Logik: Warum ein einziger Widerspruch die gesamte Mathematik zerstören würde
In Fantasyromanen und Kinderbüchern sind Einhörner allgegenwärtig. Im echten Leben trifft man sie eher nicht an. Und in der analytischen Welt der Mathematik und Philosophie rechnet man erst recht nicht mit ihnen. Doch wie sich herausstellt, sind diese beiden Disziplinen nur einen kleinen Fehltritt davon entfernt, die Existenz der beliebten Fabelwesen zu beweisen.
Um zu verstehen, wie Einhörner in diese objektiven Fachrichtungen eindringen konnten, muss man sich mit den Grundsätzen der Logik befassen, die Aristoteles vor mehr als 2300 Jahren begründete. Neben seinen vielen beeindruckenden Beiträgen stellte er drei »Denkgesetze« auf, das heißt drei selbstverständliche Aussagen, die in einer Theorie der Logik nicht fehlen dürfen. Das relevante Gesetz für Einhornjäger ist das »Gesetz vom Widerspruch«. Es besagt, dass Aussagen nicht gleichzeitig wahr und falsch sein können. A und die Negation von A können nicht zugleich gelten. Viereckige Kreise und verheiratete Junggesellen sind in der Logik nicht erwünscht.
Widersprüche halten Mathematik und Philosophie durch negatives Feedback auf Trab. Wie Sackgassen in einem Labyrinth signalisieren sie, dass dies nicht der richtige Weg ist – sobald ein Widerspruch auftaucht, sollte man umkehren und einen anderen Weg wählen. Solche Situationen zeigen sich oft in Paradoxien, zum Beispiel dem Lügner-Paradox. Wenn der Satz »Dieser Satz ist falsch« wahr ist, dann sollte man ihn für bare Münze nehmen: Der Satz ist falsch. Aber wenn er falsch ist, dann muss er wiederum wahr sein. Egal, wie man es dreht und wendet, es bleibt ein Widerspruch. Wegen der Gesetze von Aristoteles kann man den Widerspruch nicht hinnehmen, weshalb dem Lügner-Paradox Unmengen philosophischer und mathematischer Abhandlungen gewidmet wurden – alles in dem Bemühen, die Welt von einem Widerspruch zu befreien.
Aber warum sind solche Widersprüche untragbar? Schließlich begegnet man im alltäglichen Leben ständig Widersprüchen. Was würde passieren, wenn man das Lügner-Paradox einfach akzeptieren würde?
Tatsächlich stellt die Aufnahme eines Widerspruchs in die Logik ein großes Problem dar, das als »Ex falso quodlibet« bekannt ist, zu Deutsch: aus Falschem folgt Beliebiges. Sobald man auch nur einen einzigen Widerspruch zulässt, kann man alles beweisen – ob es nun wahr ist oder nicht. Und das geht bemerkenswert einfach.
Ein kleiner Ausflug in die Logik
Um die Existenz von Einhörnern aus einem Widerspruch abzuleiten, muss man nur einige Grundzüge der Logik kennen. Angenommen, folgende Aussage ist wahr: Omar ist verheiratet oder Maria ist zwei Meter groß. Dass der Satz wahr ist, bedeutet weder, dass Omar verheiratet ist, noch, dass Maria zwei Meter groß ist. Man weiß nur, dass mindestens eines von beidem der Fall sein muss.
Angenommen, Omar ist nicht verheiratet. Wenn das so ist, dann muss Maria zwei Meter groß sein. Denn wenn sie es nicht ist und Omar auch nicht verheiratet ist, dann kann die ursprüngliche Oder-Aussage nicht wahr sein. Das ist eine typische logische Schlussfolgerung.
Auf diese Weise lässt sich aus einem Widerspruch alles folgern – und sei es noch so absurd. Philosophen wählen oft einen verheirateten Junggesellen als prägnantes Beispiel für einen Widerspruch. Wir können deshalb annehmen, dass die Aussage »Omar ist verheiratet« wahr ist und gleichzeitig »Omar ist nicht verheiratet« ebenfalls stimmt. Das ist der eine Widerspruch, der die gesamte Logik scheitern lassen wird. Denn mit diesen beiden wahren Aussagen kann man beweisen, dass es Einhörner gibt.
Wenn ein einziger Widerspruch wahr ist, dann ist alles wahr
Dazu muss man nur die Aussage betrachten: »Omar ist verheiratet oder es gibt Einhörner«. Sie ist wahr, weil Omar verheiratet ist. Und eine Oder-Aussage ist als Gesamtes wahr, wenn eine der Behauptungen wahr ist. Gleichzeitig gilt aber auch die wahre Aussage: »Omar ist nicht verheiratet«. Demnach ist der erste Teil von »Omar ist verheiratet oder es gibt Einhörner« falsch. Da die Oder-Aussage aber als Gesamtes wahr sein muss, existieren Einhörner.
Genauso wie man zu dem Schluss gelangt, dass Maria zwei Meter groß ist, muss man in diesem Fall akzeptieren, dass es Einhörner gibt. Die Einfachheit dieses Arguments lässt es wie einen Taschenspielertrick erscheinen, aber tatsächlich ist »Ex falso quodlibet« absolut stichhaltig. Wenn ein einziger Widerspruch wahr ist, dann ist alles wahr.
Eine neue Art der Logik
Einige Fachleute finden das so beunruhigend, dass sie bereits vorgeschlagen haben, die Regeln der Logik in eine »parakonsistente« Logik umzuwandeln. Diese soll die oben genannten Argumente entkräften. Da Einhörner nichts mit Omars Familienstand zu tun haben, sollte man nichts von dem einen über das andere lernen können. Dieser parakonsistente Standpunkt führt allerdings auch zu Problemen, da er scheinbar offensichtliche Argumentationen als ungültig zurückweist – etwa den obigen Schluss, dass Maria zwei Meter groß ist. Deshalb lehnen die meisten Philosophen die parakonsistente Logik ab.
Manche vertreten hingegen einen noch radikaleren Standpunkt, den Dialetheismus. Dialetheisten akzeptieren Widersprüche als besondere Arten von Aussagen, die gelegentlich gleichzeitig wahr und falsch sind. In dieser Auffassung ist das Lügner-Paradox sowohl wahr als auch falsch, ohne dass es einer weiteren Debatte bedarf. Obwohl der Dialetheismus nur relativ wenige Anhänger hat, wird er als ernst zu nehmende Philosophie anerkannt.
In der mathematischen Logik kann man das Lügner-Paradox umgehen, indem man Aussagen klare Regeln auferlegt (etwa, inwieweit sie auf sich selbst verweisen können). Das ist extrem wichtig, denn die Logik bildet die Grundlage für die Mathematik. Damit ist das gesamte Fach in Gefahr, wenn ein Widerspruch auftaucht. Über Jahrtausende haben Mathematikerinnen und Mathematiker auf der ganzen Welt anhand logischer Prinzipien die verschiedenen Disziplinen aufgebaut – von Algebra über Geometrie bis hin zu Analysis und Zahlentheorie. Ein einziger Widerspruch würde alles zum Einsturz bringen. Umso bemerkenswerter ist es, dass trotz der zahllosen komplizierten Argumente bislang kein echter Widerspruch aufgetreten ist – zumindest bis jetzt.
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