Der Mathematische Monatskalender: Hermann Amandus Schwarz, der Herr der Ungleichungen
Die Ungleichung |u · v| ≤ |u|·|v| wird als Cauchy-Schwarzsche Ungleichung bezeichnet; manchmal wird auch der Name Bunjakowski hinzugefügt. Die Ungleichung spielt in der Geometrie, in der Analysis und auch in der Statistik [E(X·Y)2 ≤ E(X2)·E(Y2)] eine Rolle. Der französische Mathematiker Augustin-Louis Cauchy bewies 1821 die Ungleichung für Summen: \[ \left(\sum_{i=1}^n u_i v_i\right)^2 \leq \left(\sum_{i=1}^n u_i^2\right)\cdot \left( \sum_{i=1}^n v_i^2\right).\]
Der russische Mathematiker Viktor J. Bunjakowski formulierte sie 1859 für Integrale von komplexwertigen Funktionen; der allgemeine Beweis hierzu erfolgte 1888 durch Hermann Amandus Schwarz.
Hermann Amandus Schwarz begann nach seinem Schulbesuch an einem Gymnasium in Dortmund ein Studium der Chemie am Berliner Gewerbeinstitut (heute: Technische Universität). Nach dem Besuch der Vorlesungen von Karl Wilhelm Pohlke, Professor für darstellende Geometrie an der Berliner Bauakademie, wuchs sein Interesse für Mathematik. 1861 hörte er auch bei Karl Weierstraß Vorlesungen zur Integralrechnung an der Universität Berlin.
Der mathematische Monatskalender
Ihre wissenschaftlichen Leistungen sind weit verbreitet, doch wer waren die Mathematik-Genies, die unser Verständnis der Welt nachhaltig prägten? Seine ersten »mathematischen Monatskalender« hatte Heinz Klaus Strick, ehemaliger Leiter des Landrat-Lucas-Gymnasiums in Leverkusen-Opladen, für seine Schülerinnen und Schüler geschrieben, ergänzt durch passende Briefmarken der vorgestellten Personen. Alle spannenden Lebensläufe, skurrilen Porträts und unglaublichen Geschichten hinter den namhaften Persönlichkeiten finden Sie hier.
Unter dem Einfluss von Weierstraß und von Ernst Eduard Kummer wechselte Schwarz sein Studienfach zu Mathematik. Bereits 1864 promovierte er bei Kummer mit einer Arbeit über abwickelbare Flächen (»De superficiebus in planum explicabilibus primorum septem ordinum«): Dabei handelt es sich um Flächen, die sich ohne Verzerrung der Form in eine Ebene transformieren lassen. Beispiele hierfür sind Flächenstücke aus der Mantelfläche eines Zylinders oder eines Kegels.
Wechsel von der Chemie zur Mathematik
Nach der Promotion setzte Schwarz sein Studium fort, um die Unterrichtsbefähigung für Mittelschulen zu erlangen; gleichzeitig unterrichtete er an verschiedenen Berliner Gymnasien. 1867 folgte seine Habilitation und die Übernahme einer Stelle als Privatdozent an der Universität Halle. 1869 wurde er auf eine Professorenstelle am Polytechnikum in Zürich berufen (heute: ETH); 1875 nahm er einen Ruf nach Göttingen auf die Stelle an, die zuvor unter anderem Carl-Friedrich Gauß, Gustav Lejeune Dirichlet und Bernhard Riemann innehatten. Die Schwerpunkte der Gebiete, über die er forschte und die er lehrte, waren komplexe Analysis, Differenzialgeometrie und Variationsrechnung (Bestimmung von Maxima und Minima von Funktionen im mehrdimensionalen Raum).
Einflussreicher Mathematiker
Die Beiträge von Schwarz zu verschiedenen Gebieten der Mathematik sind vielfältig, insbesondere regten sie andere Fachleute zu weiteren Untersuchungen an:
- Bereits während seiner Studienzeit bewies er einen Satz, den Pohlke vermutet hatte (Hauptsatz der Axonometrie). Aus diesem folgt unter anderem: Jedes in einer Ebene liegende Viereck kann als das durch eine Parallelprojektion entstandene Bild eines Tetraeders aufgefasst werden.
- In der Analysis untersuchte er unter anderem so genannte konforme (winkeltreue) Abbildungen. Nach ihm ist das Schwarzsche Lemma benannt: Für jede komplexe differenzierbare Funktion f mit f(0) = 0, die die offene Einheitskreisscheibe in der Gaußschen Zahlenebene auf sich selbst abbildet, gilt: |f(z)|≤|z| sowie |f'(0)|≤1.
- Alexis-Claude Clairaut hatte 1740 vermutet, dass die Reihenfolge, in der die zweite partielle Ableitung einer Funktion mehrerer Variablen gebildet wird, keine Rolle spielt: \(\frac{\partial }{\partial x} (\frac{\partial }{\partial y} f(x,y)) = \frac{\partial }{\partial y}(\frac{\partial }{\partial x} f(x,y)) \). Schwarz bewies 1873, dass die Ableitungen dafür stetig sein müssen und gab ein Gegenbeispiel an: \(\frac{\partial^2 }{\partial x\partial y} \frac{x^3y -xy^3}{x^2+y^2} (0,0) = 1,\) \(\frac{\partial^2 }{\partial y\partial x} \frac{x^3y -xy^3}{x^2+y^2} (0,0) = -1\)
- Im selben Jahr veröffentlichte er die Klassifizierung von Dreiecken, mit denen sich die Kugeloberfläche, die euklidische beziehungsweise hyperbolische Ebene parkettieren lässt (Schwarzsche Dreiecke): Für positive rationale Zahlen p, q, r existieren Dreiecke mit den Winkeln π/q, π/q, π/r auf der Kugel, falls 1/p + 1/q + 1/r > 1, in der (euklidischen) Ebene; 1/p + 1/q + 1/r = 1; sowie 1/p + 1/q + 1/r < 1 in der hyperbolischen Ebene gilt.
- Seit der belgische Physiker Joseph Antoine Plateau in den 1830er Jahren Seifenhautversuche durchgeführt und so Oberflächen mit minimalem Flächeninhalt experimentell bestimmt hatte, war das Interesse der Mathematikerinnen und Mathematiker an der Untersuchung von Minimalflächen gewachsen. Zuvor hatte bereits Leonhard Euler im Jahr 1744 einen ersten Beitrag zu dem Thema geliefert und 1755 der damals erst 19-jährige Joseph-Louis Lagrange die zugehörigen Bedingungen formuliert (Euler-Lagrange-Gleichungen). 1776 führte Jean-Baptiste Meusnier de la Place den Nachweis, dass die »Wendelfläche« diese Gleichungen erfüllt – und auch, dass die mittlere Krümmung bei Minimalflächen gleich null sein muss. In den 1880er Jahren untersuchte Schwarz zusammen mit seinem Studenten Edvard Rudolf Neovius periodische Minimalflächen.
- 1884 vervollständigte Schwarz den Beweis von Jakob Steiner, dass unter allen Körpern mit fester Oberfläche die Kugel das größte Volumen hat: »In der Menge der stetig differenzierbaren, einfach geschlossenen, orientierbaren Flächen vom Geschlecht Null (das sind Flächen ohne Löcher) ist die Kugel die Fläche, die bei gegebener Oberfläche den größten Rauminhalt umgrenzt.«
- Anlässlich des 70. Geburtstages seines verehrten Lehrers Karl Weierstraß im Jahr 1885 veröffentlichte Schwarz den ersten vollständigen Beweis (in der sprichwörtlichen »Weierstraßschen Strenge«) dafür, dass die Minimalflächen tatsächlich minimalen Flächeninhalt haben.
- Bereits seit Längerem war das so genannte Treppenparadoxon bekannt: Bei dem Ansatz, die Länge einer Strecke mit Hilfe eines Streckenzuges in der Gestalt einer Treppe zu bestimmen, ergibt sich bei der Grenzwertbildung der Länge des Streckenzuges nicht die Länge der Strecke. Schwarz entwickelt mit dem »Schwarzschen Stiefel« ein dreidimensionales Analogon: Die Mantelfläche eines Zylinders wird hierbei durch Ringe von Antiprismen aus stumpfwinkligen gleichschenkligen Dreiecken approximiert. Durch sein Beispiel zeigte er, dass die bis dahin in Standardwerken zur Analysis enthaltene Methode zur Bestimmung des Flächeninhalts von gekrümmten Flächen mit Hilfe von Polyederfolgen nicht ausreicht.
Nach der Emeritierung von Weierstraß wechselte Schwarz 1892 auf dessen Lehrstuhl an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin (heute: Humboldt-Universität), den er bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahr 1917 wahrnahm, und dort engagiert zahlreiche Studierende förderte – wie bereits zuvor in Göttingen.
Aus seiner Ehe mit einer Tochter seines Kollegen Kummer gingen sechs Kinder hervor. Schwarz liebte es, in seiner Freizeit eine Brigade der örtlichen freiwilligen Feuerwehr zu leiten und dem Vorsteher des benachbarten Bahnhofs bei der Abfertigung von Zügen zu helfen.
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