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Der Mathematische Monatskalender: Stanislaw Ulam: Ein vielseitiger Mathematiker beim Manhattan-Projekt

Wasserstoffbomben, Primzahlen, Monte-Carlo-Simulationen: Die Forschung von Stanisław Ulam war extrem vielseitig. Die Arbeiten des Mathematikers finden noch heute in den verschiedensten Bereichen Anwendung.
Atombombentest
Kernwaffen würden für Frieden sorgen; davon war zumindest Stanisław Ulam überzeugt.

Als Stanisław Marcin Ulam 1909 als Sohn des wohlhabenden jüdischen Rechtsanwalts Joseph Ulam geboren wurde, gehörte sein Geburtsort Lemberg (heute Lwiw, Ukraine) noch zum Kaiserreich Österreich-Ungarn. Nach dem Einmarsch der russischen Armee in Ostgalizien im Jahr 1914 floh die Familie zunächst nach Wien; dann folgte sie dem Vater, der als Stabsoffizier in der Armee diente, an verschiedene andere Standorte, unter anderem nach Mährisch-Ostrau (heute: Ostrava, Tschechien), wo Stanisław auch eingeschult wurde. In den folgenden Jahren wurde der Junge von Privatlehrern unterrichtet, bis er 1919 – wieder zurück im polnischen Lemberg – die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium bestand. Acht Jahre später legte er dort seine Abiturprüfung mit glänzenden Noten ab.

Eigentlich hatte Joseph Ulam für seinen Sohn ein Jurastudium vorgesehen, damit dieser später einmal seine Kanzlei übernehmen könnte. Er musste aber einsehen, dass die Begabungen seines Sohnes eher im mathematisch-technischen Bereich lagen.

Stanisław bewarb sich vergeblich um einen Studienplatz in der Fakultät für Maschinenbau und Elektrotechnik und begann daher zunächst ein allgemeines Ingenieurstudium am Lemberger Polytechnikum, in der Hoffnung, zu einem späteren Zeitpunkt wechseln zu können. Einer seiner Mathematikdozenten war Stefan Banach, dessen Vorlesungen und Seminare dazu führten, dass sich Ulams Studienplanung änderte. Bereits 1929 wurde sein Beitrag zur Arithmetik der Kardinalzahlen in der von Wacław Sierpiński herausgegebenen Fachzeitschrift »Fundamenta Mathematicae« veröffentlicht.

Der mathematische Monatskalender

Ihre wissenschaftlichen Leistungen sind weit verbreitet, doch wer waren die Mathematik-Genies, die unser Verständnis der Welt nachhaltig prägten? Seine ersten »mathematischen Monatskalender« hatte Heinz Klaus Strick, ehemaliger Leiter des Landrat-Lucas-Gymnasiums in Leverkusen-Opladen, für seine Schülerinnen und Schüler geschrieben, ergänzt durch passende Briefmarken der vorgestellten Personen. Alle spannenden Lebensläufe, skurrilen Porträts und unglaublichen Geschichten hinter den namhaften Persönlichkeiten finden Sie  hier.

Da zum damaligen Zeitpunkt die Berufschancen für Mathematiker in Polen insgesamt sehr schlecht waren und er mit seiner jüdischen Herkunft ohnehin noch geringere Aussichten hatte, stellte er sich selbst ein Ultimatum: Sollte es ihm gelingen, ein von Kazimierz Kuratowski gestelltes Problem aus der Mengenlehre zu lösen, würde er bei der Mathematik bleiben; andernfalls das Berufsziel Elektroingenieur weiter verfolgen.

Das Schottische Café in Polen

Ulam löste Kuratowskis Problem noch vor Ende des ersten Studienjahrs. Bald gehörte er auch zu den Stammgästen des »Schottischen Cafés«, wo sich die Lemberger Mathematiker-Elite traf. Probleme, die nicht gelöst werden konnten, wurden in das »Schottische Buch« eingetragen: eine Sammlung ungelöster Probleme mit vielen Eintragungen, insbesondere von Hugo Steinhaus, Banach, Kuratowski und vor allem von Ulam. Eine seiner Vermutungen war der Satz: »Zu jedem Zeitpunkt existiert ein Paar von antipodalen Punkten auf der Erdoberfläche mit gleichen Temperaturen und gleichem Luftdruck«, der so genannte Satz von Borsuk-Ulam – Karol Borsuk gelang 1933 der dazugehörige Beweis.

Nach dem Abschluss seines Studiums folgte 1933 Ulams Promotion bei Kuratowski. Anschließend begab er sich auf eine Studienreise an verschiedene Universitäten in der Schweiz, Frankreich und England, wo er durch seine Diskussionsbeiträge in Veranstaltungen auffiel. Ulam war der erste männliche Dozent am Girton College in Cambridge, einer Einrichtung für Studentinnen.

Stanislaw Ulam

1935 erhielt er von John von Neumann eine Einladung zur Mitarbeit am Institute for Advanced Study in Princeton; danach folgte ein dreijähriges Angebot der Society of Fellows der Harvard University. Seinen Sommerurlaub verbrachte Ulam jeweils in Polen, 1937 gemeinsam mit von Neumann (der auch Spuren im »Schottischen Buch« hinterließ). Im Spätsommer 1939 verließ dieser (zusammen mit seinem jüngeren Bruder Adam) gerade noch rechtzeitig sein Heimatland, bevor die deutschen Truppen in das Land einfielen.

1941 übernahm Ulam eine Professur an der University of Wisconsin-Madison; im selben Jahr erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft und heiratete eine französische Stipendiatin, die dort englische Literatur studierte. Seine Bewerbung, als Freiwilliger der US Air Force beizutreten, scheiterte an seiner Sehschwäche.

Mitarbeit am Manhattan-Projekt

Zwei Jahre später wandte er sich an von Neumann und fragte ihn nach der Möglichkeit, für die Armee zu arbeiten. Daraufhin erhielt er ein von Hans Bethe (im Auftrag von Robert Oppenheimer) unterschriebenes Angebot zur Mitarbeit »an einem nicht näher bezeichneten Projekt«, das unter anderem mit der »Physik des Inneren der Sterne« zu tun hatte.

Von da an arbeitete Ulam im Rahmen des Manhattan-Projekts im Kernforschungszentrum Los Alamos (New Mexico). Bei diesem Projekt ging es darum, eine Bombe auf der Basis der Kernspaltung zu entwickeln. Um die selbsterhaltende Kettenreaktion durch Neutronenvervielfachung auszulösen, wurden zwei Modelle diskutiert: Aufeinanderschießen zweier Massen aus hochangereichertem Uran (»gun type«) oder Kompression einer Masse mittels polygonaler Sprengstofflinsen mit konventionellem Sprengstoff (»implosion type«). Ulam wurde beauftragt, die für das polygonale Design notwendigen Berechnungen durchzuführen. Welchen Anteil er letztlich am Bau der Atombombe hatte, ist unklar, da die Dokumente aus dieser Zeit immer noch geheim sind. Er äußerte auch später noch seine Überzeugung, dass durch die Entwicklung der Atombombe ein (Welt-)Krieg unmöglich würde – sofern kein Unfall passiert.

Parallel zu seiner Arbeit an der Atombombe war Ulam einer der Hauptentwickler des Orion-Programms, das einen nuklearen Antrieb für Weltraumraketen entwickeln sollte. Das Projekt wurde 1965 eingestellt, nachdem die Atommächte den Vertrag über das Verbot von Kernwaffenversuchen in der Atmosphäre, im Weltraum und unter Wasser (Partial Test Ban Treaty) abgeschlossen hatten.

Nach dem Ende des Kriegs verließ Ulam Los Alamos und nahm eine Stelle an der University of Southern California (USC) in Los Angeles an und ließ sich in der Nähe der Hochschule zusammen mit seiner Frau Françoise und seiner einjährigen Tochter Claire nieder. Im Januar 1946 wurde bei ihm eine virale Enzephalitis diagnostiziert, die vorübergehend seine Sprechfähigkeit einschränkte. Freunde vermuteten auch eine Veränderung seiner Persönlichkeit (was seine Frau jedoch später immer wieder bestritt). Gleichwohl waren die für die Geheimhaltung in Los Alamos Verantwortlichen besorgt, dass er krankheitsbedingt Forschungsgeheimnisse verraten könnte.

Der Vater der Monte-Carlo-Simulationen

In der Phase der Erholung hatte er während eines Solitaire-Spiels die Idee, das Spiel mit Hilfe eines Computers vielhundertfach zu simulieren – er dachte dabei an den Einsatz des während des Weltkriegs entwickelten ENIAC (Electronic Numerical Integrator and Computer). Gemeinsam mit von Neumann und Nicholas Metropolis entwickelte er so die Monte-Carlo-Methode zur Simulation. (Diese Bezeichnung wurde von Metropolis gewählt, da Ulam immer wieder von seinem Onkel erzählte, der zum Spielen gerne das Casino in Monte Carlo aufgesucht hatte.)

Nachdem 1949 auch die Sowjetunion über Atombomben verfügte, beauftragte der US-amerikanische Präsident Truman den aus Ungarn stammenden Physiker Edward Teller mit der Entwicklung der Wasserstoffbombe – und Ulam kehrte nach Los Alamos zurück. Als unerwartete Schwierigkeiten auftraten, konnte Ulam nachweisen, dass das von Teller gewählte Design nicht funktionieren konnte. Ulam schlug daraufhin eine Lösung vor, die das Projekt letztlich zum Erfolg führte. Das Schema dieser Bombe wird nach seinen Schöpfern als Teller-Ulam-Konfiguration bezeichnet. An der Entwicklung der Wasserstoffbombe, die dann am 1. November 1952 zum ersten Mal gezündet wurde, waren auch zahlreiche andere Forschende beteiligt, unter anderem Enrico Fermi. Teller wurde von der Presse – unberechtigterweise – oft als »Vater der Wasserstoffbombe« bezeichnet; er selbst versuchte immer wieder Ulams Anteil an der Entwicklung kleinzureden.

In den folgenden Jahren nahm Ulam verschiedene Angebote für Gastprofessuren in Harvard, am MIT oder in San Diego (Kalifornien) an. Zuletzt wurde er Dekan der mathematischen Fakultät der University of Colorado; weiterhin war er als Berater der Regierung tätig.

1984 starb Ulam an einem Herzinfarkt in Santa Fe (New Mexico). Seine Frau wohnte dort bis zu ihrem Tod im Jahr 2011; sie verfügte, dass beide auf dem Friedhof Montparnasse in Paris bestattet werden.

Diagonale in Ulam-Spirale | Alle Primzahlen der Form 4x2 – 2x + 41 sind blau markiert.

Stanisław Ulam verfasste eine Fülle von Beiträgen über mathematische Themen aus der Mengenlehre, Topologie, Funktionalanalysis, Gruppen- und Graphentheorie. Die Monte-Carlo-Simulationen findet vielseitige Anwendungen in unterschiedlichen Gebieten, unter anderem in der Finanzwirtschaft, den Sozialwissenschaften und der Umweltforschung. Sein Name ist auch verbunden mit der Ulam-Spirale: einer eher zufälligen Entdeckung, dass Primzahlen eine bemerkenswerte Struktur bilden, wenn man die natürlichen Zahlen spiralförmig um die Zahl Null aufträgt.

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