Lexikon der Biologie: Altweltgeier
Altweltgeier, Aegypiinae,Greifvögel aus der Familie der Habichtartigen ( vgl. Tab. ). Die meisten Altweltgeier sind kurzschwänzig und besitzen lange, breite Flügel, die eine Spannweite bis 2,7 m erreichen und hervorragend zum Segeln geeignet sind. Die charakteristischen Körpermerkmale lassen die Anpassung an das Ausweiden großer Tierkadaver erkennen. Kopf und Hals sind oft unbefiedert (nackt). Der kräftige lange Schnabel ist am Ende mit einem kurzen Reißhaken versehen, die Füße sind stämmig, die Krallen relativ kurz und stumpf und eignen sich kaum zum Fangen lebender Beute. Der Schlund besitzt einen großen Kropf, der in gefülltem Zustand wie ein Sack hervortritt. Beim Aufsuchen von Nahrung spielt das Geruchsvermögen keine Rolle, die Sehschärfe übertrifft diejenige aller anderen bisher untersuchten Vögel. Die visuelle Auflösung ist etwa doppelt so hoch wie beim Menschen. Die meisten Altweltgeier sind gesellige Aasfresser der offenen Landschaft, einige fressen auch Abfall oder greifen in seltenen Fällen auch lebende Tiere an. Die Beute wird beim Segeln in großer Höhe erspäht, und zwar nicht nur direkt, sondern auch mittelbar durch Beobachten des Verhaltens anderer Geier oder kleinerer Vögel, wie Milane und Krähen, die ein Aas entdeckt haben. Die Bevorzugung bestimmter Körperteile (Muskelfleisch, Innereien, Haut, Knochen) durch verschiedene Geierarten ergibt eine gewisse Rollenverteilung beim Vertilgen eines Kadavers. Bei innerartlichen Kämpfen mit Imponiergesten, Flügel-, Fuß- und Schnabelhieben spielen wechselnde, vom individuellen Hunger bestimmte Hierarchien eine Rolle. Die Altweltgeier sind im südlichen Europa, in Afrika und Asien verbreitet; in Amerika werden sie ökologisch von den Neuweltgeiern(Cathartidae) vertreten, mit denen sie jedoch nicht näher verwandt sind. Die Altweltgeier brüten in Fels- oder Baumhorsten, legen 1–3 Eier und werden erst nach mehreren Jahren fortpflanzungsreif. In Europa sind die Altweltgeier vielfach in ihrem Bestand gefährdet. – Der Gänsegeier (Gyps fulvus;vgl. Abb. ) wird bis 104 cm groß und hat einen langen, fast unbefiederten Hals, der nach dem Wühlen in Eingeweiden leicht zu reinigen ist; er kommt als Felsbewohner häufig am Rand von Gebirgen vor; lebt im Mittelmeerraum und in Südwestasien; besucht im Sommer auch die österreichischen Alpen. Ähnlich sind der afrikanische Sperbergeier (Gyps rueppellii) und der indische Dünnschnabelgeier (Gyps indicus). Dunkler und noch etwas größer ist der Mönchsgeier oder Kuttengeier (Aegypius monachus;vgl. Abb. ) mit ähnlichem Verbreitungsgebiet wie der Gänsegeier, über den er am Fraßplatz dominiert; mit einer Spannweite bis 2,7 m ist er der größte altweltliche flugfähige Vogel. Nackte rote Hautfalten an der Kopfseite besitzt der graubraune, in Nord- und Südafrika beheimatete Ohrengeier (Torgos tracheliotus). Der Bartgeier (Gypaetus barbatus; Mediterranregion II) wird bis 114 cm groß; Schwanz und Flügel sind schlanker als bei den anderen Altweltgeiern; Nahrungsspezialist, frißt vor allem Muskelfleisch und Knochen frischtoter Wirbeltiere; läßt Knochen und auch Schildkröten aus großer Höhe auf Felsplatten fallen, so daß sie zersplittern; in Europa selten geworden; nach Ausrottung in den Alpenländern (Alpentiere) laufen dort seit 1986 mehrere Wiedereinbürgerungsprogramme, in denen über 70 in Gefangenschaft geborene Vögel freigelassen wurden; erstmals kam es 1997 zu einer erfolgreichen Brut. Der Schmutzgeier oder Aasgeier (Neophron percnopterus;vgl. Abb. , Mediterranregion II) ist relativ klein (bis 66 cm), schwarz-weiß, die Jungvögel sind braun; lebt im Mittelmeerraum, Südwestasien, Nord- und Ostafrika; besorgt vielfach in Ortschaften die Abfallbeseitigung; frißt auch Eier, läßt in Ostafrika sogar Steine auf Straußeneier fallen, bis die Schale zerbricht (Werkzeuggebrauch, Abb.).
M.N./O.H.
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