Astronomie für Einsteiger: Mondspaziergang in der dritten Dimension
Die Wallebene Plato befindet sich bei einer nördlichen Breite von 52 Grad und einer westlichen Länge von neun Grad auf dem Erdtrabanten und ist sicherlich einer der auffälligsten Krater (siehe beigestellte Bilder). Mehr als der beachtliche Durchmesser von 104 Kilometern trägt hierzu die prominente Lage bei: Ähnlich einem Auge blickt Plato aus den "Montes Alpes" heraus, dem Ringgebirge am nördlichen Rand des Mare Imbrium. Wie bei vielen anderen großen und älteren Mondkratern füllte sich auch der Boden von Plato nach dem Einschlag mit Lava. Aber dank seiner erhöhten Lage in den Bergen stehen seine zerklüfteten Kraterwände vergleichsweise hoch, rund zwei Kilometer über erstarrten Lavaboden.
Ein bis zwei Tage nach Halbmond, können Sie durch Ihr Teleskop innerhalb weniger Stunden ein Schattenspiel der besonderen Art verfolgen: Wie schwarze Finger kriechen die langen Schatten der höchsten Bergspitzen des Kraterrands über den Kraterboden und geben das Innere von Plato langsam dem Sonnenlicht preis.
Wer hat da nicht schon den Wunsch verspürt, die Höhen der Wand und der Bergspitzen aus dem Schattenwurf zu ermitteln? Als Messgrundlage eignet sich schon ein gutes Foto, und eine exakte Rechenanleitung bietet beispielsweise der Klassiker "Kleine praktische Astronomie" von Paul Ahnert (Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1974, S. 30 ff.). Allerdings schrecken die vielen mathematischen Formeln zunächst etwas ab.
Schattenwurf: eigentlich ganz einfach
Das Rechenprinzip ist in Wirklichkeit jedoch sehr einfach, sofern man nur die Krümmung des Mondbodens vernachlässigt (dies führt tatsächlich nur bei sehr langen Schatten zu deutlichen Abweichungen): Ein Berg der Höhe H wirft einen Schatten der Länge L, wobei das Sonnenlicht unter dem Winkel U einfällt (siehe beigestellte Grafik). Die Höhe errechnet sich dann nach der Formel
H = L x tan U (1).
In der Praxis benötigen Sie dafür zunächst den genauen Maßstab der benutzten Fotografie. Wenn der Mond im Bild als Ganzes abgebildet ist, messen Sie zuerst im digitalen Bild den Monddurchmesser in Pixeln (oder auf einem gut vergrößerten Abzug in Millimetern); der wahre Monddurchmesser beträgt 3476 Kilometer. Per Verhältnisrechnung ergibt sich dann sofort, wie vielen Kilometern auf der Mondoberfläche ein Pixel (oder ein Millimeter) entspricht.
Wenn das Mondbild beispielsweise 2400 Pixel groß ist, dann entspricht jedem Pixel 3476 Kilometer/2400, also 1,45 Kilometer. Genauso einfach können Sie bei einer Detailaufnahme verfahren, wenn Ihnen der Durchmesser eines im Bild befindlichen Kraters bekannt ist. Von da an können Sie die Schattenlängen in Pixeln (oder Millimetern) messen, mit diesem Maßstab multiplizieren und gegen die perspektivische Verkürzung (siehe unten) korrigieren.
Als nächstes möchten Sie natürlich wissen, unter welchem Winkel U das Sonnenlicht einfällt, damit Sie diesen in Gleichung 1 einsetzen können. Dies lässt sich zwar rein rechnerisch und exakt aus den Mondephemeriden ermitteln, aber auch ganz einfach aus einer Mondkarte mit Gradnetz (Länge l, Breite b) ablesen: Nahe dem Mondäquator entspricht U nämlich einfach dem Abstand l des Terminators zum Objekt in Längengrad. Mit etwas Sorgfalt kann dieser auf ein halbes Grad genau abgelesen werden. Bei längerem Schattenwurf empfiehlt es sich allerdings, besser die Mitte des Schattens als Bezugspunkt zu nutzen – und nicht die Lage des Berges selbst. Dadurch wird der Fehler, der durch die in Gleichung 1 vernachlässigte Oberflächenkrümmung auftritt, reduziert.
Ein für das Ermitteln von U beziehungsweise l sehr gut geeigneter Mondatlas stammt von dem tschechischen Astronomen Antonin Rükl; beim Oculum-Verlag Erlangen ist eine kompakte Version dieses Werks erschienen. Für PC-Benutzer empfiehlt sich ferner die sehr informative Freeware "Virtual Moon Atlas", die im Internet unter http://ap-i.net verfügbar ist.
Auf weite Bereiche des Mondes, bei Terminatorabständen l zwischen etwa 7 und 20 Längengraden, lässt sich dann schließlich folgende vereinfachte Gleichung anwenden, die eine Menge Rechenarbeit erspart; allerdings ist sie nur auf etwa zehn Prozent genau:
H = L x tan l (2)
Hierbei ist L = L'/(cos l) die noch gegen ihre perspektivische Verkürzung (in l) korrigierte Schattenlänge, und L ist die unkorrigierte Länge.
Feinheiten für Spitzfindige
Wer es gern genauer machen möchte, muss die geometrischen Effekte bei höheren Breiten b exakt berücksichtigen. Danach ergibt sich U aus:
sin U = sin l x cos b (3).
Die scheinbare Schattenlänge L' muss dann, damit Sie nun auch für L richtig in Gleichung 1 einsetzen, wie folgt korrigiert werden:
L = L'/(cos l x cos b) (4).
Wenn Sie es ganz genau machen wollen, dann sollten Sie auch l und b noch um die aktuelle Libration korrigieren, das heißt die leichte Verdrehung des Mondes aus seiner mittleren Stellung heraus berücksichtigen, sowie die Krümmung des Mondbodens exakt behandeln.
Höhenmessung des Ringwalls von Plato
Ein schönes Anwendungsbeispiel bietet die anfangs erwähnte Wallebene Plato. In der Detailaufnahme beträgt ihr Durchmesser 214 Pixel, gemessen quer zur perspektivischen Verkürzung in Mondbreite b. Bei einem Kraterdurchmesser von 104 Kilometern kommen also auf ein Pixel 104 km/214 = 0,486 km.
Die perspektivische Verkürzung mit cos l ist dabei (l = 9 Grad), wie für alle Objekte, die sich nahe dem Nullmeridian des Mondes befinden, eigentlich vernachlässigbar. Dazu wird sie in der Maßstabsberechnung per Kraterdurchmesser automatisch mit berücksichtigt. Der kürzeste Schattenwurf beträgt im Bild nur dreißig Pixel, der längste "Finger" erreicht hingegen 75 Pixel. Dies entspricht demnach einer Schattenlänge von 14,5 beziehungsweise 36,5 Kilometern auf dem Kraterboden von Plato.
Der Terminator verläuft in der Übersichtsaufnahme des Mondes auf der Seite links bei etwa 15,5 Grad westlicher Länge, der schattenwerfende Wall und seine Berge liegen dagegen auf 7 Grad, die Schattenmitten bei 7,5 Grad westlicher Länge, und die Längendifferenz l beträgt somit rund 8 Grad. Mit tan (8°) = 0,1405 ergibt sich gemäß der Gleichung 2 für die Höhe H(Wall) des Kraterwalls über dem Lavaboden: H(Wall) = 0,1405 x 14,5 Kilometer = 2,0 Kilometer. In gleicher Weise erhalten wir für die höchste Bergspitze des Walls eine Höhe von H = 0,1405 x 36,5 Kilometer, also stolze 5,1 Kilometer!
Es ist also wirklich nicht schwer, die Höhen von Mondbergen aus ihrem Schattenwurf zu ermitteln, sofern Ihnen die reduzierte Genauigkeit der hier beschriebenen, vereinfachten Methode ausreicht.
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