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Brauchen wir Grundlagenforschung?


November 2005

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Was ist eigentlich Grundlagenforschung?

Grundlagenforschung ist eine Bezeichnung für erkenntnisorientierte und zweckfreie Forschung, d.h. zunächst steht der reine Erkenntnisgewinn im Vordergrund. Dabei ist Grundlagenforschung in allen Wissenschaften vertreten. Besonders vertraut ist das Bild von der Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften und der Medizin. Zweckfrei forschen heißt hier Wege zu finden, um neue Stoßrichtungen einer Disziplin zu etablieren.

Ein Beispiel ist die Laserphysik. Albert Einstein beschäftigte sich bereits mit den Grundlagen dieses Gebiets der Optik. Nach den grundsätzlichen Studien und Experimenten in der Laserphysik wurden und werden vielfältige Anwendungsgebiete der Laserphysik entdeckt: Von der Materialuntersuchung und -bearbeitung zur Messtechnik über medizinische Diagnostik und Therapeutik bis zum CD-Spieler, Laser-Pointer oder der 2005 Nobelpreis-prämierten Laserspektroskopie ist die Laserphysik längst der Grundlagenforschung entwachsen und eine unverzichtbare Technologie einer modernen, hoch entwickelten Gesellschaft geworden. Diese rasante Entwicklung hat nur etwa hundert Jahre gedauert. Was uns die Laserphysik in der Zukunft bringen wird, ist kaum absehbar.

Die Geschichte zeigt eine Vielzahl von weiteren Belegen, wo die Erkenntnisse der Grundlagenforschung in die angewandte und alltagstaugliche Forschung einfließen. Beschränkt man die Beispiele auf die Weltraumforschung, so ist z.B. das Ceran-Kochfeld erwähnenswert, das heute in jeder modernen Küche zu finden ist. Ursprünglich wurde diese Glaskeramik von der Firma Schott in Mainz für Spiegelträger von astronomischen Teleskopen entwickelt. Die mit Ceran verwandte Glaskeramik Zerodur mit ähnlichen Eigenschaften - vor allem einem geringen Wärmeausdehnungskoeffizienten - wird heute vielfältig für Teleskope (optisch, Nahinfrarot) eingesetzt. Erwärmung verändert kaum Gestalt und Volumen des Materials - eine sicherlich wichtige Eigenschaft für ein Kochfeld - aber auch für einen Teleskopspiegel aus Zerodur, um die optische Abbildungsqualität bei extremen Temperaturschwankungen zu wahren.
Außerdem ursprünglich für die Astronomie entwickelt wurde das CCD (charged coupled device), ein äußerst lichtempfindlicher Halbleiter-Chip, der es gestattet jede Form von Licht in elektrische Ströme umzuwandeln. Diese Eigenschaft beruht auf dem Photoeffekt, für dessen Deutung durch Lichtquanten Albert Einstein 1921 den Nobelpreis für Physik erhielt. CCDs sind aus der modernen Astronomie nicht mehr wegzudenken, bilden sie doch den Detektor im Brennpunkt eines jeden Teleskops - ob es im optischen, infraroten, Radio-, Röntgen- oder Gammabereich arbeitet. Auch die moderne Kameratechnik arbeitet mit CCDs; bei den meisten Hobbyfotografen ist es selbstverständlich geworden, dass sie eine Digitalkamera haben - mit eingebautem CCD-Chip.

Doch nicht nur Produkte, die auf Grundlagenforschung basieren, finden Einzug in den Alltag, sondern auch Methoden. Dort, wo die Grundlagenforschung die angewandte Forschung berührt, gibt es einen regen Wissenstransfer. Aus theoretischer Erkenntnis wird Praxiswissen, aus Hypothesen wird Bildung.
Die Mathematik, an sich ein Extrembeispiel für Grundlagenforschung, bietet hier ein reichhaltiges Instrumentarium auf. So profitiert z.B. die Ökonomie im Bereich der Wirtschaftsmathematik von den Sätzen und Erkenntnissen der Mathematik.

Diese Vermischung der Disziplinen führt uns automatisch auf den Begriff der Interdisziplinarität. Dieses Schlagwort kann in diesem Zusammenhang nicht genug betont werden. Denn ein Methodentransfer hat sich in mannigfacher Form bewährt. Interdisziplinarität hat ein ungeheueres Potenzial, das noch zu wenig genutzt wird. Denn sie erfordert, dass die Protagonisten der einzelnen Disziplinen den Dialog suchen. Eine Verständigung in dieser Form ist leider noch die Ausnahme. Es verhält sich sogar so, dass die zunehmende Spezialisierung einer jeden Disziplin einen Dialog erschwert. Es bleibt zu hoffen, dass der Wissensaustausch diese Barrieren überbrücken kann, um die Mächtigkeit wissenschaftlichen Bemühens und insbesondere der Grundlagenforschung voll zu entfalten.

So befruchten sich z.B. Mathematik und Physik in dieser Hinsicht gegenseitig. Mathematische Methoden und Gesetzmäßigkeiten haben in der Vergangenheit oft nach kurzer Zeit ihre Verwendung in der Physik oder anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen gefunden. "Die Natur ist mathematisch", könnte man salopp formulieren. Die Riemannsche Differentialgeometrie war beispielsweise bereits im 19. Jahrhundert bekannt; Albert Einstein musste sie "nur" für seine Allgemeine Relativitätstheorie anwenden. Das entlarvte die Schwerkraft als geometrische Eigenschaft einer gekrümmten Raumzeit. Die Anwendung dieses Wissens ist zum selbstverständlichen Teil unseres Alltags geworden: Navigations- und Telekommunikationssysteme sind ohne Einsteins Theorie undenkbar. Hochpräzise Technologien erfordern eben auch exakte Theorien, die genaue Berechnungen auch auf die zehnte Stelle hinter dem Komma gestatten.

Wissenschaft ist Kulturgut

"Wo stehen wir im Universum?"

Wie die Beispiele des vorangehenden Absatzes andeuten, hat die Grundlagenforschung mittel- und langfristig eine wichtige, praktische Bedeutung. Doch Grundlagenforschung zeichnet den Menschen abseits dieser Anwendbarkeit auch in einer anderen, besonderen Weise aus: Sie macht den Menschen zu einem denkenden Geschöpf, das seine Rolle in der Welt begreift. In diesem Sinne gehört Grundlagenforschung, oder allgemeiner gesprochen Wissenschaft, zum Kulturgut der Menschen. Neugier und Streben nach Erkenntnis sind Kulturleistungen der Menschheit und gehören untrennbar zu ihr, so wie Sprache, Tradition und Musik. Das ist der menschliche Aspekt der Grundlagenforschung. Es ist keine nüchterne, weltfremde oder gar menschferne Angelegenheit, sondern eine spannende Aufgabe, die mit uns sehr viel zu tun hat.
Beziehen wir das gerade Gesagte auf die Astronomie, so lässt sich pointiert das Himmelsschauspiel mit folgenden Urfragen der Menschheit in Verbindung bringen: Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Das sind zentrale Fragen aus rein anthropozentrischer Sicht, die in wissenschaftliche Fragen der folgenden Art gemündet haben: Warum leuchten Sterne? Was sind Galaxien und wie sind sie entstanden? Gibt es einen Anfang und ein Ende des Universums? Was ist Leben? Auf die letztgenannten, rein wissenschaftlichen Fragen hat die moderne Astronomie ganz erstaunliche Antworten gefunden.
Diese wissenschaftlichen Fragen und Antworten führen so schließlich zurück zu uns Menschen und tragen zu unserem Selbstverständnis bei. Grundlagenforschung und insbesondere Weltraumforschung helfen so, dass wir uns als etwas Besonderes, Einzigartiges und Schützenswertes begreifen. Selbst wenn man keine detaillierte Auskunft auf eine wissenschaftliche Frage erhält, so lernt man im Streben nach einer Antwort etwas dazu, berührt andere Aspekte und entwickelt so ein sehr subtiles, naturwissenschaftliches Weltbild.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass gerade die Astronomie ein besonderer Attraktionspunkt für junge Leute ist. Darin besteht eine Chance für die Naturwissenschaften und die Mathematik. Denn astronomische Erkenntnisse sind ein idealer Ausgangspunkt, um Schüler und Studenten für die Naturwissenschaften zu begeistern. Wenn diese Begeisterung in ein Interesse für die Wissenschaft im Allgemeinen mündet, so ist das ein Erfolg. Auch wenn aus dem ausgebildeten, jungen Wissenschaftler kein Berufswissenschaftler wird, so ist das keine Fehlinvestition, weil wissenschaftliches Arbeiten eine gute Grundlage für sehr viele Berufe ist.

Grundlagenforschung ist Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg

Der Zusammenhang zwischen Grundlagenforschung und einer gesunden Ökonomie hat sich offensichtlich noch nicht genug herumgesprochen. Oft ist das vorschnelle Urteil zu hören, dass Grundlagenforschung ein Luxus sei, auf den man verzichten könne, wenn die wirtschaftliche Lage es erfordere. Grundlagenforschung verschlinge nur Steuergelder und sei im Prinzip zu nichts Nutze. Das ist ein Trugschluss! Eine Schmälerung der Stellung der Grundlagenforschung, die sich in Form von mangelnder finanzieller Unterstützung (vor allem mit öffentlichen Mitteln) und weniger gesellschaftlicher Anerkennung für die Wissenschaft niederschlägt, ist sehr kurzsichtig. Ein solches Handeln zeugt davon, dass die Bedeutung der Grundlagenforschung noch nicht erfasst wurde. Denn eine moderne Zivilisation braucht Grundlagenforschung. Sie ist eine der Säulen der Gesellschaft: Einerseits schafft sie unmittelbar Arbeitsplätze, nämlich für Wissenschaftler sowie für den zugehörigen Verwaltungsapparat und das technische Personal. Andererseits - und das ist der wichtigere Aspekt - sichert Grundlagenforschung langfristige Entwicklung, weil sie ein "Zugpferd" für andere Wissenschaften und Technologien ist. Mit anderen Worten: eine Entbehrung der Grundlagenforschung führt in wirtschaftliche Stagnation und Rezession. In einem Text des Bundesministeriums für Bildung und Forschung heißt es deshalb:

"Nur eine exzellente Grundlagenforschung sichere die Innovationen der Zukunft."

Die erwähnte Laserphysik ist nur ein Beispiel dafür. Ein anderes, sehr positives, weil sogar interdisziplinäres Beispiel ist ein Austausch zwischen Weltraumforschung und Medizin. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist in einigen Bereichen der Luft- und Raumfahrttechnik weltweit führend, z.B. in Robotik, Flugsimulation, hitzebeständigen Faserkeramiken. Am DLR wurde in den letzten Jahren ein vollkommen neues Kunstherz entwickelt, das mittlerweile in vivo, am lebenden Patienten, erprobt wird. Es handelt sich um ein besonders kleines Kunstherz, das im Körper des Patienten (inkorporal) getragen werden kann und so für eine kaum eingeschränkte Mobilität sorgt. Ein Novum war auch die Form des Herzens, die strömungsoptimiert ist. Das Know-How der Ingenieure vom DLR z.B. in der Strömungsmechanik, aber auch in den Materialwissenschaften, war bei dieser Entwicklungsarbeit von unschätzbarem Wert. So abwegig es klingen mag: Die Medizin wurde Nutznießer der Weltraumforschung. Das Kunstherz des DLR zeigt sehr eindrucksvoll die Chancen der Interdisziplinarität! Mit Recht wurde das "DLR-Herz" 2003 mit dem Europäischen Innovationspreis prämiert. Das Institut für Robotik und Mechatronik entwickelt auch andere Instrumente für die Medizintechnik.

Grenzen der Grundlagenforschung

Ein weiteres Beispiel, das angeführt werden kann, ist die Bio-Technologie und Humangenetik. Es ist sicherlich ein schwieriges Thema, weil in dieser Disziplin auch ethische und religiöse Bewertungskriterien einfließen. Die grundsätzliche Frage ist, wie weit der Mensch in die Natur und sein eigenes Menschsein eingreifen darf. Beides macht er bereits seit Jahrtausenden, doch die wissenschaftlichen und moralischen Grenzen verschieben sich ständig. Eine öffentliche Diskussion darüber ist dringend erforderlich - auch um den rechtlichen Rahmen abzustecken und juristische Klarheit zu haben.
Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass in diesen Fragen auch eine global einheitliche Regelung wünschenswert wäre. Es kann nicht sein, dass einige Staaten sich "vor den Wissenschaften" verschließen, während andere den Vorstoß wagen. Das sorgt für ein Missverhältnis, das letztlich die Abwanderung von Wissen und Wissenschaftlern, das brain drain, begünstigt. In der Genforschung wagen so z.B. die USA und Groß-Britannien den Vorstoß in ethisches und wissenschaftliches Neuland, während die Ethik-Kommission in Deutschland einen Kompromiss sucht, der zurzeit keinen so recht zufrieden stellen kann.

Die deutschsprachige Literatur hat diese Grenzen und die Verantwortung wissenschaftlichen Handelns bereits sehr eindrucksvoll beleuchtet. "Die Physiker" von Friedrich Dürrenmatt ist ein Werk, das nicht nur eine spannende Geschichte, sondern auch wichtige Argumente liefert. Im Zentrum der Verantwortungsfrage steht jedoch nicht die Genforschung, sondern die Atomkraft, besser gesagt die Kernenergie. Wozu darf man diese Technologie nutzen? Kann man gefährliches Wissen verbieten? Die letzte Frage beantwortet der Protagonist Möbius in "Die Physiker" lapidar so: "Nein, denn alles, was einmal gedacht wurde, wird wieder gedacht werden." Mit anderen Worten: Wenn die Zeit für eine wissenschaftliche Entdeckung reif ist, wird sie auch gemacht werden. Und: Jede wissenschaftliche Entdeckung kann zu einem moralisch bedenklichen Zweck, z.B. als Waffe, verwendet werden. Es liegt also in der Verantwortung der Wissenschaftler und der anderen Menschen, dass es nicht zu einer negativen Entwicklung und einem Missbrauch der Wissenschaft kommt. Offensichtlich ist dieser verantwortliche Umgang bei der Atombombe gerade noch einmal gelungen, auch wenn er leider Opfer gekostet hat. Dem Optimisten bleibt so die Hoffnung, nicht nur auf die Klugheit, sondern auch auf die Vernunft der Menschheit.

Astronomische Grundlagenforschung

Astronomische Grundlagenforschung oder Weltraumforschung ist ein vielfältiger Bereich wissenschaftlichen Handelns. Man könnte sogar soweit gehen zu sagen, dass die Astronomie Grundlagenforschung par excellence sei. Die vordergründige Frage ist, was denn die Erkenntnisse über den Himmel einem Menschen bringen könnten? "Sehr viel!", lautet die Antwort, wenn man sich bemüht, eine angemessene Antwort zu finden. Wir haben bereits eingangs ein paar Beispiele kennen gelernt, wo astronomische Forschung Einzug in den Alltag gefunden hat. Auch haben wir astronomische Grundlagenforschung als Kulturleistung begriffen. Nun soll es zunächst um weitere, konkrete Beispiele aus der astronomischen Grundlagenforschung gehen.
Die astronomischen Erkenntnisse beruhen grundlegend einerseits auf Experimenten, also Beobachtungen, und andererseits auf Modellen, der Theorie (siehe auch Essays Die wissenschaftliche Methode, Alles graue Theorie?). Für beide Säulen der Astronomie ist der Einsatz von leistungsfähigen Computern erforderlich, um die Fülle an Daten auszuwerten, zu simulieren und zu visualisieren.

Millennium Simulation: großräumige Struktur im Kosmos Die Abbildung rechts zeigt nicht etwa ein Geflecht aus Nervenzellen, sondern das Ergebnis einer aufwendigen Computersimulation: Jeder winzige Lichtpunkt entspricht einer Galaxie. Das Lichtermeer im Zentrum des Bildes ist ein gigantischer Galaxienhaufen, der sich im Laufe der Simulation ausgebildet hat. Die Breite des Bildes beträgt etwa 570 Millionen Lichtjahre. In der Tiefe schaut man knapp 70 Millionen Lichtjahre ins Universum. Diese Millennium Simulation des Virgo-Konsortiums wurde federführend vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching durchgeführt (Springel et al., Nature 2005). Dieses Bild ist nicht nur schön, es hat auch zusammen mit einer Vielzahl simulierter Bilder einen enormen wissenschaftlichen Gehalt. Die Kosmologen verstehen mit diesen Simulationen, wie vor allem durch die Gravitation die großräumigen Strukturen im Universum zustande gekommen sind. Die Computer sind das virtuelle Labor, um das Geschehen in der Natur in Zeitraffer oder in größerem Detail ablaufen zu lassen. Ein Vergleich von theoretischen, simulierten Daten mit der astronomischen Beobachtung führt letztlich auf ein Verständnis der Natur. Das Bild bezeugt außerdem in wunderbarer Weise die Selbstähnlichkeit der Natur im Mikro- wie im Makrokosmos.

"Myriaden von Sternen, einer Nervenzelle gleich, durchleuchten den Geist des Universums."

Auf dem Beobachtungssektor der Astronomie laufen vergleichbar aufwendige Anstrengungen: Die Teleskope, die zur Beobachtung von Himmelsobjekten zum Einsatz kommen, teilt man in bodengestützte und satellitengestützte Teleskope ein. Das liegt daran, weil Astronomen mittlerweile das gesamte elektromagnetische Spektrum von Radiowellen bis harte Gamma- und TeV-Strahlung heranziehen. Die energiereiche Strahlung kann nicht durch die irdische Atmosphäre beobachtet werden, so dass die Röntgen- und Gammateleskope auf Satelliten installiert werden, die die Erde umkreisen.

Das Large Binocular Telescope in Arizona Moderne bodengestützte Teleskope sind technologische Meisterleistungen. Zu der neusten Generation optischer Teleskope gehört das Large Binocular Telescope (LBT), das im Oktober 2005 das "erste Licht" empfangen hat und auf dem Foto links zu sehen ist. Die Astronomen haben in dieses Teleskop der 8-Meter-Klasse ihr ganzes Know-How und die neusten Errungenschaften der Technik gesteckt. Es ist zu erwarten, dass das LBT die bodengebundene Astronomie in neue Dimensionen wissenschaftlichen Forschens bringen wird. Die genaue Betrachtung des LBTs zeigt, dass es sich eigentlich um einen "Riesenfeldstecher" handelt, einem Teleskop mit zwei Spiegeln mit je 8.5 m Durchmesser. Ähnlich wie beim Very Large Telescope (VLT) in Chile werden die beiden Spiegel "zusammenarbeiten". Mittels dieser Interferometrie genannten Technik gelingt die Synthese eines noch leistungsfähigeren Teleskops mit noch besseren Abbildungseigenschaften und noch höherem Auflösungsvermögen. Mit Spannung werden weitere Bilder des LBTs erwartet, das in Arizona, USA, aufgebaut wurde. Die modernen Großteleskope des 21. Jahrhunderts haben mit dem holländischen Linsenfernrohr des 17. Jahrhunderts kaum noch etwas gemein.

Weltraumteleskope erfordern zusätzlichen Aufwand: Raketen kommen zum Einsatz, die die Teleskope erst in eine Erdumlaufbahn befördern müssen. Dies ist der tief liegende Grund, der ein nationales Raumfahrtprogramm motiviert. Die Notwendigkeit eines solchen Unternehmens zeigt allerdings auch die moderne Telekommunikationstechnik (Telefone, Fernsehen, Navigation, GPS etc.) auf. Auch sie benötigt eine hoch entwickelte Satelliten- und Raketentechnologie. Ein Verzicht auf ein nationales Raumfahrtprogramm bringt den Nachteil mit sich, dass deutsche Satellitenbetreiber abhängig werden von ausländischen Unternehmen, die über Raketen verfügen. Außerdem geht damit ein Verlust von Know-How einher.
Dass astronomische Grundlagenforschung nicht nur Grundlagenforschung auf dem naturwissenschaftlichen Sektor ist, sondern ganz allgemein auch auf dem technologischen Sektor, belegte das Beispiel vom Kunstherz der DLR.

Die Früchte der astronomischen Grundlagenforschung sind süß und saftig, denn wir befinden uns (wie bereits in den 1960er Jahren) in einer Goldenen Phase astronomischer Entdeckungen:

  • Die Astronomen wissen mittlerweile von etwa 150 extrasolaren Planeten, also Planeten, die um andere Sonnen kreisen. Das Auffinden und Verständnis dieser Planeten ist von großem Interesse für die Astronomie und Exobiologie, trägt es doch dazu bei zu verstehen, was Leben ist und was irdische Lebewesen auszeichnet.
  • Einsteins theoretische Vorhersage, die Existenz von Gravitationswellen, konnte indirekt bei einem Doppelsternsystem aus zwei Neutronensternen nachgewiesen werden. Aktuell laufen weltweit größte Anstrengungen, diesen Nachweis auch direkt mithilfe von Gravitationswellendetektoren (GEO 600, LIGO, LISA) zu erbringen.
  • Die energiereichsten Strahlungsblitze im Kosmos, die Gammastrahlenausbrüche (GRBs) sind nun viel besser verstanden. Mit modernen Teleskopen wie XMM (siehe Titelbild, Credit: ESA), Integral und Swift werden ständig mehr dieser Blitze entdeckt. Der theoretische Durchbruch gelang Ende der 1990er Jahre. In jedem GRB entsteht ein Schwarzes Loch!
  • Mit hochempfindlicher und hochauflösender Teleskoptechnologie gelingt die Entdeckung fernster Galaxien und Quasare im frühen Kosmos. Die Astronomen sind heute mittels extrem lang belichteter Fotos dazu in der Lage, die Galaxien und ersten Sterne im Entstehungsprozess zu beobachten. Dabei spüren sie auch die supermassereichen Schwarzen Löcher in den Zentren von Galaxien auf und enträtseln ihre kosmologische Rolle.

Diese Bahn brechenden Erkenntnisse verdanken die Astronomen Hightech, die sie erdgebunden auf Bergen errichten, z.B. in Form von optischen Großteleskopen wie dem LBT; oder Hightech, die sie im Erdorbit positionieren, wie die Weltraumteleskope Hubble, Spitzer, Chandra, ROSAT, Integral und XMM. Sie verdanken dieses Wissen auch einer angemessenen Modellierung der Himmelsobjekte auf der Grundlage der Physik. Dabei spielt ein Netzwerk leistungsfähiger Großrechner eine wesentliche Rolle, denn aufwendige Computersimulationen sind nur mit "Supercomputern" zu bewerkstelligen.

"Die großen Herausforderungen an die fundamentale Physik kommen aus der Astronomie."

(Denkschrift Astronomie 2003)

Das Zitat oben belegt die Schlüsselrolle, die die Astronomie für die Naturwissenschaften hat. Der Himmel ist ein Labor mit ausgezeichneten Eigenschaften, wo kein irdisches Labor mithalten kann. Ein aufmerksames Studium des Himmels mit modernsten Beobachtungsmethoden hilft, die großen Fragen der Physik zu klären:

  • Extreme Bereiche im Universum, wie Schwarze Löcher und der frühe Kosmos selbst erfordern eine Quantisierung der Gravitation, ein Problem, das bislang nicht zufrieden stellend gelöst wurde.
  • Im frühen Universum finden Astrophysik und Teilchenphysik zueinander: die Vereinigung der fundamentalen Naturkräfte und die Vorhersage des Higgs-Teilchens sind Themen, wo die Physiker um ein Verständnis ringen.
  • Die Natur der Dunklen Energie ist vollkommen unklar. Die Kosmologen können nicht auf diese rätselhafte, antigravitative Kraft verzichten, die das Universum expandieren lässt. Die Beobachtungsdaten besagen, dass die Dunkle Energie mehr als zwei Drittel zu allen Energieformen im Kosmos beiträgt - aber was ist das für eine merkwürdige Substanz?
  • Die Astrophysik begründete Disziplinen wie die Plasmaphysik und die Kernfusionsforschung. Vor allem im Verständnis von Sternen ist diese Forschung wichtig. Vielleicht können die Menschen von den Sternen lernen und ihre Energieprobleme für immer lösen, wie das aktuelle, internationale Forschungsunternehmen bei der Fusionstestanlage ITER in Südfrankreich andeuten.

Status astronomischer Forschung

Doch die Fortsetzung dieser wissenschaftlichen Arbeit am Rande der Erkenntnis und des technisch Machbaren ist in Gefahr. Die so genannte "Denkschrift Astronomie 2003" zeichnet ein recht düsteres Bild der astronomischen Grundlagenforschung. Dies soll nachfolgend an einigen Fakten skizziert werden, die in der Denkschrift niedergelegt sind:

"Die Personelle Situation der deutschen Astronomie ist ungenügend" heißt es im Text. So machen die Astronomie-Professuren innerhalb der Physik anteilig nur 3.5% an deutschen Universitäten aus. Zum Vergleich: In Groß-Britannien sind es etwa 30%, also fast das Neunfache! Die Astronomie-Promotionen innerhalb der Physik machen anteilig nur 6% in der BRD aus, während der EU-Durchschnitt dagegen bei 18% liegt (ebenso in den USA). Das Astrophysikstudium gibt es nur an einem Drittel der deutschen Unis, die das Physikstudium anbieten. Ganze Bundesländer (Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und Hessen) sind sogar völlig "astronomiefrei"! Die Astrophysik spielt bei der universitären Ausbildung von Physiklehrern im Prinzip keine Rolle! Und das, obwohl die Astronomie viel zur Begeisterungsfähigkeit von Schülern für die Naturwissenschaften und Mathematik beitragen kann.
Es gibt ein großes Missverhältnis zwischen Attraktion bzw. Führungsrolle der Astronomie und der Repräsentanz deutscher Astronomen in Führungsgremien wie der europäischen Weltraumorganisation ESA (European Space Agency) und der europäischen Südsternwarte ESO (European Southern Observatory).

Die Initiative "Wissenschaft im Dialog" macht folgende Angaben, die in dieser Diskussion relevant sind: Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) betrugen im Jahr 2000 fast 50 Milliarden Euro. Diese finanziellen Mittel fließen unter anderem in die Medizin, Biotechnologie, Informationstechnologie, Umwelttechnologie, Nanotechnologie, Verkehrsforschung und Weltraumforschung. Von den 50 Milliarden Euro trugen Bund und Länder anteilig ein Drittel und die Wirtschaft zwei Drittel.
Die Forschungsausgaben machten seinerzeit 2.5% des Bruttoinlandproduktes (BIP) aus. Damit rangiert Deutschland im oberen Mittelfeld, liegt jedoch unter dem EU-Ziel von 3%. "EU" ist ein gutes Stichwort, weil Forschung auch europäisch gefördert wird. Die Europäische Kommission stellte mit dem 6. (noch laufenden) EU-Forschungsrahmenprogramm (FRP) ein Gesamtvolumen von 17.5 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung zur Verfügung. Der Anteil der deutschen Forschung an diesem Budget beträgt 22%.
Inzwischen liegt der Vorschlag für das 7. EU-Forschungsrahmenprogramm vor (April 2005). Die Mittel sollen hier erhöht werden. Das soll nicht durch eine Erhöhung der Mitgliedsbeiträge der EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt werden, sondern durch eine Umleitung der milliardenschweren Zuwendungen für die Landwirtschaft in die Forschung, wie Bundesministerin Edelgard Bulmahn in einer Bundestagsdebatte im Oktober 2004 erklärte. Der neue FRP startet Mitte bis Ende 2006. Hintergrund dieses europaweiten Engagements ist der EU-Gipfel von Lissabon, der im Jahr 2000 stattfand. Die EU-Mitgliedsstaaten vereinbarten hier das gemeinsame Ziel, bis zum Jahr 2010 die EU zum "wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen".
Deutschland kann sich jedoch nicht auf dieser europäischen Unterstützung ausruhen: nationale Forschungsanstrengungen müssen parallel laufen! Das bedeutet insbesondere, dass auch eine Beteiligung der deutschen Industrie an der Förderung nötig ist, wie Bulmahn mahnte. Auch das wurde in Lissabon vereinbart.

Die öffentlich finanzierte Forschung wird in Hochschulen und Universitäten sowie an außeruniversitären Forschungseinrichtungen betrieben. Zu letztgenannten Institutionen gehören die Max-Planck-Gesellschaft (MPG), die Helmholtz-Gemeinschaft und die Leibniz-Gemeinschaft.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ist die wichtigste Forschungsförderorganisation für die universitäre Forschung. Sie wird von Bund und Ländern gemeinsam finanziert und fördert alle Fachrichtungen und Wissensgebiete. Die Umsetzung der Förderung geschieht u.a. im Rahmen von so genannten Sonderforschungsbereichen (SFBs). Dabei handelt es sich um eine angelegte Forschungseinrichtung einer Hochschule/Universität, in der Wissenschaftler in einem fächerübergreifenden Forschungsprogramm zusammenarbeiten. Die SFBs erhalten eine Katalognummer und einen Namen, der das Forschungsvorhaben charakterisiert. Zurzeit gibt es z.B. folgende SFBs, die in Zusammenhang mit astronomischer Forschung stehen:

  • 375 Astro-Teilchenphysik,
  • 439 Galaxien im jungen Universum,
  • 634 Kernstruktur, nukleare Astrophysik und fundamentale Experimente bei kleinen Impulsüberträgen am supraleitenden Darmstädter Elektronenbeschleuniger S-DALINAC.

Ein SFB dauert maximal 12 Jahre. Antragsberechtigt sind nur wissenschaftliche Hochschulen. Die Entscheidung über die Einrichtung oder Weiterförderung eines SFB trifft der Bewilligungsausschuss der DFG.
Neben der DFG werden Wissenschaftler von dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), durch eine Vielzahl von Stiftungen (von Volkswagen, Bertelsmann, Thyssen, Robert-Bosch etc.), Promovierte auch durch Stipendien der Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH) gefördert.

Notwendigkeit von Öffentlichkeitsarbeit

"Wir haben verlernt uns zu wundern."

Wissenschaft ist keine Sache, die "hinter verschlossenen Türen des Elfenbeinturms" praktiziert werden sollte. Wissenschaft ist faszinierend und eine "horizonterweiternde Droge" - wie es Wissenschaftler enthusiastisch formulieren würden. Wir brauchen Grundlagenforschung in unserer modernen Gesellschaft, weil sie unser Wirtschaftsleben stützt, unser Alltagsleben bereichert, unser kulturelles Leben beflügelt und unser wissenschaftliches Leben ausfüllt.
Faszination und Begeisterung für die Grundlagenforschung sowie eine breite gesellschaftliche Akzeptanz von Grundlagenforschung kann nur durch einen Dialog bewerkstelligt werden. Vieles ist in unserem gesellschaftlichen Leben selbstverständlich geworden. Die Natur gehört dazu. Sie ist jedoch alles andere als selbstverständlich - sie ist höchst erstaunlich! Dabei stellt sich heraus, dass die scheinbar banalen Fragen, die ein Kind stellen könnte, die schwierigsten sind: Warum ist der Himmel blau? Was ist Licht? Weshalb fällt der Mond nicht auf die Erde? Was ist Zeit? Wir können viel von Kindern lernen und täten gut daran, uns etwas Kindsein zu bewahren.

Öffentlichkeitsarbeit ist somit ein probates Mittel, um die Erkenntnisse der Grundlagenforschung im Speziellen und der Wissenschaften im Allgemeinen vor der Öffentlichkeit in verständlicher Weise auszubreiten. Dabei kommen die Wissenschaftler nicht nur ihrer Informationspflicht nach, sondern stellen ihr Wissen und ihre Methoden auch auf den (z.B. ethischen) Prüfstand.
Eine wichtige Rolle spielen dabei die Wissenschaftsjournalisten, die als Mediatoren eine Mittlerfunktion zwischen Wissenschaftlern und Öffentlichkeit haben. Wissen sollte nicht nur in Quiz-Form oder oberflächliches Infotainment vermittelt werden, weil dabei viele wichtige Inhalte auf der Strecke bleiben. Wünschenswert ist ein gut recherchiertes, aber unterhaltsames Format, das sich sowohl im Fernsehen (Musterbeispiel: Quarks & Co.), als auch im Hörfunk mit einem wissenschaftlichen Thema auseinander setzt. In Printmedien und im Internet können verständliche Artikel und Pressemitteilungen die Informationen an die Öffentlichkeit bringen. All das wird schon praktiziert, kann aber noch gesteigert werden - vor allem in der Qualität.

Wie soll es weitergehen?

Dieser Essay zeigt, dass jeder die Initiative ergreifen und aktiv werden kann:
Die Entscheidungsträger aus Politik und Wirtschaft sind gut beraten, wenn sie Grundlagenforschung weiterhin - oder noch besser verstärkt - fördern. Gerade die aktuelle Situation der Sparzwänge kann zu vorschnellem Aktionismus verleiten, dessen Folgen unserem Land nachhaltig schaden. Grundlagenforschung ist kein Luxus, wo Fördermittel zeitweise ausgesetzt werden können, Grundlagenforschung ist eine tragende Säule der deutschen Wirtschaft. Sie ist auch ein faszinierendes Interessengebiet, das unser angeschlagenes Bildungssystem in Schwung bringen kann, indem man die jungen Leute für Grundlagenforschung begeistert. Gerade die Astronomie kann hier aufgrund ihrer Attraktivität eine Vorreiterrolle übernehmen.
Auch die Wissenschaftler sollen aktiv werden, indem sie ihr Umfeld für ihre Disziplin begeistern und es teilhaben lassen, an den Erkenntnissen aus deutscher Spitzenforschung. Deutsche Forschung ist spitze! Doch scheinen wir verlernt zu haben, das zu zeigen. Der internationale Vergleich zeigt, dass sich die deutsche Forschung nicht verstecken muss. Nur müssen wir etwas dafür tun, dass sie sich wirklich entfalten kann.
Die Öffentlichkeit kann aktiv werden, indem sie Interesse aufbringt an wissenschaftlicher Arbeit und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es gibt viele Möglichkeiten, dieses Wissen in verständlicher Form aufzunehmen. In diesem Sinne: Bon Appetit!

Weitere Literatur und Quellenangaben

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Andreas Müller © Andreas Müller, August 2007