Ölpest: Welche Folgen hat die Ölkatastrophe in Israel?
Israel erlebt gerade eine der schlimmsten Ölkatastrophe seiner Geschichte. Seit Mittwoch, den 17. Februar 2021, treibt ein Sturm schwarze Teerklumpen an Israels Mittelmeerküste. Shaul Goldstein, Leiter der israelischen Behörde für Umwelt und Parks, bezeichnete das Unglück als Israels schlimmste ökologische Katastrophe, andere Quellen nennen es das schlimmste Unglück der Dekade. Die Teerplacken stammen von einem Ölschlickteppich, der 50 Kilometer vor der israelischen Küste treibt. Sie verseuchen Strände zwischen Haifa und Aschkelon. Damit sind über 100 Kilometer der 190 Kilometer langen israelischen Mittelmeerküste betroffen.
Am darauf folgenden Sonntag hatte das israelische Ministerium für Umweltschutz wegen der toxischen Wirkung des Teers vor dem Betreten der Strände an der gesamten israelischen Küste gewarnt. Betroffen sind auch die Strände der Großstädte Haifa und Tel Aviv sowie mehrere Naturschutzgebiete. Seit dem 22. Februar verunreinigt der Teerschlick auch Strände im südlichen Libanon.
Am gleichen Tag verhängte ein israelischer Richter eine einwöchige Nachrichtensperre für alle Informationen, die zur Identifikation der Verdächtigen beitragen. Diese Nachrichtensperre ist ein für Israel ungewöhnlicher Vorgang. Sie könnte möglicherweise bedeuten, dass der Verdächtige identifiziert ist und die israelische Regierung wegen der angespannten politischen Situation der Region jetzt diplomatisch handeln muss, vermutet die britische Zeitung »The Guardian«.
Was ist über den Verursacher der Ölpest bekannt?
Das Öl soll von einem Schiff weit vor der Küste stammen, allerdings ist unklar, von welchem. Einem Bericht der »Jerusalem Post« zufolge, soll der griechische Öltanker »Minerva Helen« Auslöser der Katastrophe sein. Der Eigner des Schiffs hat allerdings gegenüber der Deutschen Presse-Agentur jegliche Verantwortung für die Ölpest von sich gewiesen.
Solche Verschmutzungen können entstehen, wenn Schiffe vor der Küste illegal ihre Tanks auswaschen und dabei Öl ins Meer leiten oder aber wenn durch einen Unfall Tanks undicht werden. Die israelische Ministerin für Umweltschutz Gila Gamliel erklärte am Samstag, dass weder israelische Behörden noch die der Nachbarländer eine Meldung zu einem Ölunfall vor der Küste bekommen haben. Nun sollen Satelliten helfen, die Quelle zu identifizieren.
Öl schwimmt an der Oberfläche und kann dort größere Entfernungen zurücklegen. Mit Hilfe von Wetterinformationen und ozeanografischen Daten kann man allerdings seine Herkunft rekonstruieren. Israel ist Mitglied des Barcelona-Übereinkommens zum Schutz des Mittelmeers vor Verschmutzung, deren Mitglieder sich gegenseitig unterstützen und Informationen austauschen; Israel nutzt nun unter anderem Aufnahmen des Satellitennetzwerks Copernicus der ESA, besonders der Satelliten Sentinel-1A und -B, um die Verantwortlichen aufzuspüren. In den Aufnahmen dieser Satelliten war der Ölteppich zuerst entdeckt worden. Etwa ein Dutzend Schiffe kommen nach diesen Analysen als Verursacher in Frage. Die israelischen Behörden gehen den Hinweisen jetzt nach, Gamliel rechnet mit einer zügigen Identifikation des Verursachers.
A huge spill from illegal discharged oil at the coast of #Israel has contaminated 170 kilometres of beaches, 40 percent of it's coast, making this one of the biggest ecological disasters. Unclear if #Gaza is affected too. H/t @HarelDanhttps://t.co/1iiNMGKoqSpic.twitter.com/YMaaRCAZLL
— Wim Zwijnenburg (@wammezz) February 22, 2021
Um wie viel Öl geht es?
Bisher sind einige Tonnen Teerklumpen aus dem etwa 50 Kilometer von der Küste entfernten Ölteppich an Stränden in Israel und des Libanon angespült worden. Bei einem Erkundungsflug am Samstag seien keine weiteren Ölflecken entdeckt worden, sagt Gila Gamliel laut einer Pressemitteilung vom Montag. Die Situation habe sich damit dramatisch verbessert. Sie hoffe, dass die Strände bis zur Badesaison wieder geräumt sind.
Allerdings ist der genaue Umfang der toxischen Last zurzeit noch nicht bekannt. Israelische Behörden befürchten, dass möglicherweise noch weitere dutzende oder gar hunderte Tonnen Öl angespült werden könnten. Außerdem haben Meteorologen für diese Woche vor einem erneuten Sturm mit hohen Wellen gewarnt, die abgesunkenen Teer vom Boden aufwirbeln oder über weitere Strecken hinweg an die Küsten transportieren könnten. Schlechtes Wetter würde zudem die Aufräumarbeiten erschweren.
Warum ist eine Ölpest so problematisch?
Erdöl besteht aus vielen einzelnen Komponenten, von denen viele toxisch sind. Je nach Mischung und Zerfallsstadium des Erdöls verhält es sich unterschiedlich und muss auch unterschiedlich bekämpft werden: Flüchtige Leichtöle wie Benzin verdunsten innerhalb weniger Tage, schwerer Ölschlick hingegen sinkt zum Meeresgrund und verbleibt besonders lange im Ökosystem. Die jetzt anfallenden ölverseuchten Abfälle wie Strandsedimente oder Tierkadaver müssen als Gefahrengut sachgerecht entsorgt werden.
Helfer, die mit den schwarzen Schlieren in Kontakt kommen oder die Dämpfe einatmen, können sich daran vergiften. Bekannte Folgen sind unter anderem Atemwegsprobleme, Reizungen der Haut, Schleimhäute und Augen und sogar langfristige Gesundheitsschäden wie Krebs.
Bei den Aufräumarbeiten erkrankten bereits Freiwillige durch die Dämpfe aus dem Öl und mussten zum Teil ins Krankenhaus eingeliefert worden. Auch verklumpte Ölverbindungen dünsten immer noch gefährliche, flüchtige Verbindungen aus, die Haut und Atemwege von Menschen und Tieren reizen. Die israelische Ministerien für Umweltschutz, Gesundheit und Inneres warnen immer wieder vor dem Betreten der gesamten 195 Kilometer Mittelmeer-Strandlinie. Freiwillige sollten zumindest ein kurzes Sicherheitstraining absolvieren, empfiehlt die Umweltministerin.
Zurzeit ist die israelische Trinkwasserversorgung, die zu 75 Prozent aus Meerwasser-Entsalzungsanlagen stammt, nicht bedroht. Eventuelle Schäden an Fischbeständen können noch nicht abgeschätzt werden. Allerdings befürchten Experten bereits jetzt langfristige und schwer wiegende Folgen für eine küstennahe Ökosysteme. Ein Experte des israelischen Umweltschutzministeriums erklärte, dass von den Meeresbewohnern, die auf Felsen und in Gezeitentümpeln leben, kaum mehr als zehn Prozent so eine Ölpest überleben.
Wie reinigen die israelischen Behörden die Strände?
Das Umweltschutzministerium hatte die Koordination dieser Ölkatastrophe schnell übernommen und organisiert. Soldaten, Mitarbeiter von Umweltschutz- und anderen Behörden sowie mehrere tausend Freiwillige sammeln die Teerklumpen auf. Die Teerklumpen werden in Sammelstellen zusammengetragen. Später muss der toxische Abfall als Gefahrengut von Spezialfirmen behandelt und deponiert werden, wie genau, ist noch nicht entschieden. Trotz der schnellen Hilfe befürchtet Shaul Goldstein, der Leiter der Behörde für Umwelt and Parks, dass die Aufräumarbeiten noch Jahre dauern werden.
Welche Auswirkungen hat Erdöl auf Organismen und Ökosysteme?
Der bedrohte Küstenabschnitt beherbergt mehrere Naturschutzgebiete und eine Vielzahl von Lebensräumen von Sandstrand bis Schneckenriff. Erdöl und Erdölprodukte enthalten zahlreiche toxische Komponenten. Diese verursachen Organschäden, besonders häufig an der Leber, und schwächen das Immunsystem. Schon ein kurzer Hautkontakt oder das Einatmen der Dämpfe kann Lebewesen schädigen oder töten; die Stoffe reichern sich jedoch auch im Körper an und können zum Beispiel über die Milch noch die nächste Generation vergiften. Erfahrungen mit früheren Ölkatastrophen zeigen, dass die ökologischen Folgen viele Jahre andauern und nicht immer offen sichtbar sind.
Beobachtungen beim Deepwater-Horizon-Unglück im Golf von Mexiko haben etwa ergeben, dass Wale, Schildkröten, Vögel und Walhaie dem Öl nicht ausweichen, sondern einfach hindurchschwimmen. Dabei geraten sie in unmittelbaren Hautkontakt mit den schmierigen Schlieren, die an Haut und Gefieder haften bleiben. Vögel verschlucken bei dem Versuch, ihr Gefieder zu reinigen, dann oft größere Mengen Öl, so dass sie selbst dann noch sterben, wenn sie von Tierschützern gereinigt wurden.
An der Wasseroberfläche schwimmende und atmende Tiere wie Wale, Seevögel und Meeresschildkröten inhalieren dabei zusätzlich die toxischen Dämpfe. Bereits am Donnerstag, den 18. Februar 2021 spülten die Wellen im Nitzanim-Reservat einen toten jungen Finnwal an. Fachleute fanden eine schwärzliche Flüssigkeit in den Lungen des Tieres. Ob der Meeressäuger ein direktes Opfer der Ölpest war, ist zurzeit noch nicht abschließend geklärt. Der Obduktionsbefund erhärte jedenfalls diesen Verdacht, sagen Fachleute. Sie wollen nun weitere Proben untersuchen.
Besonders besorgt ist die Behörde für Natur und Parks allerdings um den Bestand der Meeresschnecke Dendropoma petraeum. Diese Schnecken leben vor der Küste und bauen Riffe – damit errichten sie einzigartige Ökosysteme, die auch Lebensraum für viele andere Tiere sind. Dieser Schneckenbestand ist bereits durch die Klimakrise und die Erwärmung des Mittelmeeres geschädigt, darum sind die geschwächten Riffbauer nun besonders empfindlich gegenüber weiterem Umweltstress.
Könnten auch an den deutschen Küsten solche Ölklumpen auftauchen?
Die deutschen Küsten der Nord- und Ostsee sind generell genauso durch Ölkatastrophen bedroht, weil sich vor den Küsten hoch entwickelter Industriestaaten die stark befahrenen und teils schmalen Schifffahrtsrouten, Ölförderplattformen und die entsprechende Infrastruktur den wenigen verfügbaren Platz mit Nationalparks und Meeresschutzgebieten teilen. Zusätzlich liegen unter Wasser noch viele Wracks aus den Weltkriegen.
Eine besondere Umweltgefahr geht dabei von Schweröl aus. Sauberere Kraftstoffe, die eher verdunsten und besser mikrobiell abgebaut werden, hätten bei einem Unfall weniger ernste Konsequenzen für die Umwelt. Dennoch fahren die meisten Schiffe immer noch mit dem preiswerteren Schweröl.
Ein Auswaschen der Tanks, was vermutlich im Mittelmeer zu den Teerplacken geführt hat, ist in deutschen wie auch in europäischen Gewässern natürlich streng verboten und würde schnell geahndet – aber ganz auszuschließen ist es nicht. Weil jedes Öl einen unverwechselbaren »Fingerabdruck« hat, ist die Chance sehr hoch, dass der Täter überführt würde.
Auf Grund der dichten Überwachung der Küsten der deutschen Nord- und Ostsee würde ein Ölunfall möglicherweise schneller bemerkt als an der israelischen Küste, er könnte allerdings auf Grund der beengten Verhältnisse schwerwiegendere Folgen haben, meint etwa der Umweltschutzexperte Kim Detloff vom NABU. Eine Schiffshavarie vor den deutschen Küsten sei ein absolutes Katastrophenszenario, selbst wenn das verunglückte Schiff kein Tanker ist. »Allein der mitgeführte Treibstoff eines Frachters oder Containerschiffs, in der Regel ist das Schweröl, würde zur Umweltkatastrophe führen.«
Schifffahrtslinien und bedeutende Vogelrastgebiete lägen so nah beieinander, dass ein ständiges latentes Umweltrisiko bestehe. Die Vielzahl von Infrastrukturvorhaben, wie zum Beispiel der Bau des Fehmarnbelttunnels oder von Offshorewindparks nahe der Kadetrinne bei Fischland-Darß würden das Risiko noch einmal multiplizieren, sagt der Experte. »Seit Jahren fordern wir auch eine Überarbeitung unserer Havariereaktion, etwa eine Lotsenpflicht unter anderem im Wattenmeer oder mehr Schlepperkapazitäten, um Havaristen schneller und bereits vor den Küsten abfangen zu können.«
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