Neozoen: Deutschlands 10 exotischste Einwanderer aus der Tierwelt
Flamingos in Nordrhein-Westfalen? Gibt es. Und es sind nicht die einzigen Exoten: Guppys, Streifenhörnchen oder Amazonen – auch die Tierwelt kennt hier zu Lande Einwanderer aus aller Welt. Wir stellen 10 der ungewöhnlichsten Arten vor, die sich in Deutschlands Wäldern, Feldern oder Gewässern tummeln.
Sie sind klein, niedlich und durchaus als Haustiere beliebt – deshalb gelangten Burunduks (Tamias sibiricus) wohl auch nach Mitteleuropa und schließlich in deutsche Parks und Friedhöfe. Die einzige europäische Art der Gattung Streifenhörnchen (alle anderen leben in Nordamerika) stammt ursprünglich aus Sibirien, wo sie sich jedoch seit rund 170 Jahren westwärts ausbreitet. Heute leben die Tiere in einem breiten Streifen von Finnland bis Ostasien in den Nadel- und Mischwäldern der Taiga und südlicher gelegenen Regionen. In Deutschland existierten beziehungsweise finden sich noch immer einzelne Kolonien, die allerdings örtlich sehr begrenzt sind. Jahrzehntelang lebten mehrere hundert Burunduks auf dem Freiburger Hauptfriedhof und dem Münsteraner Waldfriedhof Lauheide; beide Populationen scheinen heute aber erloschen zu sein. Aktiv ist dagegen wohl noch ein Bestand im Park Schöntal in Aschaffenburg; weitere Kolonien finden sich im nahen Ausland wie Brüssel oder Genf. Warum manche dieser Kolonien nach Jahrzehnten wieder verschwinden, weiß man noch nicht: Krankheiten oder genetische Folgen von Inzucht könnten eine Rolle spielen. Die Art wurde in die »Liste der unerwünschten Spezies« der Europäischen Union aufgenommen.
In Teilen Westdeutschlands sind Halsbandsittiche bereits so etwas wie Allerweltsvögel. In Heidelberg, Düsseldorf, Köln oder Wiesbaden leben Tausende der grünen Sittiche aus Asien und Afrika. Doch sie sind nicht die einzige Papageienart, die sich hier zu Lande eine zweite Heimat geschaffen hat. In Teilen Stuttgarts, etwa rund um die Wilhelma, leben zum Beispiel Gelbkopfamazonen (Amazona ochrocephala belizensis) aus Mexiko und Zentralamerika. Dort soll es rund 70 Tiere geben, die sich erfolgreich fortpflanzen. – zum Schrecken mancher Gartenbesitzer. Denn die lebhaften Papageien fressen auch an Obstbäumen oder zur Zierde gepflanzten Eiben, die danach ziemlich zerfleddert aussehen können. Erstmals bemerkt wurden sie Mitte der 1980er Jahre; seitdem haben sie sich langsam, aber fast stetig vermehrt. In ihrer ursprünglichen Heimat gelten sie als gefährdet; manche Ornithologen fürchten, dass sie hier einheimischen Arten wie Dohlen die raren Nistplätze in Baumhöhlen streitig machen könnten.
Verglichen mit der einheimischen Konkurrenz sind Ochsenfrösche (Lithobates catesbeianus) absolute Giganten. Ausgewachsene Exemplare können bis zu 20 Zentimeter lang und ein halbes Kilogramm schwer werden, während es eine einheimische Erdkröte vielleicht nur auf die halbe Länge und 100 Gramm Gewicht bringt. Und die Riesen haben Appetit: In den Mägen von Ochsenfröschen in Deutschland fanden sich schon Mäuse, Ringelnattern, Entenküken und natürlich zahlreiche andere Amphibien. Naturschützer fürchten daher die Art, die sich in den Auen am Oberrhein etwa bei Karlsruhe schon gut etabliert hat – mit Tendenz zur Ausbreitung. Denn jedes Weibchen kann bis zu 25 000 Eier pro Saison legen. Das eigentliche Verbreitungsgebiet von Lithobates catesbeianus sind Feuchtgebiete im östlichen Nordamerika, doch wurde er von Menschen in viele Teile der Erde gebracht und dort ausgesetzt. Da er eine Bedrohung für einheimische Amphibien sein kann, wird er in Deutschland intensiv bejagt, bisweilen sogar mit Pfeil und Bogen, weil man ihn sonst nicht erwischt.
Im Ausnahmesommer 2018 machten auch außergewöhnliche Krustentiere wie schon im Vorjahr Schlagzeilen: Im Berliner Tiergarten und in anderen großen Parks der Stadt machten sich plötzlich hunderte oder gar tausende Rote Amerikanische Sumpfkrebse (Procambarus clarkii) auf den Weg zu neuen Quartieren – und damit bemerkbar bei der Stadtbevölkerung. Die auch Louisiana-Flusskrebs genannten Tiere kommen wie viele andere Neozoen in Mitteleuropa aus Nordamerika und wurden in Teilen Europas ausgesetzt, weil man sie wegen ihres Fleisches nutzen wollte. Natürlich hielten sich die Tiere nicht an die Grenzen ihrer Zuchtanlagen, sondern breiteten sich unkontrolliert aus – zum Schaden einheimischer Krebsarten, die an der mit ihnen eingeschleppten Krebspest massenhaft verendeten. Denn im Gegensatz zum Konkurrenten aus Übersee hatten sich diese nicht an den Erreger anpassen können. Nun versucht man zumindest in Berlin der eingewanderten Sumpfkrebse Herr zu werden, indem man sie zum Verzehr frei gibt.
Tropische Fische in deutschen Gewässern? Ja, das ist möglich, wenn die richtigen Bedingungen zusammenkommen. Auf der einen Seite braucht es einen überforderten Hobbyhalter, der sich nicht mehr anders zu helfen weiß, als seine Tiere in der Natur zu »entsorgen«. Und auf der anderen Seite muss da ein Bach, Tümpel oder Flussabschnitt sein, der überdurchschnittlich warm ist. Das trifft zum Beispiel auf den Gillbach im Kölner Hinterland zu, in den ein Kohlekraftwerk sein Kühlwasser ableitet – was ihn lauschig warm für tropische Guppys macht. Er ist daher unter Eingeweihten schon lange als Guppybach bekannt, in dem tausende Nachkommen von Fischen schwimmen, die einst aus der Karibik in den hiesigen Zoohandel gelangten: Guppys gehören zu den beliebtesten Aquariumsfischen und vermehren sich leicht und prächtig. Nur ganz so bunt wie ihre Verwandtschaft in der Karibik und im Aquarium sind die Exemplare im Bach nicht, denn Farbe würde sie zur leichten Beute machen. Und es gibt noch mehr Beispiele: Auch Zebrabarben aus Südasien wurden schon aus Teilen von Weser und Rhein gefischt.
Die Moore und Seen des Zwillbrocker Venns im Münsterland sehen auf den ersten Blick eigentlich überhaupt nicht tauglich für exotische Arten aus: Zu kühl und zu nass scheinen in dieser Region viele Tage zu sein. Und doch siedelt hier Deutschlands bislang einzige Flamingokolonie. Vor allem Chileflamingos (Phoenicopterus chilensis), aber auch mehrere europäische Rosaflamingos (Phoenicopterus roseus) sowie ein aus der Karibik stammender Kubaflamingo (Phoenicopterus ruber) verbringen hier Frühling und Sommer; im Winter suchen sie die niederländische Küste auf. Seit 30 Jahren soll die Kolonie bestehen. Sie wächst langsam, doch mittlerweile tauchen hier bis zu 50 Tiere auf. Die Chileflamingos stellen dabei die größte Gruppe. Sie stammen aus den Anden und Steppen des südlichen Südamerika und sind entweder aus Zoos oder privaten Haltern entflogen. Ihre europäischen Verwandten könnten es dagegen sogar aus eigener Kraft hierhergeschafft haben: Das nächstgelegene Brutgebiet liegt in Südfrankreich.
Eigentlich sollte man vor den Chinesischen Wollhandkrabben (Eriocheir sinensis) großen Respekt haben: Bis zu drei Kilometer am Tag können die Krustentiere wandern, auf ihrem Weg vom Meer die Flüsse hinauf überqueren sie sogar senkrechte Betonwände, und es kann mehrere Jahre dauern, bis sie ihr gewünschtes Ziel erreichen. Diese Wanderlust, gepaart mit ihrem erfolgreichen massenhaften Vermehrungsverhalten und ihrer Grabetätigkeit auch in Deichen, macht die Neubürger allerdings etwas unbeliebt. Auch Angler schätzen die Art wenig, da sie gerne Köder unbemerkt vom Haken frisst und Schnüre kappt. Doch seit sie vermutlich Anfang des 20. Jahrhunderts mit Ballastwasser aus Ostasien nach Mitteleuropa eingeschleppt wurde, breitet sie sich unaufhaltsam aus. Viele deutsche Flüsse sind schon besiedelt, wobei die Art zur Fortpflanzung immer das salzige Meer aufsuchen muss. Dort können sich die Tiere zu Millionen versammeln. Bislang hat man aber trotz dieser Massen noch keine negativen Folgen für die einheimische Tierwelt feststellen können. Sie gelten in China als Delikatesse; in Europa verwertet man sie eher industriell, etwa zur Produktion von Biokunststoffen.
Schaben! Wenige Insektennamen lösen wohl größeres Unbehagen aus als dieser – denn jeder denkt sofort an die Deutsche Schabe (Blattella germanica) oder die Amerikanische Großschabe (Periplaneta americana), besser bekannt unter dem Begriff Kakerlake. Harmlos ist dagegen die Bernstein-Waldschabe (Ectobius vittiventris), die ihre Heimat in Südeuropa längst auch in Richtung Norden verlassen hat und sich hier eine neue Existenz aufbauen konnte. Verglichen mit ihrer Verwandtschaft ist sie jedoch vollkommen harmlos. Sie tritt weder als Vorratsschädling auf noch überträgt sie Keime. Die Bernstein-Waldschabe ernährt sich vorwiegend von vergammelndem Pflanzenmaterial und überlebt in Wohnungen mangels derartiger Kost meist nicht lange. Da sie mittlerweile aber sogar als häufigste Schabenart Süddeutschlands gilt, wird sie oft von Menschen entdeckt, etwa wenn sie sich versehentlich doch in Häuser verirrt hat: Sie wird vom Licht angezogen. Um sie wieder loszuwerden, empfehlen Experten einen einfachen Trick: Glas drüberstülpen, Papier unterschieben und vor die Tür setzen.
Viele einheimische Fische sind eher bescheiden gefärbt: Es dominieren Grau- und Brauntöne, manchmal mischt sich etwas Rot oder Blau darunter. Der Gemeine Sonnenbarsch (Lepomis gibbosus) fällt daher mit seinen grünblauen Querbinden und den zahlreichen roten, gelbroten, blauen und smaragdfarbenen Tupfern sofort auf, wenn er aus dem Wasser gefischt wird. Und das kann im südwestlichen Deutschland oder rund um Ballungsräume regelmäßig vorkommen. Hier hat sich der nordamerikanische Fisch bereits fest etabliert, nachdem er von Aquarianern oder Sportfischern ausgesetzt wurde. Seit dem 19. Jahrhundert kennt man die Art bereits im europäischen Freiland. Verdrängungseffekte einheimischer Fische konnte man bislang nicht beobachten; allerdings kann sich der Sonnenbarsch massenhaft vermehren, und er frisst auch Jungfische anderer Spezies, so dass er durchaus unter Beobachtung steht.
Der wohl größte und auffälligste Neubürger Deutschlands ist sicher der Nandu (Rhea americana), der nicht mehr nur durch Südamerikas Savannen streift, sondern ebenso durch Teile Mecklenburg-Vorpommerns. Rund 200 der großen Schreitvögel leben mittlerweile im Nordosten Deutschlands mit Schwerpunkt im Biosphärenreservat Schaalsee. Sie stammen von Ausreißern aus einem Privatgehege in Groß Grönau ab, die Ende der 1990er Jahre entkamen. Seitdem streiten Ökologen, Jäger, Landwirte und Tourismusverbände, ob die Tiere gejagt, eingefangen oder als Attraktion erhalten bleiben sollen. Die einen fürchten, die Nandus könnten seltene Großinsekten gefährden, die anderen, sie könnten Menschen verletzen. Bislang kam es jedoch nicht zu Zwischenfällen, und auch ökologische Schäden ließen sich noch nicht nachweisen. Zur Bestandskontrolle dürfen die Tiere, obwohl sie unter das Bundesnaturschutzgesetz und das Washingtoner Artenschutzabkommen fallen, seit 2020 auch gejagt werden.
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