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Der Mathematische Monatskalender: Willebrordus Snellius, weit mehr als Lichtbrechung

Viele kennen den Mathematiker wohl nur durch das von ihm formulierte Brechungsgesetz von Lichtstrahlen – zu Unrecht: Er leistete weitaus mehr!
Die Kreiszahl Pi

Willebrord Snel van Royen, auch bekannt unter dem latinisierten Namen Willebrordus Snellius, wurde als ältester Sohn von Rudolph Snel van Royen und Machteld Cornelisdochter in Leiden geboren. Beide Eltern stammten aus Oudewater; sie gehörten zu den wenigen Überlebenden des Massakers, das die spanischen Truppen 1578 bei der Eroberung der Stadt anrichteten, nachdem sich die Bürger im Rahmen des niederländischen Freiheitskampfs den aufständischen Geusen angeschlossen hatten.

Rudolph Snel, ein Schüler des Philosophen und Logikers Petrus Ramus, wurde 1581 als Mathematikprofessor an die sechs Jahre zuvor gegründete Universität Leiden berufen. Außer dieser Tätigkeit betrieb Snel in seinem Haus eine gut besuchte Privatschule, an der auch Willebrord seine schulische Ausbildung erhielt. Der Vater hatte für seinen Sohn ein Jurastudium vorgesehen; Willebrord interessierte sich jedoch mehr für Mathematik. Privat nahm er Unterricht bei Ludolph van Ceulen, einem Professor für Arithmetik, Vermessungskunde und Festungsbau an der Leidener Ingenieurschule. Gelegentlich übernahm der begabte Sohn die Vorlesungen seines Vaters bei dessen Abwesenheit.

Auf Reisen

Von 1600 an reiste Willebrord durch mehrere europäische Länder. In Würzburg besuchte er Adriaan van Roomen, in Prag führte er unter Anleitung Tycho Brahes Himmelsbeobachtungen durch. Nach Brahes überraschendem Tod im Oktober 1601 ging es dann weiter zu Johannes Praetorius in Altdorf (bei Nürnberg) und zu Michael Maestlin in Tübingen. Danach reiste Snel nach Paris, um sein Jurastudium zum Abschluss zu bringen; dort aber entschied er sich endgültig gegen das ihm vom Vater vorgegebene Fach – und für die Mathematik.

Willebrordus Snellius | Astronomie, Vermessung, Geometrie, Pi: Das Spektrum von Snellius ist breiter, als viele denken.

Nach Leiden zurückgekehrt übernahm Willebrord Snel immer mehr Lehrverpflichtungen für seinen Vater, schließlich auch offiziell gegen Bezahlung. Die übrige Zeit nutzte er dazu, Werke von Simon Stevin (1448–1520) und von Ludolph van Ceulen aus dem Niederländischen ins Lateinische zu übersetzen, wodurch diese von anderen Wissenschaftlern überhaupt erst zur Kenntnis genommen werden konnten. Außerdem schrieb er Kommentare zu Schriften von Petrus Ramus (1515–1572) und versuchte, zwei verloren gegangene Bücher des Apollonius von Perge (265–190 v. Chr.) zu rekonstruieren.

Nach Prüfungen in Grammatik, Rhetorik, Logik, Arithmetik, Geometrie, Algebra, Physik, Optik, Astronomie, Geografie, Gnomonica (Bau von Sonnenuhren), Statik und Ethik erwarb Snel 1608 den Titel eines Magister artium. Im selben Jahr heiratete er Maria de Langhe, mit der er mindestens sieben Kinder hatte (von denen nur drei das Erwachsenenalter erreichten). Nach dem Tod des Vaters 1613 wurde er offiziell dessen Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Mathematik – die volle Besoldung erhielt er allerdings erst 1618.

Acht Jahre später starb Willebrordus Snellius im Alter von nur 46 Jahren nach einer Kolik.

Der niederländische Eratosthenes

In seinem 1617 erschienenen Hauptwerk »Eratosthenes Batavus de terrae ambitus vera quantitate« bezeichnete er sich – in Anspielung an den ersten Versuch, den Erdumfang zu bestimmen – als niederländischen Eratosthenes.

Angeregt durch die Ideen von Gemma Frisius, wie sich Vermessungen durch Triangulation durchführen ließen, führte er als Erster eine solche durch. Ausgehend von mehrfach eingemessenen Grundlinien, die zwischen seinem Haus und einer Kirche im Nachbarort Zoeterwoude liegen, baute er ein Netz von Dreiecken zwischen Kirchtürmen in 14 Städten auf, aus dem er auf der Basis von nur 54 Winkelmessungen die Entfernungen zwischen diesen Städten, insbesondere zwischen Alkmaar und Bergen-op-Zoom, ermitteln konnte (zirka 130 Kilometer).

Da beide Orte auf Längenkreisen liegen, die sich nur um 27 Winkelminuten unterscheiden, ergibt sich hieraus ein Wert für den Erdumfang von 38 653 Kilometer. Die Abweichung zum heute geltenden Wert von 40 075 Kilometer beträgt damit etwa 3,5 Prozent.

Für die Winkelmessungen verwendete er einen vom Instrumentenbauer Willem Jansz Blaeu aus Eisen konstruierten Quadranten (Radius zirka 1,75 Meter mit Einteilungen von zwei Winkelminuten). Sein Werk widmete er dem Statthalter der Niederlande – eine kluge Idee, die ihm ein halbes Jahresgehalt als Belohnung einbrachte.

Um die äußerst aufwändigen Berechnungen (ohne Hilfsmittel – Logarithmen waren Snellius noch nicht bekannt) durchführen zu können, entwickelte Snellius das Verfahren des so genannten Rückwärtseinschneidens. 75 Jahre nach Snellius beschrieb auch der französische Mathematiker Laurent Pothenot diese Vorgehensweise; daher findet man oft auch die Bezeichnung Snellius-Pothenot-Verfahren.

In einem Viereck ABCP mit den bekannten Längen a = |AB| und b = |BC| sowie Winkeln α, β, γ sind die Längen der Strecken x, y, z gesucht, also die Entfernung eines Punkts P von A, B, C. Gemäß Sinussatz kann man dann die entsprechenden Längen berechnen.

Der mathematische Monatskalender

Ihre wissenschaftlichen Leistungen sind weit verbreitet, doch wer waren die Mathematik-Genies, die unser Verständnis der Welt nachhaltig prägten? Seine ersten »mathematischen Monatskalender« hatte Heinz Klaus Strick, ehemaliger Leiter des Landrat-Lucas-Gymnasiums in Leverkusen-Opladen, für seine Schülerinnen und Schüler geschrieben, ergänzt durch passende Briefmarken der vorgestellten Personen. Alle spannenden Lebensläufe, skurrilen Porträts und unglaublichen Geschichten hinter den namhaften Persönlichkeiten finden Sie  hier.

Snellius veröffentlichte auch mehrere Schriften zur Astronomie, bei denen er eigene Messdaten verwendete (»Descriptio Cometae«, 1619), aber auch Daten von Tycho Brahe und Jost Bürgi (»Observationes Hassiacae« – Sternenkatalog des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen, 1618). In beiden Werken erwies er sich als Anhänger des ptolemäischen Weltbilds mit der Erde als Mittelpunkt.

Bestimmung der Kreiszahl

Wie Archimedes, aber mit genaueren Zwischenwerten als dieser, bestimmte Snellius die Seitenlängen eines ein- beziehungsweise umbeschriebenen regelmäßigen 96-Ecks und erhielt den Wert von π auf sechs Stellen genau. In seinem Werk »Cyclometricus« (1621) wendete er diese von ihm entwickelte Methode auch auf ein regelmäßiges 230-Eck an, und berechnete π sogar mit 34-stelliger Genauigkeit, während sein Lehrmeister Ludolph van Ceulen durch jahrelange Berechnungen am regelmäßigen 262-Eck nach der ursprünglichen archimedischen Methode eine Genauigkeit von 35 Stellen erzielte.

1621 entdeckte Snellius die Gesetzmäßigkeit, nach der Lichtstrahlen beim Übergang von einem Medium zu anderen gebrochen werden: Der von den betreffenden optischen Medien abhängende konstante Brechungsindex ergibt sich aus dem Verhältnis der Sinus der zum Lot gemessenen Winkel von einfallendem und ausfallendem Strahl (Snelliussches Brechungsgesetz) – veröffentlicht wurde es aber erst 1703 durch Christiaan Huygens, der einen Prioritätsanspruch von René Descartes (»Dioptrique«, 1637) zurückwies.

Unter den hinterlassenen Manuskripten von Snellius findet man den Entwurf eines Werks mit dem Titel »Dioptrica« – mit Hinweisen darauf, dass er möglicherweise durch die Schrift »Schatz der Optik« des persischen Gelehrten Ibn al Haitham (965–1039) zu seiner Entdeckung angeregt wurde. Bereits 20 Jahre vor Snellius hatte Thomas Harriot die Regel herausgefunden; der allererste Entdecker war aber wohl der persische Gelehrte ibn Sahl im Jahr 984.

1624 veröffentlichte Snellius seine Vorlesungen zur Navigation. Dabei untersuchte er auch die »curvas dos rumos« von Pedro Nunes und führte für diese die Bezeichnung Loxodrome ein, die seitdem allgemein verwendet wird.

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