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PFAS: Umweltgifte für die Ewigkeit

Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen sind praktisch unzerstörbar. Dadurch werden sie zu einem immer größeren Problem. Auch in Deutschland.
Ein Seeufer unter blauem Himmel.

Im Dezember 2019 mussten die Stadtwerke des kleinen Rastatter Ortsteils Förch Trinkwasser in Flaschen zu ihren Kunden bringen. Das Leitungswasser war bei Teilen der Bevölkerung unbenutzbar – belastet mit per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS). Ebenfalls im Dezember 2019 wurde in Brüssel von Politikern und Wissenschaftlern eine Überarbeitung der Trinkwasser-Richtlinie auf den Weg gebracht, in der erstmals auch PFAS berücksichtigt werden. Diese beiden Ereignisse stehen stellvertretend für das wachsende Umweltproblem mit gesundheitsschädlichen per- und polyfluorierten Chemikalien (PFC).

PFAS sammeln sich seit Jahrzehnten weltweit in Umwelt und Organismen an. Studien haben messbare Konzentrationen der Stoffe im Blutserum der Inuit-Gemeinschaften in der grönländischen Arktis, in der Muttermilch norwegischer und deutscher Mütter und auch im Blut der gesamten europäischen Bevölkerung gefunden. Gleichzeitig wächst das Wissen über die möglichen gesundheitlichen Folgen dieser Belastung.

Die Geschichte der PFAS begann vor rund 80 Jahren in den Werken von DuPont und 3M. Dort entdeckten Fachleute die Substanzen Perfluoroctansäure (PFOA) und Perfluoroctansulfonsäure (PFOS), die schon bald als Wundermittel in Teflon oder Imprägnierspray gepriesen wurden. PFOA und PFOS sind die beiden bekanntesten und am besten untersuchten Vertreter der PFAS, von denen man heute mehr als 4730 kennt. Wegen ihrer einzigartigen chemischen und physikalischen Eigenschaften wie Öl- und Wasserabweisung, Temperatur- und Chemikalienbeständigkeit nutzt man sie in einer Vielzahl von Konsumgütern und industriellen Anwendungen.

Schadstoffe mit langem Atem

Von dort gelangen sie in die Umwelt – und Menschen. PFOS und PFOA werden durch Resorption nahezu vollständig aus dem Magen-Darm-Trakt in das Blut aufgenommen, binden unspezifisch an Serumproteine und verteilen sich im Blut und daneben bevorzugt in den inneren Organen wie Leber, Niere und Lunge. Sie sind plazentagängig und auch in der Muttermilch nachgewiesen worden. Einige Fachleute vermuten ein erhöhtes Risiko durch PFAS für Asthma, Schilddrüsenerkrankungen, Colitis ulcerosa sowie für Hoden- und Nierenkrebs. Reihenuntersuchungen zeigen auch ein verspätetes Einsetzen der Pubertät sowie Veränderungen an den Fortpflanzungsorganen.

Eine vielfältige Stoffklasse | Die PFAS setzen sich aus mehreren Stoffklassen mit etwas unterschiedlichen Eigenschaften und Wirkungen zusammen. Gemeinsam ist ihnen, dass man sie nur schwer wieder loswird, wenn sie einmal in die Umwelt gelangt sind.

Leider sind die fluorierten Chemikalien nicht nur praktisch. Sie gehören zu den persistentesten Stoffen, die wir heute kennen: Sie werden in der Umwelt praktisch nicht abgebaut. »Die Umwelteinträge von per- und polyfluorierten Chemikalien sind äußerst problematisch, und ihre Regulierung über die europäische Chemikalienverordnung ist ein mühsamer Prozess.« Für Thomas Straßburger, PFAS-Experte aus dem Bundesumweltministerium, ist das ein bisschen wie das »Hase-und-Igel-Spiel«. Kaum sei die Verwendung einer bestimmten Verbindung eingeschränkt, habe die Industrie bereits neue PFC entwickelt, über deren Umweltverhalten man in der Regel noch weniger wisse. Das ist die dritte Ebene des Problems: eine Industrie, die nach wie vor neue PFAS entwickelt und auf den Markt bringt.

Bei manchen gesundheitlichen Effekten ist die wirkliche Ursache noch nicht eindeutig geklärt, bei anderen reicht der Wissensstand bereits, um weit reichende Einschränkungen zu rechtfertigen. Im März 2020 hat das Umweltbundesamt (UBA) für PFOA und PFOS im Blut HBM-II-Werte veröffentlicht – die Konzentrationen, bei deren »Überschreitung eine als relevant anzusehende gesundheitliche Beeinträchtigung möglich ist«.

In Deutschland kennt man bislang im Raum Arnsberg, im Landkreis Altötting und in Mittelbaden auf größeren Flächen Belastungen von Boden, Grund- und Trinkwasser mit den fluorierten Chemikalien. Blutuntersuchungen zeigten auch dort, dass die HBM-II-Werte bei einem Teil der Bevölkerung signifikant überschritten werden. Die tatsächliche bundesweite Dimension ist aber unbekannt, denn dem UBA liegen nur die Daten aus sechs Bundesländern vor. Für eine bessere Übersicht plant die Bundesregierung deshalb erstmals eine bundesweite Untersuchung der Bodenbelastung mit PFAS-Verbindungen in Äckern, Wiesen und gegebenenfalls in Wäldern.

Das Ausmaß des Problems ist kaum bekannt

Denn die Stoffgruppe gehört noch immer nicht zum Standardanalyseprogramm. Den Bundesländern fehlen zum Teil geeignete analytische Verfahren für die Vielfalt an PFAS-Einzelsubstanzen. Europaweit sieht es nicht besser aus. In der italienischen Region Venetien sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation mehr als 350 000 Menschen von PFAS-belastetem Trinkwasser durch Industrieanlagen betroffen, ebenso wie in der Region um Dordrecht in den Niederlanden. Und rund um Flughäfen und Militärstützpunkte in der ganzen Welt findet man wegen der Verwendung fluorhaltiger Feuerlöschschäume PFAS-Belastungen in Boden und Wasser.

Nach einem Bericht des Nordischen Ministerrats werden die PFAS Hunderte, wenn nicht Tausende von Jahren in der Umwelt verbleiben. Und bei jedem neu gefundenen PFAS-Schadensfall steht man weltweit überall vor den gleichen Fragen: Welche Stoffe und welche Mengen sind in Boden und Wasser, wie viele Menschen haben PFAS im Blut, wie kann der belastete Bereich wieder von den Chemikalien befreit werden? Und nicht zuletzt: Wer ist verantwortlich und kommt für die Kosten auf?

Bereits 2012 stand beispielsweise die Region Mittelbaden in Baden-Württemberg vor der unerfreulichen Frage, wie man vorgehen sollte, als man dort feststellte, dass Boden und Grundwasser großflächig mit PFAS sowie PFAS-Vorläufersubstanzen belastet waren. Mittlerweile gilt Mittelbaden nach Jahren der PFAS-Bearbeitung und -Forschung als bundesweite Modellregion für den Umgang mit solchen Belastungen. »Es gibt hier einen großen und dringenden Nachholbedarf, und wir brauchen weitere Grundlagenforschung zum Beispiel zur Transportverhalten, der Verbreitung der PFAS in der Umwelt zu ihrer Toxikologie, aber auch zu Technologieentwicklungen«, betont Michael Reinhard von der Arcadis GmbH, die im Auftrag des Umweltbundesamts eine Arbeitshilfe für den Umgang mit diesen Stoffen in der Umwelt erstellt hat.

Stillgelegte Brunnen, schwierige Entsorgung

Die Erfahrungen mit den diversen Problemen durch die PFAS haben in Mittelbaden bereits ein Umdenken ausgelöst. Um zu verhindern, dass sich PFAS weiter in der Umwelt verbreiten, fordern nicht nur Experten der Region neue gesetzliche Grenzwerte etwa für Oberflächengewässer, Bioabfälle oder Einleitungen aus Abwasseranlagen. Bei all diesen Vorgehensweisen sei außerdem die Berücksichtigung des organischen Gesamtfluorgehalts unbedingt notwendig, da Einzelstoffmessungen die PFAS-Belastung um bis zu 90 Prozent unterschätzen könnten

Bislang müssen zum Beispiel die Trinkwasserversorger das Rohwasser nur bei einem konkreten Verdacht auf PFAS untersuchen und die entsprechenden Leitwerte darin einhalten. Einen Grenzwert gibt es nicht. Die Entfernung der PFAS aus dem Rohwasser ist alles andere als trivial, berichtet Olaf Kaspryk, der Geschäftsführer der Rastatter Stadtwerke in Mittelbaden, aus leidvoller Erfahrung. Als Folge der dortigen PFAS-Belastung musste er Wasserwerke und betroffene Brunnen stilllegen und ein Wasserwerk komplett umbauen.

Fluorverbindungen als Gesundheitsgefahr

Immerhin fand sich ein Gegenmittel, berichtet er. »Eine Machbarkeitsstudie mit verschiedenen Technologien zeigte, dass im hiesigen Fall die Adsorption mit Aktivkohle zur Entfernung der PFAS geeignet war.« Die Mehrkosten für diese PFC-Maßnahmen würden allerdings letztlich über die nächsten Generationen hinweg von den Bürgern durch die Erhöhung des Wasserpreises getragen.

Die Regulierung steht erst am Anfang

Und die Entsorgung der PFAS-belasteten Aktivkohle ist ein weiterer ungeklärter Punkt auf seiner Finanzierungsliste. Andere Wasserversorger in der betroffenen Region Mittelbaden entfernen die PFAS mittels Umkehrosmose aus dem Wasser, und auch hier tragen die Bürger die Mehrkosten. Bislang sind alles in allem Kosten von mindestens zehn Millionen Euro bei den mittelbadischen Wasserversorgern angefallen.

Nun diskutiert die EU, in der nächsten Neufassung der Trinkwasserrichtlinie einen EU-weiten Grenzwert für die fluorhaltigen Schadstoffe einzuführen: 0,5 Mikrogramm pro Liter für alle PFAS zusammen, für die Einzelsubstanzen werden 0,1 Mikrogramm pro Liter festgelegt. Die Aufnahme von Per- und Polyfluoralkylsubstanzen in die Trinkwasserrichtlinie der EU sei ein Schritt nach vorn, der das Engagement der EU bei der Bekämpfung dieser Chemikalien zeige, betonte etwa EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius.

Auch für einzelne PFAS sind Grenzwerte festgelegt oder sogar verschärft worden. Im Dezember 2019 stellte die EU-Kommission ihren »New Green Deal« vor, der einen nachhaltigeren Umgang mit den sehr persistenten Chemikalien, darunter PFAS, vorsieht. Zusätzlich forderten Mitgliedsstaaten in einem Brief an EU-Vizepräsident Frans Timmermans, dass man alle PFAS als Gruppe verwalten müsse. Es gebe eine große Anzahl von Substanzen mit ähnlichen Besorgnis erregenden Eigenschaften.

Maßnahmen zum Ausstieg aus der PFAS-Verwendung sollen bis 2030 in Kraft treten. Im Rahmen dieser Regulierung sollen die PFAS nach einem Konzept der »wesentlichen Verwendung« reguliert werden und nur diejenigen Vertreter erlaubt bleiben, die heute noch nicht zu ersetzen sind, wie in der Schutzkleidung von Feuerwehr oder medizinischem Personal.

Wann kommt das Verursacherprinzip?

Die europa- und auch weltweiten Regulierungsbemühungen zu PFAS sind allerdings nur die eine Seite der Medaille, solange die Industrie fortwährend neue Stoffe entwickelt und diese weiterhin zugelassen werden, ohne immer ausreichend deklariert zu sein. Es gibt keine Kennzeichnungspflicht für PFAS in Produkten, dafür aber ein Betriebsgeheimnis, auf das man sich gerne beruft. Und die PFAS-Folgekosten bleiben oft an der Allgemeinheit hängen, ohne dass sich die Verursacher daran beteiligen – wenn man sie denn überhaupt ermitteln kann. Deswegen denken einige Fachleute über eine Art »PFAS-Abgabe« für Produzenten oder Anwender nach, die die Herstellerverantwortung in den Fokus rücken würde.

Der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller kann dem Gedanken an so eine Abgabe etwas abgewinnen – vielleicht auch, weil in seinem Bundesland zusätzlich zu den zehn Millionen Euro Mehrkosten bei den Wasserversorgern etwa die gleiche Summe auf Länder- und kommunaler Ebene angefallen ist. »Darüber wird bereits im Rahmen der Spurenstoffstrategie nachgedacht«, so Untersteller, dies sei jedoch nicht so einfach umzusetzen, weil es nicht nur inländische oder europäische Hersteller gebe. Eine Abgabe bedürfe mindestens einer nationalen, wenn nicht europäischen Rechtsgrundlage, wirklich praktikable Regelungsperspektiven seien bislang noch nicht aufgezeigt worden.

Dennoch scheint sich der Wind gegen die einstigen Wunderchemikalien zu drehen. Manche Firmen wie VAUDE, L'Oreal, H&M und andere schwenken auf fluorfreie Alternativen um, während sich andere wie manche Skiwachsproduzenten schwerer tun. Großflughäfen wie der Pariser Flughafen Charles de Gaulle oder auch Heathrow, Kopenhagen oder Dallas Fort Worth kommen bereits ohne fluorierte Löschschäume aus. Und Dänemark verbietet Mitte 2020 als erstes Land überhaupt die Verwendung von PFAS in Lebensmittelverpackungen in Gänze. Die Zukunft könnte also letztendlich fluorfrei sein, daran zweifelt kein Experte mehr. Doch der Weg dorthin wird lang.

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