Der mathematische Monatskalender: Robert Recorde (1510–1558): Erfinder des Gleichheitszeichens
Dass man sich auch noch nach Jahrhunderten an den walisischen Mathematiker und Mediziner Robert Recorde erinnern wird, hat er einem genialen Einfall zu verdanken: In seinem Buch »The Whetstone of Witte« (Der Wetzstein des Verstandes) aus dem Jahr 1557 verwendete er – um die lästige Wiederholung des Wortes »aequalis« zu vermeiden – ein Zeichen, das aus einem Paar gleich langer paralleler Strecken besteht: »=«. Er wählte dieses Symbol für die Gleichheit zweier Größen, weil – wie er schrieb – keine anderen zwei Dinge gleicher sein können. Es dauerte allerdings noch einmal 60 Jahre, bis als nächster John Napier diese Schreibweise übernahm; auf dem Kontinent setzte sich das Symbol erst im Laufe des 18. Jahrhunderts durch. Der nebenstehende Ausschnitt mit der Gleichung zeigt, dass Recorde das Zeichen noch in langgestreckter Form notierte. Er war übrigens der erste Brite, der die 1489 vom deutschen Cossisten Johannes Widmann eingeführten Zeichen »+« und »-« übernahm.
Über die ersten Jahre des aus dem südwalisischen Ort Tenby stammenden Robert Recorde ist nur wenig bekannt: Um 1525 nimmt er ein Studium in Oxford auf, legt 1531 die Bachelor-Prüfung ab und wird am All Souls College in Oxford als Fellow tätig, an dem Kirchenmusik, Theologie, Jura und Medizin gelehrt werden. 1533 erwirbt er dort eine Lizenz für den Arztberuf. Um den Titel als MD (medicinae doctor) zu erwerben, wechselt er 1537 an die weltoffene Universität in Cambridge – vor allem aus religiösen Gründen. Er ist nämlich von den Lehren der Reformation überzeugt und muss mit Nachteilen rechnen, wenn er länger am streng römisch-katholischen College in Oxford bleibt.
Über mehrere Jahre hält Recorde in Cambridge und auch in Oxford Vorlesungen über Astronomie, Geografie, Mineralogie, Zoologie und in Mathematik. Für ihn ist die Arithmetik die Grundlage allen Lernens, also auch aller Wissenschaften, und so gibt er seinem ersten Buch den Titel »The Grounde of Artes« (erschienen um 1542 in London). Es ist das erste Mathematikbuch in englischer Sprache, und es ist sehr erfolgreich: Nach drei Auflagen folgt 1552 eine erweiterte Fassung. Auch nach Recordes Tod wird das Buch immer wieder nachgedruckt (mit Ergänzungen durch nachfolgende Mathematiker); es erscheint bis zum Jahr 1700 in 45 Auflagen.
In seiner Vorrede beklagt Recorde, dass seine Landsleute zwar nur von wenigen Völkern an natürlichem Menschenverstand (mother witte) übertroffen werden, dass sie aber zu bequem sind zu lernen. Mit seinem Buch möchte er dazu beitragen, die große Unwissenheit bezüglich der arithmetischen Kenntnisse zu verringern.
Das Werk ist in der Form eines Dialogs zwischen einem Lehrer (Master) und einem altklugen Schüler angelegt – in kleinen, leicht nachvollziehbaren Schritten und in einfacher, verständlicher Sprache werden die Themen erarbeitet und die vermittelten Methoden eingeübt. Dem Schüler unterlaufen anfangs immer wieder (typische) Fehler; es scheint so, als habe Recorde hier Erfahrungen aus eigenem Unterricht eingebracht. Der Lehrer räumt ein, dass der Schüler nicht alle Schritte sofort verstehen muss, sondern erst einmal eine Regel (oft in Reimform) lernen und anwenden soll.
Das Buch beginnt mit einer Einführung in die Schreibweise von Zahlen mit den neun arabischen Ziffern, deren Wert (value) mithilfe römischer Zahlzeichen erklärt wird, und der Zahl Null, die Recorde als »cipher« bezeichnet. Danach folgt das schriftliche Rechnen in den Grundrechenarten; die Ergebnisse werden jeweils mithilfe der Neunerprobe kontrolliert. Einen großen Raum nimmt auch das Umrechnen von Münz-, Gewichts-, Längen-, Flächen- und Volumeneinheiten ein. Auch werden verschiedene Aufgabentypen zu arithmetischen Folgen (arithmetical progression) abgehandelt, anschließend der Unterschied zu geometrischer Progression verdeutlicht.
Beispiel (in moderner Schreibweise): »If you have distributed 685 pounds to a certain number of men, you neither can tell how many they were, or how much the one's money exceeded his next before, but you are sure that the excess was equal between every two next and also you remember that the first had 19, the last had 118 pounds, how would you find both the number of the men and the excess, continually observed in the succession of their payments.«
Das umfangreiche Kapitel »The Golden Rule« befasst sich mit Dreisatzaufgaben in proportionalen und antiproportionalen Beziehungen (auch mit mehrfacher Anwendung).
Beispiel: »If a captain over a band of men did set 300 pioneers at work which in eight hours did cast a trench of 200 rods: I demand how many labourers will be able with a like trench in three hours to entrench a camp of 3400 rods.«
Die ausführliche Behandlung der »Arithmeticke with the pen« (Rechnen mit der Feder) ergänzt Recorde abschließend durch einen Abschnitt über das Rechnen mit »counters« (Rechenpfennige bei Adam Riese, Rechnen auf den Linien) – für alle, die nicht lesen oder schreiben können oder denen gerade nicht pen or tables zur Verfügung stehen.
Von der vierten Auflage an folgen im Buch ausführliche Erläuterungen zum Rechnen mit Brüchen (Kürzen und Erweitern, Multiplikation und Division, Addition und Subtraktion) sowie Anwendungsbeispiele wie zum Beispiel das Aufteilen von Gewinnen aus Investitionen (Rule of Fellowship) oder Mischungsaufgaben (Rule of Alligation).
Ein weiteres Kapitel befasst sich mit der Anwendung der »Rule of false Positions«.
Beispiel: »Two men having several sums, which I know not, do thus talk together: The first says to the second, if you give me 2 sh. of your money, then shall I have three times so much money as you. The second man answers, it were more reason that our sums were made equal, and so will it be if you give me 3 sh. of your money. Now guess what each of them had.«
1545 ist Recorde zum Doktor der Medizin (Physicke) promoviert worden; in London arbeitet er vorübergehend als Arzt, auch am königlichen Hof, bevor er zum Leiter der königlichen Münze in Bristol ernannt wird.
Nach dem Tod von König Henry VIII im Jahr 1547 ist der zehnjährige Edward aus dessen dritter Ehe (mit Jane Seymour) zum Nachfolger ernannt worden; im Streit um die Wahrnehmung der Regentschaft kommt es zu Aufständen in verschiedenen Landesteilen.
Recorde, in seiner Funktion als Leiter der Bristol mint, verweigert dem aufstrebenden William Herbert (später Earl of Pembroke) die Finanzierung einer Armee, mit der Aufstände niedergeschlagen werden sollen, worauf dieser Recorde wegen Hochverrat für 60 Tage einsperren lässt. Gleichwohl ernennt ihn der designierte König 1551 zum Aufseher über alle Minen und Prägeanstalten in Irland – in der Erwartung, dass diese Gewinn abwerfen, was aber nicht der Fall ist.
Als Edward im Juli 1553 an Tuberkulose stirbt, reißt Mary, Tochter aus der ersten Ehe von Henry VIII die Regierung an sich, unter anderem unterstützt durch William Herbert, den sie zum persönlichen Berater wählt. Als Mary, die eine Ehe mit Philipp II von Spanien eingeht, den römisch-katholischen Glauben als Staatsreligion einführt, kommt es zu Aufständen, die vom Earl of Pembroke niedergeschlagen werden.
1556 versucht Recorde, seine frühere Stellung am Hofe wieder zu gewinnen, begeht dabei aber den unverzeihlichen Fehler, dies durch den Hinweis auf ein Fehlverhalten Pembrokes zu erreichen. Dieser verklagt Recorde wegen Verleumdung und gewinnt den Prozess. Und da Recorde die Entschädigungssumme von 1000 Pfund nicht zahlen kann, kommt er ins Gefängnis, wo er einige Wochen später stirbt. Ironie der Geschichte: Für Recordes Tätigkeit in Irland stehen ihm noch Zahlungen in Höhe von 1000 Pfund zu; diese werden 12 Jahre nach seinem Tod an seine Kinder ausgezahlt.
Es ist erstaunlich, dass Recorde trotz der Turbulenzen seiner letzten Lebensjahre dazu gekommen ist, weitere Bücher zu verfassen: 1551 veröffentlicht er eine verkürzte Version der ersten Kapitel der »Elemente« des Euklid: »Pathwaie to Knowledge«. Hier geht er nur auf die Konstruktionen ein, verzichtet aber auf die Beweise; anhand von Beispielen erläutert er deren Anwendung.
1556 erscheint »The Castle of Knowledge«, eine Einführung in die Astronomie des Ptolemäus. Er erwähnt die Theorien von Aristarch und Kopernikus, wagt es aber angesichts der Ketzerverbrennungen unter der neuen Regierung der Königin Bloody Mary nicht, sich zum heliozentrischen Weltbild zu bekennen.
1557 erscheint dann als Fortsetzung seines Arithmetik-Buchs »The Whetstone of Witte: whetstone = lateinisch cos«, also ein Buch über Algebra; es enthält das Rechnen mit Wurzeln sowie das Lösen von linearen und quadratischen Gleichungen; in seinen Bezeichnungen hält sich Recorde an ein wenige Jahre zuvor erschienenes Buch des deutschen Cossisten Johann Scheubel.
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