

Dass Mittag-Leffler eine solche Zeitschrift ins Leben rufen konnte und sorgenfrei weiter betreiben kann, hat auch etwas mit seiner finanziellen Situation zu tun, die sich 1882 erheblich geändert hat. Durch seine Heirat mit Signe Lindfors verfügt er nun über ein beachtliches Vermögen. Abwechselnd lebt er mit seiner Familie in einem Vorort Stockholms und in einem Landhaus an einem See in Mittelschweden. In seiner Stadtvilla richtet er sich eine Bibliothek ein, von der Hardy berichtet, dass man in ihr alle mathematischen Fachbücher und -zeitschriften finden kann; die Nutzung der »privaten« Bibliothek steht aber jedem Interessierten offen, insbesondere den Studenten der Universität. Anlässlich des 70. Geburtstags von Mittag-Leffler im Jahr 1916 vermacht das Ehepaar die Villa und die Bibliotheksbestände der Schwedischen Akademie der Wissenschaften (heute ist dort das Forschungsinstitut Mittag-Leffler untergebracht). Der Nachlass umfasst außerdem den Schriftwechsel, den Mittag-Leffler mit über 3000 Briefpartnern in aller Welt geführt hatte.

Mittag-Leffler tritt engagiert für die Rechte von Frauen ein. 1884 verschafft er der Weierstraß-Schülerin Sofia Kowalewskaja eine befristete Stelle als Mathematikdozentin. 1889 dann wird sie als erste Frau der jüngeren Wissenschaftsgeschichte für eine Professur in Mathematik berufen. Sie hält Vorlesungen über Analysis, wird Mitherausgeberin der »Acta Mathematica« und unterstützt Mittag-Leffer bei der Organisation internationaler Mathematikerkongresse. Dass Marie Curie im Jahr 1903 als erste Frau den Nobelpreis für Physik erhält, ist ebenfalls auf die Einflussnahme Mittag-Lefflers zurückzuführen.

Für seine Verdienste um den internationalen fachlichen Austausch wird Mittag-Leffler vielfach durch Ehrendoktorwürden und –mitgliedschaften ausgezeichnet; aber auch die eigenen fachlichen Beiträge haben zu seinem internationalen Ansehen beigetragen. So ist beispielsweise der Satz von Mittag-Leffler (über die Existenz meromorpher Funktionen mit unendlich vielen Polstellen) auch heute noch wichtiger Bestandteil von Vorlesungen über Funktionentheorie – das ist die Theorie komplexwertiger Funktionen, die im 19. Jahrhundert vor allem durch die Beiträge von Augustin Cauchy, Bernhard Riemann und Karl Weierstraß entwickelt wurde.

Gösta Mittag-Leffler (1846–1927)

Datei herunterladen
PDF (1.5 MB)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.