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Schlichting!: Unnötige Schaumschlägerei

Tenside verbinden Wasser mit fetthaltigem Schmutz. Sie lassen auch Schaum entstehen. So imposant er wirkt – für die Reinigung braucht es ihn gar nicht! Schaum an sich ist nicht nur wirkungslos, sondern im Gegenteil: Übermäßig viel davon kann das Waschen sogar weniger effektiv machen.
Frau nimmt ein Schaumbad
Eine dicke Schaumschicht erhöht den Badespaß, aber nicht den Reinigungseffekt.
Hinter zahlreichen alltäglichen Dingen versteckt sich verblüffende Physik. Seit vielen Jahren spürt H. Joachim Schlichting diesen Phänomenen nach und erklärt sie in seiner Kolumne. Schlichting ist Professor für Physik-Didaktik und arbeitete bis zur Emeritierung an der Universität Münster. Alle seine Beiträge finden sich auf dieser Seite.

Wenn man sich selbst, verschmutztes Essgeschirr oder Kleidungsstücke wäscht, entsteht typischerweise Schaum. Daher ist die Auffassung verbreitet, dem Schaum wohne eine wie auch immer geartete Reinigungskraft inne, womöglich spiele er sogar die entscheidende Rolle. Doch auf welche physikalische Weise sollten die zahllosen Bläschen wirken?

Mit Wasser allein jedenfalls richtet man beim Waschen oder Geschirrspülen bekanntlich nicht allzu viel aus. Das liegt vor allem daran, dass die menschliche Haut und die Rückstände am benutzten Geschirr fetthaltig sind. Solche und viele weitere Verschmutzungen lösen sich im Wasser meist nicht gut auf, weil die beiden Stoffe auf molekularer Ebene nicht zusammenpassen und daher zueinander auf Distanz bleiben.

Bringt man Fett und Wasser zwangsweise zusammen, indem man beispielsweise in ein leeres Marmeladenglas Wasser füllt und Öl hinzugibt, so setzt sich Letzteres sofort an der Oberfläche ab. Dafür reicht als Begründung nicht aus, dass es wegen seiner geringeren Dichte oben schwimmt. Denn auch die Dichte von Alkohol ist niedriger als die von Wasser, doch die beiden Flüssigkeiten lassen sich leicht vermengen. Das kennt man beispielsweise von diversen alkoholischen Getränken.

Entscheidend ist vielmehr, dass zur Ausbildung einer Grenzfläche zwischen Öl und Wasser viel so genannte Grenzflächenenergie erforderlich ist – wesentlich mehr als bei einer gleich großen Fläche gegenüber anderen Stoffen, einschließlich der Luft. Die Natur ist bestrebt, unter den gegebenen Umständen so viel Energie wie möglich an die Umgebung abzugeben. Daher laufen Vorgänge stets so ab, dass die Gesamtenergie eines Systems minimiert wird.

Schichtung | Gibt man Öl und Wasser in ein Glas, so trennen sich beide, um Grenzflächenenergie zu minimieren.

Verschließt man das Glas mit dem Wasser und dem darauf schwimmenden Öl und schüttelt es, lässt die so zugeführte mechanische Energie kurzfristig weitere Grenzflächen zwischen beiden Flüssigkeiten entstehen. Jetzt wird die Gesamtenergie dadurch gesenkt, dass die Öltröpfchen im Wasser eine Kugelform annehmen. Diese Emulsion ist aber instabil. Denn sobald die Bewegung aufhört, sammelt sich das Öl – unter Abgabe von Energie an die Umgebung – bald erneut in einer Schicht an der Oberfläche. Bereits kurze Zeit später zeichnet sich wieder die ursprüngliche Ordnung ab.

Unbeständige Emulsion | Nach kräftigem Schütteln entmischen sich die Flüssigkeiten wieder und stellen allmählich die ursprüngliche Schichtung wieder her.

Die Minimierung der Grenzflächenenergie ist also entscheidend dafür, dass manche Stoffe Wasser mögen (man sagt, sie sind hydrophil) und Öl ablehnen (lipophob) oder umgekehrt Öl bevorzugen und Wasser meiden (lipophil beziehungsweise hydrophob). Solches Verhalten spielt beim Waschen eine wesentliche Rolle. Denn am gebrauchten Geschirr, an der Wäsche oder auf der verschmutzten Haut befinden sich Bereiche, an denen das Wasser abperlt, ohne dass die Tropfen in nennenswerter Weise Schmutz mit sich nehmen. Sie lassen sich also mit klarem Wasser nur schwer säubern.

Nützliche Doppelseitigkeit

Daher benutzt man Hilfsmittel in Form von Seife oder anderen Tensiden. Sie enthalten nämlich amphiphile Moleküle, die sowohl Wasser als auch Fett anziehen, weil sie einen hydrophilen und einen lipophilen Teil besitzen. Indem sich Letzerer mit den fetthaltigen Substanzen verbindet, werden die Schmutzteilchen von Seifenmolekülen umgeben. Währenddessen löst sich das Gefüge wegen der hydrophilen Seite im Wasser und wird mit ihm weggespült.

Waschwirkung | Tensidmoleküle verbinden sich über ihren lipophilen Teil mit verschmutzen Oberflächen und über ihren hydrophilen Teil mit dem Wasser.

Versetzt man die Schichtung aus Wasser und Öl im Marmeladenglas mit etwas Spülmittel und rührt das Ganze um, so erhält man zunächst ein ähnliches Ergebnis wie beim Schütteln zuvor. Aber jetzt ist die Emulsion stabil: Das Spülmittel schirmt die beiden Widersacher gewissermaßen voneinander ab. Sie können daher gleichzeitig vermischt und getrennt bleiben.

Beim Reinigen geht es allerdings nicht nur darum, die Schmutzteilchen zu isolieren. Sie müssen zudem mechanisch immer wieder abtransportiert werden, damit verbleibender Dreck für neue Tensidmoleküle zugänglich und von ihnen gelöst wird. Zum Waschen gehört also zwangsläufig die Bewegung der Lauge.

»Aus den Umständen geboren, wie Aphrodite aus dem Schaum«Michel Serres, französischer Philosoph

Heftig bewegtes Wasser lässt aber unvermeidlich Blasen entstehen. Bei reinem Wasser handelt es sich dabei um kugelförmige Wasserlamellen, die beidseitig von Luft umgeben sind. Da die Ausbildung der Grenzfläche zwischen Wasser und Luft viel Energie erfordert – so gesehen ist Luft hydrophob –, platzen die Blasen sehr schnell nach ihrer Entstehung wieder und zerfallen in kleinste Tröpfchen. In einer seifenhaltigen Lösung hingegen besetzen die Tensidmoleküle die Grenzflächen zwischen Luft und Wasser, indem sie auch hier ihren hydrophilen Bestandteil dem Wasser und ihren hydrophoben der Luft zuwenden. Erst dadurch bleiben Seifenblasen und damit der aus ihnen gebildete Schaum länger erhalten und prägen das vertraute Bild eines Waschvorgangs.

Seifenblase | Eine kugelförmige Wasserlamelle wird durch eine Doppelschicht aus amphiphilen Molekülen eines Tensids stabilisiert (nicht maßstabgerecht).

Doch ein Molekül, das seine potenziell fettlösende Seite der Luft zuwendet, trägt währenddessen nichts zum Abtransport von Verschmutzungen bei. Also ist die Schaumbildung, die uns einen gründlichen Reinigungsvorgang anzeigt, selbst bloß ein wirkungsloser Nebeneffekt. Das Aufkommen von übermäßig viel Schaum kann sogar die Effektivität des Waschens einschränken. So setzen die etlichen feinen Bläschen in der Waschmaschine die Reibung zwischen den Kleidungsstücken herab. Die mechanische Interaktion braucht es aber, um den Schmutz aus dem Gewebe herauszutreiben.

Diese rein physikalische Argumentation vernachlässigt freilich die Empfindungen, die Schaum auslöst. Er lässt uns beruhigt feststellen, dass genug Wirkstoff für eine gründliche Reinigung vorhanden ist; insbesondere beim Waschen des eigenen Körpers fühlt er sich zudem angenehm an. Beim Baden hält eine dicke, isolierende Schaumschicht das Wasser länger warm, während uns das Knistern der platzenden Bläschen beruhigt und ihr Glitzern fasziniert. Manchmal geht es dann eben doch um mehr als nur ums Sauberwerden.

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