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Schlichting!: Kann man polarisiertes Licht sehen?

Die Streuung der Sonnenstrahlung an Luftmolekülen polarisiert das Licht. Das sorgt für verschiedene Phänomene und offenbart sich dem geübten Auge manchmal sogar in Form eines seltsamen Flecks.
In der Atmosphäre senkrecht polarisiertes Himmelslicht wird auf einer Wasseroberfläche durch Reflexion abermals polarisiert, wodurch sich der gespiegelte Himmel im Vordergrund verdunkelt
Das in der Atmosphäre senkrecht polarisierte Licht wird auf einer Wasseroberfläche durch Reflexion abermals polarisiert, wodurch sich der gespiegelte Himmel im Vordergrund verdunkelt.

An einem klaren, wolkenlosen Tag strahlt der Himmel in einem herrlichen Blau. Das Phänomen erscheint uns selbstverständlich, jedenfalls ist es viel gewöhnlicher als zum Beispiel ein Regenbogen. Dennoch finden auch dabei bemerkenswerte optische Vorgänge statt.

Die blaue Farbe entsteht durch Reflexion des Sonnenlichts an den Molekülen in der Atmosphäre. Je nach Lichteinfall erfolgt das in verschiedene Richtungen, darum spricht man von Streuung. Dieser Effekt ist für kürzere Wellenlängen wesentlich ausgeprägter als für längere (Rayleigh-Streuung). Somit dominieren die Violett- und Blauanteile, und als Mischfarbe ergibt sich das typische Himmelblau.

»Eine Preisfrage an den Himmel«Georg Christoph Lichtenberg

Darüber hinaus hat die Streuung des Sonnenlichts noch eine meist übersehene Wirkung: Es wird linear polarisiert. Vor dem Auftreffen auf die Luftmoleküle schwingen die elektromagnetischen Lichtwellen in beliebigen Orientierungen, sie sind nicht polarisiert. Von den Gasteilchen wird es dann in einer Vorzugsrichtung ausgesandt. Sie hängt davon ab, woher der Lichtstrahl ursprünglich kommt. Blickt man beispielsweise abends, wenn die Sonne tief im Westen steht, nach Norden oder Süden, empfängt man von dort Licht, das zu einem großen Teil senkrecht zur Horizontebene polarisiert ist. Das kann man mit einer speziellen Folie feststellen, wie es sie in Form entsprechender Filter für Kameras oder in Sonnenbrillen gibt. Sie polarisiert das Licht ebenfalls linear. Wenn man sie passend dreht, verdunkelt sie den Himmel, denn sie lässt nicht dessen Lichtanteile senkrecht zu ihrer eigenen Filterrichtung durch.

Ausgelöscht | Das in der Atmosphäre senkrecht polarisierte Licht wird auf einer Wasseroberfläche durch Reflexion abermals polarisiert, wodurch sich der gespiegelte Himmel im Vordergrund verdunkelt.

Das Phänomen lässt sich sogar ohne technische Hilfsmittel erkennen. Blickt man über einen See, erscheint der darin reflektierte Himmel in einem gewissen Bereich deutlich verdunkelt. Ähnlich wie bei der Streuung an den Luftmolekülen wird das reflektierte Licht vom Wasser polarisiert, und zwar parallel zu dessen Oberfläche. Dieser Effekt ist bei einem bestimmten Winkel maximal, dem so genannten Brewster-Winkel. Man hat den eigenen Blickwinkel darauf eingestellt, sobald man die dunkle Stelle auf dem Wasser entdeckt hat: Hier sieht man weniger Reflexion vom hellen Himmel und mehr von den dunklen blauen Tiefen des Wassers.

Polarisiertes Himmelslicht | Streuung in der Atmosphäre prägt dem in alle Richtungen schwingenden Sonnenlicht eine Vorzugsebene auf. Deren Orientierung hängt davon ab, in welchen Bereich des Himmels man schaut. Wasser polarisiert reflektiertes Licht parallel zur Oberfläche. Wenn beide Effekte zusammenkommen, löschen sich in einem bestimmten Winkelbereich die Polarisationen aus.

Bei dieser Methode, die Polarisation von Licht ohne Folien und anderes Gerät zu erkennen, sollte man sich jedoch klarmachen, dass man hier die Wirkung natürlicher, äußerer Polarisationsfilter ausnutzt. Einerseits nämlich durch die Streuung des Sonnenlichts und andererseits durch die Reflexion auf dem Wasser. Polarisiertes Licht direkt wahrzunehmen, scheint dem Menschen verwehrt zu sein – im Unterschied zu einigen Tierarten, die das durchaus können und etwa zur Orientierung nutzen.

Verfinstertes Blau | Durch einen Polarisationsfilter hindurch betrachtet erscheint die Himmelsregion senkrecht zur Sonnenstrahlrichtung (hier steht die Sonne links vom Foto) verdunkelt. Manche Menschen können eine leichte Schattierung sogar ohne Filter feststellen.

Jedenfalls war das meine Meinung, bis ich vor Jahren bei der Lektüre von Tolstois Biografie »Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre« auf einen interessanten Bericht stieß. Tolstoi schilderte dort die folgende Situation: »Manchmal, wenn ich allein im Salon bin, lasse ich unwillkürlich das Buch sinken; ich schaue durch die offene Balkontür auf die lockigen, herabhängenden Zweige der hohen Birke, auf die sich schon der Abendschatten senkt, und auf den blauen Himmel, an dem, wenn man scharf hinsieht, sich plötzlich ein winziger gelblicher Punkt zeigt und wieder ver­schwindet.«

Wenn man das Phänomen nicht kennt, wird man die Worte vielleicht als dichterische Überempfindlichkeit deuten und sich nicht wirklich aufgefordert fühlen, selbst einen solchen gelblichen Fleck am Himmel zu suchen. Wie ich selbst erfahren sollte, würde es sich allerdings lohnen, denn es gibt ihn wirklich. Allerdings muss die Anleitung zum Suchen etwas detaillierter ausfallen als in Tolstois Erzählung. Er wird zufällig auf die passende Stelle am Himmel geblickt haben, und ihm ist daher vermutlich gar nicht aufgefallen, dass er in eine Region senkrecht zur Richtung der Sonnenstrahlen geschaut hat, aus der teilweise polarisiertes Licht kommt.

Nachweislich entdeckt wurde der gelbe Fleck zuerst 1844 vom österreichischen Mineralogen Wilhelm Karl Haidinger beim Experimentieren mit polarisierenden Kristallen. In seiner Beschreibung hat der gelbe Fleck eine charakteristische Form und verschwindet als »fliegendes Phantom von gelblicher Farbe« bei längerer Fixierung wieder. Es handelt sich um ein entoptisches Phänomen, das heißt, es hat seine Ursache im Augeninneren und kann deswegen nur subjektiv beschrieben und zeichnerisch dargestellt, keinesfalls jedoch fotografiert werden. Für die meisten ist es ein büschelartiges Gebilde mit einem sanduhrförmigen gelben Streifen in der Mitte, der zu beiden Seiten durch bläulich schimmernde Bereiche begrenzt wird.

Haidinger-Büschel | Ein gelbliches Bündel wird von bläulichen Bereichen eingeschnürt. So ähnlich, allerdings weniger intensiv, erscheint polarisiertes Licht auf der Netzhaut.

Wem es nicht auf Anhieb gelingt, dieses Haidinger-Büschel in der passenden Himmelsregion zu entdecken, kann sich durch eine Art Vorübung präparieren. Dazu sollte sie oder er durch eine polarisierende Folie hindurch auf eine weiße Wand blicken. Da das Phänomen nur kurzzeitig sichtbar bleibt und nach wenigen Sekunden verblasst, empfiehlt es sich, die Folie von Zeit zu Zeit zu drehen. Bei jeder Orientierungsänderung baut sich das gelbe Büschel nämlich neu auf.

Mit diesem Training sollte es dann gelingen, die Erscheinung auch am Himmel direkt aufzuspüren. Hat man sie erst einmal wahrgenommen, so sieht man sie immer wieder. Leichtes Hin- und Herbewegen des Kopfes kann die Empfindung erleichtern.

Diejenigen, die den Blick auf ihren Computer jenem zum Himmel vorziehen, müssen nicht auf das Erlebnis verzichten, ihre Polarisationssensitivität zu entdecken. Mit leicht wiegendem Kopf können sie das Haidinger-Büschel auch auf dem Flachbildschirm erscheinen lassen, dessen Licht polarisiert ist. Am besten funktioniert es bei einem weißen Display bei sonst völliger Dunkelheit. Ganz gleich, wo man es sieht, die scheinbare Größe des Bündels entspricht etwa der Breite zweier Finger bei ausgestrecktem Arm.

Hinter zahlreichen alltäglichen Dingen versteckt sich verblüffende Physik. Seit vielen Jahren spürt H. Joachim Schlichting diesen Phänomenen nach und erklärt sie in seiner Kolumne. Schlichting ist Professor für Physik-Didaktik und arbeitete bis zur Emeritierung an der Universität Münster. Alle seine Beiträge finden sich auf dieser Seite.

An seinem Zustandekommen ist maßgeblich die Struktur der Fovea oder Sehgrube im Auge beteiligt, der Stelle schärfsten Sehens in der Netzhaut. Sie liegt im Zentrum der Makula, des Bereichs der höchsten Sehrezeptordichte im hinteren Teil der Netzhaut. Dort treffen radial verlaufende Nervenfasern zusammen und wirken wie ein radialsymmetrischer Polarisationsfilter. Die eingelagerten Pigmentmoleküle sind dabei so ausgerichtet, dass sie den Blauanteil des polarisierten Lichts in einer Vorzugsrichtung schwächen. Das lässt das gelbliche Bündel erscheinen. Der von vielen Menschen beobachtete schwache Blauschimmer, der an beiden Seiten senkrecht zum gelben Streifen auftritt, wird durch Simultankontrast provoziert: Blau ist die Komplementärfarbe von Gelb.

Der Mensch kann polarisiertes Licht also durchaus direkt sehen. Anders als in der Tierwelt nutzen wir diese Fähigkeit allerdings nicht automatisch – sondern müssen uns erst einmal bewusst machen, dass wir sie überhaupt besitzen.

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  • Quellen

Haidinger, W.: Über das direkte Erkennen des polarisierten Lichts und der Lage der Polarisationsebene. Annalen der Physik und Chemie 63, 1844

Tolstoj, L.: Kindheit, Knabenalter, Jünglingsjahre. Insel, Frankfurt, 1963

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