Schlichting!: Cappuccino mit Dämpfer
Der Coffee to go ist seit vielen Jahren beliebt, aber beim Transport des vollen Bechers gibt es oft Probleme. Der Rhythmus des Gehens mit einem am starren Arm gehaltenen Getränk regt Wellen auf dessen Oberfläche an. Dann schwappt es schon nach wenigen Schritten über. Das Phänomen betrifft normalen Kaffee mit und ohne Milch, doch Cappuccino bleibt weitgehend von solchen Verlusten verschont. Der Unterschied zwischen den Getränken liegt an der Art, wie die Milch zugegeben wird: in dem einen Fall flüssig und im anderen aufgeschäumt – gewissermaßen als Deckschicht. Letztere scheint dämpfende Eigenschaften zu haben. Die Ursache dafür steckt in der Struktur von Schäumen.
Im Alltag haben wir vorwiegend Erfahrungen mit Seifenschaum gesammelt. Jedes Kind weiß, wie daraus ein regelrechter Turm entsteht: Man pustet mit einem Strohhalm in ein Glas mit Seifenlauge, bis schließlich ein Zusammenschluss zahlreicher Blasen oben herausquillt.
Das schäumte hoch; dick & gelbbraun
Arno Schmidt, 1914–1979
Blasen sind mit einem Gas sozusagen aufgepumpte, im Idealfall kugelrunde Flüssigkeitslamellen. Sowohl innen als auch außen haben sie über einen sehr großen Bereich Kontakt zur Luft. Um diese Grenzfläche zu erschaffen, ist Energie nötig. Da die Natur stets dazu tendiert, maximal viel Energie an die Umgebung zu überführen (zweiter Hauptsatz der Thermodynamik), ist für die Gestalt einer Blase vor allem die Minimierung der Grenzflächenenergie entscheidend – und Kugeln schließen ein gegebenes Volumen mit der kleinstmöglichen Fläche ein. Noch mehr Energie sparen die Blasen, indem sie sich mit Nachbarn zusammentun und ihre Grenzflächen teilen. Dadurch wachsen Gebilde aus Polyedern heran.
Reines Wasser lässt sich nicht aufschäumen, denn die entstehenden Blasen sind sehr instabil. Damit sie länger halten, braucht es zusätzlich so genannte grenzflächenaktive Stoffe. Seife sowie moderne Spül- und Waschmittel enthalten solche Tenside. Das sind Verbindungen mit einem Wasser liebenden und einem Wasser abweisenden Molekülteil. Sie verteilen sich dementsprechend auf den Grenzflächen und verringern die dortige Spannung. Anschaulich gesprochen senken Tenside den Drang der einzelnen Blasen, sich sofort zu einer größeren zusammenschließen, wodurch der Schaum rasch zerfallen beziehungsweise gar nicht erst entstehen würde.
Bei Milch übernehmen vor allem Proteine die Rolle der Tenside. Die Eiweiße sorgen eigentlich als Emulgatoren dafür, dass die an sich nicht mischbaren Fett- und Wasserbestandteile miteinander auskommen. Die Moleküle umgeben die Fettteilchen, wobei sich die wasserverträglichen Bereiche nach außen richten. Wird nun die Milch mechanisch aufgeschlagen, trennt das die Verbindung von Fett und einhüllenden Eiweißen. Letztere sind jetzt wieder frei und besetzen die in den Blasen entstehenden Grenzflächen zwischen Luft und Wasser. Das stabilisiert den Schaum. Dazu müssen allerdings genügend Proteine vorhanden sein, was unter anderem von der Vorbehandlung der Milch abhängt.
Klebrige Krönung
Die flüssigen Wände der Schäume werden vor allem infolge der Schwerkraft und der Verdunstung im Lauf der Zeit immer dünner und platzen schließlich. Einige Stoffe erhöhen die Viskosität, machen die Blasen also zäher, und verlängern so deren Lebensdauer weiter. Bei Seifenlauge geben Profis Verbindungen wie Glyzerin zu. Der Milchschaum auf dem Cappuccino enthält derartige Stabilisatoren insbesondere in Form von Zucker.
Etwas überspitzt könnte man sagen, Schaum ist ein fester Körper aus Flüssigkeit und Gas. Er entwickelt erstaunliche mechanische Eigenschaften und ist je nach seiner Zusammensetzung plastisch und elastisch, trägt leichte Gegenstände und schafft feste Verbindungen. Wenn man in einem Becher oder einer Flasche Schaum erzeugt, kann man das Behältnis umdrehen und noch so viel schütteln und rütteln – er lässt sich nicht vollständig entfernen.
Der Schaum auf dem Cappuccino wirkt also wie ein Deckel. Doch reicht das schon aus, um mögliche Bewegungen der Flüssigkeit zu dämpfen? Ein loser Pappdeckel auf einer Tasse mit normalem Milchkaffee kann jedenfalls ein Überschwappen nicht unterbinden. Vielmehr muss die Auflage fest auf dem Becher sitzen. Gerade diese Fixierung an die Gefäßwand leistet der Schaum in idealer Weise.
Das lässt sich wieder pauschal mit der Minimierung der Energie erklären. Zahlreiche Flüssigkeiten bilden leichter eine Grenzfläche zur Gefäßwand als zur Luft. Das erkennt man bereits an Wasser in einem Glas, das sich ein kleines Stück an der Wand hochzieht. Beim Schaum ist der Effekt auf Grund seiner Leichtbauweise wesentlich ausgeprägter. Um ihn gegen die Gefäßwand zu verschieben, braucht man entsprechend viel Kraft – umso mehr, je größer die Grenzfläche ist.
2014 haben Wissenschaftler der Princeton University in New Jersey zu dem Phänomen Modellexperimente durchgeführt. Dazu brachten sie mit einem kleinen Schlauch Schaum aus einer Lösung aus Wasser, Geschirrspülmittel und Glycerin (für die Langlebigkeit der Blasen) auf eine Flüssigkeit. Zunächst erzeugten sie einen einlagigen Blasenteppich, der durch seine Adhäsionskraft fest an den Gefäßwänden hielt. Anschließend versetzten sie den Versuchsaufbau in Schwingung. Sie erhöhten schrittweise die Schichthöhe und stellten fest: Schon bei fünf Blasenlagen war die Bremskraft so groß, dass das Getränk bei den typischen Gehbewegungen sicher im Gefäß blieb.
Die Erkenntnisse dienen freilich nicht nur den Konsumenten von Getränken wie Cappuccino oder Bier, wo die Krone ebenfalls dämpfend wirkt. Vielmehr lassen sie sich etwa auf den Transport von Flüssigkeiten in Tanklastern übertragen, bei denen das Schwappen zu ungleich größeren Problemen führen kann.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.