Schlichting!: Dünen halten Abstand
Dünenfelder sind fast ständig Strömungen ausgesetzt, ob in einer stürmischen Sandwüste oder als Rippel unter Wasser. Das verformt die einzelnen Hügel und versetzt sie in Bewegung: Sandkörner gelangen von der dem Wind oder Wasser zugewandten Luv- zur abgewandten Leeseite, und mit ihnen wandert allmählich die ganze Düne. Beobachter haben schon sehr früh bemerkt, dass kleine Exemplare schneller sind als große. Das leuchtet wegen der unterschiedlichen Sandmengen, die dafür transportiert werden müssen, auch unmittelbar ein. Eigentlich sollten deshalb die schnelleren die langsameren Hügel einholen, mit ihnen zusammenstoßen und verschmelzen. So müssten die Dünenzwerge langsam verschwinden – doch das passiert nur selten.
»Wer widersteht dem Strome seiner Umgebungen?«
Johann Wolfgang von Goethe, 1749–1832
Hinter ihrem überraschenden Überleben steckt ein subtiler Mechanismus, der die Nachbarn auf Abstand hält. Ein Team um den theoretischen Physiker Karol Bacik von der University of Cambridge hat die Hintergründe des Effekts bei Experimenten zur Wanderbewegung von Dünen entdeckt und die Resultate im Februar 2020 veröffentlicht. Bei Modellversuchen setzten die Wissenschaftler kleine Dünen einer Wasserströmung aus und stießen dabei auf unerwartete Wechselwirkungen: Turbulenzen sorgen für zusätzliche, weit reichende Kräfte und könnten das Phänomen erklären. Die Zusammenhänge dürften sich auf die windgetriebenen Exemplare an Land übertragen lassen.
Bei den Experimenten der Gruppe liefen zwei künstliche Dünen innerhalb einer ringförmigen, mit Wasser gefüllten Rinne im Kreis (siehe »Dünentunnel«). Statt aus echtem Sand bestanden die Untersuchungsobjekte aus mehreren Kilogramm schweren Haufen von nur etwa einen Millimeter großen Glaskügelchen. Für eine Strömung sorgten einerseits umlaufende Schaufeln an der Oberfläche, andererseits rotierte die Rinne selbst gegenläufig. Der doppelte Antrieb erlaubte es, die Strömungsverhältnisse fein zu justieren. Dank der kreisförmigen Anordnung waren für die Modellversuche auf begrenztem Raum im Prinzip beliebig lange Beobachtungszeiten möglich. So ließ sich die natürliche, weiträumige, lineare Wanderung von Dünen gut nachempfinden – anders als in einem geraden Strömungskanal. Dort wäre jede Translationsbewegung rasch an eine Wand und damit ihr Ende gestoßen.
Das Ergebnis der Versuche: Fließt das Wasser über eine einzelne Düne, wandert diese zwar erwartungsgemäß einfach mit konstanter Geschwindigkeit in Strömungsrichtung. Doch sobald die Forscher zusätzlich ein zweites, gleich großes Hügelchen in einem gewissen Abstand stromaufwärts platzierten, bewegten sich beide mit verschiedener Geschwindigkeit fort und entfernten sich immer weiter voneinander. Da sie sich nicht durch ihre Form, sondern bloß durch ihre relative Lage unterscheiden, kann die Ursache für die Geschwindigkeitsdifferenz nur eine vom Abstand abhängige Wechselwirkung sein.
Die Forscher untersuchten das Wanderverhalten der beiden Dünen über einen längeren Zeitraum und stellten fest, dass die stromaufwärts liegende mit konstanter Geschwindigkeit im Kreis läuft, während die gewissermaßen in ihrem Windschatten befindliche zweite Düne sich zunächst rasch entfernt und sich dann immer mehr dem Tempo ihrer Vorgängerin angleicht. Das dauert so lange an, bis die Objekte in der Rinne einander diametral gegenüberliegen. Schon allein aus Symmetriegründen ist das zu erwarten, weil die beiden Dünen nur in dieser Position denselben Einflüssen ausgesetzt und daher völlig gleichwertig sind.
Die Ursache für die erstaunliche Entwicklung fanden die Forscher, indem sie anhand von Aufnahmen einer mitrotierenden Kamera die Bewegung der einzelnen Glaskügelchen verfolgten. Demnach entstehen an der stromaufwärts gelegenen Düne Wirbel, die bis zur dahinter befindlichen Düne reichen und an deren Spitze zahlreiche Sandkörnchen ablösen. Diese gelangen in den Wasserstrom, werden ein Stück weit mitgerissen und sinken an der Leeseite der Düne wieder ab. So unterstützen die Wirbel von stromaufwärts den Vorgang des Sandtransports auf der stromabwärts gelegenen Düne. Die Reichweite der Turbulenzen ist jedoch begrenzt. Darum nimmt die beschleunigende Wirkung mit zunehmender Entfernung der beiden Dünen voneinander ab. Schließlich regelt sich ein charakteristischer Abstand ein. Große Haufen enden im ringförmigen Kanal in der symmetrischen Position, bei kleineren reicht die Wechselwirkung nicht so weit, und die Geschwindigkeiten der hinteren und der vorderen Düne werden schon in geringerer Entfernung gleich.
Der Mechanismus sorgt dafür, dass verschiedenförmige Dünen in einem Feld nicht zwangsläufig miteinander kollidieren, sondern sich im Gegenteil gegenseitig stabilisieren. Geht man beispielsweise von einer kleinen Düne neben einer großen aus, so würde die erstere, schnellere Düne die letztere, langsame über kurz oder lang einholen. Durch die Annäherung nimmt jedoch der Einfluss der Wirbel von der kleinen auf die große Düne zu. Das beschleunigt dort den Sandtransport – umso stärker, je näher sich beide kommen. Sofern sich der Größenunterschied in Grenzen hält, wandert das Paar schließlich mit gleicher, konstanter Geschwindigkeit. Die Wissenschaftler um Bacik haben solch eine Situation mit zwei Exemplaren nachgestellt, die sich in ihrer Masse um den Faktor 2,5 unterschieden, und fanden genau so einen abstoßenden Effekt.
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