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Klimawandel: Die Tropen machen sich breit

Die Trockenzonen der Erde schieben sich in rasantem Tempo polwärts. Die Wissenschaft sucht händeringend nach den Ursachen und diskutiert mögliche Folgen.
Ein Keimling trotzt der Dürre

An einem Frühlingstag im Jahr 2004 saß Qiang Fu grübelnd über den Daten mehrerer Wettersatelliten, als er auf einmal ein ungewöhnliches und irgendwie nicht erklärbares Muster bemerkte. Die untere Atmosphäre schien sich in zwei Zonen beiderseits des Äquators stärker zu erwärmen als sonst auf der Erde. Der Atmosphärenwissenschaftler von der University of Washington in Seattle war ratlos.

Erst ein Jahr später wurde ihm klar, was er damals entdeckt hatte: Es war der Beweis für die rasend schnelle Expansion der tropischen Zone – der Region, die unseren Globus wie ein grüner Gürtel umspannt. Das Zentrum der Tropen ist üppig bewachsen, doch die Ränder im Norden und Süden sind trocken. Und genau diese ausgedörrten Randgebiete breiten sich immer mehr im Gebiet der bisherigen Subtropen aus und schieben diese mehr und mehr polwärts.

"Eine Verschiebung um gerade einmal einen Breitengrad könnte in Südkalifornien massive Auswirkungen auf die Regenmenge haben"Thomas Reichler

Die derzeit noch außerhalb der Tropen liegenden Städte könnten schon bald inmitten der tropischen Randzonen liegen. Das sind schlechte Nachrichten beispielsweise für San Diego in Kalifornien. "Eine Verschiebung um gerade einmal einen Breitengrad könnte in Südkalifornien massive Auswirkungen auf die Regenmenge haben", erklärt Thomas Reichler von der University of Utah in Salt Lake City, der dort Klimamodelle erstellt.

Nachdem Fu und seine Kollegen im Jahr 2006 ihre Erkenntnisse zur Expansion der Tropen publik gemacht hatten, fingen viele Wissenschaftler an, nach den Ursachen zu suchen. Die Erklärungsversuche reichten von globaler Erwärmung über Abnahme der Ozonschicht bis hin zur Umkehr natürlicher Zyklen. Unklar ist auch, mit welcher Geschwindigkeit sich die Tropen verschieben: Die Schätzungen reichen von weniger als einem halben Breitengrad bis hin zu mehreren pro Jahrzehnt. Im Extremfall könnte London binnen eines Jahrhunderts in die Klimazone Roms rutschen. Das Ausmaß der Bewegung ist auch deshalb schwer abzuschätzen, weil unter den Forschern noch unterschiedliche Definitionen für die tropische Zone kursieren. Einig sind sich aber alle darüber, dass die Verschiebung schon längst im Gange ist.

"Wir müssen uns wirklich damit beschäftigen", sagt der Klimaforscher Chris Lucas vom Bureau of Meteorology in Melbourne, Australien. Infolge der Veränderungen könnten nämlich die reichhaltigsten Fischgründe der Welt verschwinden; die weltweite Getreideproduktion könnte sinken und die Artenvielfalt, sprich Biodiversität, stark beeinträchtigt werden.

Ungewöhnliche Phänomene am Himmel

Zur gleichen Zeit, als Fu die merkwürdigen Muster in den Satellitendaten entdeckte, beobachtete Reichler ungewöhnliche Phänomene am Himmel. Die Tropopause bezeichnet die Grenze zwischen der untersten Schicht der Atmosphäre (Troposphäre) und der darübergelegenen Schicht (Stratosphäre). Am Äquator liegt die Tropopause normalerweise einige Kilometer höher als an den Polen, weil Warmluft aufsteigt und sie in die Höhe schiebt. Als Reichler die Temperaturdaten aus den Wetterballons auswertete, bemerkte er aber, wie sich diese Beule der Tropopause weiter polwärts bewegt – ein klares Zeichen für die Ausbreitung der Tropen. Als Fu von Reichlers Entdeckung erfuhr, beschlossen die zwei Forscher, ihre Daten gemeinsam zu veröffentlichen.

Joshua Trees in Kalifornien | Die Verschiebung der Tropen kann massive Auswirkungen auf Regionen wie beispielsweise Südkalifornien haben, die derzeit noch außerhalb der Tropen liegen. Schon bald befinden sich diese möglicherweise inmitten der tropischen Randzonen – mit massiven Auswirkungen auf die Niederschlagsmenge.

Auch zehn Jahre später suchen Wissenschaftler immer noch händeringend nach Erklärungen. Im Juli 2015 versammelten sich 50 Experten in Santa Fe in New Mexico, um alle möglichen Daten zur Expansion der Tropen gemeinsam zu diskutieren, darunter Messtechniken, mögliche Ursachen und was in Zukunft als Grenze der Tropen gelten soll. "Uns wird gerade klar, dass dieses Problem viel komplexer ist als anfangs angenommen", erklärt der Atmosphärenwissenschaftler und Organisator der Konferenz Dian Seidel von der NOAA, der US National Oceanic and Atmospheric Administration in Silver Spring in Maryland.

Inwieweit die Veränderungen auf der globalen Erwärmung beruhen, untersuchte Reichler in einer Studie (PDF), die der Experte für Erdsystemforschung Jian Lu vom Pacific Northwest National Laboratory in Richland in Washington leitete. Gemeinsam mit dem Klimawissenschaftler Gabriel Vecchi von der NOAA in Princeton in New Jersey werteten sie Klimavorhersagen aus und bestimmten, wie die Erderwärmung die so genannten Hadley-Zellen beeinflusst, jene atmosphärischen Zirkulationsmuster, die Hitze vom wärmeren Teil der Erde in kühlere Regionen transportieren. Bei diesen Windwalzen steigt über dem Äquator warme, feuchte Luft auf und kühle, trockene Luft sinkt um den 30. Breitengrad der nördlichen und südlichen Hemisphäre wieder auf die Erde hinunter. Der absinkende Ast der Hadley-Zelle trägt zur Bildung der trockensten Wüsten auf unserem Planeten bei, sei es die Kalahari in Südafrika oder die Sahara in Nordafrika, und definiert in der Regel die Grenze zwischen den feuchten Tropen und den trockeneren Subtropen.

Lu und seinen Kollegen untersuchten die Ergebnisse verschiedener Klimamodelle, von denen die meisten anscheinend voraussagen, dass sich der äußere Rand der Hadley-Zelle durch die globale Erwärmung verschiebt. Allerdings berechnen sie in der Regel eine wesentlich langsamere Ausbreitung, als die bisherigen Messungen ergeben haben. Das lässt etliche Forscher vermuten, dass noch andere Phänomene als Ursache in Betracht kommen.

Sind die Daten Rauschen, oder basieren sie auf verschiedenen Faktoren?

Nicht nur Lucas denkt dabei an die natürlichen Klimaschwankungen, beispielsweise in Form großer Pazifischer Dekaden-Oszillationen (PDO), bei denen die Oberflächentemperaturen des Pazifischen Ozeans über 15 bis 20 Jahre hinweg zwischen heiß und kalt wechseln. "Vielleicht ist es auch ein eher zufälliges, chaotisches Rauschen", sagt Lucas, der etwa die Hälfte der Veränderungen auf die großen Erdzyklen und ein Hintergrundrauschen zurückführt. Der Atmosphärenwissenschaftler Darryn Waugh von der Johns Hopkins University in Baltimore in Maryland stimmt ihm zu. "Das ganze System ist so chaotisch, dass ein Teil der Schwankungen sicherlich einfach nur Rauschen ist." Wenn das so ist, könnte sich die Verschiebung der Tropen aber auch wieder abschwächen oder gar zurückbilden.

Andere Möglichkeiten berufen sich auf unterschiedliche Faktoren auf Nord- und Südhalbkugel. Südlich des Äquators zeigte sich im Sommer die stärkste Expansion, was einige Forscher mit einem Rückgang der südlichen Ozonschicht in der Stratosphäre in Zusammenhang bringen. Schadstoffe vernichten im Frühjahr die Ozonmoleküle über der Antarktis, wodurch es in anderen Teilen der Südhalbkugel im Sommer zu Veränderungen in der Zirkulation kommt. Die Korrelation zur Verschiebung der Tropen deutet auf einen Zusammenhang der zwei Phänomene hin. Wenn der Ozonverlust mit eingerechnet wird, lassen sich auch die Veränderungen zwischen den Jahren 1980 und 2000, als sich das Ozonloch über der Antarktis fast jährlich vergrößerte, viel besser darstellen, meint Waugh.

Vertrocknete Bäume in Australien | Fast zeitgleich mit der ersten Warnung über die Expansion der Tropen bekam Australien schon einmal mögliche Auswirkungen zu spüren: In den Jahren 2006 und 2007 herrschte in Australien eine der schlimmsten Dürreperioden seit dem Eintreffen der Europäer auf dem Kontinent.

Für die Nordhalbkugel bedarf es dann aber einer anderen Erklärung, weil hier das Ozonloch nicht dieselben Ausmaße hat wie über der Antarktis. Der Klimawissenschaftler Bob Allen von der University of California in Riverside beschuldigt schwarzen Ruß und Troposphären-Ozon; beides wird durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe freigesetzt. Er erstellt mit seinem Team Computersimulationen, welche die Physik der Atmosphäre mit einbeziehen. Wie die Auswertung der Klimamodelle zeigt, wurde die Atmosphäre der Nordhalbkugel durch beides, schwarzen Ruß und Troposphären-Ozon, stark aufgeheizt – insbesondere im Sommer scheint die Ausbreitung der Tropen damit wohl eher hierdurch als durch Kohlendioxid und andere Treibhausgase vorangetrieben zu werden.

Aber nicht alle glauben an unterschiedliche Ursachen auf den zwei Seiten des Äquators. Laut Fu wären dann nicht dieselben Muster auf beiden Halbkugeln zu finden. "Wenn in den letzten 30 Jahren speziell im Süden die Abnahme der Ozonschicht hauptverantwortlich gewesen wäre, würden wir dann jetzt auf beiden Hälften symmetrische Effekte beobachten? Das überzeugt mich nicht", sagt er. Inzwischen gibt es immer neue Hypothesen – ein Indiz für das Ringen der Forscher um Erklärungen. "Wir müssen das Puzzle nach und nach zusammensetzen", erklärt Lucas. "Wir haben noch keine allumfassende Begründung, und ich glaube auch nicht, dass wir jemals eine haben werden. Es wird von jedem etwas dabei sein."

Schwerste Dürre in Australien als erste Auswirkung

Fast zeitgleich mit der ersten Warnung vor der Expansion der Tropen bekam Lucas schon einmal erste mögliche Auswirkungen zu spüren: In den Jahren 2006 und 2007 herrschte in Australien eine der schlimmsten Dürreperioden seit dem Eintreffen der Europäer auf dem Kontinent. Lucas erinnert sich noch daran, wie er von Melbourne zu dem nahe gelegenen Lake Eildon fuhr und den einst randvoll mit Wasser gefüllten See völlig leer vorfand. Die Wasservorräte wurden knapper, und nördlich der Stadt drangen Waldbrände immer weiter in die Berge vor. Die am schwersten betroffenen Regionen Australiens – Städte wie Perth, Adelaide und Melbourne – liegen alle südlich des 30. Breitengrades, was nahelegte, dass die Dürre durch eine Verlagerung der Hadley-Zelle und des Regen bringenden Jetstreams verursacht wurde. Laut einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2010 wurde Südostaustralien in den letzten Jahrzehnten vom trockeneren Klima des Nordens überzogen. Dadurch verringerten sich die Regenfälle wesentlich. "Das mag nicht ausschließlich auf die Expansion der tropischen Zone zurückzuführen sein, aber es gibt große Übereinstimmungen", erklärt Lucas. "Wir befürchten nun, dass Australiens Klima immer trockener wird."

Andernorts gibt es sogar Hinweise darauf, wie die Ausbreitung den Ozean beeinflusst. Dort, wo die Hadley-Zelle tiefer liegt und kühle Luft nach unten bringt, gerät der Ozean stärker in Bewegung, und die Strömungen nehmen an Geschwindigkeit zu. Diese Energie führt zum "Upwelling", dem Auftrieb von kaltem und nährstoffreichem Wasser in Richtung Oberfläche, das einige der produktivsten Fischgründe der Welt ernährt. Leider gibt es auch Anzeichen, dass so manche Regionen schon jetzt unter der Verschiebung der Hadley-Zelle leiden.

Dürre | Ist das die Zukunft für Orte, die derzeit noch als Hotspots der Biodiversität bekannt sind? Im südlichen Australien etwa sind seit den späten 1970er Jahren die Regenfälle um ein Viertel zurückgegangen. Ähnlich erging es der für die Schönheit ihrer Flora bekannten südafrikanischen Cape Floristic Province.

Edward Vizy und Kerry Cook, beide von der University of Texas in Austin, erhielten beunruhigende Hinweise aus dem Gebiet der Benguela-Strömung, einer Upwelling-Region entlang der westafrikanischen Küste südlich des 30. Breitengrades. Laut Cook haben sich in den letzten 30 Jahren die Strömungen des gesamten Gebiets verlagert, und das schwächere Upwelling könnte Besorgnis erregende Folgen für die Fischerei und die Biodiversität des Gebiets haben. Laut Cook wäre dasselbe Szenario auch im offenen Ozean möglich, wo das Upwelling-System noch wesentlich anfälliger auf Lageveränderungen der Hadley-Zelle reagiert.

Bedrohung für traditionellen Lebenserwerb und Artenvielfalt

Die Upwelling-Zonen könnten sich mit der Zeit auch nach Süden verlagern, sich abschwächen oder verstärken, je nachdem was mit der Hadley-Zelle geschieht, erklärt Cook. Auf jeden Fall sollten sich die vom Fischfang lebenden Gemeinden nun nicht mehr völlig auf ihren traditionellen Lebenserwerb verlassen. Dazu kommt, dass auch die Artenvielfalt in Gefahr ist. Das gilt insbesondere für die Klimazonen gleich südlich der Subtropen in Südafrika und Australien, am Südrand beider Kontinente. Der Südwesten Australiens ist eigentlich als einer der Hotspots der Biodiversität bekannt, mit blühenden Blumen im September, wenn die Touristen kommen und über die etwa 4000 endemischen Pflanzenarten der Region staunen. Doch seit den späten 1970er Jahren sind die Regenfälle in der Region um ein Viertel zurückgegangen, ebenso wie in der südafrikanischen Cape Floristic Province, die ebenso für die Schönheit ihrer Flora bekannt ist. "Das sind die konkretesten Hinweise auf eine Ausbreitung der tropischen Zone", sagt der Umweltgeograf Steve Turton von der James Cook University in Cairns in Australien.

"Es ist frustrierend, wie viel wir erst noch herausfinden müssen"Thomas Birner

Turton befürchtet, dass sich das Ökosystem bei dieser Geschwindigkeit der Veränderungen nicht anpassen kann. "Hier geht es um einen Zeitrahmen, der etwa der Hälfte oder ein Drittel eines Menschenlebens entspricht", gibt er zu bedenken. Im Worst-Case-Szenario würde die ökologisch so vielfältige Region völlig vom subtropischen Klima eingenommen werden, mit wesentlichen Auswirkungen des heißeren und trockeneren Wetters.

Doch bei all den Unwägbarkeiten ist es für die Wissenschaftler schwierig, das Ausmaß der Bedrohung durch die Ausbreitung zu vermitteln. "Es ist frustrierend, wie viel wir erst noch herausfinden müssen", sagt Thomas Birner, der als Atmosphärenwissenschaftler an der Colorado State University in Fort Collins arbeitet und mit anderen Forschern zur Konferenz in Santa Fe eingeladen hatte. Ein erster Erfolg des Treffens war immerhin schon einmal die Einigung auf Messsysteme zur Bestimmung der Veränderungen, um letztlich überhaupt einen Konsens über die besten Maßnahmen erzielen zu können.

Die Zeit wird das ihre dazutun. Wenn die Expansion relativ konstant zunimmt, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass die natürlichen Schwankungen die Hauptursache sind, und die anderen Möglichkeiten werden dann stärkere Beachtung finden, sagt Waugh. Aber das lange Warten auf eine Antwort ist keineswegs ein Trost für die Bewohner von Städten wie Santiago, San Diego und Melbourne oder für die Milliarden anderen, die nahe der Grenze zwischen den Tropen und den Subtropen leben. "Wir müssen das ganze System besser verstehen, um die Zivilisation hier dauerhaft erhalten zu können", sagt Lucas.

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