Psychische Erkrankungen: Elf Mythen über Burnout
"Burnout ist wie Pornografie – ich bin nicht sicher, ob ich es definieren kann, aber wenn ich es sehe, weiß ich, was es ist", brachte Richard Bolles, US-amerikanischer Geistlicher und Autor von Ratgeberbüchern für das Berufsleben, seine Wahrnehmung scherzhaft auf den Punkt. Tatsächlich ist Burnout in aller Munde; jeder hat eine gewisse Vorstellung davon, was sich hinter dem Begriff verbirgt. Doch vieles, was wir darüber zu wissen glauben, gehört ins Reich der Mythen. Welche Annahmen zum Thema Burnout sind wirklich fundiert – und wo handelt es sich um Irrtümer?
1. Burnout ist ein Phänomen unserer Zeit
Ein weltbekannter Architekt sieht plötzlich keinen Sinn mehr in seiner künstlerischen Arbeit und den Freuden seines Lebens. Er beschließt, seine Karriere an den Nagel zu hängen und Europa den Rücken zu kehren, um in einem Leprakrankenhaus in Afrika zu arbeiten. Dort blüht er regelrecht auf. Davon handelt, kurz gesagt, der Roman "A Burnt-Out Case" des britischen Schriftstellers Graham Greene (1904 – 1991). Das Buch stammt aus dem Jahr 1960.
Burnout wird heute als Epidemie wahrgenommen, doch das Phänomen ist längst nicht so jung, wie man glauben mag. Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts begannen Wissenschaftler sich mit diesem Phänomen zu beschäftigen. Als Pioniere der Forschung in diesem Feld gelten der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Herbert Freudenberger (1926 – 1999) sowie die US-amerikanische Sozialpsychologin Christina Maslach, die 1974 beziehungsweise 1976 erste wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Syndrom veröffentlichten. Aus dieser Zeit stammt auch die ursprüngliche Bezeichnung "Staff Burnout". Freudenberger fasste darunter die Beschwerden zusammen, die er bei überforderten und überlasteten Angestellten in Sozial- und Pflegeberufen beobachtete.
2. Burnout ist eine eigenständige Diagnose
Die am weitesten verbreitete Definition des Burnout-Syndroms stammt von Wissenschaftlern um Christina Maslach. Sie formulierten 1996 drei Kernsymptome: emotionale Erschöpfung, eine subjektiv empfundene verminderte Leistungsfähigkeit oder Wirkungslosigkeit sowie Depersonalisierung, also einen Zustand, in dem sich Betroffene als leblos oder unwirklich empfinden, so dass Körper und Geist wie voneinander losgelöst erscheinen. Dieses Gefühl kann sich auch gegen Mitmenschen oder die Arbeit richten: Man distanziert sich zunehmend von Job und Kollegen oder beginnt diese durch eine zynische Haltung abzuwerten.
Diese Symptome bilden das typische Burnout-Syndrom, aber eine gesicherte Diagnose auf Grund eines anerkannten Klassifikationssystems existiert nicht. Weder das auch in Deutschland geltende Diagnosesystem ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) der Weltgesundheitsorganisation WHO noch das von der American Psychiatric Association publizierte Pendant DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) kennen eine eigenständige Burnout-Diagnose.
Während manche Ärzte fest davon überzeugt sind, dass Burnout eine eigenständige Krankheit darstellt, betrachten es andere als Vorstufe einer Depression. Mitunter wird Burnout gar als Modebegriff gesehen, der lediglich besser klänge als Depression, die in Wahrheit dahinterstecke. Forschungsergebnisse sprechen zwar dafür, dass das Leiden mit Depression verknüpft ist, aber auch hier fehlen einheitliche Befunde.
Dennoch wäre es gefährlich, Burnout leichtfertig als reine Erschöpfung oder einen vorübergehenden instabilen Gemütszustand abzutun. Die Krankheit sollte daher immer sorgfältig abgeklärt und möglichst frühzeitig behandelt werden, um eine schwerwiegendere Erkrankung zu verhindern.
3. Frauen brennen eher aus
Ob Frauen wirklich häufiger betroffen sind als Männer, lässt sich schwer beurteilen. Wilmar Schaufeli, Arbeits- und Organisationspsychologe an der niederländischen Universität Utrecht, und sein deutscher Kollege Dirk Enzmann, der heute an der Universität Hamburg forscht, gingen dieser Frage 1998 in ihrem Buch "The Burnout Companion to Study and Practice" auf den Grund. Ihre Analyse der wissenschaftlichen Studien lässt tatsächlich einen gewissen Geschlechterunterschied erkennen – und zwar im Umgang mit Stress und Verausgabung sowie den Folgen: Während Frauen eher zu emotionaler Erschöpfung neigen, tendieren Männer vor allem zu Zynismus. Grund dafür könnten Geschlechterstereotype sein: Männer versuchen ihre Probleme mit dem Kopf zu lösen, Frauen reagieren dagegen mehr aus dem Bauch heraus, argumentieren die beiden Psychologen. Ein Mann schiebt die Schuld an seinem Stress am Arbeitsplatz der Umgebung oder dem Vorgesetzten in die Schuhe. Eine Frau dagegen leidet emotional stärker unter der sozialen Anspannung.
Fakt ist allerdings auch, dass selbst im 21. Jahrhundert die Hauptlast von Haushalt und Kindererziehung meist an den Frauen hängen bleibt. Sind sie zudem berufstätig, müssen sie eine deutliche Mehrbelastung bewältigen, was vermutlich dazu führt, dass sie tatsächlich häufiger erkranken.
Woran kann man Burnout erkennen?
Der deutsch-amerikanische Psychologe und Psychoanalytiker Herbert Freudenberger (1926 – 1999) prägte Anfang der 1970er Jahre den Begriff "Staff Burnout" (englisch: staff = Mitarbeiter, Personal). Beobachtet hatte er diese Form der körperlichen und emotionalen Erschöpfung zunächst bei Menschen in helfenden Berufen. Als kennzeichnend beschrieb er unter anderem das subjektive Gefühl der Verausgabung, Müdigkeit, Infektanfälligkeit, häufige Kopfschmerzen, Magen-Darm-Probleme, Schlaflosigkeit sowie Kurzatmigkeit. Im Kontakt mit Kollegen neigen die Betroffenen zu emotionalen Ausbrüchen und leichter Reizbarkeit sowie rigidem und unflexiblem Denken. Freudenberger sah im Burnout jedoch keine seelische Erkrankung, sondern lediglich die Folge einer beruflichen Überlastung.
Heute betrachten etliche Mediziner Burnout als Vorstufe einer depressiven Erkrankung. Typisch sind Energieverlust, reduzierte Leistungsfähigkeit, Gleichgültigkeit, Zynismus und Unlust. Vorher arbeiteten die Betroffenen meist hochengagiert – mitunter jahrelang – und erzielten überdurchschnittliche Leistungen. Unklare körperliche Symptome wie Schwitzen, Schwindel, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Muskelschmerzen und Schlafprobleme können hinzutreten.4. Burnout trifft vor allem Menschen mittleren Alters
Schaufeli und Enzmann haben auch den Einfluss des Alters auf das Burnout-Risiko analysiert. Demnach weist die wissenschaftliche Datenlage darauf hin, dass die Gefahr auszubrennen in den frühen Jahren einer beruflichen Karriere besonders hoch ist.
So gesehen wäre Burnout ein Phänomen der beruflichen Findungsphase. Die Bochumer Psychologen Dietmar Schulte und Rainer Künzel bezeichneten dieses Phänomen bereits 1986 als "Realitätsschock": Der Aufprall im beruflichen Alltag ist hart – die Anforderungen entsprechen oftmals nicht den persönlichen Wünschen und Vorstellungen. Daraus resultierende Enttäuschung sowie Überlastung können zum Ausbrennen führen. Erschwerend kommt hinzu, dass jüngere Arbeitnehmer sich erst im Job beweisen müssen und öfter keine Festanstellung haben als altgediente Mitarbeiter.
Allerdings: Wer früh ein Burnout durchlebt, scheidet in der Folge schnell aus dem Berufsleben aus oder sucht sich eine Beschäftigung, die seiner Persönlichkeit und Belastbarkeit mehr entspricht. Dadurch sinkt der Anteil älterer Betroffener automatisch. Das Bild verschiebt sich also – verschiedene Altersgruppen lassen sich nicht ohne Weiteres vergleichen.
5. Wer sein Leben "im Griff" hat, bleibt verschont
Depressionsforscher gehen schon lange davon aus, dass die so genannte Kontrollüberzeugung einen wichtigen Faktor für die psychische Gesundheit darstellt: Wer das Gefühl hat, sein Schicksal selbst zu bestimmen, läuft seltener Gefahr, depressiv zu werden, als Menschen, die sich als Spielball äußerer Umstände empfinden. Die Gesundheitsexpertin Jennifer Gray-Stanley von der Northern Illinois University und ihre Kollegen untersuchten 2010 die Zusammenhänge zwischen Depression, Kontrollüberzeugung und sozialer Unterstützung am Arbeitsplatz. Das Ergebnis: Sowohl Personen, die am Arbeitsplatz große soziale Unterstützung erfahren, als auch Menschen, die überzeugt sind, die Geschehnisse im eigenen Leben weit gehend selbst kontrollieren zu können, leiden laut Selbstauskunft weniger unter depressiven Symptomen.
Für Burnout gibt es ähnliche Befunde. So schreibt der Psychologe Matthias Burisch von der Universität Hamburg in seinem Übersichtswerk "Das Burnout-Syndrom", dass Personen mit hoher selbstbezogener Kontrollüberzeugung insgesamt optimistischer sind. Sie tun sich zudem leichter damit, Probleme am Arbeitsplatz zu lösen. Diese Eigenschaften können einen Schutz vor Burnout bieten.
Das gilt auch jenseits der Arbeitswelt, wie die US-Psychologinnen Ellen Langer und Judith Rodin bereits 1976 feststellten. Die Forscherinnen ließen die Bewohner eines Altenheims einfache Entscheidungen bezüglich der Gestaltung ihrer Privaträume sowie der Wochenplanung treffen – etwa ob eine Filmvorführung freitags oder samstags stattfinden sollte. In der Folge zeigten sich die Probanden zufriedener als die übrigen Heimbewohner, die diesen Entscheidungsspielraum nicht besaßen. Sogar die Sterberate hatte sich in den folgenden zwei Jahren halbiert.
Ob Frauen wirklich häufiger betroffen sind als Männer, lässt sich schwer beurteilen
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille: Burisch weist auch darauf hin, dass Menschen mit starker Kontrollüberzeugung sich Misserfolge eher selbst zuschreiben. Das kann problematisch werden – insbesondere, wenn Ziele objektiv betrachtet zu hoch angesetzt oder Abläufe zu einem gewissen Anteil nicht kontrollierbar sind. Ein Makler, der während einer Immobilienkrise die Schuld für schlechte Verkaufszahlen bei sich sieht, schadet damit auf Dauer seinem Selbstwertgefühl – und ebnet so den Weg zum Burnout.
Dazu kommt, wie die US-Psychologen Jack Brehm und Camille Wortmann 1975 feststellten: Je stärker ein Mensch der Überzeugung ist, Dinge selbst in der Hand zu haben, umso länger wird er für seine Ziele kämpfen – selbst wenn dieses Unterfangen eigentlich aussichtslos ist. Er powert sich aus und steuert umso schneller auf das Burnout zu. Solche Mechanismen spielen vorwiegend in der so genannten Reaktanz- oder Widerstandsphase eine Rolle – wenn die Betroffenen ihre Überlastung zwar bereits erkennen, aber noch nicht bereit sind, Maßnahmen zu ergreifen, wie ihre Ziele und Erwartungen anzupassen und ihren Arbeitseinsatz ein wenig zurückzuschrauben.
6. Burnout ist eine Promi-Krankheit
Fußballtrainer Ralf Rangnick, Schispringer Sven Hannawald, Fernsehkoch Tim Mälzer – die Liste der Prominenten, die wegen Burnout pausierten, ist lang. Trotzdem beschränkt sich das Syndrom weder auf Prominente noch auf Manager.
Vielmehr gingen Wissenschaftler schon in den 1970er Jahren davon aus, dass es vor allem Menschen in helfenden Berufen trifft, also Krankenschwestern, Lehrer oder Sozialarbeiter. Mit zunehmender Studienzahl und Untersuchungen in anderen Berufsgruppen weitete sich das Konzept jedoch sehr bald aus. Heute nehmen wir an, dass Menschen in jedem Beruf ausbrennen können.
Betroffen sind meist sehr engagierte Personen, die sich mit Idealismus und hoher Leistungsbereitschaft in die Arbeit stürzen und dabei wenig Distanz zum Job wahren. Doch auch bei Rentnern und Arbeitslosen – man spricht dann oft vom "Boreout" – und sogar in romantischen Beziehungen können pathologische Über- oder Unterforderung in eine dauerhafte Erschöpfung münden.
7. Schlechte Arbeitsbedingungen fördern Burnout
Das Arbeitsumfeld spielt natürlich eine große Rolle: Ein Angestellter, der das Gefühl hat, dass seine Arbeit geschätzt und gerecht entlohnt wird, ist in der Regel zufriedener mit sich und seinem Job und dadurch weniger gefährdet.
Wichtig sind aber auch der Handlungsspielraum am Arbeitsplatz sowie die Möglichkeit, selbst entscheiden zu können, wie man seine Tätigkeit und das Arbeitsumfeld gestaltet. Viele Mitarbeiter in Unternehmen legen Wert darauf, ihre Erfahrungen und Fähigkeiten einzubringen, um Arbeitsabläufe zu optimieren. Umgekehrt bekommen sie ein besseres Verständnis dafür, warum bestimmte Organisationsprozesse wichtig sind, wenn sie in Projektplanung und Entscheidungen einbezogen werden.
Hat der Mitarbeiter das Gefühl, in gewissem Umfang Einfluss nehmen zu können, steigert dies die Identifikation mit dem Unternehmen und das Gefühl, für ähnliche Werte einzustehen. Das gilt wiederum als wichtiger Schutzfaktor gegen Burnout. Zweifelt beispielsweise ein Pharmareferent an den Produkten und den ethischen Richtlinien seines Unternehmens, entsteht ein innerer Konflikt. Er muss entgegen seiner Auffassung Medikamente bewerben und verkaufen. Kann er jedoch zum Teil Richtung und Ziele des Konzerns mitbestimmen oder wird zum Beispiel das weitergegebene Kundenfeedback im Unternehmen ernst genommen und adäquat umgesetzt, steigt die Identifikation und damit die Zufriedenheit mit dem Job.
Doch Vorsicht: Wer zu viel "Freiheit" hat und sich unter Umständen gar nicht qualifiziert fühlt, die notwendigen Entscheidungen zu treffen, wird unsicher. Dann droht Überlastung.
8. Das Privatleben hat nichts damit zu tun
Ein gesundes Privatleben kann einiges von dem auffangen und ausgleichen, was im Job schiefläuft. So vermag eine glückliche Partnerschaft einen gewissen Schutz vor Burnout zu bieten. Singles scheinen tatsächlich eher anfällig zu sein. Aber auch sie sind dem Burnout nicht schutzlos ausgeliefert, wenn sie gut in ein soziales Netzwerk eingebunden sind: Nicht nur romantische Beziehungen, sondern auch anderweitige soziale Unterstützung – etwa durch einen stabilen Freundeskreis oder ein Halt bietendes familiäres Umfeld – wirkt sich protektiv aus, wie internationale Forschergruppen mehrfach belegt haben.
9. Rollen- und Wertewandel tragen zum Burnout bei
Die familiären Strukturen haben sich verändert. Es gibt in unserer Gesellschaft kaum noch Großfamilien, in denen mehrere Generationen zusammenleben. Dafür nimmt die Zahl an Singlehaushalten und Alleinerziehenden zu, die nicht im familiären Gefüge geborgen sind, wo Aufgaben und Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt werden und der Einzelne Rückhalt durch die Gruppe bekommt. Gleichzeitig steigen Rollenanforderungen und Mehrfachbelastung bei Menschen, die auf sich allein gestellt sind. Daraus resultiert vermehrt Stress, was die Arbeitszufriedenheit und die subjektive Leistungsfähigkeit mindert, wie Forscher um die Organisationspsychologin Susan Jackson von der Rutgers University bereits 1986 beschrieben. Dann ist der Nährboden für Burnout gelegt.
Nicht nur romantische Beziehungen, sondern auch anderweitige soziale Unterstützung – etwa durch Freundeskreis und Familie – wirkt sich protektiv aus
Zudem haben sich über die Generationen hinweg auch die Werte verschoben, wie das Team um die amerikanische Psychologin Jean Twenge 2010 herausfand. Die Arbeitsgruppe von der San Diego State University beschäftigte sich mit der Frage, wie sich die arbeitsbezogenen Werte über die vergangenen drei Generationen – die "Babyboomer" (Geburtsjahrgänge zwischen den 1940er und 1960er Jahren), die "Generation X" (1960er bis frühe 1980er Jahre) und die "Generation Y" (geboren bis 1998) – verändert haben. Dabei zeigte sich, dass die Generationen X und Y stärker extrinsisch motiviert sind als die Babyboomer. So orientieren sich die Nachgeborenen bei der Arbeitsplatzwahl eher an Bezahlung, Ansehen und vermeintlicher Sicherheit. Die intrinsische Motivation, etwa durch Spaß an der eigenen Tätigkeit, hat dagegen mehr und mehr abgenommen (siehe Grafik "Werteverschiebung in der Arbeitswelt").
Diese Tendenz erhöht das Risiko für eine Fehlbelastung am Arbeitsplatz. Denn wer entgegen seinen eigentlichen Talenten ackert, läuft Gefahr, seine Arbeit irgendwann als Qual zu empfinden. Daher steigt das Burnout-Risiko, wenn sich jemand aus finanziellen Gründen zum Beispiel für eine Ausbildung zum Bankkaufmann entscheidet, obwohl ihm eine soziale Arbeit viel mehr läge.
Twenge und Kollegen erkannten zudem, dass auch die soziale Orientierung über die vergangenen Generationen stetig abgenommen hat. Die Bereitschaft, sich gegenseitig zu unterstützen, sinkt – und damit auch die Chance, Unterstützung von anderen zu erfahren. Die veränderten sozialen Strukturen und Werte tragen deshalb tatsächlich zu einem erhöhten Risiko bei.
10. Wer Schlimmes erlebte, erkrankt eher
Wissenschaftliche Untersuchungen deuten auf einen Zusammenhang zwischen "life stress" und dem Risiko für Depressionen hin. Wer einschneidende und potenziell traumatische Erfahrungen erlebte – etwa den Verlust einer nahestehenden Person, schwer wiegende Unfälle oder Erkrankungen, Missbrauch und Misshandlung, aber auch den Verlust des Arbeitsplatzes –, läuft demnach eher Gefahr, depressive Symptome zu entwickeln. Das Risiko für Depressionen steigt also tatsächlich mit der Zahl der traumatischen Erlebnisse.
Eine wegweisende Studie hierzu stammt von der Psychologin Terrie Moffitt vom King’s College London. Gemeinsam mit ihrer Arbeitsgruppe untersuchte sie 2003, welcher Zusammenhang zwischen dem mit Depression assoziierten Gen 5-HTT, der Anzahl kritischer Lebensereignisse sowie dem Depressionsrisiko besteht. Dabei zeigte sich, dass die so genannte Risikovariante des Gens allein nicht ausreicht, um das Depressionsrisiko anzuheben. Mit zunehmender Anzahl kritischer Lebensereignisse hatten die Träger dieser Variante jedoch häufiger mit depressiven Symptomen zu kämpfen als Probanden mit der schützenden Genvariante.
Ob für das Burnout-Risiko Ähnliches gilt, untersuchten wir 2015 in Bonn bei Patienten aus psychosomatischen Kliniken sowie bei gesunden, berufstätigen Probanden. Wir konnten einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Anzahl kritischer Lebensereignisse und Depression bestätigen – dieser existierte aber nicht für traumatische Erlebnisse und Burnout. Das erscheint logisch, da Burnout maßgeblich im Kontext Arbeit steht und daher weniger durch Erlebnisse beeinflusst werden sollte, die außerhalb des Berufsalltags liegen. Hierin unterscheiden sich offensichtlich Depressionen vom Burnout-Syndrom.
11. Burnout ist eine Frage der Persönlichkeit
Wer ängstlich und unsicher ist, emotional labil wirkt, aber auch wer mit latenten Schuldgefühlen kämpft oder leicht reizbar ist, läuft tatsächlich eher Gefahr, an Depression oder Burnout zu erkranken. Dagegen wirkt sich eine ausgeprägte Selbststeuerungsfähigkeit mildernd auf das Erkrankungsrisiko aus. Selbstregulation und Selbstreflexion, hohes Verantwortungsbewusstsein, zielgerichtetes Handeln, Selbstakzeptanz, Willensstärke und Gewissenhaftigkeit – das all sind Eigenschaften, die tendenziell vor Stresserkrankungen schützen, sofern sie nicht übermäßig ausgeprägt sind.
Wer ängstlich und unsicher ist, emotional labil wirkt, mit latenten Schuldgefühlen kämpft oder leicht reizbar ist, läuft eher Gefahr, an Depression oder Burnout zu erkranken
Allerdings scheint die Persönlichkeitsstruktur weitaus mehr Einfluss auf das Depressionsrisiko zu haben als auf die Gefahr auszubrennen, wie unsere Arbeitsgruppe 2015 feststellte. Wir beobachteten außerdem, dass bei Männern ein stärkerer Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und dem Auftreten depressiver Symptome beziehungsweise Anzeichen für Burnout besteht: Männer, die auf Grund ihrer Persönlichkeit zu Burnout neigen, sind stärker gefährdet als Frauen. Umgekehrt schützt ein stabiler Charakter Männer besser vor dem Ausbrennen als Frauen.
Das könnte damit zusammenhängen, dass die Geschlechter meist auf unterschiedliche Strategien zurückgreifen, um belastende Situationen zu bewältigen. So erkannte die spanische Psychologin Pilar Matud von der Universidad de La Laguna auf Teneriffa 2004: Während Frauen bei Problemen eher soziale Unterstützung suchen, neigen Männer zu "einsamen" Lösungen. Dadurch sind sie im Ernstfall mehr auf sich selbst gestellt als Frauen, die auch auf Rat und Ideen aus ihrem Umfeld zurückgreifen können. Eine Neigung zu "männlichen" Problemlösungsstrategien birgt somit die Gefahr, an Depression und Burnout zu erkranken.
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