Bildgebende Verfahren: Was können Hirnscans - und was nicht?
Mehr denn je leben wir heutzutage in einem Zeitalter der Bilder. Und die Wissenschaft wirkt eifrig daran mit, Bilder zu produzieren und um die ganze Welt zu schicken. Eine Maschine erzeugt dabei besonders verführerische Aufnahmen: der Hirnscanner. Wie kaum eine andere Technik steht er für die moderne Suche des Menschen, den menschlichen Geist zu entschlüsseln. Er wirft Bilder von einer trügerischen Einfachheit aus. Vermeintliche Schnappschüsse, die zeigen, was live im Gehirn so vor sich geht. Als bildgebende Verfahren der neueste Schrei in der Forschung waren, berichteten die Medien überschwänglich und vielfach auch ziemlich unkritisch über Hirnforschung. Unter großem medialen Blätterrauschen ward beispielsweise die Entdeckung von Liebeszentren im Gehirn verkündet. Gar ein "Gottesmodul" für den religiösen Glauben hatten einige Hirnforscher im Schläfenlappen ausgemacht.
Glaubten sie zumindest. Doch mittlerweile hat sich nicht nur die anfängliche Euphorie gelegt. Das Pendel schwang auch gar in die andere Richtung aus. Plötzlich galten die Ergebnisse der Hirnforschung und insbesondere ihre mitunter allzu fantasievollen Deutungen der Bilder aus dem Scanner als zweifelhaft. Damit drohen aber auch die unbestreitbaren Leistungen der Neurowissenschaften aus dem Blickfeld zu geraten. Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, doch was sagen die bunt leuchtenden Bilder aus dem Hirnscanner letztlich aus?
Hirnscanner – was ist das eigentlich?
Zunächst einmal: Die bildgebenden Verfahren machen sich zu Nutze, dass das Gehirn ein ziemlicher Energiefresser ist. Wo immer Neurone sich regen, verbrauchen sie Energie. Diese wird vor allem durch Glukose erzeugt, die mit Hilfe von Sauerstoff verstoffwechselt wird. Obwohl unser Denkorgan nur 5 Prozent der Körpermasse ausmacht, konsumiert es etwa 20 Prozent der Glukose. Indem man den Glukoseverbrauch des Gehirns misst, kann man also indirekt etwas über die Tätigkeit von Nervenzellen in Erfahrung bringen.
Zu diesem Zweck greifen Forscher auf die Positronenemissionstomografie (PET) zurück, bei der man radioaktiv markierte Glukose in die Blutbahn injiziert, die sich dann in aktiven Regionen ansammelt. Dazu benötigt man aber einen Zeitraum von rund einer halben Stunde. Eine bessere zeitliche Auflösung mit der PET lässt sich durch Messung der Hirndurchblutung erzielen. Sind Nervenzellen aktiv, müssen sie mit Sauerstoff versorgt werden, was räumlich umgrenzt die Durchblutung ankurbelt. Diese lässt sich mit der PET erfassen, indem man ein radioaktiv verändertes Molekül mit einer Halbwertzeit von ungefähr zwei Minuten zur Markierung in die Blutbahn injiziert.
Doch eine PET-Untersuchung geht vergleichsweise ganz schön ins Geld und bringt eine gewisse Strahlenbelastung mit sich. Aus diesen Gründen kommt im Forschungsalltag der Neurowissenschaft heutzutage häufiger die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) zum Einsatz, die mittlerweile fast synonym für das Hirnscannen steht. Sie kann mit einer Reihe von Vorteilen aufwarten: So erfordert sie keinen Einsatz radioaktiver Substanzen und erlaubt, an jeder Stelle des Gehirns Signale fast gleichzeitig zu registrieren. Wissenschaftler nutzen bei der Messung die unterschiedlichen magnetischen Eigenschaften von sauerstoffreichem und -armem Hämoglobin. Kurz nachdem sich Neuronenverbände regen, bewirkt ein verstärkter Blutfluss eine Aufnahme von sauerstoffreichem Hämoglobin. Gleichzeitig nimmt dort die Konzentration des sauerstoffarmen Hämoglobins ab.
Die berühmt-berüchtigten bunten Flecken ergeben sich nach der Messung durch mathematische Berechnungen am Computer. Ein Bild aus dem Hirnscanner ist also nicht einfach ein etwas grobpixeliger Schnappschuss der Denkzentrale bei der Arbeit. Hinter dem schlussendlichen Bild steckt eine ganze Kette von messtechnischen Entscheidungen und komplexen statistischen Berechnungen. Wenn man an irgendeiner Stelle dieser Kette anders entscheidet, kann am Ende ein ganz anderes Hirnbild herauskommen.
Was verrät ein Hirnscanner-Bild?
Ein Problem von PET und fMRT ist, dass sie neuronale Aktivierungen nur indirekt über die damit einhergehenden Stoffwechselprozesse erfassen und viel langsamer arbeiten als das Gehirn selbst. Blutfluss und Sauerstoffverbrauch etwa ändern sich erst im Lauf von einigen hundert Millisekunden – bestenfalls. Aus Hirnstromableitungen ist allerdings bekannt, dass sich die Aktivität in der Hirnrinde schon im Bereich von wenigen Millisekunden verändert, wenn man die grauen Zellen etwa mit einem visuellen Reiz konfrontiert. Ist die räumliche Auflösung der fMRT mit einigen Millimetern ziemlich gut, lässt die zeitliche also zu wünschen übrig. Forscher arbeiten zwar ständig daran, die zeitliche Auflösung zu optimieren. Doch bei einem bleibt es: Vom Ausmaß der Durchblutung auf die Hirnaktivität und am Ende gar vielleicht auf komplexe mentale Leistungen zu schließen, ist um die eine oder andere Ecke gedacht.
Eine weitere Herausforderung liegt in unserem hyperaktiven Denkapparat, der nie wirklich ruht. Alles entscheidend ist die Frage, welche Neurone sich gerade regen, weil sie momentan an der Verarbeitung eines Reizes mitarbeiten, und welche nicht. In den neuronalen Netzwerken laufen viele Entladungen der Zellen ab, die die bildgebenden Verfahren erfassen, aber die letztlich gar nicht an der Verarbeitung des Reizes beteiligt sind. Möchte ein Forscher gerne wissen, welche Areale im Spiel sind, während eine Person etwa einen Arm bewegt, muss er hierfür die ständige Hintergrundaktivität herausrechnen. Er vergleicht daher zwei Zustände – den relativen Ruhezustand und den aktiven Zustand des Gehirns bei dieser Bewegung. Im Idealfall kann er daraus mit Hilfe statistischer Testverfahren die "Mehr-Aktivität" gewinnen, die mit der in Frage stehenden mentalen Leistung einhergeht.
Beide Versuchsbedingungen – die Aufgabe und die Kontrollbedingung – müssen dabei zigfach wiederholt werden. Denn bildgebende Verfahren wie die fMRT produzieren viel "Rauschen": So beeinflussen etliche Störfaktoren wie ungewollte Kopfbewegungen der Freiwilligen das fMRT-Signal. Die gewonnenen Signale mitteln Forscher daher statistisch, damit sie sich vom biologischen Hintergrundrauschen abheben. Hinzu kommt, dass die Hirnmuster von Proband zu Proband stark variieren. Unter genau den gleichen konstant gehaltenen experimentellen Bedingungen und im gleichen Tomografen können die individuellen Ergebnisse ganz anders aussehen.
Um überhaupt relevante Ergebnisse zu finden – etwa die spezifischen Hirnmuster einer Gruppe von psychisch kranken Menschen im Vergleich zu einer Gruppe von Gesunden –, werden auch die individuellen Unterschiede der Versuchspersonen innerhalb einer Gruppe statistisch herausgemittelt und fallen damit unter den Labortisch. Die beeindruckenden bunten Bildchen von Hirnaufnahmen, die in den Medien zu sehen sind, lassen daher eines viel zu oft vergessen. Man erblickt auf diesen Bildern meist ein statistisches Durchschnittshirn aus den Aufnahmen der verschiedenen Probanden einer Studie. Diese "Durchschnittsgehirne" haben mit der Funktion eines individuellen Gehirns nicht immer viel zu tun.
Gibt es das Durchschnittshirn überhaupt?
Ein Beispiel hierfür aus der Depressionsforschung lieferten der Psychologe Stephan Schleim von der niederländischen Universität Groningen und sein Kollege Jonathan Roiser vom University College London in einer Übersichtsarbeit von 2009. Zwar reagiere der für Emotionen wichtige Mandelkern im statistischen Durchschnitt bei Menschen mit akuten Depressionen verstärkt, wenn diese Gesichter mit emotional negativem Ausdruck wahrnehmen. Man könne nun aber nicht einen beliebigen depressiven Menschen herausgreifen und bei ihm auf jeden Fall eine erhöhte Mandelkernaktivität feststellen. Auch müsse umgekehrt eine Person mit einer überaktiven Amygdala nicht depressiv sein.
Es ist also keineswegs der Fall, wie Presseberichte manchmal glauben machen, dass man eine Versuchsperson einfach in ein MRT legen und dann direkt sehen kann, wie das Gehirn arbeitet. Und erst recht gewähren die Hirnscanner keinen Liveeinblick in das, was Probanden fühlen oder denken. Es ist eine Menge Statistik und Interpretation im Spiel. Vom echten Gedankenlesen ist man meilenweit entfernt.Gedankenlesen ist schwer – oder unmöglich?
Gleichwohl ist es aber nicht so, als würden die Wissenschaftler wie bei einem Rorschachbild wild etwas in die Klecksereien der Hirnscans hineindeuten. Vielmehr hängen ihre Interpretationen unter anderem vom genauen Versuchsaufbau ab – davon, welche Aufgabe die Probanden absolvieren mussten. Überhaupt fällt die Interpretation von Hirnsignalen in manchen Fällen durchaus leicht. So kann man gerade basale und früh in der Entwicklungsgeschichte hervorgegangene Hirnfunktionen oftmals vergleichsweise einfach identifizieren. Im Bereich der Sensomotorik etwa lassen sich die Regionen, die Berührungen oder Bewegungen verarbeiten und die im Gehirn relativ fest "verdrahtet" sind, sehr gut mit Hilfe der fMRT lokalisieren.
Alles in allem bedeutete vor allem die Einführung der fMRT einen riesigen Fortschritt für die Forschung. Vor dem Aufkommen der modernen Bildgebung waren Wissenschaftler größtenteils auf Patienten mit Hirnläsionen angewiesen. Lediglich von Schädigungen des Gehirns aus konnten sie auf die normale Funktion des betroffenen Hirnareals schließen. Da allerdings Wissenschaftlern auch nur eine begrenzte Zahl an Patienten mit speziellen Hirnverletzungen zur Verfügung stehen, hat man immer wieder zu Unrecht bestimmte psychische Funktionen einer bestimmten Hirnregion zugeordnet. So betrachtete man lange Zeit den Hippocampus allein als Erinnerungsspeicher. Erst bildgebende Verfahren bei gesunden Probanden offenbarten, dass auch der präfrontale Kortex eine wichtige Rolle für das Gedächtnis spielt.
Und auch beim Aufdecken bislang unerklärlicher Phänomene kann die Bildgebung helfen. So kennt man Phantomschmerzen in Folge der Amputation eines Körperteils zwar bereits seit frühgeschichtlicher Zeit. Allerdings ließen sich Phantomgliedmaßen weder belegen noch konnte man eine Erklärung für sie finden. Vergleicht man jedoch Amputationspatienten mit und ohne Phantomschmerzen, kann man per fMRT den geisterhaften Körperteil zumindest indirekt erfassen: Die Aktivierung im so genannten somatosensorischen Kortex bei der Wahrnehmung einer Phantomhand ähnelt derjenigen einer echten Hand. Für das Gehirn ist die amputierte Hand offenbar noch weiterhin vorhanden.
Auch wenn also bei der Deutung von Hirnaufnahmen Vorsicht geboten ist – für die Neurowissenschaften sind sie mittlerweile unverzichtbar.
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