Schlichting!: Bienen und Blumen unter Spannung
Wer über Blumen schwirrende Insekten beobachtet, fragt sich vielleicht: Sind die Kraft raubenden Anflüge nicht zum großen Teil vergeblich, weil sich bereits andere kurz vorher am Nektar bedient haben? Die prächtigen Farben und Strukturen der Blüten ändern sich schließlich nicht, ebenso wenig ihr betörender Duft. Doch es gibt weitere, für uns Menschen unmerkliche Hinweise, ob sich ein Besuch lohnt.
Viele Blüten tragen eine leicht negative elektrische Ladung. Das liegt am ständigen Spannungsunterschied zwischen Himmel und Erdoberfläche. Die geerdete Blume reicht die negative Ladung des Bodens gewissermaßen in die Höhe weiter. Dagegen sind manche Insekten wie die häufig vorkommende Dunkle Erdhummel (Bombus terrestris) elektrisch positiv geladen, weil es während ihres Flugs zu Reibungseffekten kommt. Dieses Phänomen der so genannten Triboelektrizität hat wohl jeder schon am eigenen Leib erfahren, etwa bei einem metallenen Türgriff, den man nach einem Gang über einen Teppich aus Kunststofffasern anfasst.
Wenn eine Hummel auf einer Blüte landet, tauschen beide ihre Ladungen aus. Dabei bleibt auch Pollen am Pelz haften, ähnlich wie Styroporkügelchen an einer elektrostatisch geladenen Oberfläche. Das verändert für einige Zeit die Struktur des elektrischen Felds der Blüte. Forscher um den britischen Biologen Daniel Robert von der University of Bristol haben entdeckt: Hummeln nehmen die Felder wahr – und die damit verbundenen Informationen über den Status der Bestäubung. Bei eingehenderen Untersuchungen fanden sie heraus, dass das Insekt so tatsächlich beurteilt, welche Blüte einen Besuch besonders lohnt.
»Es flüstern und sprechen die Blumen«
Heinrich Heine, 1797–1856
Dazu boten die Forscher den Hummeln leicht elektrisch geladene Kunstblüten mit Zuckersaft sowie ungeladene mit einer bitteren Flüssigkeit an. Sonst waren die Futterstellen zum Verwechseln gleich. Wenn nun die Hummeln darauf losgelassen wurden, gewöhnten sie sich sehr schnell daran. Sie wussten die elektrische Information zu nutzen und besuchten bald bevorzugt die geladenen, süßen Ziele. Als die Wissenschaftler die verschiedenen Kunstblüten anschließend sämtlich ladungsfrei hielten, flogen die Insekten sie wahllos an. Offenbar verstehen die Hummeln die in den elektrischen Feldern codierte Information.
Fräulein Hummels Gespür für Feldstärke
Echte Blüten haben unterschiedliche Geometrien, mit denen sie verschiedene elektrische Strukturen erzeugen. Da liegt die Frage nahe, ob Hummeln nicht nur pauschal zwischen geladenen und ungeladenen Blumen unterscheiden, sondern außerdem den Verlauf der Felder erfassen können. Um das herauszufinden, haben die Forscher Kunstblüten mit etwa der gleichen Spannung geladen. Bei den mit Nahrung präparierten wies das elektrische Feld aber eine konzentrische Form mit nach außen hin abnehmender Feldstärke auf. Demgegenüber war es bei den Blüten ohne Nahrung konstant stark. Die Hummeln lernten die Muster sehr schnell zu unterscheiden.
Elektrische Felder ergänzen also sinnvoll die Informationen durch Farben, Gestalt und Geruch. Doch mit welchen Sinnesorganen erkennen die Hummeln überhaupt die zusätzlichen Muster? Auf der Suche nach einer Antwort richteten die Biologen ihre Aufmerksamkeit auf die Haare und Fühler. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass die feinen Strukturen des Pelzes und die Antennen vibrieren, sobald sie in ein elektrisches Feld geraten. Auch das kennen wir: Bei Menschen stellen sich die Körperhaare auf, wenn man etwa einen durch Reibung aufgeladenen Luftballon in die Nähe bringt. Das wiederum regt unsere empfindlichen Hautnerven an und vermittelt ein typisches kribbelndes Gefühl.
Vielleicht ist es bei Hummeln ähnlich, und ihre zahlreichen Härchen dienen nicht nur der Wärmeisolation, sondern ebenso zur Detektion von Feldern. Um dem nachzugehen, registrierten die Forscher mit Hilfe von Laserstrahlen, wie die feinen Körperhaare und die Antennen der Tiere jeweils auf elektrische Einwirkungen reagieren. Gleichzeitig zeichneten sie die zugehörigen Nervensignale auf. Sie stellten fest: Sowohl die Haare als auch die Fühler werden wie steife Stäbe ausgelenkt, also ohne nennenswerte Biegungen. An der Basis registrieren mechanosensorische Neurone die Bewegungen und leiten entsprechende Signale weiter.
Alles in allem sind die Härchen demnach gute Sensoren. Unter Insekten und Spinnen ist die Nutzung von Borsten und Haaren als Sinnesorgane weit verbreitet, etwa um Schwingungen oder die Position der Gliedmaßen zu erfassen. Ein Gespür für elektrische Felder ist daher bei ihnen wahrscheinlich ebenfalls gang und gäbe und dürfte viele Aspekte der Kommunikation von Tier- und Pflanzenwelt betreffen.
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