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Dem immer wieder mit Recht empfohlenen Gehirnjogging/Gedächtnistraining/Hirnleistungstraining widme ich mich mit meinen Anekdotenbüchern auf heitere Art. Näheres unter google: Manfred Stock Anekdoten
Der Artikel ist selbstverständlich an den "gesunden" Mitmenschen gerichtet. Aber dass der nicht so gesund ist, wie es den Anschein hat, sieht man ganz deutlich, da diese bewusst die Realität ausblenden, um in ihrer eingebildeten, paradisischen Traumwelt weiterzuleben.
BIIDs passen da nicht ins Bild und werden wie alles ungesunde aus der Gesellschaft ausgestoßen. Das ist nur die Spitze des Eisberges, es gibt andere Minderheiten, die wohl seelisch noch wesentlich stärker in dieser Gesellschaft leiden. Leiden, das sogar gesellschaftlich erwünscht ist! Diese verlogene, schizophrene Mobbinggesellschaft, in der sich jeder selbst der nächste ist, prangere ich an!
An dieser Rezension ist grundsätzlich nichts auszusetzen - bis auf eine Kleinigkeit, aber eine wesentliche. Sozusagen im Nachklang der positiven Beschreibung des Buches "Der König aller Krankheiten" erwähnt der Rezensent, dass der Autor die Leistungen von Wissenschaftlern außerhalb der USA nur am Rande erwähnt habe. Woran mag das liegen? Am Umfang der Informationen, am eigenen Forschungsschwerpunkt, vielleicht sogar an nationaler Überheblichkeit. Letzteres scheidet höchstwahrscheinlich aus, denn Mukherjee ist Inder. Und er ist offensichtlich Wissenschaftler genug, diesem Aspekt keine Bedeutung zuzumessen. Bleiben die beiden anderen Gründe: Informationsflut und Schwerpunkt der eigenen Forschung. Wenn man nicht gerade Wissenschaftshistoriker ist, steht naturgemäß jede Veröffentlichung im Fokus der eigenen Forschung. Denn aus diesem Wissensfundus heraus lässt sich am ehesten (zumindest) stichhaltig argumentieren. Geschult durch Studium und Praxis bilden sich automatisch "Vorlieben" heraus, die sich in jeglicher Arbeit niederschlägt (kurz: man brennt für eine Sache). Das ist der Funktionsweise des Gehirns geschuldet. Und es tut jedem Buch gut, wenn man nicht zwanghaft versucht, in möglicherweise fremdes Terrain abzurutschen. In der Begrenzung/ Beschränkung (im Sinne eines wissenschaftlichen Artikels/ Buches) liegt (heute) die Kunst des Autors/ Wissenschaftlers. Und wenn Mukherjee sich diesem Erfordernis beugt, so könnte man schlussfolgern, ist dies eher ein Zeichen dafür, dass in der übrigen Forschungslandschaft eben nicht die entscheidenden Schritte gemacht wurden oder werden - oder jedenfalls nicht eine wesentliche Bedeutung für die eigene Arbeit erlangt haben.
Sowohl Ewald wie auch Engmann gehen von einem systematischen Fehler aus, indem sie Nahtod-Erfahrungen nur einseitig als mögliches Sterbeerlebnis betrachten. Der Begriff "Nahtod-Erfahrung" (NTEs) wurde von dem US-Arzt Dr. Moody mit dem Buch "Leben nach dem Tod" einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Allerdings gibt es bis heute keinerlei wissenschaftliche Definition dafür. Moody suggeriert(!!!), dass es sich dabei um mögliche Sterbeerlebnisse handeln könne - aber behauptet hat er dergleichen NIE. Er weist zudem (Kapitel 6: Eindrücke) ausdrücklich darauf hin, dass seine Studie keine(!) wissenschaftliche Arbeit sei - und er betont ausdrücklich, dass er NICHT in dem Wahn befangen sei, er hätte ein Leben nach dem Tod bewiesen. Und das ist ein wissenschaftliches Problem: Die Idee "Nahtod-Erlebnis" als Sterbeerfahrung oder Reaktion aus Angst vor dem Tod zu untersuchen, baut auf keiner einzigen begründeten Grundannahme, Theorie, Hypothese auf.
Die Annahme, dass es sich dabei um Stebeerlebnisse handeln könne, wird von Moody bereits im Buch selbst widerlegt, z.B. im Kapitel "Die Rückkehr": Ein LKW-Fahrer hatte bei einem Unfall eine NTE, aber dieser Unfall lief so schnell ab (gefühlt: Bruchteil einer Sekunde, steht im Buch), dass sich kein Sauerstoffmangel entwickeln konnte - außerdem blieb er völlig unverletzt, wie ausdrücklich betont wird; d.h. er war lebendig und bei bester Gesundheit.
Es gibt im Buch auch Beispiele wo betont wird, dass man zeitgleich zur NTE die Umgebung deutlich wahrnehmen (z.B. sehen) konnte - d.h. die Sinne arbeiteten, der Mensch war bei Bewusstsein und wahrnehmungsfähig.
Und dies ist der systematische Fehler der gesamten Nahtod-"Forschung" seit 1975: Es wurde dabei immer nur einseitig nach Sterbereaktionen, Stressreaktionen oder Hirnschäden gesucht - die Annahme, dass die Menschen bei einem solchen Erlebnis geistig völlig normal reagierten und geistig gesund waren, wurde nie untersucht! Wissenschaftler sollten erst ALLE möglichen Erklärungsmodelle analysieren, bevor sie sich auf eines fest legen.
Ein bisschen schwanger gibt es nicht - genau so ist es mit dem Sterben: Ein gesunder/kranker Mensch ist lebendig, nach dem Tod ist man eine Leiche. Andere Definitionen sind fragwürdig. Denn wenn man das Absterben von Gehirnzellen als Sterbeprozess betrachtet - wie tot ist dann ein Komapatient oder ein Mensch, dem Teile des Gehirns entfernt wurden?
Quantenverschränkung gilt nur für gleichartige Objekte gemeinsamen Ursprungs, das ist zumindest der aktuelle Wissensstand der Quantenphysik. Eine "Verschränkung" zwischen Körper und Seele ist somit überhaupt nicht möglich. Außerdem ist der Begriff "Seele" noch nicht einmal genau definiert.
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Wicht, wann geht's denn kolumnenmäßig mal weiter? Ich will nicht hoffen, dass Herr Wicht zugunsten des Herrn von Hirschhausen abgeschafft wurde. Denn das wäre mehr als schade. Grüße Trachinus Draco
13.04.2012, Prof. Dr. Hans J. Markowitsch, Bielefeld
Stephan Schleim diskutiert, was er die "7 größten Neuromythen" nennt. Ich möchte im Folgenden nur kurz auf die so genannten Mythen 2 und 6 eingehen. Mythos 2 sei, dass Psychopathie Korrelate auf Hirnebene habe. Hierzu gibt es eine Unzahl an Belegen, der von Schleim als Paradefall gewählte "Strohmann" Phineas Gage gehört aber nicht dazu. Neuere Übersichtsarbeiten zu dieser Thematik wie von A. L. Glenn und A. Raine "The neurobiology of psychopathy" (Psychiatric Clinics of North America 2008) und von J. C. Motzkin et al. "Reduced prefrontal connectivity in psychopathy" (Journal of Neuroscience 2011) erwähnen ganz andere Beispiele, nicht aber das von Phineas Gage. Dieser wird andererseits häufig - und dieses finde ich berechtigt - als der wohl am frühesten in der wissenschaftlichen Literatur belegte Fall eines Menschen mit Persönlichkeitsänderungen nach Hirnschäden zitiert, nicht aber als Psychopath. Es ist auch nicht so schwierig wie Schleim meint, über Fernleihbestellungen die Originalliteratur von 1848, 1869 und 1850 zu bekommen. In dieser finden sich klare Belege für seine Charakteränderungen: Seine Kameraden sagten über ihn "He is no longer Gage"; in Harlows Buch "Recovery from the passage of an iron bar through the head" von 1869 heißt es auf S. 13f: "The equilibrium or balance, so to speak, between his intellectual faculties and animal propensities, seems to have been destroyed. He is fitful, irreverent, indulging at times in the grossest profanity (which was not previously his custom), manifesting but little deference for his fellows, impatient of restraint or advice when it conflicts with his desires, at times pertinaciously obstinate, yet capricious and vacillating, devising many plans of future operation, which are no sooner arranged than they are abandoned in turn for others appearing more feasible. A child in his intellectual capacity and manifestations, he has the animal passions of a strong man." Ich denke, diese Aussagen belegen weit klarer seine Charakteränderungen als wenn man - wie Schleim - seine Tierliebe in den Vordergrund stellt. Auch Hitler war ein Hundenarr.
Mythos 6: "Neurowissenschaftler haben bewiesen, dass der freie Wille eine Illusion ist." Hier kritisiert Schleim den häufig gemachten Rekurs auf die Libet-Experimente, die in seinen Augen nicht relevant sind, weil "das langfristige Planen von Handlungen ... sich ... als sehr wichtig herausgestellt [hat]" (S. 43). Auch in diesem Beispiel sehe ich eher einen aufgebauten Strohmann: Zum einen erlaubte das Versuchsdesign bei Benjamin Libet ja gerade kein langfristiges Planen, zum anderen ist das Paradigma nicht zentral für den Nachweis eines determinierten Willens. Stattdessen sehe ich diesen in der Kombination aus unseren genetischen Anlagen, den lebenslang gemachten und sich im Gehirn manifestierten Erfahrungen und den gegenwärtig auf uns als Person einwirkenden Umfeldvariablen (einschließlich möglicher stochastischer Prozesse). Wie Schleim einfach zu behaupten, dass unsere Entscheidungen dann frei seien, wenn wir sie im Einklang mit unseren Wünschen und Überzeugungen träfen, ist mir zu kurz gedacht. Schließlich kommen unsere Wünsche und Überzeugungen ja auch nicht aus der Luft, sondern sind entstanden aus unserer biologischen Bedingtheit und unseren Erfahrungen und damit durch diese determiniert. Hätte man andere Erfahrungen gemacht, würde man eine andere Aktivitätskonstellation im Gehirn haben, die dann zu genau einer vordeterminierten (und keiner alternativen) Entscheidung führen würde. Ein freier Wille bleibt neurowissenschaftlich betrachtet eine Illusion, wie schon Sigmund Freud formulierte - vielleicht eine nützliche, weil sie, vor allem von limbischen Hirnstrukturen kreiert, unser Überleben fördert.
Stellungnahme der Redaktion
Antwort des Autors Stephan Schleim:
Thomas Kuhn, der Wissenschaftstheoretiker, der u.a. den Begriff des Paradigmas prägte, stellte schon in seinem bahnbrechenden Werk "The Structure of Scientific Revolutions", das gerade seinen 50. Geburtstag feiert (Nature 484, S. 164-166, 2012), eine verzerrende Tendenz in der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung fest: Die Vergangenheit würde häufig im Licht gegenwärtiger Theorien uminterpretiert. Bestätigende Hinweise würden dabei übertrieben, Widersprüche hingegen herunter gespielt. Der Fall Phineas Gages ist hierfür eines der besten Beispiele, insbesondere auch in den Darstellungen Antonio Damasios, der ihn in jüngerer Zeit wieder popularisierte.
Daher hilft es nicht, wie Hans Markowitsch in seiner Leserzuschrift, einseitig die bestätigenden Hinweise für den "Unmenschen" Gage zu nennen. Das angeblich impulsive und kindliche Verhalten wird erst am 20. Oktober beziehungsweise 15. November 1848 genannt und damit mehr als ein bis zwei Monate nach dem Unfall (Harlow, S. 392, 1848). Es bezieht sich auf den Patienten Gage, der nach Wochen der Bettlägerigkeit entgegen ärztlichem Rat aufstehen, spazieren und zu seiner Familie zurückkehren will. Gages Mutter beschrieb ihren Sohn nicht nur als tierlieb, sondern auch als liebevoll im Umgang mit Kindern, beispielsweise seinen Nichten und Neffen (Harlow, S. 340, 1868).
Im Übrigen konnte bis heute niemand nachweisen, dass Gages Persönlichkeitsveränderungen wirklich folgen des Hirnschadens waren und nicht etwa des psychischen Traumas. Wie ich im G&G-Artikel schrieb, finden sich in den Originalquellen erst mehrere Wochen nach dem Unfall erste Hinweise auf Auswirkungen auf die Persönlichkeit, dabei entstand der Hirnschaden unmittelbar beim Unfall. Direkt danach wurde Gage jedoch von mehreren Zeugen als klar und vernünftig beschrieben (z.B. Bigelow, S. 16, 1850). Der Harvard-Professor Henry Bigelow beschreibt ihn sogar als in seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten völlig wiederhergestellt (ibid., S. 14).
Anders als von Markowitsch suggeriert, diskutiert der führende Neuroforensiker Adrian Raine sehr wohl den Fall Phineas Gages als Beispiel für die neuronale Basis von Psychopathie (so etwa wortwörtlich in Yang & Raine, S. 133, 2008). Weitere Beispiele habe ich in meinem Buch "Die Neurogesellschaft" ausführlicher diskutiert (Schleim 2011, 2012). Markowitsch selbst verhandelt dem Fall unter der Überschrift "Ein Verbrechergehirn" und bezeichnet dort Gage nach dem Unfall als einen "jähzornigen Mann, einen Soziopathen" (Markowitsch & Siefer, S. 124, 2007); diesen Fehler habe ich in meinem Buch "Gedankenlesen" noch selbst begangen, da mir damals nur die verbreitete Fehldarstellung bekannt war.
Determination durch Gott, Naturgesetze, Gene und Erfahrungen wurden in den letzten zweieinhalbtausend Jahren immer wieder mit Blick auf die Freiheit des Menschen diskutiert. Der entscheidende Punkt dieses Neuromythos ist, dass die neuere Hirnforschung hierzu bisher sehr wenig Neues beigetragen hat.
Bevor man Willensfreiheit als "neurowissenschaftliche Illusion" abtut, sollte man zunächst mit einer kohärenten Definition beginnen. Der vor allem auf die Möglichkeit der bewussten Selbstkontrolle und Reflexion abzielende Vorschlag von so genannten Kompatibilisten macht das Problem jedenfalls für neurowissenschaftliche, psychologische und soziologische Forschung fruchtbar. Die Frage ist dann nicht: Ist der Mensch absolut frei oder unfrei? Sondern: Wie frei sind bestimmte Menschen unter bestimmten Umständen? Empirische wie theoretische Forschung dürfte hierzu in den kommenden Jahrzehnten noch viel Interessantes beisteuern.
Quellen
Bigelow, H. J.: Dr. Harlow's Case of Recovery from the Passage of an Iron Bar through the Head. In: American Journal of the Medical Sciences 20, S. 13-22, 1850
Harlow, J. M.: Passage of an Iron Rod through the Head. In: Boston Medical and Surgical Journal 39, S. 389-393, 1848
Harlow, J. M.: Recovery from the Passage of an Iron Bar through the Head. In: Publications of the Massachusetts Medical Society 2, S. 327-347, 1868
Markowitsch, H. J., Siefer, W.: Tatort Gehirn: Auf der Suche nach dem Ursprung des Verbrechens. Campus 2007
Schleim, S.: Die Neurogesellschaft: Wie dir Hirnforschung Recht und Moral herausfordert. Heise 2011
Schleim, S.: Brains in Context in the Neurolaw Debate: The Examples of Free Will and "Dangerous" Brains. In: International Journal of Law and Psychiatry 35, S. 104-111, 2012
... bei Ihrem letzten Absatz gerate ich ins Nachdenken: "Eine Emotion liefert keine tiefere Weisheit und auch keinen Leitfaden für unser Handeln."
Dass Emotionen keine tieferen Weisheiten liefern, unterschreibe ich. Aber was ist mit der Liebe bzw. Nächstenliebe als Leitfaden für unser soziales Miteinander?
Ekel ist kein Gefühl, schon gar nicht ein Grundgefühl, wird aber meist von einem vermeintlich Gefühltem gemacht. Vermeintlich deshalb, weil dieses Gefühlte ein Produkt aus Moral, zivilisatorischer Erscheinungsform und Soziologie ist. Mit Fühlen im ursprünglichen Sinne hat Ekel soviel zu schaffen wie ein Fisch mit Fahrradfahren. Ekel ist weder der Natur noch der Evolution gemäß. Er ist eine rein menschliche Eigenschaft. Alle Tiere - und der Mensch ist auch eine echte Teilmenge des Tierreiches - schützen sich gegen Krankheiten u.s.w. Und Tiere kennen weder Hass noch Ekel.
Ekel als kulturelle Erscheinungsform kann man gelten lassen. Da ein großer Teil der Menschen mit der christlichen Kultur aufgewachsen ist, ist ihr Ekelverhalten mehr oder minder von dieser Moral geprägt. Ein Hindu hat ein anderes Ekelverhalten als ein Zen-Buddhist, ein Chinese ein anderes als ein US-Amerikaner.
Die große Gefahr bei dem Thema Ekel ist, dass wer sich diesbezüglich nicht knochenhart einmal mit sich selber auseinandergesetzt und mithin auch die tiefe Verlogenheit erfahren hat - hier sei einmal die christliche genommen, da der Verfasser in der Christlichen Morallehre erzogen wurde -, der wird über den Ekel zu den fatalsten Schlussfolgerungen kommen können.
Jeder hat seinen Ekel und seine Ekelgrenze. Sie seien ihm gegönnt. Ekel kann für das Überleben, nicht das Leben, notwendig sein. Seinen persönlichen Ekel aber zu einer moralischen und politischen Instanz zu erheben!!!! Wo wir da hin kommen ... - das hatten wir schon mal.
Es hat mich gefreut, dass in der aktuellen Ausgabe von "Gehirn&Geist" mein kürzlich erschienenes Buch "Vergiss Alzheimer!" rezensiert wurde. Leider spricht aus meiner Sicht allerdings vieles dafür, dass der Autor der Rezension - Markus Elsner - dieses Buch nicht wirklich gelesen hat. Denn aus meiner Sicht ist seine Kritik daran nicht nur vage und pauschal. Seine Rezension enthält vielmehr etliche Behauptungen, die falsch sind, weil sie nicht dem Inhalt meines Buchs entsprechen. Ich möchte das gerne an einigen Beispielen deutlich machen:
1) So schreibt Markus Elsner etwa, ich hätte "so gut wie keinen wissenschaftlichen Beleg" dafür geliefert, der an der Existenz der Alzheimerkrankheit zweifeln ließe. Das entspricht nicht den Fakten.
Aus dieser Leitlinie geht zum Beispiel hervor, dass
a) selbst Spitzenexperten die Alzheimerkrankheit bis heute nicht nachweisen können. In meinem Buch gebe ich das unter anderem auf S. 33 wieder ("Das Einzige, was die klinische Untersuchung liefern kann, ist eine 'wahrscheinliche' oder aber eine (noch weniger wahrscheinliche) 'mögliche' Alzheimer-Diagnose").
b) dass bis heute niemand weiß, wodurch diese Krankheit hervorgerufen werden soll (s. mein Buch S. 30: "Die Alzheimer-Krankheit ist eine Krankheit mit 'unbekannter Ätiologie'.")
c) dass sich auch die einzige, vermeintlich zuverlässige Diagnose der Alzheimerkrankheit - eine mikroskopische Untersuchung des Hirngewebes nach dem Tod - keinen Beleg für das Vorliegen eine Alzheimerdemenz liefert. Denn zum einen finden sich bei vielen Patienten, in deren Gehirnen sich haufenweise Plaques und Fibrillenbündel angesammelt haben, gleichzeitig auch Lewy-Körperchen und Defekte, die durch eine schwere Schädigung der Blutgefäße hervorgerufen werden (s. mein Buch S. 41).
Zum anderen weiß man seit vielen Jahren, dass rund ein Drittel aller normal alternden Menschen, die in hohem Alter versterben und bis zum Ende ihres Lebens geistig fit waren, so große Mengen von Amyloidplaques im Gehirn aufweisen, dass eine Obduktion den klaren Befund Alzheimer liefern würde (s. mein Buch S. 42).
2) An anderer Stelle schreibt Herr Elsner, ich stelle Wissenschaftler, die diagnostische Tests für die Alzheimerkrankheit entwickeln "unter den Generalverdacht, aus wirtschaftlichem Eigennutz Scharlatanerie zu betreiben". Zudem, so Herr Elsner, würde ich "jegliche Zusammenarbeit" zwischen Wissenschaft und Industrie diskreditieren, ohne zu bedenken, dass Forscher "nur auf diesem Weg aus ihren Ergebnisse Produkte entwickeln" könnten. Auch diese Aussagen sind nicht korrekt.
a) Richtig ist, dass ich in meinem Buch einzelne Fälle schildere, in denen Mediziner damit Geld machen, dass sie Laien mit falschen Versprechen in die Irre führen. Auf S. 82 meines Buches schildere ich zum Beispiel das Angebot einer Hamburger Diagnostik-Klinik zur "Alzheimer-Früherkennung". Auf den folgenden Seiten lege ich sehr genau und sachlich dar, warum dieses Angebot jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehrt, wie es in Zeitungsanzeigenangepriesen wird und warum solche Tests nichts nützen, aber sehr wohl Schaden anrichten können: Zum einen können sie dem besorgten Laien nicht - wie versprochen - eine zuverlässige Auskunft darüber geben, ob er an "Alzheimer" erkranken wird oder nicht. Zum anderen können solche Untersuchungen aber sehr wohl einen Fehlalarm auslösen, der massive (unter anderem psychische) Folgen nach sich ziehen kann.
b) Aus der Schilderung solcher Missstände zu folgern, dass ich alle Wissenschaftler "unter Generalverdacht" stelle, ist aus meiner Sicht nicht nur für falsch, sondern stellt auch die Aufgabe der Journalisten in unserem Land kritische Beobachter und als vierte Gewalt in unserem Staat in Frage. Zur Verdeutlichung möchte ich hier einen Vergleich anführen: Würde man diese Herangehensweise auf die Politik übertragen, könnte man ebenso gut behaupten: Wer aufzeigt, dass die Doktorarbeit eines Politikers bzw. eines Regierungsmitglieds (etwa die des Ex-Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg) zahlreiche Plagiate und wer diesen Politiker damit öffentlich kritisiert, stellt alle Politiker unter den Generalverdacht, unaufrichtig zu sein. Ich möchte nicht hoffen, dass Herr Elsner diese Ansicht vertritt. Andernfalls müsste ich mich fragen, welche Auffassung er von Pressefreiheit und von unserem Rechtsstaat hat.
3) Im vierten Absatz seiner Rezension schreibt Herr Elsner: "Die eigentlich spannende Frage stellt Stolze denn auch gar nicht: Wie lässt sich Alzheimer besser diagnostizieren und im klinischen Alltag gegen andere Krankheiten abgrenzen?"
Genau diese Frage aber ist das Kernthema meines Buches. Wie bereits weiter oben dargelegt, zeige ich darin bis ins kleinste Detail auf, dass es bis heute eben keine einzige Möglichkeit gibt, eine Krankheit namens Alzheimer direkt zu diagnostizieren. Tatsächlich funktioniert die Diagnose Alzheimerdemenz nach dem Ausschlussprinzip (s. mein Buch S. 8): Wenn der Arzt nichts findet, was in seinen Augen erklärt, warum der Patient verwirrt, vergesslich oder desorientiert ist - dann muss es wohl Alzheimer sein. Das geben führende Psychiater sogar offen zu (s. mein Buch S. 26 bzw. www.kompetenznetz-demenzen.de/ueber-das-netz/knd-projekte/).
Was erwartet Herr Elsner? Soll ich in Sachen Alzheimerdiagnose mehr können bzw. wissen als die besten Experten hierzulande? Warum ist es nach Herrn Elsners Ansicht verwerflich, die Wahrheit zu schreiben - nämlich, dass es bis heute schlicht nicht möglich ist, Alzheimer zu diagnostizieren?
"Da die Biologin fest von der Nichtexistenz der Krankheit überzeugt ist, bemüht sie sich auch nicht, die Häufigkeit etwaiger Fehldiagnosen zu erfassen."
Auch dieser Vorwurf ist haltlos. Zum einen berichte ich auf den Seiten 48 bis 50 über eine sehr fundierte Studie, die vor wenigen Jahren gezeigt hat, wie häufig allein schon die Diagnose Demenz eine Fehldiagnose war. Zum anderen zitiere ich auf den S. 41 und 42 mehrere Studien, die gezeigt haben, dass das gesamte Konzept der Alzheimerkrankheit auf tönernen Füßen steht. Nach diesem Konzept gelten die so genannten Amyloid-Plaques als Hauptursache der Alzheimerkrankheit. Bei genauer Betrachtung stimmen die histologischen Befunde jedoch bei einer beträchtlichen Zahl von älteren Menschen nicht mit dem klinischen Bild überein. Die Widersprüche sind massiv. Und in den meisten Fällen ist eine klare Abgrenzung zu anderen primären Demenz schlichtweg nicht möglich, darunter insbesondere die vaskuläre Demenz und die Lewy-Körperchen-Demenz.
4) Auch im letzten Absatz seiner Rezension trägt Herr Elsner für mich nicht nachvollziehbare Aussagen vor. Er schreibt: "Tatsächlich sind Zweifel gegenüber der Verlässlichkeit klinischer Alzheimerdiagnosen und der Wirksamkeit der gängigen Medikamente durchaus angebracht. Nicht von der Hand zu weisen sind auch Beobachtungen wie die, dass gerade ältere Menschen zu viele Medikamente verschrieben bekommen und deren Kombination oft unvorhergesehene Nebenwirkungen haben kann, inklusive einer Beeinträchtigung kognitiver Fähigkeiten."
So weit so gut. Dann jedoch fährt der Autor fort: "Leider geht all dies in den Verschwörungstheorien und der letztlich nicht belegten These der Erfindung einer Krankheit vollkommen unter."
Auf den Seiten 16 bis 23 schildere ich sehr detailliert, wie aus einem einst exotischen Hirnleiden, das jahrzehntelang vergessen war, ab Mitte der 1970er Jahre innerhalb weniger Jahre mit Hilfe einer gezielten PR-Aktion das Etikett für eine "neue Volkskrankheit" gemacht wurde.
Und last but not least schreibt Herr Elsner: "Damit hat die Autorin eine Chance vertan: Mit ein wenig mehr Sorgfalt und Ausgewogenheit hätte sie einen bedeutsamen Beitrag zum öffentlichen Diskurs über Demenzerkrankungen leisten können."
Mir ist nicht klar, an welcher Stelle und in welchen Punkten ich nach Ansicht von Herr Elsner in meinem Buch mangelnde Sorgfalt habe walten lassen. Wenn er Fehler in meinem Buch gefunden hätte, warum hat er diese(n) dann nicht konkret benannt?
Dass Alexander Soutschek, Philosoph, auf Grund seiner Überzeugungen einer unter Neurobiologen verbreiteten naturalistischen Deutung von Nahtoderlebnissen zuneigt, ist sein gutes Recht. Ungerechtfertigt aber ist die verzerrte Perspektive und teilweise fehlerhafte Wiedergabe meiner Ausführungen in meinem Buch "Auf den Spuren der Nahtoderfahrungen". Der Hauptteil meines Beitrags beginnt (S. 11) mit einer Klärung des Begriffs "Nahtoderfahrungen" (Soutschek: "... bemüht sich gar nicht erst um eine präzise Definition") und vor allem: Ich gehe, was Soutschek voll unterdrückt, von einer empirischen Studie des niederländischen Kardiologen van Lommel aus, die in der angesehenen internationalen Medizinzeitschrift "The Lancet" erschienen ist und - auf neurobiologischer Ebene - präzise nachweist, dass eine volle herkömmlich-neurobiologische Erklärung der Nahtodphänomene nicht möglich ist. Es bedarf eines erweiterten Weltbildes der Wissenschaft, das auch van Lommel durch die Quantenphysik gegeben sieht. Das versuche ich, auf meine Weise zu präzisieren und erläutere, dass damit auch einer neuen Füllung des Gedankens der "unsterblichen Seele" wissenschaftlich nichts im Wege steht. Dass sie letztlich eine Glaubensfrage ist, darin bin ich mit Birk Engmann einig. - Klassische Hirnforschung vermag (vgl. dazu frühere Bücher von mir) zwar einiges über die Auslösung von Nahtoderfahrungen oder ähnlichen Erlebnissen herauszufinden, nicht aber über deren Inhalte und Bedeutung.
Der "religiöse Glaube" hat viel mit Gewohnheit bzw. Prägung zu tun, die sich in der Tat auf biologische Wurzeln begründen lassen. Die Forscher der Uni Heidelberg schauen zu recht in diese Richtung.
Der Glaube hat auch viel mit naturwissenschaftlicher Prägung zu tun, die der religiösen Prägung gegenüber steht. Je nachdem was überwiegt, ist der Nobelpreisträger X womöglich mehr religiös oder Nobelpreisträger Y vielleicht eher Atheist.
LSD als Möglichkeit? Genau!
04.05.2012, MilchbartGehirnjogging / Gedächtnistraining auf heitere Art
04.05.2012, Manfred StockGesund ist nicht gleich Gesund - Doppelmoral und Unehrlichkeit ist das Gesellschaftsproblem Nr. 1
29.04.2012, Andreas B.BIIDs passen da nicht ins Bild und werden wie alles ungesunde aus der Gesellschaft ausgestoßen. Das ist nur die Spitze des Eisberges, es gibt andere Minderheiten, die wohl seelisch noch wesentlich stärker in dieser Gesellschaft leiden. Leiden, das sogar gesellschaftlich erwünscht ist!
Diese verlogene, schizophrene Mobbinggesellschaft, in der sich jeder selbst der nächste ist, prangere ich an!
Was kann man von einem Autor erwarten?
29.04.2012, Hubertus FeldmannSystematischer Fehler
22.04.2012, Kinseher RichardDie Annahme, dass es sich dabei um Stebeerlebnisse handeln könne, wird von Moody bereits im Buch selbst widerlegt, z.B. im Kapitel "Die Rückkehr": Ein LKW-Fahrer hatte bei einem Unfall eine NTE, aber dieser Unfall lief so schnell ab (gefühlt: Bruchteil einer Sekunde, steht im Buch), dass sich kein Sauerstoffmangel entwickeln konnte - außerdem blieb er völlig unverletzt, wie ausdrücklich betont wird; d.h. er war lebendig und bei bester Gesundheit.
Es gibt im Buch auch Beispiele wo betont wird, dass man zeitgleich zur NTE die Umgebung deutlich wahrnehmen (z.B. sehen) konnte - d.h. die Sinne arbeiteten, der Mensch war bei Bewusstsein und wahrnehmungsfähig.
Und dies ist der systematische Fehler der gesamten Nahtod-"Forschung" seit 1975: Es wurde dabei immer nur einseitig nach Sterbereaktionen, Stressreaktionen oder Hirnschäden gesucht - die Annahme, dass die Menschen bei einem solchen Erlebnis geistig völlig normal reagierten und geistig gesund waren, wurde nie untersucht! Wissenschaftler sollten erst ALLE möglichen Erklärungsmodelle analysieren, bevor sie sich auf eines fest legen.
Ein bisschen schwanger gibt es nicht - genau so ist es mit dem Sterben: Ein gesunder/kranker Mensch ist lebendig, nach dem Tod ist man eine Leiche. Andere Definitionen sind fragwürdig. Denn wenn man das Absterben von Gehirnzellen als Sterbeprozess betrachtet - wie tot ist dann ein Komapatient oder ein Mensch, dem Teile des Gehirns entfernt wurden?
Quantenverschränkung
22.04.2012, Kinseher RichardDen Tod im Nacken?
19.04.2012, Holger Petermannwann geht's denn kolumnenmäßig mal weiter? Ich will nicht hoffen, dass Herr Wicht zugunsten des Herrn von Hirschhausen abgeschafft wurde. Denn das wäre mehr als schade.
Grüße
Trachinus Draco
und Fortschritte werden gemacht
13.04.2012, BettinaAuch wir als Prüfarztzentrum beschäftigen uns mit der Alzheimerforschung. Hierzu führen wir klinische Studien durch mit Patienten, die unter Gedächtnisstörung leiden (http://www.studien-in-berlin.de/aktuelle-studien/studie/article/alzheimer-demenz.html). Wir freuen uns stets, die Patienten zu beraten und ihnen womöglich helfen zu können.
Herzlichen Gruß aus Berlin
Bettina
Mythos Mythen
13.04.2012, Prof. Dr. Hans J. Markowitsch, BielefeldMythos 6: "Neurowissenschaftler haben bewiesen, dass der freie Wille eine Illusion ist." Hier kritisiert Schleim den häufig gemachten Rekurs auf die Libet-Experimente, die in seinen Augen nicht relevant sind, weil "das langfristige Planen von Handlungen ... sich ... als sehr wichtig herausgestellt [hat]" (S. 43). Auch in diesem Beispiel sehe ich eher einen aufgebauten Strohmann: Zum einen erlaubte das Versuchsdesign bei Benjamin Libet ja gerade kein langfristiges Planen, zum anderen ist das Paradigma nicht zentral für den Nachweis eines determinierten Willens. Stattdessen sehe ich diesen in der Kombination aus unseren genetischen Anlagen, den lebenslang gemachten und sich im Gehirn manifestierten Erfahrungen und den gegenwärtig auf uns als Person einwirkenden Umfeldvariablen (einschließlich möglicher stochastischer Prozesse). Wie Schleim einfach zu behaupten, dass unsere Entscheidungen dann frei seien, wenn wir sie im Einklang mit unseren Wünschen und Überzeugungen träfen, ist mir zu kurz gedacht. Schließlich kommen unsere Wünsche und Überzeugungen ja auch nicht aus der Luft, sondern sind entstanden aus unserer biologischen Bedingtheit und unseren Erfahrungen und damit durch diese determiniert. Hätte man andere Erfahrungen gemacht, würde man eine andere Aktivitätskonstellation im Gehirn haben, die dann zu genau einer vordeterminierten (und keiner alternativen) Entscheidung führen würde. Ein freier Wille bleibt neurowissenschaftlich betrachtet eine Illusion, wie schon Sigmund Freud formulierte - vielleicht eine nützliche, weil sie, vor allem von limbischen Hirnstrukturen kreiert, unser Überleben fördert.
Antwort des Autors Stephan Schleim:
Thomas Kuhn, der Wissenschaftstheoretiker, der u.a. den Begriff des Paradigmas prägte, stellte schon in seinem bahnbrechenden Werk "The Structure of Scientific Revolutions", das gerade seinen 50. Geburtstag feiert (Nature 484, S. 164-166, 2012), eine verzerrende Tendenz in der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung fest: Die Vergangenheit würde häufig im Licht gegenwärtiger Theorien uminterpretiert. Bestätigende Hinweise würden dabei übertrieben, Widersprüche hingegen herunter gespielt. Der Fall Phineas Gages ist hierfür eines der besten Beispiele, insbesondere auch in den Darstellungen Antonio Damasios, der ihn in jüngerer Zeit wieder popularisierte.
Daher hilft es nicht, wie Hans Markowitsch in seiner Leserzuschrift, einseitig die bestätigenden Hinweise für den "Unmenschen" Gage zu nennen. Das angeblich impulsive und kindliche Verhalten wird erst am 20. Oktober beziehungsweise 15. November 1848 genannt und damit mehr als ein bis zwei Monate nach dem Unfall (Harlow, S. 392, 1848). Es bezieht sich auf den Patienten Gage, der nach Wochen der Bettlägerigkeit entgegen ärztlichem Rat aufstehen, spazieren und zu seiner Familie zurückkehren will. Gages Mutter beschrieb ihren Sohn nicht nur als tierlieb, sondern auch als liebevoll im Umgang mit Kindern, beispielsweise seinen Nichten und Neffen (Harlow, S. 340, 1868).
Im Übrigen konnte bis heute niemand nachweisen, dass Gages Persönlichkeitsveränderungen wirklich folgen des Hirnschadens waren und nicht etwa des psychischen Traumas. Wie ich im G&G-Artikel schrieb, finden sich in den Originalquellen erst mehrere Wochen nach dem Unfall erste Hinweise auf Auswirkungen auf die Persönlichkeit, dabei entstand der Hirnschaden unmittelbar beim Unfall. Direkt danach wurde Gage jedoch von mehreren Zeugen als klar und vernünftig beschrieben (z.B. Bigelow, S. 16, 1850). Der Harvard-Professor Henry Bigelow beschreibt ihn sogar als in seinen geistigen und körperlichen Fähigkeiten völlig wiederhergestellt (ibid., S. 14).
Anders als von Markowitsch suggeriert, diskutiert der führende Neuroforensiker Adrian Raine sehr wohl den Fall Phineas Gages als Beispiel für die neuronale Basis von Psychopathie (so etwa wortwörtlich in Yang & Raine, S. 133, 2008). Weitere Beispiele habe ich in meinem Buch "Die Neurogesellschaft" ausführlicher diskutiert (Schleim 2011, 2012). Markowitsch selbst verhandelt dem Fall unter der Überschrift "Ein Verbrechergehirn" und bezeichnet dort Gage nach dem Unfall als einen "jähzornigen Mann, einen Soziopathen" (Markowitsch & Siefer, S. 124, 2007); diesen Fehler habe ich in meinem Buch "Gedankenlesen" noch selbst begangen, da mir damals nur die verbreitete Fehldarstellung bekannt war.
Determination durch Gott, Naturgesetze, Gene und Erfahrungen wurden in den letzten zweieinhalbtausend Jahren immer wieder mit Blick auf die Freiheit des Menschen diskutiert. Der entscheidende Punkt dieses Neuromythos ist, dass die neuere Hirnforschung hierzu bisher sehr wenig Neues beigetragen hat.
Bevor man Willensfreiheit als "neurowissenschaftliche Illusion" abtut, sollte man zunächst mit einer kohärenten Definition beginnen. Der vor allem auf die Möglichkeit der bewussten Selbstkontrolle und Reflexion abzielende Vorschlag von so genannten Kompatibilisten macht das Problem jedenfalls für neurowissenschaftliche, psychologische und soziologische Forschung fruchtbar. Die Frage ist dann nicht: Ist der Mensch absolut frei oder unfrei? Sondern: Wie frei sind bestimmte Menschen unter bestimmten Umständen? Empirische wie theoretische Forschung dürfte hierzu in den kommenden Jahrzehnten noch viel Interessantes beisteuern.
Quellen
Bigelow, H. J.: Dr. Harlow's Case of Recovery from the Passage of an Iron Bar through the Head. In: American Journal of the Medical Sciences 20, S. 13-22, 1850
Harlow, J. M.: Passage of an Iron Rod through the Head. In: Boston Medical and Surgical Journal 39, S. 389-393, 1848
Harlow, J. M.: Recovery from the Passage of an Iron Bar through the Head. In: Publications of the Massachusetts Medical Society 2, S. 327-347, 1868
Markowitsch, H. J., Siefer, W.: Tatort Gehirn: Auf der Suche nach dem Ursprung des Verbrechens. Campus 2007
Schleim, S.: Die Neurogesellschaft: Wie dir Hirnforschung Recht und Moral herausfordert. Heise 2011
Schleim, S.: Brains in Context in the Neurolaw Debate: The Examples of Free Will and "Dangerous" Brains. In: International Journal of Law and Psychiatry 35, S. 104-111, 2012
Yang, Y., Raine, A.: Functional Neuroanatomy of Psychopathy. In: Psychiatry 7, 133-136, 2008
Im Prinzip d'accord, nur ...
12.04.2012, Anna Hilger"Eine Emotion liefert keine tiefere Weisheit und auch keinen Leitfaden für unser Handeln."
Dass Emotionen keine tieferen Weisheiten liefern, unterschreibe ich. Aber was ist mit der Liebe bzw. Nächstenliebe als Leitfaden für unser soziales Miteinander?
Ekel ist kein Grundgefühl
12.04.2012, Werner Gauß, FreiburgEkel als kulturelle Erscheinungsform kann man gelten lassen. Da ein großer Teil der Menschen mit der christlichen Kultur aufgewachsen ist, ist ihr Ekelverhalten mehr oder minder von dieser Moral geprägt. Ein Hindu hat ein anderes Ekelverhalten als ein Zen-Buddhist, ein Chinese ein anderes als ein US-Amerikaner.
Die große Gefahr bei dem Thema Ekel ist, dass wer sich diesbezüglich nicht knochenhart einmal mit sich selber auseinandergesetzt und mithin auch die tiefe Verlogenheit erfahren hat - hier sei einmal die christliche genommen, da der Verfasser in der Christlichen Morallehre erzogen wurde -, der wird über den Ekel zu den fatalsten Schlussfolgerungen kommen können.
Jeder hat seinen Ekel und seine Ekelgrenze. Sie seien ihm gegönnt. Ekel kann für das Überleben, nicht das Leben, notwendig sein. Seinen persönlichen Ekel aber zu einer moralischen und politischen Instanz zu erheben!!!! Wo wir da hin kommen ... - das hatten wir schon mal.
Weitere Linkkorrektur
12.04.2012, Ingo-Wolf KittelHoffentlich bleibt die komplette URL dieses Mal erhalten. Wenn nicht, kann die Anzeige leicht über die Suchfunktion auf der HP des Primus-Verlags gefunden werden.
Falsche Behauptungen
10.04.2012, Cornelia Stolze1) So schreibt Markus Elsner etwa, ich hätte "so gut wie keinen wissenschaftlichen Beleg" dafür geliefert, der an der Existenz der Alzheimerkrankheit zweifeln ließe. Das entspricht nicht den Fakten.
So zitiere ich unter anderem in Kapitel 2 meines Buches aus der Ende 2009 veröffentlichten S3-Leitlinie "Demenzen" der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde. Dabei handelt es sich um ein Schriftwerk, in dem die führenden Experten des Fachgebiets den aktuellen Stand der Wissenschaft auf diesem Gebiet zusammenfassen. Eine bessere, andere Zusammenfassung aller vorhandenen wissenschaftlichen Belege bzw. der offenen Fragen und Unsicherheiten in Sachen Alzheimer-Forschung gibt es hierzulande nicht.
Aus dieser Leitlinie geht zum Beispiel hervor, dass
a) selbst Spitzenexperten die Alzheimerkrankheit bis heute nicht nachweisen können. In meinem Buch gebe ich das unter anderem auf S. 33 wieder ("Das Einzige, was die klinische Untersuchung liefern kann, ist eine 'wahrscheinliche' oder aber eine (noch weniger wahrscheinliche) 'mögliche' Alzheimer-Diagnose").
b) dass bis heute niemand weiß, wodurch diese Krankheit hervorgerufen werden soll (s. mein Buch S. 30: "Die Alzheimer-Krankheit ist eine Krankheit mit 'unbekannter Ätiologie'.")
c) dass sich auch die einzige, vermeintlich zuverlässige Diagnose der Alzheimerkrankheit - eine mikroskopische Untersuchung des Hirngewebes nach dem Tod - keinen Beleg für das Vorliegen eine Alzheimerdemenz liefert. Denn zum einen finden sich bei vielen Patienten, in deren Gehirnen sich haufenweise Plaques und Fibrillenbündel angesammelt haben, gleichzeitig auch Lewy-Körperchen und Defekte, die durch eine schwere Schädigung der Blutgefäße hervorgerufen werden (s. mein Buch S. 41).
Zum anderen weiß man seit vielen Jahren, dass rund ein Drittel aller normal alternden Menschen, die in hohem Alter versterben und bis zum Ende ihres Lebens geistig fit waren, so große Mengen von Amyloidplaques im Gehirn aufweisen, dass eine Obduktion den klaren Befund Alzheimer liefern würde (s. mein Buch S. 42).
2) An anderer Stelle schreibt Herr Elsner, ich stelle Wissenschaftler, die diagnostische Tests für die Alzheimerkrankheit entwickeln "unter den Generalverdacht, aus wirtschaftlichem Eigennutz Scharlatanerie zu betreiben". Zudem, so Herr Elsner, würde ich "jegliche Zusammenarbeit" zwischen Wissenschaft und Industrie diskreditieren, ohne zu bedenken, dass Forscher "nur auf diesem Weg aus ihren Ergebnisse Produkte entwickeln" könnten. Auch diese Aussagen sind nicht korrekt.
a) Richtig ist, dass ich in meinem Buch einzelne Fälle schildere, in denen Mediziner damit Geld machen, dass sie Laien mit falschen Versprechen in die Irre führen. Auf S. 82 meines Buches schildere ich zum Beispiel das Angebot einer Hamburger Diagnostik-Klinik zur "Alzheimer-Früherkennung". Auf den folgenden Seiten lege ich sehr genau und sachlich dar, warum dieses Angebot jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehrt, wie es in Zeitungsanzeigenangepriesen wird und warum solche Tests nichts nützen, aber sehr wohl Schaden anrichten können: Zum einen können sie dem besorgten Laien nicht - wie versprochen - eine zuverlässige Auskunft darüber geben, ob er an "Alzheimer" erkranken wird oder nicht. Zum anderen können solche Untersuchungen aber sehr wohl einen Fehlalarm auslösen, der massive (unter anderem psychische) Folgen nach sich ziehen kann.
b) Aus der Schilderung solcher Missstände zu folgern, dass ich alle Wissenschaftler "unter Generalverdacht" stelle, ist aus meiner Sicht nicht nur für falsch, sondern stellt auch die Aufgabe der Journalisten in unserem Land kritische Beobachter und als vierte Gewalt in unserem Staat in Frage. Zur Verdeutlichung möchte ich hier einen Vergleich anführen: Würde man diese Herangehensweise auf die Politik übertragen, könnte man ebenso gut behaupten: Wer aufzeigt, dass die Doktorarbeit eines Politikers bzw. eines Regierungsmitglieds (etwa die des Ex-Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg) zahlreiche Plagiate und wer diesen Politiker damit öffentlich kritisiert, stellt alle Politiker unter den Generalverdacht, unaufrichtig zu sein. Ich möchte nicht hoffen, dass Herr Elsner diese Ansicht vertritt. Andernfalls müsste ich mich fragen, welche Auffassung er von Pressefreiheit und von unserem Rechtsstaat hat.
3) Im vierten Absatz seiner Rezension schreibt Herr Elsner: "Die eigentlich spannende Frage stellt Stolze denn auch gar nicht: Wie lässt sich Alzheimer besser diagnostizieren und im klinischen Alltag gegen andere Krankheiten abgrenzen?"
Genau diese Frage aber ist das Kernthema meines Buches. Wie bereits weiter oben dargelegt, zeige ich darin bis ins kleinste Detail auf, dass es bis heute eben keine einzige Möglichkeit gibt, eine Krankheit namens Alzheimer direkt zu diagnostizieren. Tatsächlich funktioniert die Diagnose Alzheimerdemenz nach dem Ausschlussprinzip (s. mein Buch S. 8): Wenn der Arzt nichts findet, was in seinen Augen erklärt, warum der Patient verwirrt, vergesslich oder desorientiert ist - dann muss es wohl Alzheimer sein. Das geben führende Psychiater sogar offen zu (s. mein Buch S. 26 bzw. www.kompetenznetz-demenzen.de/ueber-das-netz/knd-projekte/).
Was erwartet Herr Elsner? Soll ich in Sachen Alzheimerdiagnose mehr können bzw. wissen als die besten Experten hierzulande? Warum ist es nach Herrn Elsners Ansicht verwerflich, die Wahrheit zu schreiben - nämlich, dass es bis heute schlicht nicht möglich ist, Alzheimer zu diagnostizieren?
"Da die Biologin fest von der Nichtexistenz der Krankheit überzeugt ist, bemüht sie sich auch nicht, die Häufigkeit etwaiger Fehldiagnosen zu erfassen."
Auch dieser Vorwurf ist haltlos. Zum einen berichte ich auf den Seiten 48 bis 50 über eine sehr fundierte Studie, die vor wenigen Jahren gezeigt hat, wie häufig allein schon die Diagnose Demenz eine Fehldiagnose war. Zum anderen zitiere ich auf den S. 41 und 42 mehrere Studien, die gezeigt haben, dass das gesamte Konzept der Alzheimerkrankheit auf tönernen Füßen steht. Nach diesem Konzept gelten die so genannten Amyloid-Plaques als Hauptursache der Alzheimerkrankheit. Bei genauer Betrachtung stimmen die histologischen Befunde jedoch bei einer beträchtlichen Zahl von älteren Menschen nicht mit dem klinischen Bild überein. Die Widersprüche sind massiv. Und in den meisten Fällen ist eine klare Abgrenzung zu anderen primären Demenz schlichtweg nicht möglich, darunter insbesondere die vaskuläre Demenz und die Lewy-Körperchen-Demenz.
4) Auch im letzten Absatz seiner Rezension trägt Herr Elsner für mich nicht nachvollziehbare Aussagen vor. Er schreibt: "Tatsächlich sind Zweifel gegenüber der Verlässlichkeit klinischer Alzheimerdiagnosen und der Wirksamkeit der gängigen Medikamente durchaus angebracht. Nicht von der Hand zu weisen sind auch Beobachtungen wie die, dass gerade ältere Menschen zu viele Medikamente verschrieben bekommen und deren Kombination oft unvorhergesehene Nebenwirkungen haben kann, inklusive einer Beeinträchtigung kognitiver Fähigkeiten."
So weit so gut. Dann jedoch fährt der Autor fort: "Leider geht all dies in den Verschwörungstheorien und der letztlich nicht belegten These der Erfindung einer Krankheit vollkommen unter."
Auf den Seiten 16 bis 23 schildere ich sehr detailliert, wie aus einem einst exotischen Hirnleiden, das jahrzehntelang vergessen war, ab Mitte der 1970er Jahre innerhalb weniger Jahre mit Hilfe einer gezielten PR-Aktion das Etikett für eine "neue Volkskrankheit" gemacht wurde.
Und last but not least schreibt Herr Elsner: "Damit hat die Autorin eine Chance vertan: Mit ein wenig mehr Sorgfalt und Ausgewogenheit hätte sie einen bedeutsamen Beitrag zum öffentlichen Diskurs über Demenzerkrankungen leisten können."
Mir ist nicht klar, an welcher Stelle und in welchen Punkten ich nach Ansicht von Herr Elsner in meinem Buch mangelnde Sorgfalt habe walten lassen. Wenn er Fehler in meinem Buch gefunden hätte, warum hat er diese(n) dann nicht konkret benannt?
Verzerrte Perspektive
10.04.2012, Günter EwaldHier gilt: Jedem das, was er zu verstehen vermag
04.04.2012, Sven HaferkampDer Glaube hat auch viel mit naturwissenschaftlicher Prägung zu tun, die der religiösen Prägung gegenüber steht. Je nachdem was überwiegt, ist der Nobelpreisträger X womöglich mehr religiös oder Nobelpreisträger Y vielleicht eher Atheist.
Jedem das seine ...