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Kommentare - - Seite 131

Ihre Beiträge sind uns willkommen! Schreiben Sie uns Ihre Fragen und Anregungen, Ihre Kritik oder Zustimmung. Wir veröffentlichen hier laufend Ihre aktuellen Zuschriften.
  • Entsetzen II

    12.08.2009, Werner Brandl, Staatsinstitut für die Ausbildung, München
    Mir erging es ebenso wie Herrn Niegemann: Befassen sich Trainer/Coach/Pädagogen etc. dilettierend sich einmal mit dem komplexen Phänomen Lernen, kommt solcher "Schwachsinn" zustande. Zumal: Einmal in die Welt gesetzt wird solcher Unsinn gerne immer weiter kolportiert und unbesehen/unhinterfragt für bare Münze genommen.
    Die Liste ließe sich noch ergänzen, z.B. durch die schon inflationäre/ubiquitäre Zitation einer (vermeintlich chinesischen) Redensart: "Ein Bild sagt mehr als tausend Worte", die erstens kein Chinese kennt und zweitens am Zusammenhang von Visualisierung und Verbalisierung vorbei "bildelt/wortelt"!
  • Lerntypen und Nutzung beider Gehirnhälften

    08.08.2009, helmut.niegemann@uni-erfurt.de
    Ich bin entsetzt, in der letzten Ausgabe auf Seite 69 pseudo-wissenschaftlichen und gefährlichen Unsinn über Lerntypen lesen zu müssen. Diese Lerntypenunterscheidung hat keinerlei empirische Basis, und gefährlich ist sie deshalb, weil es eine Menge Schüler gibt, die nach einem so gen. "Lerntyptest" nach Vester, den unbedarfte Lehrer noch immer durchführen, überzeugt sind, dass sie ein bestimmter Lerntyp sind und daher z.B. nur aus Texten gar nicht richtig lernen zu können.
    Dass im Text dann auch noch die wundersame Wirkung der "Nutzung beider Gehirnhälften" aufgewärmt wird, krönt den Schwachsinn.
    Stellungnahme der Redaktion

    Sehr geehrter Herr Niegemann,



    zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass dieser Text in unsere Rubrik „Besser Denken“ fällt, die klar gekennzeichnet ist als „Praxistipps von Trainern und Beratern“. Es geht hier also im Unterschied zu allen übrigen Artikeln im Heft vor allem um anwendungsbezogene Hinweise, die eher im persönlichen Erfahrungswissen der Autoren denn in wissenschaftlichen Studien gründen.



    Ich teile im übrigen Ihre Befürchtung nicht, dass die Lerntypen Schüler negativ beeinflussen würden. Im Gegenteil erfährt der Schüler, auf welchem Weg er vielleicht etwas leichter als bisher lernen kann. Er kann es ja probieren, wenn es nicht funktioniert, ist nichts verloren.



    Das Problem, dass die unterschiedliche Funktion der beiden Hirnhälften in der populären Literatur oft weit übertrieben und einseitig dargestellt wird, ist mir bestens bekannt. Von einer "wundersamen Wirkung" war im Text allerdings auch nirgends die Rede.



    Eine Replik des Autors des Artikels ist unten verlinkt.



    Mit besten Grüßen,



    Hartwig Hanser, Redakteur "Gehirn&Geist"


  • Das Manifest war schon bei seinem Erscheinen veraltet

    07.08.2009, Ingo-Wolf Kittel, Augsburg - FA für pt. Medizin
    Wer sich einen "Zusammenhang von Gehirn und Geist" vorstellt, muss zuvor Geist und Gehirn voneinander unterschieden haben. Erst und nur dann stellt sich die Frage, wie so Geschiedenes denn zueinander in Beziehung steht.

    Wer von begrifflich Getrenntem zudem unterstellt, das eine werde von dem anderen "generiert", wie Prof. Kirschfeld sich leicht kryptisch ausdrückt (weil dieses Fremdwort auch zeugen, erzeugen bedeuten kann), oder produziert, da er "den Geist" auch als "ein Produkt des Gehirns" bezeichnet, hat zweierlei nachzuweisen: zum einen die eigenständige Existenz dieses "Produkts" sowie seine Beschaffenheit und zweites die Art und Weise, "wie das Gehirn" es anstellt, es zu produzieren, so wie man ja auch klären konnte, was es zu der Produktion der Hormone beiträgt, die von der Hirnanhangdrüse produziert werden.

    Ohne derartige Nachweise besteht die Gefahr eines Begriffsrealismus. Der Text von Prof. Kirschfeld legt im Einklang des üblichen Sprachgebrauchs nämlich zunächst nur nahe, dass mit dem Begriff "Geist" pauschal weiter nichts als das Gesamt der "Eigenschaften" und "Fähigkeiten" von uns Menschen gemeint ist, die traditionell als "geistig" bezeichnet und heute gern "kognitiv" genannt werden. (Mit den Adjektiven "seelisch" und "psychisch" werden in der Umgangssprache gewöhnlich auch die emotionalen Reaktionen mitgemeint.) An anderen Stellen kann seine Verwendung des Wortes "Geist" aber so aufgefasst werden, als ob er von der Unterstellung ausgeht, diesem Wort entspreche eine von seiner Bedeutung und auch vom Gehirn unterscheidbare reale Sache, eine Entität oder Substanz, ein Ding oder (sonst irgend)Etwas, das dann von diesem Organ "produziert" wird wie Galle von der Leber.

    Beim Gehirn geht es im gegebenen Zusammenhang jedoch um völlig anderes. Die Leistungen, von denen die Rede ist, werden vom Gehirn nicht produziert wie der Urin von den Nieren und auch nicht verursacht oder auch nur veranlasst; sondern ermöglicht!

    Damit ist gemeint, dass Aufbau und Funktionsweise unseres Gehirns uns ermöglicht oder befähigt zu denken, wenn wir wollen, oder uns alles "mögliche" vorzustellen, wenn uns etwa danach ist, in den Tag hinein zu träumen oder aber uns Erlebtes wieder "vor das innere Auge" zu führen, also das zu tun, was umgangssprachlich "erinnern" genannt wird, real aber auch ein Vorstellen ist: innerlich "im Kopf" oder "in der Vorstellung", aber "mit"/hilfe unseres Gehirns wie Winken nicht vom Arm selbst, sondern von uns "mit" dem Arm vollzogen ist. (s. dazu Colin McGinn "Mindsight", dt. "Das innere Auge – Von der Macht der Vorstellungskraft").

    Es handelt sich hier um genau dieselben Verhältnisse wie bei unserem sonstigen Körperbau mit z.B. seinen Knochen und Muskeln, die uns ermöglichen, durch ihre willentliche Aktivierung "uns" dahin zu bewegen, wohin nicht sie oder die Knochen oder etwa "das Gehirn", sondern wo wir hin wollen: als die Person, die wir sind, als "das Subjekt" oder weniger ambitiös ausgedrückt: als schlicht der Mensch, als den jeder sich durch sein Eigen- oder Selbsterleben kennt. (s. auch diesen Kommentar von mir hier und die tiefschürfende Kritik an den heute noch weithin grassierenden "Neuromythologien" hier oder hier)

    Überdies steht die Denkweise, bei der das schlichte Eigenschaftswort "geistig" zu dem Substantiv oder Haupt- bzw. Dingwort "Geist" versubstantiviert, also "versachlicht" wird, scheinbar zu einer "Sache" gemacht, verdinglicht oder reifiziert wird, in einer Tradition, in der der gegenständlichen Welt seit langem eine, für ebenso real gehaltene, für sich existierende und damit unabhängige "geistige Welt" entgegen gestellt wird. Tatsächlich bestand ja "die" Geisteswelt lange Zeit in Vorstellungswelten voller "Geister" wie solchen von Verstorbenen und sonstiger Ahnen in einer "Unterwelt", im Wasser von Seen oder "der See" (von daher stammt vermutlich der Begriff "Seele"), in der Luft und auf Berggipfeln, im Himmel schließlich oder noch "höher" und viel weiter weg in einem dann nur noch sprachlich konstruierbaren "Jenseits"...

    Wie es danach aussieht, stehen Hirnforscher wie Prof. Kirschfeld mit ihrer Tendenz zur Verdinglichung geistiger Fähigkeiten von uns zu einem "Geist" noch heute in einer Tradition, von der sie sich ihrer eigenen Auffassung nach jedoch gleichzeitig abgrenzen wollen. Eigenartig mutet auch an, dass sie dazu die Auseinandersetzung mit Vertretern just jener uralten Denkweise suchen, die sie offensichtlich gerade überwinden möchten.

    Wissenschaftlich wäre ganz anderes zu erwarten: eine gründliche Analyse der historisch aus vorwissenschaftlichen Zeiten stammenden und entsprechend vorbelasteten, unklaren oder vieldeutigen eigenen Begriffs- und Theoriebildung!

    Von deutschsprachigen Hirnforschern ist sie m.W. bis heute nicht vorgelegt oder auch nur in Angriff genommen worden, jedenfalls nicht bis zum Erscheinen des Manifests im Jahre 2004. Im gleichen Jahr meinte nämlich sein Mitautor Gerhard Roth in der Deutschen Zeitschrift für Philosophie in der wie üblich lässigen Ausdrucksweise unter Hirnforschern feststellen zu können, nicht sie hätten das bisher nicht geleistet, sondern ihr Fach habe "anders als Physik und Chemie, für sich bisher keine grundlegende Methoden- und Begriffskritik durchgeführt."

    Nur war er damals offensichtlich weniger informiert als das von ihm wissenschaftlich beratene Magazin G&G. Denn in der Ausgabe just vor Erscheinen des Manifestes hier hatte es den Zweitautor der bereits 2003 erschienenen und bislang umfassendsten Analyse der neurowissenschaftlichen Terminologie mit dem Titel "Philosophical Foundations of Neuroscience" vorgestellt, erarbeitet von einem der renommiertesten englischsprachigen Hirnforscher, dem hoch gebildeten australische Synapsenspezialisten Maxwell R. Bennett (s. hier S. 6) in Auseinandersetzung und Zusammenarbeit mit dem nicht weniger kompetenten Oxforder Philosophen Peter M.S. Hacker, den G&G interviewed hatte.

    Die gründliche Arbeit beider fand sofort weltweites Aufsehen (im deutschen Sprachraum noch im gleichen Jahr in der NZZ und "Neuen Rundschau") und wurde 2005 in einer eigenen "Author and Critics-Debate" auf der Jahrestagung der American Philosophical Association eingehend diskutiert, dokumentiert in "Neuroscience and Philosophy – Brain, Mind, and Language" 2007. Auch eine entsprechende Methodenkritik haben Bennett & Hacker inzwischen publiziert: 2008 unter dem Titel "History of Cognitive Neuroscience".

    Nach dem Erscheinen des Manifests hat hierzulande meinem Überblick nach lediglich der seit den 1990er Jahren schon einschlägig tätige Marburger Wissenschaftsphilosoph Peter Janich 2007 und 2009 die Debatte mit zwei größeren Arbeiten "zur Sprache der Hirnforschung" voran gebracht: erstens in einem umfassenden Beitrag zu der Festschrift zum 100jährigen Jubiläum der Gründung der Wissenschaftlichen Gesellschaft zu Frankfurt mit dem Titel "Beiträge zu einer aktuellen Anthropologie" (er hat dort auch den dort wieder abgedruckten philosophischen Versuch von Wolf Singer aus dem Jahre 2004 "Selbsterfahrung und neurobiologische Fremdbeschreibung", den dieser unter dem irreführenden Titel "Verschaltungen legen uns fest. Wir sollten aufhören von Freiheit zu sprechen" zuvor an anderen Orten auch zu popularisieren versucht hatte, einer eingehenden Kritik unterzogen) und zweitens in seinem ausdrücklich auf das Manifest Bezug nehmenden Beitrag zur "edition unseld" des Suhrkamp-Verlags mit dem programmatischen Titel Kein neues Menschenbild!*

    _______________
    * Christian Wolf hat das Buch von Janich in seinem Blog "Sichtweisen – Philosophie und Hirnforschung" hier vorgestellt (s. dazu auch diesen Beitrag von ihm) und in G&G hier rezensiert Der Text der fulminanten Besprechung von Janichs Buch durch Prof. Michael Pawlik kann etwas weiter unten hier nachgelesen werden. –
    Interessant scheint heute noch ein "Zwischenbescheid", der zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Manifests in der NZZ publiziert worden ist und hier nachgelesen werden kann. (Die vielleicht noch interessantere Erstanalyse desselben Autors ist hier zu finden.) Eine aktuelle Einschätzung der Hirnforschung durch einen Fachmann wie Lutz Jäncke ist in diesem NZZ-Artikel nachzulesen.
    Ansonsten ist besonders in solchen Publikationsorganen, die sich seit der Jahrtausendwende mit kulturrevolutionär klingenden Sensationsmeldungen aus der Hirnforschung nachgerade zu überbieten versucht haben, eine auffällige Zurückhaltung festzustellen, die Bevölkerung in realitätsnahen Berichten über die tatsächliche Leistungen und Leistungsfähigkeit der Hirnforschung und erst recht über kritische Stellungnahmen beispielsweise aus der Psychologie wie z.B. hier oder über "Populäre Missverständnisse", wie sie hier deutlich geschildert werden, zu informieren. Es wundert denn auch nicht, dass bisher keine weitere Rezensionen des Buches von Peter Janich in einer deutschsprachigen Zeitschrift erschienen ist.
  • Zu geringes Zeitfenster

    01.08.2009, Dr. med. Thomas Kron, Worms
    Vielleicht ist das eine interessante Substanz, aber eine Viertelstunde ist als Zeitfenster natürlich viel zu gering. Sie müsste am Unfallort verabreicht werden, also auch einem Unfallopfer, das eventuell keine spinale Verletzung hat. Was also macht die Substanz bei Gesunden?

  • Besserwisser

    30.07.2009, Harald Metzinger
    Als Psychologe und Logopäde betreue ich derzeit einen Patienten mit ALS, der sich in seiner Patientenverfügung dafür entschieden hat, nicht mehr leben zu wollen, sobald er nicht mehr essen bzw. schlucken kann und künstlich beatmet werden muss. Unter diesem Aspekt war die Untersuchung von Herrn Birbaumer für mich sehr lehrreich und meinem Patienten Trost und Hilfe. Mir persönlich war dieser Sachverhalt so noch nicht bekannt, und ich bin Herrn Birbaumer sehr dankbar für diesen Artikel. Ob an den Paralympics, wie von Frau Sandberg suggeriert, Patienten mit ALS teilgenommen habe, halte ich zumindest für zweifelhaft und scheint mir eher Zeugnis über den mangelnden Wissensstand von Frau Sandberg abzulegen.
  • Panpsychismus und Strings

    13.07.2009, Erik Maronde, unterwegs
    Wie immer schreibt er schön, der Wicht, der Wirbel bricht, das Band reißt nicht!
    Zur Fußnote 2 fällt mir die Ähnlichkeit der Gedanken des Baruch Spinoza mit dem (bislang) vergeblichen Versuch der Physik ein, alles Messbare auf das hintergründliche Wirken so genannter Strings zurückzuführen. Spinoza zu seiner Zeit sagte, "Gott und Natur sind eins ...", hatte dabei aber wahrscheinlich keine mathematische Formel im Sinn. Oder?
  • Literaturhinweis: Jonas & Jonas: "Das erste Wort"

    13.07.2009, Peter Winkler
    Bereits 1976 kamen die Anthropologin D.F. Jonas und der Psychiater A.D. Jonas in ihrer interdisziplinäeren Metaanalyse ebenfalls zu dem Ergebnis, dass Bindung die primäre Funktion einer Protosprache gewesen sein muss.

    Erste Indizien, die sie auf diese Spur führten, waren die wesentlich geringere Anfälligkeit für Sprachstörungen bei Frauen und Mädchen und damit in Kontext gebrachte Fakt der genetisch fundierten emotionalen Mutter-Kind- Bindung via Plappersprache in den ersten Monaten des Kindes. Ein äußerst lesenswertes Buch, das leider nur noch antiquarisch erhältlich ist. Ein Artikel, der einen Überblick über diese spannenden Untersuchungsergebnisse gibt, erscheint 2010 im Carl-Auer-Verlag in dem Buch "Ich spreche also bin ich".

    Weitere Literatur zu den Paläoanthropologischen Ansätzen von Jonas und Jonas ist gerade wieder neu aufgelegt worden:
    Jonas A.D. u. Jonas D.F.: "Signale der Urzeit" (2009) im Huttenschen Verlag 507

    Peter Winkler

    Dipl.Psych., Psychologischer Psychotherapeut
  • Ver-wunderung

    01.07.2009, Katrin Leithold, Jahna
    Mit großem Interesse und einem verschmitzten Ver-wundern las ich den Artikel "Fragwürdige Entscheidung".
    Eine alte Weisheit sagt: "Was Paul über Peter sagt, sagt mehr über Paul als über Peter." Ich begrüße ausdrücklich den von Herrn Paulus angeregten, sachlichen Austausch über die Wirksamkeit Systemischer Therapiemethoden und ihrer Anerkennung durch die Krankenkassen und Rentenversicherungsträger. Als praktizierende Systemische Therapeutin kommt dies der Systemischen Haltung sehr entgegen, sein eigenes Handeln zu hinterfragen und ggf. gänzlich in Frage zu stellen.

    Die Anerkennung der Systemischen Therapie durch den wissenschaftlichen Beirat ist ein nach vereinbarten Richtlinien durchgeführtes Verfahren. Der Antrag auf Anerkennung und dessen Begründung vor dem Beirat kann als übliches Vorgehen beschrieben werden, welches auch andere Therapieverfahren durchlaufen haben. Und es handelte sich im Dezember 2008 nicht um ein Weihnachtsgeschenk, sondern um eine reguläre und langjährig geprüfte Antwort des Beirates. Sich nun über dieses Verfahren zu beschweren und dieses nach der diskutierten Entscheidung in Frage zu stellen, ist bezüglich der Modernisierung und Entwicklung des Zulassungsverfahrens sicher sinnvoll. Die ergangene form- und fristgemäße Entscheidung des Beirates abzuwerten erscheint jedoch höchst unseriös, auch gegenüber den Wissenschaftlern und erfahrenen Fachexperten im Entscheidungsgremium.

    Ich gehe davon aus, dass Herr Paulus den direkten Vergleich der Systemischen Therapie mit Geisterheilung in jedem Falle wertschätzend verstanden wissen wollen. Vielleicht im Sinne, dass jeder Mensch im "Geist" die Fähigkeit zur Selbst-"heilung" trägt. Dieser Gedanke wäre dem Systemischen Denken sehr nahe.
  • Reduziertes Bild der Therapie-Methoden

    01.07.2009, Stefanie Engelhardt, Trier
    Erfreulich ist, dass in "Gehirn&Geist" der Praxisbezug neuer Forschungsergebnisse groß geschrieben und immer auch gesellschaftliche Implikationen diskutiert werden. Mit dem Bericht über die wissenschaftliche Anerkennung der Systemischen Therapie wurde ein wichtiges Thema angerissen, das leider in der breiten Öffentlichkeit nur wenig Beachtung findet: die schleichende Ausdünnung der Psychotherapielandschaft und Reduktion von Psychotherapie auf möglichst störungsbezogene Behandlungstechniken (im Sinne eines medizinischen Modells). Seit Jahren wird etablierten und in der Praxis bewährten Therapieverfahren wie der Personenzentrierte Gesprächstherapie, Systemischen oder auch Gestalttherapie systematisch der Zugang zur Kostenübernahme durch die Krankenkassen verwehrt. Dies geschieht durch zum Teil willkürliche Auswahl und Interpretation von Studienergebnisse oder Einführung immer neuer Beurteilungskriterien. Man kann sich des Eindrucks nicht verwehren, dass in den beratenden und entscheidenden Gremien wie dem WBP und dem G-BA eine gute Lobby-Arbeit durch die Anhänger der bereits anerkannten Therapieschulen geleistet wird. Die Anerkennung der Systemischen Therapie durch den WBP ist ein kleiner Lichtblick und es hat mich gefreut, dass "Gehirn&Geist" darüber berichtete. Befremdet las ich dann in der aktuellen Ausgabe den Kommentar von Jochen Paulus. Ich möchte den bereits anerkannten Therapiemethoden ihren Nutzen nicht absprechen! Ärgerlich ist jedoch, wenn es zu den anderen Richtungen reflexartig heißt: "Das machen wir doch auch längst so ..." Häufig wird dazu ein sehr verzerrtes, reduziertes Bild der Therapie-Methoden gezeichnet. Jochen Paulus stößt leider genau in diese Hörner. Beim "Otto-Normal-Leser" und potenziellen Psychotherapie-Klienten muss hier der Eindruck entstehen, dass es sich bei der Systemischen Therapie (und allen anderen bislang nicht zugelassenen?!) um Humbug handelt. So rückt Paulus im letzten Satz die Systemische Therapie sogar in die Nähe von unseriösen Scharlatanen. Das haben Systemische Therapeuten und die Klienten, die sich bislang bei ihnen gut aufgehoben fühlten, nicht verdient!
  • Patientenverfügung

    23.06.2009, Josef Saal, 59609 Anröchte-Effeln
    "Die Entscheidungsbefugnis eines Menschen über sich selbst ist unantastbar" - gilt dieser Satz eigentlich nur in der Theorie oder auch in der Praxis? Sicher ist eine kompetente Betreuung von Kranken ebenso notwendig wie die Beachtung des Willens, den ein Mensch über sein eigenes Lebensende formuliert hat! Und sicher wird sich die Einstellung eines Schwerkranken zum Sterben und Tod und zu seiner Leidensfähigkeit mit einer optimalen medizinischen Versorgung (Palliativmediziner sind rar!) und einer empathischen Umgebung verändern! So lange aber diese Voraussetzungen (palliativmedizinische und hospizliche Versorgung, menschliche Wärme) nicht optimal gegeben sind, wird sicher für viele Schwerkranke eine Patientenverfügung, die sicher vielen formalen Kriterien entsprechen muss, um einen festen Willen zu dokumentieren eine notwendige und hilfreiche, vielleicht sogar alle entlastende Alternative sein.
  • Differenz zwischen elektromagnetischen Wellen und Botenstoff

    22.06.2009, Dr. Joachim von Hirsch, Schwerte
    Der Impuls, der zur Handbewegung führt, dauert eben 0,1 Sekunden, weil er chemisch, nämlich molekular durch Botenstoffe erfolgt. Ähnlich, aber nicht gleich erfolgt die Diffusion in wässriger Lösung. Botenstoffe heißen Botenstoffe, weil sie Stoffe, also Materie sind. Die Informationsweitergabe durch Materie erfolgt mit einer endlichen Geschwindigkeit, wie es eine halbe Sekunde dauert, bis ich den Schmerz verspüre, wenn ich mir mit einer Nadel in den großen Zeh steche. Diese endliche Geschwindigkeit ist somit rund 5 Meter pro Sekunde.
  • Frischer Wind im Klassenzimmer

    21.06.2009, Beate Christensen, DK-Aabenraa oder Flensburg
    Zum Interview mit Frau Prof. Stern und Herrn Herrmann möchte ich etwas sehr Wichtiges ergänzen. Als Sonderschullehrerin habe ich bei einer Amerikanerin ein fantastisches neurolog. wirksames Gehirntraining bereits vor zehn Jahren erlernt. Neuronale Verknüpfungen werden wieder angeregt, und die Schüler machen in allen Lernbereichen Fortschritte. Das Grundprinzip ist sehr kurz gesagt die verbesserte Zusammenarbeit der Gehirnhälften über das linke und rechte Auge, die beiden Hände und der Wechselwirkung des Zusammensetzens eines Bildes aus Einzelteilen und dem Fokus eine Einzelheit aus dem Zusammenhang zu isolieren, zu sortieren und kognitive Erkenntnis anzuregen. Die Konzentration verbessert sich, die Sprachentwicklung wird gefördert, nicht nur bei Sonderschülern, sondern auch bei Abiturienten.

    Über dieses visuelle und kognitive Training passieren unglaubliche Veränderungen in der Zusammenarbeit der Gehirnteile. Die Forschung basiert auf Piaget, Ramachandra und Gardner. P.E.P. heißt das Programm: Perceptual Enrichment Program. Leider gibt es erst vier Trainer in Deutschland, etliche mehr in Dänemark (da wohne ich, arbeite aber in Flensburg, England und Holland).

    Auf der Grundlage meiner Erfahrungen kann ich nur Herrn Herrman Recht geben. Denn auch z.B. Piagets Erkenntnisse werden im Unterricht auch heute nur wenig praktisch berücksichtigt: Reifungsprozess versus Lern- und Übungsprozese. Erst jetzt sind auch in Mathebüchern Erkenntnisprozesse berücksichtigt, z.B. das Tangram taucht plötzlich auf als wichtige visuelle Wahrnehmungsübung, wenn man Mathe macht. Es hat aber keinen Effekt für den Schüler, wenn er nicht ganz bestimmte neuronale Prozesse vorher durchlaufen hat. Dann kann er die Lösung nicht finden.

    Also müssten auch für Gymnasialschüler wesentlich mehr genaue Lernmethoden zur Problemerkennung und Strategiefindungen für Lösungen angeboten werden, die auf neurologischen Erkenntnissen beruhen. Warum gibt es sonst plötzlich so viele Experimentarien. Kükelhaus hat das schon vor 30 Jahren erkannt und umgesetzt. Learning by doing ist immer relevant. Ramachandras Erkenntnisse gab es auch schon vor 15 Jahren. Diese sind aber erst vor fünf Jahren ins Deutsche übersetzt worden. Dieses Thema ist sehr weitläufig und auf keinen Fall so schnell in einem Interview abzuschließen.

    Bleiben Sie dran mit neuen Artikeln zu diesem Thema! Immer mehr Lehrer sollten sich mit Neurologie befassen. Lesen Sie mal über P.E.P. von Patricia Theisen. In Amerika machen viele ihr Training: www.pepworld.org. Leider gibt es nur eine kleine Webseite auf deutsch. Ihre Zeitschrift ist sehr gut und informativ.
  • Tragbares Risiko

    15.06.2009, J. Götz, Dresden
    Mit einigen Lebensjahrzehnten auf dem Buckel und der glücklicherweise nur kurzzeitigen Erfahrung eines lebensbedrohlichen Zustandes halte ich für mich das Risiko einer Fehlentscheidung bei (m)einer Patientenverfügung für tragbar.

    Zu einem Leben in Würde gehört auch, in Würde sterben zu können. Deswegen sollte die Politik, die Religionen und alle anderen auch, es jedem selbst überlassen, die Entscheidung für den Fall der Fälle rechtzeitig und bei klarem Verstand zu treffen. Und eine solche Entscheidung sollte unter der Voraussetzung des rechtmäßigen Zustandekommens respektiert werden.


  • Anachronistisch

    12.06.2009, Silvia Ladberg, Dillingen
    Dass sich ein Ärztevertreter gegen die Durchsetzung des freien Willens eines Menschen ausspricht, das war erwartet worden. Dass im Jahre 2009 ein Psychologe noch eine Studie erstellen muss, um zu erkennen, dass "sogar" behinderte oder kranke Menschen durchaus sehr zufrieden, glücklich und heiter sein können, das ist so anachronistisch. Warum hat sich Herr Professor Birbaumer nicht mal die Videoaufnahmen über die Paralympics (Olympiade der Körper- und Sinnesbehinderten) angesehen, dann hätte er sich die Frage, ob auch ALS-Patienten zufrieden sein können, sparen können. Aber unsere Psychologen hinken wie immer ihrer Zeit hinterher. Es ist traurig, dass auch im Jahre 2009 bestimmte Fakten bei dieser Berufsgruppe noch nicht angekommen sind, sie verharren in einem "Defektdenken". Das bringt mehr Umsatz.
  • Afrikaner = Urwaldbewohner?

    10.06.2009, S. Krach, F. Paulus, M. Martinez
    Beim Lesen der aktuellen Ausgabe Ihrer Zeitschrift ist uns ein besonderer "Geistesblitz" (im Inhaltsverzeichnis) aufgefallen. Schon der Verweis auf den Artikel "Universeller Ohrenschmaus: Afrikaner erkennen dieselben Emotionen wie deutsche Hörer" weckte unsere Verwunderung: Afrika ist schließlich ein Kontinent. Er umfasst über 50 Länder und mehr als 1000 Sprachen. Deutschland ist, wie der Name schon sagt, ein Land - noch dazu kein sehr großes - und sprachlich wie kulturell deutlich weniger divers als der afrikanische Kontinent. Der Vergleich hinkt also, vor allem, wenn man bedenkt, dass ein Geistesblitz mit dem Wortlaut "Europäer entdecken dieselben Emotionen in Musik wie Kameruner Hörer" wahrscheinlich eher nicht bei Ihnen zu finden wäre.

    Dann wiederum freute uns die nachträgliche Differenzierung, als wir auf Seite 12 die leicht geänderte Überschrift des Artikels lasen: "Universeller Ohrenschmaus: Urwaldbewohner erkennen in Klaviermusik dieselben Emotionen wie deutsche Hörer". Wir fragen uns, wie Sie in einer wissenschaftlichen Zeitschrift darauf kommen, eine solche Homogenisierung und Assoziation zwischen Afrikanern und Urwaldbewohnern vorzunehmen. Wir erwarten daher von Ihnen, dass Sie zu dieser Formulierung in Ihrer nächsten Ausgabe Stellung nehmen und diese korrigieren.

    Mit freundlichen Grüßen
    Stellungnahme der Redaktion

    Vielen Dank für Ihren Hinweis. Wir bitten die vermeintliche Gleichsetzung von Afrikanern und Urwaldbewohnern zu entschuldigen. Die Texte im Inhaltsverzeichnis werden bisweilen aus ästhetischen Gründen nachträglich verändert, um den Zeilenlauf zu verbessern. Dabei hat sich diese unachtsame Formulierung eingeschlichen. Keineswegs wollten wir damit die kulturelle Vielfalt Afrikas in Abrede stellen. Den Fehler im Inhaltsverzeichnis der Ausgabe Juni 2009 haben wir im Internet bereits korrigiert.

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