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Infektionskrankheiten: Toxoplasmose - weit verbreitet und unbekannt

Was haben Mettbrötchen, Katzenkot und Organtransplantationen gemeinsam? In ihnen schlummert womöglich ein Toxoplasmose-Parasit, der schwere Erkrankungen hervorrufen kann.
Kompakt Der Flauschfaktor (11/21)

Dieser Parasit ist ein wahres Erfolgsmodell der Evolution. Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung, in Deutschland sogar jeder Zweite, trägt Toxoplasma gondii in sich. Meistens unbemerkt. Offensichtlich gefährlich werden können die Einzeller, die mit dem Malariaerreger verwandt sind, dem ungeborenen Kind oder Menschen, deren Immunsystem geschwächt ist. Fünf Fakten zu dem weit unterschätzten Parasiten – seinen Überträgern, Ansteckungswegen, den Gefahren in der Schwangerschaft und vermuteten Bewusstseinsveränderungen.

Der französische Parasitologe Louis Manceaux und sein Landsmann, der Bakteriologe Charles Nicolle, entdeckten den Parasiten vor gut 110 Jahren in Blut und Organen eines meerschweinartigen Nagetiers aus Nordafrika, dem »Gundi«. Aus »Gundi« wurde fälschlicherweise »Gondi«, und der neue Erreger wurde wegen seiner Bogenform (von griechisch toxon = Bogen, plasma = Gebilde) schließlich Toxoplasma gondii getauft.

Wer überträgt Toxoplasmose?

Der Hauptwirt für T. gondii sind Katzen beziehungsweise die Familie der »Katzenartigen«. In diesen Tieren kann sich der Parasit sexuell vermehren. Mit dem Kot scheiden infizierte Katzen Millionen von hochansteckenden, umweltstabilen »Oozysten« aus, über die sich fast alle warmblütigen Säugetiere, auch der Mensch, und Vögel (bei mehr als 30 Arten wurden Toxoplasmen gefunden) anstecken können.

In diesen Zwischenwirten vermehrt sich der Parasit in zwei verschiedenen Lebensstadien asexuell per Teilung. Es gibt die sich schnell teilenden und rasch im Körper ausbreitenden »Tachyzoiten« und die sich langsam teilenden und in winzige Zysten zurückziehenden »Bradyzoiten«. Gewebezysten mit ruhenden Parasiten kommen in Muskeln, Herz und Gehirn (inklusive Rückenmark und Netzhaut) vor. Der Lebenszyklus von T. gondii schließt sich, wenn Katzen das Fleisch eines infizierten Beutetiers fressen.

Wie kann man sich anstecken?

»Hier zu Lande stecken sich die meisten Menschen wahrscheinlich über rohes oder unzureichend gegartes Fleisch oder Fleischprodukte an«, sagt Frank Seeber, Experte für Parasiteninfektionen am Robert Koch-Institut in Berlin. Der Deutschen liebstes Mettbrötchen beispielsweise ist eine potenzielle Gefahrenquelle, denn das Fleisch von Schwein, Rind und auch Lamm kann Toxoplasmen in Form von Gewebezysten enthalten.

Doch auch Katzen spielen für die Übertragung eine große Rolle. »Wenn Sie Pech haben und Nachbars Katze ihr Geschäft in Ihrem Garten hinterlässt, können Sie sich auch als Vegetarier anstecken«, erklärt Seeber. Die im Katzenkot vorkommenden Oozysten gelangen über (ungewaschenes) Obst, Gemüse, über Sandkästen beziehungsweise Kinderspielplätze oder belastetes Trinkwasser in den menschlichen Körper.

Je älter man ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, schon einmal mit dem Parasiten in Kontakt gekommen zu sein. Antikörper gegen T. gondii im Blut zeigen einen solchen Kontakt an. Wer sich einmal angesteckt hat, wird den Parasiten sein Leben lang nicht wieder los. »Die Infektionsrate nimmt je Lebensjahr fast linear um ein Prozent zu. So finden wir bei rund 20 Prozent der 20-Jährigen und bei etwa 80 Prozent der 80-Jährigen Antikörper gegen T. gondii«, sagt Seeber. Häufiger infiziert seien im Durchschnitt Männer und Katzenhalter – Männer, weil sie im Durchschnitt öfter Fleisch verzehren, und Katzenhalter, weil sie sich leichter als Nicht-Katzenbesitzer etwa bei der Katzenklopflege anstecken können.

Ist der Parasit nach der Aufnahme über den Mund erst einmal im Magen-Darm-Trakt angekommen, überwindet er innerhalb weniger Stunden die Darmwand und erreicht die daruntergelegene Gewebeschicht, wo sich neben Blutgefäßen auch Muskel-, Nerven- und Immunzellen befinden. Aus der ruhenden Parasitenvariante entwickeln sich hier im Nu die aktiven Tachyzoiten, die im Prinzip jede Art von Körperzellen befallen können.

Der Parasit erscheint harmlos, weil ihn das Immunsystem in Schach hält – anders sieht es aus, wenn die Immunabwehr geschwächt ist

In dieser Phase haben es die Parasiten aber besonders auf Immunzellen abgesehen. Die gibt es hier reichlich, eigentlich um Eindringlinge abzuwehren. Doch Toxoplasmen tricksen die Abwehrzellen aus, infizieren Makrophagen (Fresszellen) und andere »Wächterzellen« und reisen in ihnen durch den ganzen Körper. Auf diese Weise gelangen die Einzeller in Herz, Lunge, Muskeln, Auge, überwinden sogar die Blut-Hirn-Schranke und lassen sich bevorzugt in Nervenzellen im Gehirn nieder.

Unter dem Druck der Immunabwehr – denn inzwischen sind T-Zellen auf die Parasiten aufmerksam geworden und Antikörper wurden gebildet – verschanzen sich die Toxoplasmen im Gewebe hinter einer robusten Polysaccharid-Hülle. In diesen Zysten kann der Parasit nun lebenslang ruhend überdauern. Menschen, die T. gondii in sich tragen, haben von der Infektion meist überhaupt nichts mitbekommen. Einige spüren höchstens milde Symptome, wie man sie von einer Erkältung kennt.

Harmlos erscheint T. gondii, weil das Immunsystem den Eindringling gut in Schach hält. Völlig anders sieht es aus, wenn die Immunabwehr geschwächt ist, wie bei einer HIV-Infektion oder einer Krebserkrankung. Dann kann der »schlafende« Parasit gefährlich werden, wenn nicht rechtzeitig mit wirksamen Medikamenten – die es gibt – behandelt wird.

Gleiches gilt für eine Transplantation, wenn der Empfänger eines neuen Organs T. gondii schon in sich trägt oder es mit dem neuen Organ übertragen bekommt. Wird dann nicht rechtzeitig mit den verfügbaren Medikamenten behandelt, kann eine akute Toxoplasmose tödlich enden. Etwa dann, wenn sich das Gehirn als Folge der Parasitenvermehrung entzündet oder andere lebenswichtige Organe, die Lunge, das Herz, ihren Dienst versagen.

Welche Folgen hat eine Infektion in der Schwangerschaft?

Bis zum Anfang der 1980er Jahre ahnten Forscher noch nichts von der Ansteckungsgefahr durch Katzenkot, Mettbrötchen oder Transplantationen. Man nahm an, T. gondii würde ausschließlich während der Schwangerschaft von der Mutter auf ihr Kind übertragen.

Das ungeborene Kind kann sich nur dann anstecken, wenn seine Mutter während der Schwangerschaft zum ersten Mal mit T. gondii in Kontakt kommt. Andernfalls hat sie bereits Antikörper gebildet, die verhindern, dass der Parasit die Plazentaschranke überwindet. Wie gut oder schlecht der Fötus dann mit dem Infekt (von dem auch die werdende Mutter in der Regel nichts bemerkt) zurechtkommt, hängt von seinem Alter ab. Man geht davon aus, dass eine Infektion während der Frühschwangerschaft meist schwere Schäden und einen Abort auslöst. Wie häufig T. gondii für Fehlgeburten in Deutschland verantwortlich ist, weiß man nicht. Embryonen werden nach einem Abort nur selten genau untersucht.

In Deutschland werden jedes Jahr laut offiziellen Meldungen 6 bis 38 Kinder mit einer kongenitalen Toxoplasmose geboren. Rein statistisch müssten sich jedoch jährlich 1200 Kinder während der Schwangerschaft bei ihrer Mutter angesteckt haben. Offensichtlich gibt es eine hohe Dunkelziffer bei der Erkrankung. Das mag daran liegen, dass sich bei den infizierten Neugeborenen nur selten die in der Literatur als »klassisch« genannten drei Symptome Hydrozephalus (»Wasserkopf«), Verkalkungen innerhalb des Schädels und Entzündung von Netz- und Aderhaut der Augen zeigen.

»Anders als in Österreich und Frankreich wird ein Toxoplasmose-Screening im Vorsorgeprogramm bei Schwangeren in Deutschland nicht gemacht«
Frank Seeber, Robert Koch-Institut in Berlin

Schwere Formen der Erkrankung können bleibende neurologische Schäden hinterlassen, Krampfanfälle, Lähmungen, Blindheit. Weniger offensichtliche durch den Parasiten ausgelöste Symptome, etwa durch Augenentzündungen verursachte Sehstörungen, können erst dann bemerkt werden oder auch auftreten, wenn die Kinder bereits einige Monate oder sogar Jahre alt sind und kaum einer mehr an eine kongenitale Toxoplasmose denkt.

»Anders als in Österreich und Frankreich wird ein Toxoplasmose-Screening im Vorsorgeprogramm bei Schwangeren in Deutschland nicht gemacht«, kritisiert Frank Seeber. Eine Blutuntersuchung würde nur bei begründetem Verdacht, dass die Schwangere sich angesteckt haben könnte, empfohlen und von der Krankenkasse bezahlt. Dabei belegen Studien, dass die Kinder weniger körperliche Schäden davontrügen, wenn eine akute Toxoplasmose in der Schwangerschaft rechtzeitig erkannt und behandelt werden würde, sagt Seeber. Verwendet wird zum Beispiel Spiramycin, ein Antibiotikum, das den Parasiten angreift und dadurch eine Übertragung auf den Fötus verhindert.

Kann Toxoplasmose beim Menschen das Bewusstsein verändern?

Vor zwölf Jahren machten Forscher der US-amerikanischen Stanford University eine Aufsehen erregende Beobachtung: Wenn Mäuse oder Ratten chronisch mit T. gondii infiziert sind, verhalten sie sich sehr ungewöhnlich. Die lebensrettende Aversion gegenüber dem Geruch von Katzenurin verwandelt sich in Anziehung. Statt die Flucht zu ergreifen, nähern sich die Nager den Katzen. Diese machen leichte Beute und werden ihrerseits leichte Beute – für die Parasiten.

Der Parasit Toxoplasma gondii | Der einzellige Erreger Toxoplasma gondii wird meist über den Kot von Hauskatzen übertragen. Er übersteht harte Umweltbedingungen jahrelang.

Laut der »Manipulationshypothese« kann der Parasit das Verhalten seines Wirts beeinflussen, um die Chance auf die eigene Ausbreitung zu erhöhen. Bei Nagetieren, die ihre Angst vor Katzen abgelegt haben, fanden Forscher besonders viele T.-gondii-haltige Gewebezysten in der Amygdala, der Region im Gehirn, die an der Entstehung und Verarbeitung von Angst beteiligt ist. Möglicherweise können die Parasiten den Spiegel des Neurotransmitters Dopamin im Gehirn beeinflussen und dadurch Verhaltensänderungen auslösen.

Aber gilt das, was die US-amerikanischen Forscher bei Nagetieren beobachteten, ebenso für den Menschen? Beeinflusst Toxoplasma als unerkannter Kopilot in unserem Hirn-Cockpit womöglich unser Verhalten oder unsere Stimmung, oder erhöhen die Parasiten sogar das Risiko für psychische oder neurodegenerative Erkrankungen, wie einige Wissenschaftler vermuten? Es gäbe Forscher, die würden jede Art neurologischer Erkrankung, ob nun multiple Sklerose, Alzheimer oder auch Parkinson, mit Toxoplasmen in Verbindung bringen, sagt Frank Seeber. »Ich bin da skeptisch, die Datenlage dazu ist noch nicht überzeugend.«

Klare Antworten auf diese Fragen gibt es bisher nicht. »Es existieren viele Studien, die sich mit den Auswirkungen von Toxoplasma auf das menschliche Verhalten beschäftigen. Doch nur einige davon untersuchen eine ausreichende Zahl der Patienten und dazu genügend wissenschaftliche Parameter«, sagt Ildiko Rita Dunay, Direktorin des Instituts für Inflammation und Neurodegeneration an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

In der neuesten und bislang umfangreichsten Studie konnten dänische Forscher einen Zusammenhang zwischen einer chronischen Toxoplasmose und riskantem Verkehrsverhalten feststellen, nachdem sie die Krankenakten und Blutproben von mehr als 80 000 Dänen durchforstet hatten. Menschen, die den Parasiten in sich tragen, haben laut der Untersuchung etwas häufiger Verkehrsunfälle als Menschen ohne Infektion mit T. gondii. Ob dieses Mehr an Unfällen einem aggressiveren Fahrverhalten geschuldet ist, das womöglich durch die Parasiten im Gehirn ausgelöst wurde, kann eine epidemiologische Studie wie die der Dänen aber nicht beweisen.

Dunay erforscht den Infektionsablauf einer Toxoplasmose seit 20 Jahren mit Hilfe experimenteller Tiermodelle. Sie weiß, wie kompliziert es ist, einen genauen Zusammenhang zwischen der Anwesenheit des Parasiten im Gehirn, Verhaltensänderungen oder gar psychischen Erkrankungen nachzuweisen. Dank der dänischen Studie – die auch die Häufigkeit einiger psychischer Erkrankungen erfragte – gelte es als bewiesen, dass eine chronische Infektion mit T. gondii das Risiko erhöhe, an einer Schizophrenie zu erkranken. »Womöglich triggert das Entzündungsmilieu, das der Parasit und aktivierte Immunzellen um ihn herum im Gehirn fördern, eine Schizophrenie«, sagt Dunay.

Man müsse die zellulären und molekularen Mechanismen der möglichen Zusammenhänge aber unbedingt weiter erforschen, fordert Ildiko Rita Dunay. Durch die chronische Infektion mit Toxoplasma im Gehirn komme es zu periodischen Schwankungen von Entzündungsstoffen im Gewebe; die Immunabwehr ist auf der Hut, damit sich der Parasit weiter still verhält. Das Auf und Ab der immunologischen Botenstoffe könnte sich durchaus auf die Befindlichkeit und Stimmung auswirken oder Einfluss auf die Entstehung psychiatrischer und neurodegenerativer Erkrankungen haben, so Dunay. »Wer denkt schon daran, dass ein Infektionserreger seine Hände im Spiel haben könnte, wenn man Kopfschmerzen hat oder niedergeschlagen ist?«

Wie kann man sich schützen?

»Wer einige Hygieneregeln in der Küche beachtet, Gemüse und Obst und die Hände vor der Mahlzeit gut wäscht, Fleisch genügend durcherhitzt oder vor dem Verzehr ein bis zwei Tage einfriert, kann das Risiko minimieren. Völlig ausschließen lässt sich eine Ansteckung aber nicht«, sagt Seeber. Wie viel geeignete Maßnahmen brächten, zum Beispiel eine gute Aufklärung der Bevölkerung über die Risiken, zeige das Beispiel Niederlande. Dort sank die Infektionsrate in der Bevölkerung in den letzten Jahren von durchschnittlich 46 auf 26 Prozent.

Für Toxoplasmose sollte sich jeder interessieren, nicht nur Frauen vor oder während einer Schwangerschaft. Denn auch abseits von Schwangerschaft und Transplantation kann der »harmlose Riese« Toxoplasma ein bedrohliches Gesicht zeigen. »Auch bei Personen mit einem gut funktionierenden Immunsystem kann der Parasit erwachen und buchstäblich ins Auge gehen«, sagt Frank Seeber. In Deutschland passiert das jährlich 100 bis 1000 Menschen. Falls die durch eine akute Toxoplasmose ausgelöste Augenentzündung nicht rechtzeitig behandelt wird, kann der Betroffene erblinden.

Zusätzlich zur Hygiene in der heimischen Küche seien Maßnahmen auf der gesellschaftlichen Ebene wünschenswert, meint Seeber. Hilfreich wäre es zum Beispiel, die Parasitenlast in den landwirtschaftlichen Tierbeständen zu verringern. Einen Lebendimpfstoff für Schafe gibt es bereits, um die Anzahl der Gewebezysten im Tierfleisch zu drosseln. Und die Entwicklung eines Impfstoffs für Katzen könnte ebenfalls sinnvoll sein.

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